Einleitung
"Unsere Stadt ist pleite", war in den vergangenen Monaten in vielen Lokalzeitungen zu lesen. Alle sollen nun den Gürtel enger schnallen und für Solarien und Straßenbeleuchtung neuerdings kommunale Gebühren zahlen; und dennoch drohe bald der Konkurs und die Überschuldung, lauteten die wenig beruhigenden Nachrichten. Aber, so war auch zu lesen, es werde bald wieder besser: Die Konjunktur ziehe an, die Landesregierung wolle den armen Kommunen helfen, und der Bürgermeister wisse genau, mit welchem Sparpaket der Haushalt wieder auszugleichen ist.
Was als aufregende Berg- und Talfahrt zwischen Konkurs und erfolgreichen Sparbemühungen inszeniert und medial vermittelt wird, hat bei nüchterner Betrachtung der Haushaltsdaten weniger spektakuläre Wendungen. Mit Blick auf viele nordrhein-westfälische Kommunen kann man feststellen, dass sie schon vor zehn Jahren nur rote Zahlen schreiben mussten und dass auch künftig keine finanzielle Gesundung, aber auch kein Konkursfall in Sicht ist. Die Verschuldung wird sich hier, wie in Bund und Ländern, erhöhen, allerdings mit der Besonderheit, dass die Kommunen dauerhaft unter Haushaltsaufsicht stehen und damit die Handlungsmöglichkeiten und -strategien in allen Politikfeldern eingeschränkt und verändert werden.
In diesem Beitrag sollen in einem ersten Schritt die besonderen Rahmenbedingungen der kommunalen Haushaltspolitik bei leeren Kassen skizziert werden. Zweitens soll zwischen der kommunalen Haushaltsentwicklung in einzelnen Bundesländern differenziert werden und die finanzpolitische Polarisierung der Städte veranschaulicht werden. Drittens werden möglichst unterschiedliche Strategien für die ärmeren Kommunen entwickelt, um zu zeigen, dass es auch bei leeren Kassen und unter strenger Haushaltsaufsicht politisch etwas zu entscheiden gibt. Wenn also Kämmerer und Bürgermeister beteuern, dass Sparbeschlüsse politisch alternativlos sind, um die Ratsmitglieder zu "entlasten", ist dies lediglich eine politische Strategie, während genauso gut auch auf kommunale Sparpakete verzichtet werden kann. Diese politischen Entscheidungen zwischen Alternativen und ihre Folgewirkungen sind vor Ort zu diskutieren, wozu zunächst allerdings erst die Handlungsoptionen "ungeschminkt" offen zulegen sind.
Kommunales Haushaltsproblem
Mit Blick auf die offizielle Finanzstatistik erschließen sich die langjährigen Haushaltsprobleme vieler Kommunen nicht. So sind Bund und Länder deutlich höher verschuldet als die über 12000 Kommunen in Deutschland (sh. Abbildung 1 in der PDF-Version), was bei Bundespolitikern immer wieder zur Einordnung der Kommunen als "reiche Verwandte" beigetragen hat. In der Politikwissenschaft wurde den Kommunen im Ebenenvergleich sogar das Prädikat der sparsamsten Ebene verliehen; als Erklärung hierfür wurde die wachsame Kommunalaufsicht angeführt.
Zentral für die Genehmigung von Kommunalhaushalten durch die Haushaltsaufsicht ist insbesondere die Höhe der Kassenkredite. Auch nach der Umstellung vieler Kommunen auf eine neue Haushaltsgliederung
In nur zehn Jahren bis zum Jahr 2009 haben sich die Kassenkredite der deutschen Kommunen auf insgesamt 34,4 Milliarden Euro versechsfacht, weil die Lücke zwischen laufenden Einnahmen und Ausgaben bei einer zunehmenden Zahl von größeren Kommunen immer weiter auseinanderklafft. Zwar ist im Zuge der internationalen Finanzkrise ein stärkerer Anstieg der Kassenkredite im abgeschlossenen Haushaltsjahr 2009 zu bilanzieren, aber die Steigerungsrate unterscheidet sich nicht gravierend vom Wachstum der Kassenkredite in den Jahren 2003 bis 2006. Obwohl die Kassenkredite über Jahre in den Kommunen aufgelaufen sind, liegen sie immer noch knapp unter der durchschnittlichen Nettokreditaufnahme, die der Bund jedes Jahr (noch vor der Finanzkrise und den Konjunkturpaketen) sich selbst im Bundestag genehmigt hat. Der Anstieg der kommunalen Kassenkredite geht demgegenüber unmittelbar einher mit fühlbaren Sanktionen. Zudem wurden in den Kommunen die Investitionskredite seit Jahren deutlich abgebaut, so dass insgesamt, im Gegensatz zu Bund und Ländern, schon seit zwei Jahrzehnten auch unter Einbezug des sprunghaften Anstiegs der Kassenkredite kein größeres Schuldenwachstum für die Gemeinden zu verzeichnen ist.
In Nordrhein-Westfalen (NRW), das für viele Bundesländer als Vorbild fungierte, sind vorwiegend zwei Sanktionsstufen der Kommunalaufsicht bei Städten mit höheren Kassenkrediten zu unterscheiden. Kann der Verwaltungshaushalt nicht ausgeglichen werden, verstößt die Kommune gegen das in den Kommunalverfassungen verankerte Gebot des Haushaltsausgleichs und muss ein Haushaltssicherungskonzept aufstellen. Darin ist verpflichtend der Zeitraum festzulegen, innerhalb dessen der Ausgleich des Verwaltungshaushalts wiedererlangt wird und die Kassenkredite abgebaut sind. Die Aufsichtsbehörde in NRW kann darüber hinaus das Haushaltssicherungskonzept (und damit auch den Haushalt insgesamt) nicht genehmigen. Damit fallen die Gemeinden mit nicht genehmigtem Haushaltssicherungskonzept unter die Bestimmungen zur vorläufigen Haushaltsführung (sog. Nothaushaltsrecht). Unter vorläufiger Haushaltsführung kann die Kommune beispielsweise nur einen Bruchteil der langfristigen Investitionskredite des Vorjahres aufnehmen, um notwendige Investitionsmaßnahmen durchführen zu können. Zugleich dürfen keine neuen freiwilligen Aufgaben in den Haushalt einfließen. Das Haushaltssicherungskonzept wird in der Regel nicht genehmigt, wenn in der Prognose für die nächsten Jahre nicht nachgewiesen werden kann, dass der Fehlbetrag auf Null gefahren werden kann. In NRW standen bereits Ende 2006 insgesamt 114 Kommunen im Nothaushaltsrecht; mehr als 25 Prozent der nordrhein-westfälischen Kommunen hatten keinen genehmigten Haushalt. Für 2010 wird davon ausgegangen, dass rund ein Drittel der NRW-Kommunen ihren Haushalt nicht genehmigt bekamen. Damit wird das Nothaushaltsrecht in den nordrhein-westfälischen Mittel- und Großstädten zum Normalfall.
Im Nothaushaltsrecht nehmen insbesondere die Verhandlungen zwischen Aufsichtsbehörde und den Kämmerern zu. Konflikte über noch zulässige Investitionen oder erwartete Steuer- und Gebührenerhöhungen werden durch die zunehmende Politikverflechtung auf den verschiedenen Verwaltungsebenen ausgetragen, und die Mitwirkung der kommunalen Vertretungskörperschaft ist relativ gering. Die Dominanz der Kommunalverwaltungen (insbesondere des Kämmerers und Bürgermeisters) wird in der Regel durch die bipolaren Verhandlungen gestärkt, wobei insbesondere die Oppositionsparteien und die Öffentlichkeit häufig nur schwer die Forderungen der Aufsichtsbehörde von den "eigenmächtigen" Empfehlungen der Kommunalverwaltung oder der Mehrheitsfraktionen unterscheiden können. So wird beispielsweise immer mal wieder von der Kommunalaufsicht den Kommunen nichtöffentlich empfohlen, die Hebesätze für die Grundsteuer B zu erhöhen, um möglicherweise doch wieder einen genehmigten Haushalt erwirken zu können. Damit wird unmittelbar in die grundgesetzlich garantierte Hebesatzautonomie eingegriffen. Nicht wenige Kommunen folgen diesen "Hinweisen", um stärkere Eingriffe der Kommunalaufsicht zu vermeiden, obwohl vor den Verwaltungsgerichten unmittelbare Auflagen zu den Hebesätzen als nicht rechtmäßig eingeordnet wurden. Insgesamt mutiert die Kommune, eigentlich überschaubare "Schule der Demokratie" mit grundgesetzlich garantierten Entscheidungskompetenzen, im Nothaushaltsrecht zu einem doppelbödigen Labyrinth: Wen sollen die Wähler politisch zur Verantwortung ziehen, wenn die Steuern erhöht und die Freibäder geschlossen werden? Den Bürgermeister, den Stadtrat, den Kämmerer oder doch die Kommunalaufsicht? Kommunale Haushaltskrisen sind damit wegen zunehmend unklarer politischer Verantwortlichkeiten häufig zugleich Demokratiekrisen.
Rechtlich aber sind die zulässigen Eingriffe der Kommunalaufsicht durchaus eingeschränkt. Ein Konkurs der Kommunen ist gesetzlich ausgeschlossen, die Entsendung von Sparkommissaren ist weitgehend gescheitert,
Finanzielle Polarisierung der Städte
Von der Haushaltskrise und den Auseinandersetzungen mit der Kommunalaufsicht sind manche Regionen in Deutschland gar nicht betroffen. Der Städtetag spricht im aktuellen Gemeindefinanzbericht von einer zunehmenden Schere zwischen armen und reichen Kommunen im Bundesländervergleich,
Von dieser Abwärtsspirale sind aber beispielsweise Kommunen in Baden-Württemberg in der Regel nicht betroffen, so dass sie aufgrund deutlich niedrigerer Sozialausgaben seit Jahren kaum Haushaltsdefizite und Kassenkredite ausweisen müssen. Demgegenüber explodieren die Kassenkredite in nordrhein-westfälischen Kommunen (sh. Abbildung 2 in der PDF-Version). Bei ebenfalls relativ hohen Sozialausgaben ist in den ostdeutschen Kommunen aufgrund der hohen staatlichen Zuweisungen die Haushaltslage weniger angespannt als in den nordrhein-westfälischen Kommunen. Zwischen 1990 und 2005 erhielten die ostdeutschen Kommunen durchschnittlich im Jahr 1180 Euro pro Einwohner als Landeszuweisungen. In den westdeutschen Kommunen war es in diesem Zeitraum durchschnittlich weniger als die Hälfte.
Die so seit Jahren aufgetürmten Kassenkredite in NRW-Kommunen sind aus eigener Kraft nicht mehr abbaubar. Auch die von der neuen Landesregierung zugesagten Entschuldungshilfen werden die extrem hohen Kassenkredite nicht deutlich reduzieren (2009 bereits 17 Milliarden Euro in NRW und damit die Hälfte der Kassenkredite deutscher Kommunen), so dass viele nordrhein-westfälische Kommunen weiterhin unter Haushaltsaufsicht stehen werden. Wie es in den Ruhrgebietskommunen schon seit 20 Jahren ohne nennenswerte staatliche Maßnahmen zu beobachten ist (sh. Abbildung 3 in der PDF-Version),
Kommunale Konsolidierungs- und Widerstandsstrategien
Will man in den Kommunen den maximalen Sparertrag realisieren, muss der Bürgermeister, zugespitzt formuliert, das Zepter in die Hand nehmen und sich gegen die zu erwartenden Widerstände der Konsolidierungsopfer in den Fachverwaltungen, in den Fachausschüssen und in der Öffentlichkeit hierarchisch durchsetzen.
Versteht sich die Politikwissenschaft indes nicht einseitig als eine "Art Betriebswirtschaft der öffentlichen Angelegenheiten",
Wenn es beispielsweise die kommunalen Entscheidungsträger als vorrangig ansehen, angesichts der "Vergeblichkeitsfalle" und der unrealistischen Vorgaben des Haushaltsrechts oder der Kommunalaufsicht die kommunale Infrastruktur in ihrer Stadt aufrechtzuerhalten und die Bürger nicht durch höhere Steuern zu belasten, dann können sie sich bereits auf erfolgreich erprobte Strategien im Sinne dieser alternativen Zielsetzung stützen. Man kann sich als Kommune, wie bereits skizziert, im Nothaushaltsrecht einrichten, keine Kürzungen bei bestehenden Einrichtungen und Aufgaben vornehmen und die Hebesätze nicht erhöhen. In den Extremfällen, in denen sich die Kommunalaufsicht zu Eingriffen und Auflagen in die bestehende Struktur durchringt, haben die Kommunen eine effektive Vetoposition. Vor den Verwaltungsgerichten werden diese extremen Eingriffe nach den bisher vorliegenden Urteilen in der Regel keinen Bestand haben, woraus sich auch die Neigung der Kommunalaufsicht zu informellen, nicht schriftlich dargelegten Verhandlungslösungen erklärt.
Auch die zivilgesellschaftlichen Akteure stehen dem Abbau der kommunalen Infrastruktur nicht einflusslos gegenüber, selbst wenn durch Hierarchisierung der kommunalen Entscheidungsstruktur die Schließung von öffentlichen Einrichtungen durchgesetzt werden soll. Sie verfügen über das ganze Widerstandsarsenal, das aus der empirischen Analyse von Bürgerinitiativen und Initiatoren von Bürgerbegehren hinlänglich bekannt ist.
Mit diesen Strategien gelingt es zivilgesellschaftlichen Akteuren immer häufiger, ihre legitimen Interessen durchzusetzen, insbesondere, wenn sich der parlamentarische Beratungsprozess länger hinzieht, weil es in der Regel nicht schwer fällt, Zweifel an den Konsolidierungserzählungen der Verwaltung zu streuen. Darin liegt auch der zentrale Grund, warum die Bürgermeister ihrerseits bemüht sind, den Entscheidungsprozess zu beschleunigen und die Entscheidungen als alternativlos zu präsentieren. Es gibt real nichts zu entscheiden, und deshalb kann auch keiner politisch für Entscheidungen zur Verantwortung gezogen werden, lautet die implizit legitimationsentlastende Formel der kommunalen Entscheidungsträger. Die zivilgesellschaftlichen Akteure werden demgegenüber bestrebt sein, die Ratsmitglieder als Entscheider ins Rampenlicht der Öffentlichkeit zu rücken und Alternativen in einer gemeinwohlorientierten Darstellung zu präsentieren.
Gelingt dies nicht, steht den zivilgesellschaftlichen Akteuren der Bürgerentscheid als effektive Vetoposition zur Verfügung. Zwar sind Bürgerentscheide zu Haushaltsfragen rechtlich in den meisten Kommunalverfassungen ausgeschlossen, aber in Beratungen mit Verbänden gelingt es häufig, die Abstimmungsfragen und -inhalte so zu strukturieren, dass der Bürgerentscheid vom Stadtrat für zulässig erklärt wird. So waren beispielsweise viele Bürgerentscheide gegen Privatisierungsvorhaben in der Vergangenheit erfolgreich, sodass bereits die Androhung von Bürgerbegehren häufiger zu einem Einlenken des Kommunalparlaments führt.
Mit den in diesem Beitrag skizzierten Strategien, die entweder die demokratische Transparenz oder die Konsolidierungsleistung einschränken,