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Wählen in Zeiten der Pandemie | bpb.de

Wählen in Zeiten der Pandemie Herausforderungen und Probleme

Heike Merten

/ 19 Minuten zu lesen

Dachte man zu Beginn der Covid-19-Pandemie noch laut über eine Verschiebung von Kommunal- oder auch Landtagswahlen nach, wurde diese Möglichkeit vor der Bundestagswahl im September 2021 nicht mehr in Erwägung gezogen. Dies mit gutem Grund, ist doch eine Verlängerung einer laufenden Wahlperiode jedenfalls auf Landes- und Bundesebene verfassungsrechtlich ausgeschlossen. Demokratie ist immer nur eine "Herrschaft auf Zeit", und daher gehört zu den notwendigen Bestandteilen einer Demokratie die Periodizität von Wahlen. Die Dauer der Legislaturperiode ist deshalb verfassungsrechtlich festgeschrieben; eine Änderung bedarf einer entsprechenden Verfassungsänderung, die nach der überwiegenden Auffassung in der Rechtswissenschaft allerdings erst eine künftige Wahlperiode betreffen darf. Den Abgeordneten fehlt es an der notwendigen demokratischen Legitimation, ihre eigene Amtszeit zu verlängern. Somit gilt es, sich den Herausforderungen und Problemen einer ordnungsgemäßen Wahl in Zeiten einer Pandemie und – wie uns die Flutkatastrophe jüngst gezeigt hat – auch in sonstigen Krisenzeiten zu stellen. Es steht zu erwarten, dass wir in Zukunft mit derartigen Situationen häufiger konfrontiert sein werden. Umso notwendiger ist es, sich mit dem Wählen in Krisenzeiten näher auseinanderzusetzen.

Wahlvorbereitung

Keine Wahlen ohne Kandidaten. Die Auswahl und Aufstellung der Wahlbewerber ist ein erster wesentlicher, zugleich auch wahlentscheidender Schritt. Schon dieser Schritt muss demokratischen Grundsätzen entsprechen, obwohl er außerhalb des staatlichen Bereiches, zumeist innerhalb einer politischen Partei und damit rechtlich innerhalb eines Vereins erfolgt. Verfassungsrechtlich abgesichert wird dies durch die Verpflichtung der Parteien zur innerparteilichen Demokratie in Artikel 21 Absatz 1 Satz 3 GG und durch die Wahlrechtsgrundsätze aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG, die schon in der Wahlvorbereitungsphase Wirkung entfalten. Die Nominierung der Wahlbewerber erfolgt nach den jeweiligen Wahlgesetzen in Mitglieder- oder Delegiertenversammlungen der zum Bundestag wahlberechtigten anwesenden Parteimitglieder (§21 Absatz 1 Bundeswahlgesetz (BWahlG)). Die physische Präsenz der Parteimitglieder oder Delegierten am Versammlungsort wurde bis zur Pandemie als selbstverständlich angesehen und deren gesetzliche Anordnung nicht wirklich in Zweifel gezogen.

Da Präsenzveranstaltungen in der Hochphase einer Pandemie mit nicht unerheblichen Gesundheitsgefahren verbunden sind, wurden die rechtlichen Möglichkeiten einer Wahlbewerberaufstellung unter Pandemiebedingungen ausgelotet, um Wahlen auch in Zeiten von Naturkatastrophen und ähnlichen Fällen ordnungsgemäß durchführen zu können. Der Bundestag hat die Lösung darin gesehen, das Bundesinnenministerium (BMI) dazu zu ermächtigen, mit Zustimmung des Bundestages per Rechtsverordnung vom Leitbild der Präsenzversammlung abzuweichen (§52 Absatz 4 BWahlG). Von dieser Ermächtigung hat das BMI mit der COVID-19-Wahlbewerberaufstellungsverordnung Gebrauch gemacht. Danach sind ausschließlich für die Wahlen zum 20. Deutschen Bundestag Abweichungen vom Satzungsrecht der Parteien sowie Modifikationen des Versammlungsformates und des Wahlverfahrens möglich. Die von der Exekutive erlassene Verordnung ermöglicht damit unter anderem, von der Pflicht zur Durchführung von Präsenzversammlungen abzuweichen. Die Verlagerung der Versammlung und damit auch der Abstimmungen in den digitalen Raum ist unter dem Gesichtspunkt der (Mitglieder-)Öffentlichkeit der Wahl und der damit einhergehenden Überprüfbarkeit der Ergebnisermittlung nicht ganz unproblematisch. Bei elektronischen Abstimmungssystemen ist diese Überprüfbarkeit gerade nicht gegeben; Wahlbewerberaufstellungen mit elektronischen Abstimmungssystemen sind daher verfassungsrechtlich problematisch. Die Rechtsverordnung hat deshalb vorgesehen, die endgültige Abstimmung über das elektronische (Vor-)Wahlergebnis im schriftlichen Verfahren bestätigen zu lassen. Dabei wurde allerdings verkannt, dass die digitale Vorwahl einen so wesentlichen Einfluss auf die Schlussabstimmung hat, dass schon bei der Vorwahl vom Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl kaum Abstand genommen werden kann.

Zu Recht wurde diese gefundene Lösung kritisch gesehen, und die Parteien haben bei der Wahlbewerberaufstellung vielfach stattdessen auf pandemiekonforme Präsenzveranstaltungen gesetzt, um eine rechtssichere Nominierung zu gewährleisten. Dem Gesetzgeber sei angeraten, die in §52 Absatz 4 BWahlG gefundene Lösung nochmals intensiv zu beraten und insbesondere auch den Weg über eine Verordnungsermächtigung für die Exekutive noch einmal zu überdenken. Das Parlament muss diese grundlegenden Fragen der Aufstellung von Wahlbewerbern nach dem Grundsatz des Parlamentsvorbehaltes selbst regeln. Dies gilt in besonderem Maße in Krisenzeiten, in denen das Parlament umso dringlicher seine Aufgaben als Gesetzgeber wahrnehmen muss, um Transparenz und Vertrauen herzustellen.

Wahlzulassung

Ist die Wahlbewerberaufstellung abgeschlossen, gilt es, die offizielle Zulassung zur Wahl zu erlangen. Kreiswahlvorschläge sind dem Kreiswahlleiter und Landeslisten dem Landeswahlleiter einzureichen (§19 BWahlG). Dazu müssen neben den nominierten Kandidaten weitere Unterlagen wie zum Beispiel die Niederschrift über die Wahl dem Wahlausschuss vorgelegt werden (§§20, 21 Absatz 6 BWahlG). Parteien und Wählergruppen, die bisher nicht ununterbrochen im Parlament vertreten waren, müssen zudem sogenannte Unterstützungsunterschriften beibringen (§§20 Absatz 2 Satz 2; 27 Absatz 1 Satz 2 BWahlG). Dazu müssen Unterstützer ihre persönlichen Daten in Formblättern persönlich und handschriftlich eintragen (§34 Absatz 4 Nr. 2; §39 Absatz 3 Bundeswahlordnung (BWahlO)). Die Anzahl der beizubringenden Unterschriften von Wahlberechtigten ist gestaffelt. Mit dem Erfordernis von Unterstützungsunterschriften wird zwar auch schon unter regulären Wahlbedingungen die Chancen- und Wahlrechtsgleichheit beeinträchtigt. Diese wahlrechtliche Zulassungsbeschränkung ist aber verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da sie auf einem zwingenden Grund beruht: Sie dient der Sicherung der Ernsthaftigkeit des Wahlvorschlags, mit dem Ziel, letztlich auch einer Stimmenzersplitterung entgegenzuwirken und eine handlungsfähige Volksvertretung hervorzubringen. Die Legitimität dieses Anliegens ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt. Sie steht allerdings unter dem Rechtfertigungsvorbehalt einer tatsächlich auch möglichen Umsetzbarkeit, sowohl in zeitlicher wie auch in organisatorischer Hinsicht. Dabei muss im Blick behalten werden, dass die für den Normalfall geltende gesetzliche Regelung von einer recht hohen Anzahl beizubringender Unterstützungsunterschriften ausgeht und den kleinen Parteien einen erheblichen organisatorischen Aufwand abverlangt. Gilt dies schon unter normalen Bedingungen, so ist es in Krisenzeiten umso wichtiger, hinsichtlich der Unterstützungsunterschriften deutliche Milderungen einzuführen oder von der Unterschriftenklausel gänzlich Abstand zu nehmen. Für die Wahl zum Deutschen Bundestag wurden die notwendigen Unterstützungsunterschriften daher auf jeweils ein Viertel reduziert.

Die Prüfung der eingereichten Unterlagen führt auch dazu, dass der Bundeswahlausschuss unter Vorsitz des Bundeswahlleiters Wahlbewerber nicht zur Wahl zulässt. 54 politische Vereinigungen wurden als Parteien für die Bundestagswahl 2021 anerkannt und deren Wahlvorschläge zur Wahl zugelassen. 43 Vereinigungen wurde die Zulassung nach Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen versagt. Prominentestes Beispiel für die Nichtzulassung ist die Landesliste der Saar-Grünen. Parteiinterne Unregelmäßigkeiten bei der Wahlbewerberaufstellungsversammlung hatten die Nichtzulassung zur Folge. Begründet wurde die Sperre vom Bundeswahlausschuss mit dem Ausschluss von 49 Delegierten vom Ortsverband Saarlouis bei der Aufstellungsversammlung der Liste. Dies wurde als schwerer Wahlfehler und Verletzung des Demokratieprinzips gewertet.

Gegen die Nichtanerkennung als Partei für die Wahl zum Bundestag kann vor der Wahl noch Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben werden (Artikel 93 Absatz 1 Nr. 4c GG). Von dieser Möglichkeit haben zwanzig Vereinigungen und Parteien Gebrauch gemacht. In 19 Verfahren blieben die Nichtanerkennungsbeschwerden nach Beschlüssen des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts erfolglos. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) wurde hingegen im Beschwerdeverfahren als wahlvorschlagsberechtigte Partei für die Wahl zum 20. Deutschen Bundestag anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass entgegen der Auffassung des Bundeswahlausschusses der Verlust der Parteieigenschaft nicht bereits eintritt, wenn eine Partei – wie die DKP – in einem Zeitraum von sechs Jahren mehrere Rechenschaftsberichte unter Einhaltung der inhaltlichen Mindestanforderungen nicht fristgemäß eingereicht hat. Dies ergibt sich aus einer im Lichte von Artikel 21 Absatz 1 GG vorzunehmenden Auslegung des Parteiengesetzes. Danach ist die nicht fristgerechte Einreichung des Prüfberichts einer Nichteinreichung nicht gleichzustellen. Für sich genommen reicht dies nicht aus, die Rechtsfolge des Verlusts der Parteieigenschaft gemäß §2 Absatz 2 Satz 2 Parteiengesetz (PartG) auszulösen.

Wahlkampf

Die Coronapandemie, aber auch die Flutkatastrophe haben zu Einschränkungen der Wahlkampfaktivitäten geführt. Der Wahltermin im September hatte den großen Vorteil, dass sich die Inzidenzwerte in der heißen Wahlkampfphase auf einem relativ niedrigen Niveau bewegten und keine Kontaktsperren verhängt werden mussten. Infostände und Flyerverteilung in Fußgängerzonen waren weitgehend möglich. Persönliche Wahlkampfbesuche und Veranstaltungen in Innenräumen, jeweils mit Masken, waren eher die Ausnahme, aber grundsätzlich doch möglich. Das befürchtete faktische Wahlkampfverbot im öffentlichen Raum ist damit ausgeblieben. Allerdings sind die Bürger pandemiebedingt insgesamt deutlich zurückhaltender bei persönlichen Begegnungen und direkter Ansprache, auch mit Abstand und im Freien. Dies betrifft die Wahlwerbenden aber alle in gleichem Maße.

Verfassungsrechtlich ist mit dem Wahlvorschlagsrecht auch das Recht verbunden, für die eigenen Kandidaten zu werben. Das Recht der Wahlkampfführung muss unter Wahrung der Chancengleichheit allen Trägern der zugelassenen Wahlvorschläge gleichermaßen zukommen. Es kann nur zum Schutz kollidierender Verfassungsgüter überhaupt eingeschränkt werden. Wie die Kommunalwahlen 2020 in NRW gezeigt haben, ist auch in einer Pandemiewelle grundsätzlich ein kontaktloser Wahlkampf möglich, etwa durch Plakatierungen oder Wahlwerbesendungen. War so ein chancengleicher Wahlkampf grundsätzlich möglich, so war dieser gleichwohl von diversen juristischen Problemen und Herausforderungen gekennzeichnet.

In Sachsen und in Bayern hat die Kleinstpartei "Der Dritte Weg" mit "Hängt die Grünen"-Wahlplakaten für Aufsehen gesorgt. Das Verwaltungsgericht (VG) Chemnitz hatte in erster Instanz entschieden, dass die Plakate hängen bleiben dürfen, wenn auch mit einem Abstand von 100 Metern zu Wahlplakaten der Grünen, und mit dieser Entscheidung für noch mehr Aufsehen gesorgt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Bautzen stufte im Eilverfahren die Plakate als Volksverhetzung ein. Die Plakate müssten abgehängt werden, sie stellten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, erklärte das Gericht. Parteien dürfen zwar grundsätzlich Kritik auch in überspitzter und polemischer Form äußern. Dies findet aber seine Grenze, wenn gewichtige Straftatbestände vorliegen, wie hier der Tatbestand der Volksverhetzung. Bei der Beurteilung kommt es auf die Sicht eines objektiven Betrachters an. Das Plakat sei geeignet, so das OVG, den öffentlichen Frieden durch Aufstacheln zum Hass sowie durch einen Angriff auf die Menschenwürde der Mitglieder der Grünen zu stören. In ähnlicher Weise urteilte auch ein bayrisches Gericht.

Das VG Chemnitz hatte sich im Wahlkampf dann noch mit den Wahlplakaten der Satirepartei Die Partei mit den Slogans "Nazis töten." und "Feminismus, ihr Fotzen!" zu befassen. Das Gericht entschied, dass sie hängen bleiben durften. Die Plakatinhalte stellten keinen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit dar, insbesondere nicht gegen Strafvorschriften (§§111, 185 Strafgesetzbuch (StGB)). Bei den betreffenden Sprüchen auf den Wahlplakaten handele es sich um Werturteile, die in den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fielen. Schließlich umfasse diese auch das Recht, sich im politischen Meinungskampf "selbst in überspitzter und polemischer Form kritisch zu äußern", so das VG in seinem Beschluss. Eine Einschränkung dieses Rechts lediglich unter Berufung auf eine Störung der öffentlichen Ordnung reiche nicht aus.

In der heißen Wahlkampfphase rief der bayrische Ministerpräsident Markus Söder in einer Wahlkampfrede im Sachs-Stadion in Schweinfurt die CSU-Wähler dazu auf, Anhängern anderer Parteien absichtlich einen falschen Wahltermin zu nennen, damit sie diesen versäumen. Der Aufruf wurde durchaus als möglicherweise strafbarer öffentlicher Aufruf zur Wählertäuschung (§§111, 108a StGB) wahrgenommen. Trotz mehrerer Strafanzeigen lehnte es die Staatsanwaltschaft Schweinfurt aber ab, Ermittlungen aufzunehmen. Die Äußerungen seien "für sich genommen und nach den Gesamtumständen als Scherz zu verstehen" gewesen.

Zwei Wochen vor dem Wahltermin warf der Bundeswahlleiter dem Meinungsforschungsinstitut Forsa indirekte Wahlmanipulation vor. Hintergrund ist die sogenannte Sonntagsfrage. Dabei rufen Mitarbeiter zufällig ausgesuchte Menschen an und fragen sie: "Wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, wen würden sie wählen?" Forsa fragt auch, ob jemand schon per Brief gewählt hat und wenn ja, wen. Diese Antworten fließen in das Ergebnis der Sonntagsfrage ein.

Der Bundeswahlleiter sah darin einen Verstoß gegen §32 Absatz 2 BWahlG, wonach die "Veröffentlichung von Ergebnissen von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe über den Inhalt der Wahlentscheidung (…) vor Ablauf der Wahlzeit unzulässig" ist. Die Abfrage des Status der Briefwähler sei rechtswidrig. Dies insbesondere auch, weil bei der anstehenden Bundestagswahl bei einer Wahlbeteiligung von 70 bis 75 Prozent eine Briefwählerquote von bis zu 57 Prozent prognostiziert wurde. Forsa teilte diese Rechtsauffassung nicht und klagte dagegen. Grundsätzlich gilt, dass erst ab 18 Uhr am Tag der Bundestagswahl Hochrechnungen veröffentlicht werden dürfen, wobei es sich bei den ersten Zahlen noch um Prognosen handelt, die ausschließlich auf Daten der Nachwahlbefragung von Wählern unmittelbar nach ihrer Stimmabgabe beruhen. Erst mit fortschreitender Stimmauszählung in den Wahllokalen folgen Hochrechnungen, bei denen die Wahlentscheidungen der bisher ausgezählten Stimmen auf die Gesamtheit der Wählerschaft hochgerechnet werden und so ein zu erwartendes Endergebnis auf Grundlage der konkreten Wahl von zunächst Wenigen und erst im Verlauf des Wahlabends von Vielen ermittelt wird.

Das VG Wiesbaden stellte in einer Eilentscheidung fest, dass das Veröffentlichungsverbot von Ergebnissen von Wählerbefragungen, die auch auf Grundlage von Nachwahlbefragungen zustande gekommen sind, eng auszulegen und in jedem Fall nicht auf die Zeit vor dem Wahltag zu erstrecken ist. Die Freiheit der Wahl aus Artikel 38 Absatz 1 GG schütze nicht vor wahrheitsgemäßen Tatsachenbehauptungen wie Meinungsumfragen. Zudem beeinträchtige das Veröffentlichungsverbot auch die Freiheit der Berichterstattung der Medien und greife damit erheblich in das für eine Demokratie zentrale Grundrecht der freien Medien (Artikel 5 Absatz 1 GG) ein. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof (VGH) hat den Beschluss bestätigt. Das im Bundeswahlgesetz enthaltene Verbot, keine Ergebnisse von Wählerbefragungen "nach der Stimmabgabe" vor Ablauf der "Wahlzeit" zu veröffentlichen, gelte nicht für die Briefwahl.

Wahlakt

Bei der eigentlichen Wahlhandlung, dem sogenannten Wahlakt, müssen die geschriebenen Wahlrechtsgrundsätze aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 1 GG – die Wahl muss allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim sein – sowie der vom Bundesverfassungsgericht entwickelte ungeschriebene Wahlrechtsgrundsatz der Öffentlichkeit der Wahl eingehalten werden. Alle wesentlichen Schritte der Wahl müssen nach Letzterem einer öffentlichen Überprüfbarkeit unterliegen, handelt es sich doch letztlich um den zentralen Legitimationsakt in einer Demokratie. Gewährleistet werden kann die Einhaltung aller sechs Wahlrechtsgrundsätze bei der als Regelfall gedachten Urnenwahl unter Anwesenden problemlos im Wahllokal am Wahltag. Das Bundesverfassungsgericht spricht daher auch von der Urnenwahl als dem "verfassungsrechtlichen Leitbild". Die traditionelle Urnenwahl im Wahllokal bringt in Pandemiezeiten aber durchaus Risiken mit sich. Daher wurde auch die Option einer generellen Briefwahl in Erwägung gezogen.

Eine Briefwahl ist allerdings ein "privatisierter Wahlakt", bei dem die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe, aber auch die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis zurückstehen. Das Bundesverfassungsgericht hält die Briefwahl aber dennoch ausnahmsweise als zusätzliches Angebot neben der Urnenwahl für zulässig, um eine möglichst hohe Wahlbeteiligung zu erreichen und so dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Geltung zu verschaffen. Für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer ausschließlichen Briefwahl, die die Urnenwahl ersetzt, müssen neben der Allgemeinheit der Wahl aber noch weitere Verfassungsgüter von erheblichem Gewicht für eine Einschränkung der genannten Wahlrechtsgrundsätze sprechen. Die Befürworter einer reinen Briefwahl greifen dafür auf die aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG folgende Schutzpflicht des Staates für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zurück. Infektionen mit dem Virus bei einem öffentlichen Wahlvorgang auszuschließen, so die Argumentation, sei ein verfassungsrechtlich legitimer Grund für die Durchführung einer Wahl als generelle Briefwahl. Der Schutz der Gesundheit tritt so zum verfassungsrechtlichen Ziel einer möglichst hohen Wahlbeteiligung hinzu.

Ob der Gesundheitsschutz am Wahltag tatsächlich ausschließlich durch eine reine Briefwahl gewährleistet werden kann, bleibt allerdings fraglich. Solange es möglich ist, eine Wahl an der Urne unter Einhaltung des Infektionsschutzes sicherzustellen, ist die Urnenwahl zur Sicherung der Wahlrechtsgrundsätze verfassungsrechtlich geboten und eine ausschließliche Briefwahl verfassungsrechtlich kaum zu rechtfertigen. Denn auch bei einem grundsätzlichen Festhalten an der Urnenwahl stehen gerade für Risikopersonen ja die Möglichkeiten der Briefwahl oder auch der vorgezogenen Urnenwahl als Alternativen zur Verfügung.

Der Anteil der Briefwähler bei Bundestagswahlen ist im Laufe der Zeit auch unabhängig von Pandemiezeiten kontinuierlich angewachsen. Die Briefwahlquote hat schon 2013 24,3 Prozent betragen und ist bei der Bundestagswahl 2017 auf 28,6 Prozent angestiegen. Bei den in der Pandemiezeit durchgeführten staatlichen Wahlen ist ein erheblicher Anstieg der Briefwähler auf bis zu 66,5 Prozent (bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im März 2021) zu verzeichnen gewesen. Auch bei der Bundestagswahl 2021 ist die Briefwählerquote nochmals deutlich auf 47,3 Prozent angestiegen. Bayern hatte mit 62,4 Prozent den höchsten Anteil an Briefwählern. Bei der Erfassung der Briefwähler wird allerdings nicht unterschieden zwischen den "echten" Briefwählern und denjenigen, die im Wege der vorgezogenen Urnenwahl ihre Stimme abgeben. Beide werden in der Briefwahlquote erfasst. In letzterem Fall beantragt der "Briefwähler" seine Wahlunterlagen persönlich bei der Gemeinde, füllt diese direkt vor Ort im Briefwahlbüro aus und wirft sie auch vor Ort in die (Brief-)Wahlurne. Das ist innerhalb von vier Wochen vor dem eigentlichen Wahltermin möglich. Bei dieser vorgezogenen Urnenwahl gibt es die aufgezeigten Probleme der Briefwahl nicht: Sie kommt einer Urnenwahl gleich. Ob bei einer anhaltend hohen Quote an "echten" Briefwählern, bei denen die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe, aber auch die Wahlfreiheit und das Wahlgeheimnis zurückgenommen sind, auch zukünftig vom Bundesverfassungsgericht noch eine verfassungsrechtlich zulässige Ausnahme angenommen wird, ist durchaus zweifelhaft.

Im Rahmen der wahlordnungsrechtlichen Vorschriften ist bei dieser Bundestagswahl für ein hohes Maß an Infektionsschutz gesorgt worden. So stand im Wahllokal für jeden Wahlberechtigten ein eigenes Schreibgerät zur Verfügung, Wahlkabinen und -urnen wurden regelmäßig desinfiziert, und auch die sonstigen Hygiene- und infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen sind eingehalten worden. Die Maskenpflicht galt natürlich auch im Wahllokal. Das in den Wahlgesetzen normierte Verhüllungsverbot für Wahlorgane (etwa in §10 Absatz 2 Satz 2 BWahlG) wurde in der Pandemie ausgesetzt. Die Ausübung des Wahlrechts war selbstverständlich auch für ungeimpfte und ungetestete Personen möglich.

Wahlordnungsrechtliche Ausnahmeregelungen gab es auch in den Flutkatastrophenregionen in Deutschland. Hier wurden für die Bundestagswahl auch Zelte, Container oder Busse als Wahlraum genutzt. Da in den Überflutungsgebieten viele Menschen ihr Haus und damit ihre Postadresse verloren haben, bedurfte es auch mit Blick auf die Eintragung im Wählerverzeichnis und die zuzustellenden Wahlbenachrichtigungen einer Sonderlösung. Der Landeswahlleiter in Nordrhein-Westfalen etwa empfahl, deren Inhalt bei Bedarf auch mit Plakaten, über Internetangebote der Kommunen, Hörfunk, Fernsehen oder Zeitungen öffentlich bekannt zu machen. Briefwahlanträge konnten auch ohne Wahlbenachrichtigung bei den Heimatgemeinden oder online gestellt werden. Das galt auch für Wahlberechtigte, die sich nicht in ihrer Wohnung aufhalten konnten.

Am Tag der Bundestagswahl selbst erregten weitere Ereignisse mediales Aufsehen: Auf seinem Twitteraccount veröffentlichte Hubert Aiwanger, Spitzenkandidat der Freien Wähler, eine vorgeblich tagesaktuelle Prognose eines Meinungsforschungsinstituts, verbunden mit dem Aufruf, ab jetzt alle Stimmen seiner Partei zu geben – was grundsätzlich einen bußgeldbewährten Verstoß gegen §32 Absatz 2 BWahlG darstellt. Mit dem Verbot soll eine Wahlbeeinflussung der Wähler verhindert werden, die noch zur Stimmabgabe gehen. Aiwanger beteuerte, für den Tweet Zahlen verwendet zu haben, die er von einem Dritten bekommen habe, und keinesfalls Daten einer Nachwahlbefragung. Der Eintrag wurde nach wenigen Minuten wieder gelöscht. Der Bundeswahlleiter leitete unverzüglich Ermittlungen ein. Diese ergaben, dass es sich bei dem Tweet wohl um eine Zusammenstellung verschiedener, am Wahltag öffentlich zugänglicher Daten, etwa aus vorherigen Prognosen, sowie um erfundene Zahlen handelte. Eine Ordnungswidrigkeit könne daher nicht nachgewiesen werden.

Der Kanzlerkandidat von CDU/CSU, Armin Laschet, faltete bei der Stimmabgabe seinen Stimmzettel so, dass beim Einwurf in die Wahlurne für die Anwesenden, insbesondere aber auch für die Fernsehkameras, deutlich sichtbar wurde, was und wen er gewählt hatte. Zur Wahrung des Wahlgeheimnisses darf die Wahlentscheidung bei der Stimmabgabe nicht erkennbar sein. Die Stimmabgabe hätte vom Wahlvorstand also unterbunden werden müssen. Die dennoch in die Urne gelangte Stimme wurde gezählt, der Verstoß blieb damit folgenlos.

In der Bundeshauptstadt Berlin standen zeitgleich vier Abstimmungen an – die Wahlen zum Bundestag, zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen, dazu noch ein Volksentscheid zur Frage, ob private Wohnungskonzerne vergesellschaftet werden sollen. Damit war ein Wahlmarathon angesetzt, der zudem noch vom parallel stattfindenden Berlin-Marathon komplettiert wurde. Schon während des Wahltags wurden verschiedene Unregelmäßigkeiten bekannt: So bildeten sich über den gesamten Tag hinweg ungewöhnlich lange Schlangen vor den Wahllokalen, die nicht nur der Pandemie und der Wahrung der Hygienekonzepte in den Wahllokalen geschuldet waren. Vertauschte oder zu wenige Wahlzettel in verschiedenen Bezirken wurden beklagt, zudem soll es zu unzulässigen Stimmabgaben von Minderjährigen und EU-Ausländern zur Bundestagswahl gekommen sein. Durch das so entstandene "Wahlchaos" in vielen Berliner Wahllokalen (die Landeswahlleiterin sprach später von Unregelmäßigkeiten in etwa 200 der insgesamt 2.257 Berliner Wahllokale) zögerte sich die Stimmabgabe teilweise bis nach 20 Uhr hinaus, also bis lange nach der offiziellen Schließung der Wahllokale um 18 Uhr. Die ab 18 Uhr veröffentlichten Wahlprognosen konnten die unfreiwilligen "Spätwähler" so unproblematisch zur Kenntnis nehmen und in ihre Wahlentscheidung einfließen lassen. Dies muss sicherlich als Verstoß gegen das Gebot der Wahlrechtsgleichheit gewertet werden, führt aber zugleich in ein Dilemma: Wären die Wahllokale pünktlich um 18 Uhr geschlossen worden, wäre der Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl verletzt worden. §60 BWahlO und §54 der Berliner Landeswahlordnung sehen daher vor, dass bei Ablauf der Wahlzeit um 18 Uhr die Wähler, die zu diesem Zeitpunkt zur Stimmabgabe erschienen sind und in oder vor dem Wahllokal warten, ihre Stimme noch abgeben dürfen. Wählern und Wählerinnen, die ihre Stimmen nicht abgeben konnten, weil etwa Stimmzettel fehlten oder diese falsch zugeordnet waren, wurde das Recht auf Wahlteilnahme hingegen verwehrt, was einen Verstoß gegen die in Artikel 38 Absatz 1 GG garantierte Allgemeinheit der Wahl darstellt.

Nach Auszählung der Stimmen wurde darüber hinaus noch festgestellt, dass in einigen Bezirken mehr Stimmen abgegeben wurden als Wahlberechtigte registriert waren. Damit ist die Frage aufgeworfen, was daraus rechtlich folgt.

Wahlprüfung und Wahlanfechtung

Bei der Wahlprüfung und -anfechtung ist grundsätzlich zwischen der Bundestagswahl und der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus zu unterscheiden, auch wenn die Problemlage ähnlich ist.

Die Prüfung der Wahl zum Bundestag ist erst einmal Sache des Bundestags selbst (Artikel 41 Absatz 1 GG). Der Wahlprüfungsausschuss überprüft die Einwände und bereitet für das Parlament einen Entscheidungsvorschlag vor (§3 Wahlprüfungsgesetz (WahlPrG)). Gegen die Entscheidung des Bundestages kann Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben werden (Artikel 41 Absatz 2 GG; §§13 Nr. 3, 48 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)). Auch bei einem gerichtlich festgestellten Wahlfehler wird eine Wahl aber allenfalls dann für ungültig erklärt, wenn dieser Wahlfehler mandatsrelevant war, sich daraus also eine andere Zusammensetzung des Bundestages ergibt. Selbst wenn Mandatsrelevanz nicht ausgeschlossen werden kann, kommt wegen des im Demokratiegebot wurzelnden Interesses am Bestandsschutz des gewählten Parlaments die Anordnung einer Neuwahl kaum in Betracht. Auf dem Gebiet des Wahlfehlerfolgenrechts gilt das "Gebot des geringstmöglichen Eingriffs. Die Entscheidung darf nur so weit gehen, wie es der festgestellte Wahlfehler verlangt (…). Daraus folgt unter anderem, dass vorrangig ein Wahlfehler zu berichtigen ist, statt die Wahl zu wiederholen. Ist eine Wahl nur teilweise für ungültig erklärt worden und eine Wahlwiederholung insoweit unumgänglich, so darf diese nur dort stattfinden, wo sich der Wahlfehler ausgewirkt hat, also in dem betroffenen Stimmbezirk, Wahlkreis oder Land".

Soweit sich die Pannen in Berlin auf die Wahl zum Abgeordnetenhaus beziehen, ist ohne Einschaltung des Abgeordnetenhauses der Verfassungsgerichtshof Berlin zuständig (Artikel 84 Absatz 2 Nr. 6 Berliner Landesverfassung; §§14 Nr. 2 und 3, 40ff. des Gesetzes über den Verfassungsgerichtshof (BerlVerfGHG)). Hier können jedoch im Unterschied zur Bundesebene einzelne Wahlberechtigte diesen Rechtsbehelf gar nicht wahrnehmen. Nach §40 Absatz 2 Nr. 8 und Absatz 3 Nr. 3 BerlVerfGHG können nur Parteien beziehungsweise Direktkandidaten Einspruch erheben, die von der Entscheidung betroffen sind. Da die Freiheit der Wahl jedoch auch nach Berliner Landesverfassungsrecht als subjektives Verfassungsrecht ausgestaltet ist, steht die Landesverfassungsbeschwerde zur Verfügung. Diese ist nicht auf Grundrechte im technischen Sinne beschränkt, sondern bezieht sich nach §49 Absatz 1 BerlVerfGHG ausdrücklich auf die Beeinträchtigung des Beschwerdeführers "in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen Rechte".

Ein Beschreiten des Rechtsweges wegen eines gravierenden Organisationsverschuldens der Landeswahlleitung auf Berliner Ebene ist zur Feststellung der Rechts- und damit zugleich der Verfassungswidrigkeit oder -mäßigkeit der Vorkommnisse durch das Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsgerichtshof von Berlin politisch und rechtlich überaus wichtig, um eine ernsthafte Beschädigung der Demokratie abzuwenden. Eine fehlerhafte Wahl erschüttert das Vertrauen in die Demokratie an ihrer Wurzel.

Fazit

Die Pandemie hat die repräsentative Demokratie vor große Herausforderungen gestellt, die aber mit einem vernünftigen Krisenmanagement auch bewältigt worden sind. Die Probleme bei der Wahldurchführung etwa in Berlin waren nicht unmittelbar pandemiebedingt, sondern organisationsverschuldet. Die Falsch- oder Minderlieferung von Stimmzetteln geht nicht auf das Konto des Coronavirus, ebenso wenig der zeitliche Verzug bei der Nachlieferung am Wahltag – der zu einem Großteil auf Verkehrsprobleme durch den am Wahltag genehmigten Marathon zurückzuführen war – und die dadurch bedingten Warteschlangen der Wahlwilligen. Andere "Pannen" wie das Twittern von Wahlprognosen vor Schließung der Wahllokale, die öffentlich sichtbare Stimmabgabe oder volksverhetzende Wahlplakate hätten auch bei jeder anderen Wahl auftreten können, sind so oder ähnlich auch durchaus schon vorgekommen. Soweit es die spezifisch pandemiebedingten Probleme betrifft, bleibt festzuhalten, dass der Gesetzgeber und die Wahlorgane verantwortungsvoll dafür Sorge getragen haben, dass trotz der gegebenen Umstände demokratische Wahlen abgehalten werden konnten. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch besser ginge. Die nun erstmalig geschaffenen gesetzlichen Ausnahmeregelungen für Wahlen in Krisenzeiten haben noch Schwachstellen, die zu denen hinzutreten, die das Wahlrecht vor allem in Fragen des Rechtsschutzes und der Digitalisierung auch vorher schon aufwies. Auch mit diesem Modernisierungs- und Änderungsbedarf sollte sich der Gesetzgeber sehr zügig befassen, wenn er die wegen des stetig anwachsenden Bundestags in der Kritik stehenden Wahlsystemfragen – hoffentlich – in dieser Legislaturperiode endlich klärt.

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ist promovierte Rechtswissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Instituts für Deutsches und Internationales Parteienrecht und Parteienforschung (PRuF) der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
E-Mail Link: heike.merten@hhu.de