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Kommunalpolitik in Deutschland

Hiltrud Naßmacher

/ 17 Minuten zu lesen

Aktuelle finanzielle Engpässe und Weichenstellungen aller politischen Ebenen aus der Vergangenheit haben die Handlungsoptionen der Kommunen verringert, aber keineswegs beseitigt.

Einleitung

Rettet unsere Städte jetzt!" Dieser Hilferuf könnte die Debatten zur Situation der Städte heute zusammenfassen. Er stammt allerdings aus dem Anfang der 1970er Jahre und wurde seitdem mehrfach wiederholt - auch heute.

Die Finanzsituation mancher Städte erscheint aussichtslos: Extrem hohe Schulden und eine wachsende jährliche Neuverschuldung beschreiben die Perspektiven. Haben die Kommunen in der immer deutlicher spürbaren Globalisierung überhaupt noch eine Chance, Entwicklungen in der vernetzten Welt mitzugestalten?

Reichweite von Kommunalpolitik

Der Anspruch von Kommunalpolitik, nämlich dass Kreise, Städte und Gemeinden alle verbindlichen Entscheidungen für die örtliche Gemeinschaft aktiv mitgestalten sollen, ist weitreichend und verlangt eine Konkretisierung.

Es erscheint selbstverständlich, dass sich kommunale Entscheidungen innerhalb des gegebenen Mehrebenensystems vollziehen, also nicht unabhängig sind von Entscheidungen, die auf der Landes-, Bundes- und europäischen Ebene gefällt werden. Kommunen haben das Recht, "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln". Ihnen ist dabei kein fester Aufgabenbestand zugeordnet. Auch die Einwohnerzahl (kreisfreie Stadt, kreisangehörige Gemeinde und sonstige Gemeindetypen ), die Lage im Raum (Ober-, Mittel-, Unterzentrum) und die Einbindung in die Verwaltungsstruktur des Landes - durch Aufsichts- und Sonderbehörden - spielt eine Rolle. Bei längerfristiger Betrachtung zeigt sich, dass die Kommunen häufig als Lückenbüßer gefordert sind. Dies war beispielsweise bei der stürmischen Verstädterung im Zuge der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts der Fall, als sich die Städte dringend der geordneten Stadtentwicklung, der hygienischen und sozialen Probleme annehmen mussten. Immer wieder gilt es, neue alarmierende Fehlentwicklungen aufzugreifen, etwa die unzureichende Integration von Personen mit Migrationshintergrund. Aber auch die Bundes- und Landespolitik geben den Kommunen ständig neue Aufgaben vor. Dies wird derzeit von den Kommunen im Bereich der Bildungs- und Sozialpolitik als besonders ärgerlich empfunden, weil ihnen der finanzielle Ausgleich für die Zusatzbelastungen nicht gewährt wird.

Aber auch entgegengesetzte Aufgabenverlagerungen finden statt oder werden zumindest versucht. Als der Umweltschutz in den 1970er Jahren zu einem wichtigen Thema wurde, fand die These schnell Beifall, dass der Umweltschutz kaum von der kommunalen Ebene her angegangen werden könne, da Luft und Gewässer keine Stadtgrenzen kennen. Erst die Lokale Agenda 21 hat die Rolle der Kommunen wieder deutlicher konturiert. Heute findet die Forderung "Global denken, kommunal handeln" allgemeine Zustimmung.

Die Europäische Union (EU) hat zuletzt in den 1990er Jahren den Kommunen vertraglich zugesichert, dass das Subsidiaritätsprinzip gilt. Im Grundgesetz wird den Kommunen ihre Gestaltungsfreiheit garantiert, allerdings im Rahmen der Gesetze. So enthält das Baugesetzbuch konkrete Regeln für die Stadtentwicklung; die Steuerung der Stadtentwicklung mit Hilfe der Instrumente obliegt allerdings den örtlichen Entscheidungsträgern. Ebenso müssen die kommunalen Maßnahmen dem Sozialgesetzbuch entsprechen, allerdings ist es den Städten freigestellt, darüber hinaus kreativ die örtlichen Probleme anzugehen. Zur Aufgabenerledigung bedienen sie sich auch halböffentlicher Träger, Vereinen und Verbänden (sogenannten Non-Profit-Organisationen) oder auch privater Anbieter. Traditionell betreiben Kirchen und Wohlfahrtsverbände sowie Vereine und Elterninitiativen in den alten Bundesländern Kindergärten, sind dabei allerdings auf öffentliche Zuschüsse angewiesen. In den neuen Bundesländern wurden Betreuungsplätze für Klein- und Vorschulkinder zur DDR-Zeit von den Betrieben angeboten.

Die in den 1970er Jahren noch verbreitete Zielvorstellung zur Schaffung "einheitlicher Lebensverhältnisse" wurde im Zuge der Teilrevision des Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung durch die Formulierung "gleichwertige Lebensverhältnisse" konkretisiert. Als Begründung für die Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunen hat die Wissenschaft unter anderem die Innovationspotenziale hervorgehoben, die sich an den Problemen vor Ort orientieren. Die Politik des Bundes scheint den Kommunen hier allerdings inzwischen den Rang abzulaufen. Dies gilt vor allem in der Bildungspolitik (Anstöße für die Kleinkinderbetreuung und die Einrichtung von Ganztagsschulen), die zudem noch in den Aufgabenbereich der Länder fällt und erst in zweiter Linie in den der kommunalen Ebene.

Die überörtlichen Akteure wandten die vielgescholtene "Politik des goldenen Zügels" an: Es wurden projektbezogene Fördermittel (sogenannte zweckgebundene Zuweisungen und Mittel aus dem Konjunkturprogramm zur Überwindung der aktuellen Finanzkrise) zur Verfügung gestellt. Die Städte standen vor allem beim Angebot für die Kleinkindererziehung in einem Dilemma. Die traditionellen Anbieter im Westen - Kirchen und Wohlfahrtsverbände - erwogen, wegen schwindender Eigenmittel Einrichtungen zu schließen; in den ostdeutschen Bundesländern waren die Krippen und Kindergärten mit den Betrieben untergegangen.

Aber warum bedurfte es dieses Anstoßes - und das in einer Zeit knapper Kassen? Offenbar hatten die Kommunalpolitiker die Folgen der Modernisierung des Familienlebens glatt verschlafen: die Probleme der Kinderbetreuung bei Berufstätigkeit beider Elternteile oder von Alleinerziehenden ohne Rückgriffsmöglichkeit auf andere Familienangehörige. Dies mag damit zusammenhängen, dass in der Kommunalpolitik seit Jahrzehnten Männer in dominierender Rolle agierten und sich den Rücken von nicht berufstätigen Hausfrauen frei halten ließen. Allmählich findet in der alternden Gesellschaft auch die Meinung Gehör, dass die Kinderbetreuung kostenfrei angeboten werden sollte. Nur reiche Städte können dies aktuell leisten, tun es aber kaum. Die anderen verweisen auf die Länder, die den Städten dafür ausreichende allgemeine Zuweisungen vorenthalten. Nur ein Bundesland, nämlich Rheinland-Pfalz, sieht sich hier in der Verantwortung.

In den Kommunen war Schulpolitik meist fest in der Hand der Frauen, die allerdings - wie bereits erwähnt - weniger einflussreich waren. Der Mainstream der Kommunalpolitiker hatte bei den Schulen eher die Sporthallen im Blick. Weiterhin glaubten sie, neben Einkaufsmöglichkeiten mehr Freizeitangebote für eine von den Lasten des Arbeitslebens immer früher befreite Gesellschaft schaffen zu müssen. Schwimmbäder, Eislaufhallen, besser ausgestattete Stadien, Theater und Konzerthallen sowie neue Kongresshallen standen schon in Städten mittlerer Größe auf der Prioritätenliste. Kaum eine Stadt hat sich Investoren verweigert, die sie durch ein Einkaufszentrum attraktiver machen wollten. Auch dann, wenn Public Private Partnership (PPP) zur Anwendung kam - spätestens seit den 1990er Jahren als Erfolgsmodell gepriesen -, hatten die Kommunen meistens weitere finanzielle Dauerbelastungen zu tragen: mit Geld, das zumindest für die Herrichtung des Umfeldes und die Zuwegung bereitzustellen war, oft aber auch darüber hinaus, wenn der private Partner schwächelte.

Um neue Wege in einzelnen Politikbereichen zu gehen, reichen in vielen Städten eigene Einnahmen, zunächst aus Gewerbesteuer und Grundsteuer, meist nicht aus. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die von der Deindustrialisierung besonders betroffen sind. Insbesondere die Gewerbesteuereinnahmen unterliegen erheblichen Schwankungen, die einerseits durch die Konjunkturentwicklung, andererseits durch die Bundesgesetzgebung bedingt sind. Letztere hat immer wieder die Besteuerungsgrundlage verändert und damit ausgehöhlt. Eine Reform der Grundsteuer steht seit Jahren beim Bundesgesetzgeber an. Seit Jahrzehnten ist die angemessene Finanzausstattung der Kommunen ein immer wieder aktuelles Thema. So war es ein Fortschritt, dass den Städten seit 1969 ein Anteil an der Einkommensteuer und an der Umsatzsteuer zusteht. Das Ziel, mehr Einnahmen aufgrund eigener Entscheidung und zur eigenen Verfügung zu haben, ohne auf die Zuschussgeber Bund und Land zu warten, lässt sich für Jahrzehnte zurückverfolgen. Vor allem die Finanzierungsprogramme von Bund und Land und inzwischen der EU (zweckgebundene Zuweisungen) setzen zum einen immer eine eigene finanzielle Beteiligung voraus, zum anderen werfen diese Angebote häufig Prioritätensetzungen vor Ort um.

Die Kommunen haben zwar das Steuerfindungsrecht - und sie zeigen sich in verzweifelter Finanzlage auch ideenreich -, allerdings werden die meisten potenziellen und ergiebigen Besteuerungsgrundlagen aber bereits von anderen Ebenen zur Besteuerung genutzt, und ihre neuen Einnahmequellen ergänzen nur die kleinen Steuern um weitere. Die Mitwirkungsrechte der Kommunen auf der Bundesebene bei der Verteilung der staatlichen Einnahmen aus dem in Deutschland dominanten Steuerverbund beziehungsweise den Gemeinschaftssteuern sind auf den Lobbyismus ihrer Verbände beziehungsweise ihrer Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene begrenzt. Die Anerkennung als dritte Ebene blieb den Kommunen verwehrt: Rechtstechnisch sind sie Teil der Länder. Allerdings befinden sich die Kommunen nicht nur in einer Opferrolle. Sie haben eine noch in der Weimarer Zeit ergiebige Einnahmequelle extrem schrumpfen lassen: die Grundsteuer.

Kommunale Handlungsmöglichkeiten

Die Einschätzung, dass den Kommunen Handlungsspielräume völlig abhanden gekommen seien, ist voreilig. Eine Grundsteuererhöhung B wird doch eher deshalb abgelehnt, weil Steuererhöhungen bei der Bevölkerung extrem unbeliebt sind und sie Grundeigentümer und Mieter gleichermaßen belasten. Tatsächlich wird durch diese "bürgerfreundliche" Nicht-Entscheidung die Nutzung großer Wohnungen subventioniert. Eine Gewerbesteuererhöhung stößt regelmäßig auf Widerstand, weil durch daraus resultierende Insolvenz oder Abwanderung Arbeitsplätze gefährdet werden. Die Persistenz von Unternehmen indes ist groß, und die Wirtschaftsfreundlichkeit einer Stadt hängt von vielen anderen Faktoren ab.

In den 1990er Jahren begann eine Privatisierungswelle, die auch damit begründet wurde, dass private Unternehmen Aufgaben effizienter wahrnehmen und damit für den Bürger kostengünstiger bereitstellen könnten (materielle Privatisierung). Für die Privatisierung etwa der Müllabfuhr und der Abwasserreinigung fanden sich schnell private Interessenten. Allerdings sind das auch Bereiche, in denen es einen Anschluss- und Benutzungszwang gibt. So hat der private Auftragnehmer keine Risiken beim Zufluss der Gebühren. In anderen Bereichen ist die Privatisierung meist mit öffentlichen Zuschüssen verbunden, zum Beispiel beim öffentlichen Nahverkehr, bei Eishallen, Schwimm- und Sporthallen.

Es mag im Einzelfall zutreffen, dass private Unternehmer durch besseres Management und flexiblere Angebote den Bürger finanziell weniger belasten. Zuweilen geht Privatisierung allerdings zu Lasten der Versorgungsdichte und der Arbeitnehmer. Bei längerfristigen Verträgen schwindet der Einfluss der Kommunen, so beispielsweise nach dem (Teil-)Verkauf von Stadtwerken, die traditionell die Bürger mit Elektrizität, Gas, Strom und Wasser versorgen, an Kapitalgesellschaften. Einige Städte erwägen bereits den Rückkauf, um sich die Einnahmen aus Gewerbesteuer, Gewinnabführung und Konzessionsabgabe zu sichern und um eine zukunftsorientiertere Energieversorgung selbst in die Wege zu leiten. Zunächst sehr einnahmeträchtige Verkäufe der Städte an amerikanische Investoren (Cross-Border-Leasing von Abwasseranlagen, Straßenbahnen und anderen Infrastruktureinrichtungen) erweisen sich im Nachhinein als höchst risikoreiche Geschäfte. Auch das Leasen von öffentlich genutzten Gebäuden erscheint zunächst attraktiv. Dabei kommt es allerdings sehr auf die Verträge an, ob das tatsächlich der Fall ist. Bei den Swap-Geschäften (Zinswetten) haben sich nicht wenige Kämmerer schlicht verzockt. Ob der Verkauf städtischer Wohnungen zur Haushaltssanierung wirklich nachhaltig war, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Risiken sind Investitionsstau und/oder Leerstände. Gruppierungen aus dem linken Spektrum haben solche Verkäufe zuweilen erfolgreich verhindert.

Diese sind auch eher bereit, eine höhere Verschuldung hinzunehmen. So gehen führende sozialdemokratische Kommunalpolitiker davon aus, dass den Schulden Werte gegenüberstehen, die auch künftigen Generationen zugute kommen. Die Ablösung der Kameralistik durch die kaufmännische Buchführung (Doppik) soll die Werte, die Kommunen geschaffen haben, der Kapitalherkunft gegenüberstellen. Tatsächlich können aber die meisten Werte (Straßen, andere Bandinfrastruktur - z.B. Energieleitungstrassen -, selbst Hallen, Schulen, und Verwaltungsgebäude) durch Verkauf nicht oder nur schwer realisiert werden. Alle Infrastruktureinrichtungen sind ständig zu pflegen und unterliegen zudem dem aktuellen Nutzerverhalten, das auch durch Moden geprägt ist.

Nicht nur in der Finanzpolitik, sondern in fast allen Politikfeldern gibt es unterschiedliche Bewertungen und Prioritäten. Solche spiegeln sich nicht nur in den seit den 1970er Jahren von den bis dahin etablierten Parteien ausgearbeiteten kommunalpolitischen Programmen wider, sondern zeigen sich auch in den Handlungen ihrer Repräsentanten. Daher ist es kaum verständlich, dass einzelne Verwaltungswissenschaftler noch heute einer bis in die Weimarer Zeit zurückverfolgbaren Vorstellung anhängen, die auf der kommunalen Ebene nur die Selbst-"Verwaltung" sieht. Danach wäre die Kommune ein politikfreier Raum, in dem die repräsentative Parteiendemokratie keinen oder nur einen ganz untergeordneten Platz hätte. Der Verwaltung wird demgegenüber die führende Rolle zugewiesen, die sachgerecht entscheidet.

Die seit den 1990er Jahren von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) vorgeschlagene Strategie zur Organisationsentwicklung, das Neue Steuerungsmodell oder New Public Management, schloss sich weitgehend dieser Vorstellung an. Die Verwaltung als Auftragnehmer (Agent) sollte langfristige Zielvorstellungen von den gewählten Ratsmitgliedern (Principal) an die Hand bekommen, die einzelnen Fachbereiche der Verwaltung dann allein für die Umsetzung verantwortlich sein. Ziel war die Steuerung der Verwaltung "auf Abstand", um den Einfluss der Politiker auf Einzelentscheidungen zurückzudrängen und damit den Entscheidungsprozess effizienter zu machen. Als Hintergrundfolie diente eine betriebswirtschaftliche Unternehmensführung eines "Konzerns Stadt", in dem wie in Unternehmen Leistungen, also "Produkte", nach Quantität und Qualität festgelegt werden sollten.

Kritiker haben bereits in den 1990er Jahren angemerkt, dass die langfristige Festlegung von Produkten schwierig sein würde, weil unvorhergesehene Ereignisse (z.B. Betriebsschließungen, neu aufgelegte Finanzprogramme) kurzfristige Neubewertungen von Prioritäten erfordern. Die schnell vorgelegten Produktdefinitionen seien nicht geeignet, in ein steuerungsfähiges Produktkonzept einzumünden, denn sie orientierten sich zu sehr an den traditionellen Teilaufgaben der Verwaltung und nicht genügend an den Adressaten, also denjenigen, die Verwaltungsleistungen in Anspruch nehmen oder darauf Anspruch haben. Die Verwaltung geht von einer klaren Trennung einzelner Aufgaben in Selbstverwaltungsaufgaben (freie und pflichtige) sowie solche des übertragenen Wirkungskreises (zur Erfüllung nach Weisung und Auftragsangelegenheiten) aus. Tatsächlich sind viele Aufgaben sehr komplex, so dass unterschiedliche kommunale Freiheitsgrade bei differenzierten Steuerungsinstrumenten (Genehmigungspflicht, Gebot, Verbot, Angebot, Beratung, Anreiz, Vorbild) in einer Aufgabe zusammenfallen. Dies ist etwa bei Sozialleistungen und allen Baumaßnahmen der Fall. Der Bürger (der Adressat) nimmt aber häufig nur das Gesamtergebnis wahr und bewertet es als "Kunde".

Kundenorientierung bezieht sich allerdings auch darauf, wie die Leistungen von Verwaltungsmitarbeitern im Kontakt mit den Bürgern erbracht werden. Dabei darf die Gleichbehandlung nicht auf der Strecke bleiben. Schließlich sind manche Bürger fähiger als andere, ihre Ansprüche zu artikulieren und durchzusetzen. Solche Probleme ergeben sich sowohl bei der kleinräumigen Steuerung der Stadtentwicklung (spezielle Ansprüche von Großinvestoren, Bauherren und Architekten) als auch bei ortsnahen Dienstleistungen der Sozialpolitik.

Vor allem die schlanke Verwaltung und die gewünschte Einbindung der Dienstleistungen in einen Wettbewerb sollte die Effizienz des Verwaltungshandelns fördern. In diesem Zusammenhang überführten die Kommunen immer mehr Teile der Verwaltung in private Unternehmensformen, zum Beispiel die Gebäudeunterhaltung, die Wirtschaftsförderung und die Vermögensverwaltung, oder gründeten Beteiligungsgesellschaften zur Bündelung dieser Einzelunternehmen (formale Privatisierung). Hier wird dann anstelle eines Ratsausschusses ein Aufsichtsrat als Kontrollgremium tätig - mit eingeschränkten Kompetenzen. Hinzu kommt nach Wegfall der Fünfprozenthürde für die Gemeinderäte in den meisten Bundesländern eine extreme Ausdifferenzierung dieser Gremien mit Fraktionen, Gruppen und Einzelvertretern, die Entscheidungsprozesse, insbesondere die Mehrheitsbildung, erheblich erschweren. Dadurch wurde das Management für die Verwaltungsspitze schwieriger, für die gewählten Ratsmitglieder und erst recht für den Bürger unüberschaubar; eine Zuordnung von Verantwortung für bestimmte Entscheidungen ist kaum noch möglich.

Nach der Reform der Kommunalverfassungen (Gemeindeordnungen), die mit einer Angleichung in allen Bundesländern nach dem Vorbild der Baden-Württembergischen Gemeindeordnung verbunden war, steht an der Spitze der Verwaltung und als oberster Repräsentant der Stadt der direkt gewählte (Ober-)Bürgermeister, der im Zweifel die politische Verantwortung tragen müsste. Wie schwer das in der Praxis ist, zeigte 2010 das Unglück bei der Love Parade in Duisburg.

Zukunftsaufgaben der Kommunalpolitik

Die Kommunen müssen sich trotz der gravierenden aktuellen Finanzprobleme den künftigen gesellschaftlichen Entwicklungen stellen. Es ist unübersehbar, dass die Bevölkerung schrumpft, älter wird, und dass der nachwachsenden Generation (zudem bei schwachen Geburtenraten der besser Gebildeten) nicht die finanziellen Lasten der angeblichen "Zukunftsinvestitionen" aufgebürdet werden können. Nicht nur in den ostdeutschen Bundesländern, sondern auch in den altindustrialisierten Städten der alten Bundesrepublik zeigt sich der Wandel zum Teil drastisch. Zur Integration oder Inklusion müssen die Städte einen substantiellen Beitrag leisten, der nicht nur mit weiteren Geldausgaben einhergehen kann. Kommunalpolitik ist nicht nur Ausgabenpolitik, sondern auch die bessere Nutzung vorhandener Potenziale, etwa der Einsatz von Ehrenamtlichen und die Umnutzung von vorhandenen Gebäuden, das Setzen anderer Prioritäten und Sparpolitik.

Davon sollten zunächst alle Luxusinvestitionen betroffen sein, die vor allem durch die Bauwirtschaft (Tief- und Hochbau) verursacht sind. Es gibt keine öffentliche Baustelle, bei der die veranschlagten Kosten nicht weit überschritten werden. Manche Baustelle entsteht auf kommunaler Ebene nur deshalb, weil überörtlich Gelder zur Verfügung stehen. Hier werden zuweilen Verschönerungen und Modernisierungen des Stadtbildes vorgenommen, für welche die Bevölkerung keinerlei Verständnis hat. Dies gilt zum Beispiel für öffentliche Plätze: Rampen an Unterführungen werden beseitigt und durch kostspielige Aufzüge ersetzt, die dann häufig wegen Vandalismus unbenutzbar sind.

Bei schrumpfender Bevölkerung wird eine Vielzahl von öffentlichen Einrichtungen überflüssig. Dies gilt zum Beispiel für Veranstaltungshallen in einzelnen Stadtteilen. Wurden sie über Jahrzehnte noch durch Vereine ausgelastet, so sind diese bei schrumpfender Mitgliederzahl häufig nicht mehr in der Lage, ihre Festlichkeiten in größerem Rahmen zu feiern. Inzwischen gibt es allerdings neue Aulen oder Gemeinschaftsräume in Schulen, viele neue Sporthallen und leer stehende Sälchen von Gastwirtschaften, die mit Proben und Training mancher Vereine besser ausgelastet werden könnten. Bei Schwimmhallen besteht der Eindruck, dass die meisten Nutzer an Spaßbädern mit Wellness-Bereich interessiert sind. Jedenfalls wollen bereits Städte mittlerer Größe ein Bad solcher Qualität vorhalten. Meist handelt es sich um einen öffentlichen Zuschussbetrieb, der auch bei ausgegliederter GmbH nicht zu vermeiden ist.

Problemzonen vieler Städte sind vor allem die Großsiedlungen, wie sie in den 1970er Jahren auch in der alten Bundesrepublik errichtet wurden, aber vor allen Dingen die Stadtentwicklung in der DDR bestimmten. Das Zusammenleben hier verlangt intensivere Aufmerksamkeit, und das Bundesprogramm "Soziale Stadt" stellt seit 1999 finanzielle Mittel bereit. Nun sollen die Bundesmittel nicht mehr für Personal, das soziale Projekte anleitet, sondern nur noch für Baumaßnahmen bereitstehen. Aber Räume für Zusammenkünfte dürften bei Wohnungsleerstand genügend vorhanden sein.

Welche öffentlichen Dienstleistungen und welche Infrastrukturausstattung die Kommunen bieten sollen, hängt natürlich mit der Größe der Kommune (Bevölkerungszahl, Siedlungsstruktur) und ihrer Lage im Raum zusammen. Seit jeher wird über die optimale Gemeindegröße, die organisatorische Einbindung kleinerer Gemeinden (Zusammenfassung zu größeren Städten, Zuordnung zu Kreisen) sowie die Dezentralisierung größerer Kommunen nachgedacht. Ersteres hat zu größeren Eingemeindungswellen geführt: Ende der 1920er Jahre, in den 1970er Jahren und nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland. In größeren Städten setzten die Eingemeindungen eine Dezentralisierungswelle mit Bezirks- und Ortsteilvertretungen in Gang. Mitwirkungsbefugnisse der Bürger werden aber auch bei der Implementation von Bundesgesetzen seit den 1970er Jahren erweitert, so etwa durch die frühzeitige Bürgerbeteiligung im Bundesbaugesetz und im Städtebauförderungsgesetz.

Die Finanzknappheit der Kommunen hat die seit Jahren bestehende Forderung verstärkt, dass die Städte stärker zusammenarbeiten sollen. Dies funktioniert seit Jahrzehnten bei der Wasserversorgung und in der Abwasserbeseitigung durch Zweckverbände. Verkehrsverbünde einzelner Regionen sind neueren Datums. Im Zuge wachsender Mobilitätsbereitschaft der Bevölkerung und der digitalen Vernetzung geraten andere kommunale Einrichtungen in den Blick. Die Frage stellt sich, ob wirklich in jeder größeren Stadt Kulturangebote (Konzerthallen, Theater, Volkshochschulen, Museen) oder Veranstaltungshallen, Kongresszentren und Sportarenen vorgehalten werden sollten. Die Internetkommunikation ermöglicht es, Verwaltungsdienststellen ohne Publikumsverkehr gemeinsam zu betreiben.

Der Gedanke der interkommunalen Zusammenarbeit wurde zunächst für Kernstädte (Oberzentren) in Ballungsräumen und ihrem Umland erwogen und häufig auch institutionalisiert. So entstanden Stadt-Umland-, Nachbarschafts- und Regionalverbände. Dennoch ist die engere Zusammenarbeit für manche Ballungsräume trotz formaler Strukturen noch eher Zukunftsvision als Realität (z.B. im Ruhrgebiet) oder sie steckt noch in den Kinderschuhen (z.B. bei den Bergischen Großstädten ). Nun werden die Metropolregionen als eine Kooperation von Städten ganz unterschiedlicher Größe mit wirtschaftlichen Verflechtungen und Pendlerströmen in einer Region als neues Mittel zur Verwirklichung wünschenswerter Angebote mit überregionaler finanzieller Hilfe forciert.

Ein ganz anderes Problem stellt sich ebenso für die Zukunft: Wie kann geeignetes Personal für die aufwändige Arbeit eines Ratsmitgliedes gefunden werden? Die Kritik an den Entscheidungen der gewählten Repräsentanten scheint immer stärker zu werden. Schließlich sollen die Kommunen auch der Ort der Elitensozialisation sein. Die direktdemokratischen Beteiligungsmöglichkeiten - inzwischen in allen Bundesländern in den Gemeindeordnungen verankert - werden zwar besonders in kleineren Gemeinden immer intensiver genutzt. Einige spektakuläre Entscheidungen sind aber auch aus größeren Städten bekannt. Allerdings ist die direkte Demokratie bei der Fülle der zu bewältigenden Probleme keine Alternative zur repräsentativen Demokratie, da sie auf Einzelentscheidungen begrenzt ist. Weitere Versuche, die Bürger als Ratgeber zu fordern, haben nicht die erwartete Beteiligungsintensität und auch kaum kreative Ideen für Stadtentwicklung und Sparmöglichkeiten erbracht.

Fazit

Sicherlich ist die Klage der Städte richtig, dass sie im Sozialbereich unterfinanziert sind. Dies gilt vor allem für Kommunen, die besonders von der Deindustrialisierung und damit hoher Arbeitslosigkeit betroffen sind, sowie für Großstädte, in denen die Folgen von individualisierten Lebensstilen beim Wohngeld zu Buche schlagen. Gerade im sozialen Bereich sollten die Kommunen eine besonders aktive Rolle wahrnehmen können, um absehbare Probleme frühzeitig zu bearbeiten. Neben dem schulischen Bildungsangebot sind insbesondere die berufsbezogene Aus- und Weiterbildung zu nennen. Hier könnten neue Formen der Zusammenarbeit mit Unternehmen (PPP) erfolgreich sein, um damit das Arbeitsplatzangebot zu sichern und zu erweitern. Für diese Aufgaben brauchen die Verwaltungen geeignetes Personal. Der Trend zur Verschlankung der Verwaltung als Priorität bei der Sparpolitik muss im Hinblick auf diese Aufgaben kritisch gesehen werden.

Aber viele Kommunen haben sich auch bei vorübergehend besserer Wirtschaftslage und damit unerwarteten Mehreinnahmen mit ihren Ausgaben in eine falsche Richtung bewegt: Sie haben notwendige Sanierungen aufgeschoben und stattdessen neue Einrichtungen geschaffen, die sicherlich jede Stadt zieren, aber doch eher Luxusinvestitionen waren. Häufig können die Folgekosten nur durch Liquiditätskredite (Kassenkredite) bedient werden. Wenn die Bürger nicht bereit sind, höhere Steuern oder Gebühren zu zahlen, müssen Verwaltungsmitarbeiter effizienter eingesetzt werden, die Bürger ihre Ansprüche an die öffentliche Hand reduzieren oder zwangsläufig mehr Eigeninitiative und Eigenverantwortung zeigen. Letzteres funktioniert aber erst in Ansätzen.

Manche der selbstverschuldeten Entwicklungen sind im Wesentlichen auf den Konkurrenzkampf der Städte untereinander zurückzuführen. In einer mobilen Gesellschaft könnten aber Kommunen mit speziellen Angeboten, also mit einem eigenen Profil, punkten und damit auch attraktiv für Besucher aus Nah und Fern sein. Stattdessen wird dieser Aspekt bislang nur bei speziellen Events gepflegt. Die "Festivalisierung der Städte" (Walter Siebel) und der Stadtpolitik ist ungebrochen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Deutscher Städtetag (Hrsg.), Rettet unsere Städte jetzt, Stuttgart-Köln 1971.

  2. GG, Art. 28,2.

  3. Vgl. Hiltrud Naßmacher/Karl-Heinz Naßmacher, Kommunalpolitik in Deutschland, Wiesbaden 20072, S. 72.

  4. Die Lokale Agenda 21 wurde auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 verabschiedet.

  5. So im EG-Vertrag, im Maastrichter Vertrag von 1992, in den Leitlinien des Europäischen Rates von Edinburgh, im Vertrag von Amsterdam von 1997.

  6. GG, Art. 28, 2.

  7. So die damalige Formulierung im Grundgesetz.

  8. GG, Art. 72,2.

  9. Vgl. H. Naßmacher/K.-H. Naßmacher (Anm. 3), S. 22f.

  10. Die Kommunen ziehen sich gern aus der Verantwortung zurück, weil sie "nur" für die Gebäude und die Gebäudeunterhaltung zuständig sind. Siehe zum Handlungspotential dagegen Ernst Ludwig Manns, Handlungsmöglichkeiten in der kommunalen Schulpolitik, Diss. Oldenburg 1996.

  11. Vgl. Christin Nünemann, Das kosten Kita-Plätze in NRW, in: Rheinische Post vom 28.4.2010.

  12. Aufgrund der Verteilung der Gemeinschaftssteuern zwischen Bund und Ländern und den Gemeindefinanzierungsgesetzen bzw. den Finanzausgleichsgesetzen der Länder: Schlüssel- und Bedarfszuweisungen.

  13. Als Anteil an den Gemeinschaftssteuern, gegen die Gewerbesteuerumlage.

  14. Vgl. H. Naßmacher/K.-H. Naßmacher (Anm. 3), S. 148ff.; Zusammensetzung der Steuereinnahmen in Prozent, ebd., S. 149.

  15. Hier sind die überschuldeten Kommunen, die von der Kommunalaufsicht zur Konsolidierung ihres Haushaltes aufgefordert sind, besonders eingeschränkt.

  16. Erwähnt werden sollen hier nur die Zweitwohnungssteuer, die Betten- und die Sexsteuer.

  17. Insbesondere durch den Deutschen Städtetag bzw. den Städte- und Gemeindebund.

  18. Vgl. H. Naßmacher/K.-H. Naßmacher (Anm. 3), Abb. 12, S. 149.

  19. Vgl. Hiltrud Naßmacher, Wirtschaftspolitik "von unten", Basel 1987.

  20. Zur Privatisierungsdiskussion und Modellen vgl. H. Naßmacher/K.-H. Naßmacher (Anm. 3), S. 126-135.

  21. Der Zuschussbedarf für einen Theaterplatz und für einen Schwimmbadbesuch ist unter den höchsten, nur noch übertroffen von Museen, Kindergärten und Büchereien. Vgl. ebd., S. 142.

  22. Vgl. Norbert Konegen, Cross-Border-Leasing-Transaktionen - ein kommunales Finanzierungsinstrument mit programmiertem Absturz, in: Wolfgang Gernert et al. (Hrsg.), Nachhaltige Kommunalpolitik - ein Anforderungsprofil, Münster u.a. 2010, S. 219-239.

  23. In Nordrhein-Westfalen sollen mehr als 100 Städte und Gemeinden daran teilgenommen haben.

  24. Vgl. H. Naßmacher/K.-H. Naßmacher (Anm. 3), S. 168ff.

  25. Es sei denn, durch problematische Transaktionen; vgl. N. Konegen (Anm. 22).

  26. Vgl. Volker Kunz, Parteien und kommunale Haushaltspolitik im Städtevergleich. Eine empirische Analyse zum Einfluss parteipolitischer Mehrheiten, Opladen 2000.

  27. Vgl. H. Naßmacher/K.-H. Naßmacher (Anm. 3), S. 40f.

  28. Vgl. ebd., S. 113

  29. Vgl. ebd., S. 114-119.

  30. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1.11. 2010.

  31. Inzwischen im Baugesetzbuch zusammengefasst.

  32. Beobachter schätzen, dass die Abstimmung des Kulturangebots zwischen den drei Städten Wuppertal, Solingen und Remscheid noch 15 Jahre dauern könnte.

  33. Vgl. Hiltrud Naßmacher, Bürgerhaushalte: Instrumente gegen Finanznot?, in: Der Städtetag, (2010) 6, S. 10-15.

Dr. rer. pol., geb. 1942; apl. Professorin für Politikwissenschaft an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Ammerländer Heerstraße 114-118, 26129 Oldenburg. E-Mail Link: h.nassmacher@uni-oldenburg.de