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Editorial | bpb.de

Editorial

Johannes Piepenbrink

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Anfang 2020 blickte die Tourismusbranche optimistisch auf die bevorstehende Reisesaison: "Urlaubsstimmung: positiv!", "Rahmenbedingungen: stabil", hieß es in der Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen. 2019 waren so viele Deutsche wie noch nie in den Urlaub gefahren, und für 72 Prozent stand bereits im Januar des Folgejahres fest, dass sie bald wieder verreisen würden. "Aus Nachfragesicht spricht demnach nichts gegen ein gutes Reisejahr 2020", so die Folgerung. Wie wir heute wissen, kam es anders. Die Pandemie und ihre Bekämpfung brachten den internationalen Reiseverkehr nahezu zum Erliegen und sorgten für einen beispiellosen Einbruch in einer wachstumsverwöhnten Branche. Zugleich wurde vielen der Wert des Reisens schmerzlich bewusst, die Monate im "Lockdown" schürten das Fernweh.

In den Urlaub zu fahren, also mehr oder weniger "zum Vergnügen" zu reisen, ist historisch gesehen erst seit kurzer Zeit üblich und überhaupt möglich. Mobilität war in der Regel mit einem handfesten Zweck verbunden, sei es, um Handel zu treiben oder diplomatische Beziehungen zu pflegen, sei es, um einer Not zu entkommen. Anspruch auf bezahlte Urlaubstage gibt es flächendeckend erst seit dem 20. Jahrhundert, und ohne die Entwicklung moderner Verkehrsmittel, die das Reisen sicherer und weniger strapaziös machen, ist die Entstehung des heutigen Massentourismus undenkbar. Nach wie vor aber muss man sich den Ortswechsel zur eigenen Erholung finanziell und zeitlich leisten können. Touristisches Reisen ist also immer auch Ausdruck von Status – und vor allem ein Privileg des Globalen Nordens.

Angesichts der Klimakrise und nicht mehr zu übersehenden Folgen des overtourism an vielen "Destinationen" hat sich indes schon lange vor der Pandemie die Frage gestellt, ob die Tourismusbranche nicht längst an die Grenzen eines verträglichen Wachstums gelangt ist. Das erzwungene "Reise-Fasten" bot Gelegenheit, hierüber nachzudenken und auch das eigene Reiseverhalten zu hinterfragen. Reiselust und Klimaschutz miteinander zu vereinbaren, wird in Zukunft noch stärker gefordert sein.

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