Einleitung
Demografische Veränderungen und länderübergreifende Wanderungsbewegungen werden heute nicht nur national, sondern auch international verstärkt von Politik und Wissenschaft thematisiert und vergleichend analysiert. Natürliche und räumliche Bevölkerungsbewegungen werden immer mehr als zwei Seiten einer Medaille begriffen, die aufs Engste mit gesellschaftlichen, insbesondere ökonomischen Faktoren verbunden sind und die politische Bedeutung von Ländern, Regionen und Kontinenten im globalisierten 21. Jahrhundert spürbar beeinflussen.
Wichtige Auslöser für räumliche Bevölkerungsbewegungen sind politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche push- und pull-Faktoren in den Herkunfts- und Zielländern. Darunter genießen jeweils das Rechtssystem, das Regierungshandeln, die Verfassung sowie der Arbeitsmarkt, die soziale Sicherung und die materielle wie die immaterielle Infrastruktur (etwa im Bildungs- oder Gesundheitsbereich) besondere Aufmerksamkeit. Davon werden wiederum das Geburtenverhalten, der Gesundheitszustand und die Lebenserwartung der Bevölkerung beeinflusst.
Mit Blick auf diesen Kontext wird die Migrationspolitik etwa seit Beginn des vergangenen Jahrzehnts zu einer demo-ökonomischen Handlungsoption akzentuiert - nicht nur hierzulande, sondern auch in vielen anderen hoch entwickelten Industrieländern.
Der Autor dankt Dipl.-Volkswirtin Barbara Heß, Dipl.-Demograf Martin Kohls, ROAR Elmar Kuhnigk, Dipl.-Volkswirt Waldemar Lukas sowie Maria Wagner für kritische Kommentare, weiterführende Anmerkungen und redaktionelle Hinweise.
Demografie und Migration
Migration auf der einen Seite und Demografie auf der anderen haben sich weltweit zu sogenannten Megatrends entwickelt, die zunehmend in das Blickfeld politischer Entscheidungsträger rücken. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellt regelmäßig die Bedeutung der Migration für die Entwicklung in den Industrieländern heraus.
Stellt man diese Angaben in Relation zur Weltbevölkerung (6,9 Milliarden Menschen), so beträgt die globale Migrationsquote knapp drei Prozent; sie ist über längere Frist weitgehend stabil - allerdings mit erheblichen Strukturveränderungen, was die Richtung und auch die Ursachen für die jeweiligen Wanderungen nach dem Ende des "Kalten Kriegs" angeht: Migration erfolgt heute weniger in Ost-West-, als in Süd-Nord-Richtung und sowohl innerhalb der nördlichen wie der südlichen Halbkugel. Die nationale Migrationspolitik der Zielländer versucht heute stärker als in der Vergangenheit, die Migration zu begrenzen und nach den ökonomischen, insbesondere arbeitsmarktspezifischen Erfordernissen, aber auch nach den demografischen Bedarfen des jeweiligen Landes zu steuern.
Wenn indes Mitte dieses Jahrhunderts nach den Projektionen der UN je nach den Varianten und demografischen Annahmen zwischen fast acht und mehr als elf Milliarden Menschen auf der Erde leben,
Während Wanderungen erst seit Ende des Ost-West-Konflikts in den 1990er Jahren (wieder) mehr ins öffentliche Bewusstsein traten, wurden demografische Entwicklungen und Implikationen, insbesondere niedrige Geburtenraten und Alterung der Bevölkerung in den Industrieländern, national wie international, schon seit Mitte der 1970er Jahre von der Wissenschaft als Megatrends erkannt, analysiert und in die politische Debatte eingebracht.
Die Ergebnisse, die schon damals auf die längerfristig bevorstehende Schrumpfung und Alterung der hiesigen Bevölkerung hinwiesen, sind allerdings in Folge der Wiedervereinigung und der massiven Aussiedler- und Asylzuwanderungen zu dieser Zeit zunächst in den Hintergrund gedrängt worden. Politische Reaktionen auf nachhaltige demografische Veränderungen gab es erst Mitte des vergangenen Jahrzehnts durch Maßnahmen zur Verlängerung der Erwerbsphase.
Nach den aktuellen Eurostat-Projektionen auf Basis der entscheidenden demografischen Variablen (Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung und (Netto-)Zuwanderung) - also ohne Berücksichtigung politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Anpassungsreaktionen
Zuwanderungen nach Deutschland
Vor diesem Hintergrund interessiert die dem Auf und Ab der Konjunktur seit Mitte der 1950er Jahre folgende und aus unterschiedlichen Anlässen (Flucht, Asyl, Arbeitsaufnahme, Familienzusammenführung oder Bildung) mehr oder weniger ausgeprägte Migration nach Deutschland.
Zusätzlich zu diesen Personen mit einem ausländischen Pass leben in Deutschland 8,4 Millionen Deutsche mit Migrationshintergrund, also zusammen fast 16 Millionen mit einem solchen Hintergrund,
Die Niveau- und Strukturveränderungen gelten naturgemäß auch in Bezug auf die Erwerbstätigen und Arbeitslosen sowie die sogenannte Stille Reserve, also für das zivile Erwerbspersonenpotenzial.
Jedenfalls bedeutet eine geringe (Netto-)Zuwanderung nach Deutschland, dass zum Ausgleich der demografisch bedingt weiter abnehmenden Zahl der jüngeren Personen bei zunehmender Zahl der älteren die Anforderungen an alle Altersgruppen steigen, soll der individuelle Lebensstandard aufrechterhalten werden.
Zusätzliche Anstrengungen erscheinen umso dringlicher, als die EU-Osterweiterung im Mai 2004 kaum zu zusätzlicher Zuwanderung nach Deutschland geführt hat. Auch die am 1. Mai 2011 auslaufenden Übergangsbestimmungen zur Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für die damals der EU beigetretenen ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten lässt kaum einen "Ansturm" bzw. eine Konzentration der Migrationsbewegungen auf Deutschland erwarten.
In einer aktuellen Publikation thematisiert die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Perspektive 2025 und nennt zehn Handlungsfelder, um eine nachhaltige und sichere Versorgung der deutschen Wirtschaft mit Fachkräften zu erreichen.
Der Gewinnung qualifizierter Zuwanderungen und um sich auf den globalen Wettbewerb um junge Migrantinnen und Migranten einzulassen, dient die managed migration zur Anwerbung hoch und gut qualifizierter Arbeitskräfte einschließlich vielversprechender Unternehmer und Selbständiger aus dem Ausland. Dies sind wichtige Stichworte der nationalen und internationalen Debatte über moderne Migrationsregime. In Europa bzw. der EU versuchen die Staaten zunehmend, die Migration in ihre Länder jeweils nach ihren ökonomischen Bedarfen, insbesondere nach dem zukünftigen Bedarf ihrer demografisch tendenziell schrumpfenden Arbeitsmärkte zu beeinflussen; das beginnt schon mit der Gewinnung von ausländischen Studentinnen und Studenten sowie Auszubildenden und reicht über die Adressierung (hoch-)qualifizierter Arbeitskräfte, Hochqualifizierter und Rückkehrer aus dem Ausland bis zur Reduzierung von Abwanderungen.
Steuerung der Migration
Hierzulande begann eine derartige Migrationspolitik, die freilich anders als in der Vergangenheit mit Blick auf die sich verändernde sektorale Produktionsstruktur der Wirtschaft mehr auf kognitive als auf physische Fähigkeiten setzt (brain statt brawn), mit der Green-Card-Initiative der Bundesregierung im März 2000. Mit der Anwerbung von ausländischen IT- und Kommunikationsexperten wurde ein Prozess in Gang gesetzt, der 2004 zur Inkraftsetzung des Zuwanderungsgesetzes führte. Dieses begrenzt und steuert per Aufenthaltsgesetz seit Anfang 2005 unter Aufrechterhaltung des seit 1973 geltenden Anwerbestopps für ausländische Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten die Arbeitsmigration nach Deutschland insbesondere nach seinen jeweiligen wirtschaftlichen und arbeitsmarktpolitischen Interessen. Wegen der aktuellen und noch anstehenden Erweiterungen der EU um die ost- und südosteuropäischen Beitrittsländer bzw. -kandidaten kann sich diese Steuerung naturgemäß nur noch auf Migrationen aus immer weiter entfernt liegenden Staaten und Regionen in Europa, Asien und Afrika beziehen.
Mit dem sogenannten Richtlinienumsetzungsgesetz, das Ende August 2007 in Kraft trat, wurde neben der Erleichterung des Zuzugs von Selbständigen eine Vereinfachung des Zulassungsverfahrens für Forscher aus Drittstaaten eingeführt. Fast gleichzeitig wurden Erleichterungen beim Zuzug von Bewerbern aus den neuen EU-Mitgliedstaaten mit Ingenieurberufen in den Fachrichtungen Maschinen-, Fahrzeugbau und Elektrotechnik sowie beim Zugang ausländischer Absolventen deutscher Hochschulen zum Arbeitsmarkt beschlossen (durch Verzicht auf individuelle Vorrangprüfung
Knapp ein halbes Jahr nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes wurde im Juni 2009 die EU-Richtlinie über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung verkündet.
Mit der "Blauen Karte EU" wird ab Mitte 2011 eine weitere Option zur Verfügung stehen. Es bleibt abzuwarten, wann zusätzliche "sektorale" Richtlinien zur Steuerung zukünftiger Zuwanderungen im Unternehmensbereich vom Europäischen Rat beschlossen und in die nationalen Gesetzeswerke umgesetzt werden. Jedenfalls sind 2009 zusätzlich zu den genannten 17000 Fachkräften rund 12000 Hochschulabsolventen und Akademiker oder leitende Angestellte, gut 4400 Mitarbeiter internationaler Unternehmen, 140 Forscher und 169 Hochqualifizierte nach Deutschland zur Arbeitsaufnahme eingereist. Zusammengenommen sind dies etwa so viele Personen wie unter den deutschen Staatsbürgern in diesem Jahr aus Deutschland im Saldo weggezogen sind.
Schlussfolgerungen
Die Megatrends der Alterung, Schrumpfung und zunehmenden Diversität der Bevölkerung nicht nur hierzulande, sondern europaweit auf der einen Seite und der absolut zunehmenden Zahl der internationalen Migrantinnen und Migranten auf der anderen Seite, werden sich verstärken. Dies beinhaltet in der durch die anhaltende Globalisierung "flachen Welt"
Die Steuerungsansätze sind in Deutschland bzw. Europa deutlich auf die Gewinnung von mehr (hoch-)qualifizierten und ambitionierten Zuwanderinnen und Zuwanderern gerichtet. Dies kann aber nur erreicht werden, wenn eine umfassende Anerkennungs- und Willkommenskultur für diese auch in den klassischen Einwanderungsländern aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen begehrten Fachleute mit ihren Familien etabliert wird.
Die genannte Bedingung erscheint notwendig, aber nicht hinreichend. Hinzu kommen muss für eine ganzheitliche Migrations- und Integrationspolitik, dass auch der jeweilige Ehegatte bzw. Lebenspartner die sozioökonomischen Möglichkeiten des Zuwanderungslandes ausschöpfen kann und nicht auf bürokratische und gesellschaftliche Hindernisse bei der Realisierung des Lebensentwurfs stößt, und schließlich dass eine umfassende Informationskampagne gestartet wird. Damit sollten die Zuwanderinnen und Zuwanderer schon vor und nach ihrer Einreise zusammen mit ihren Familien stärker beraten und informiert werden. Dazu wäre eine bundesweite, zentrale Informations- und Anlaufstelle auf Dauer einzurichten, die sie durch das föderal geprägte Geflecht von Zuständigkeiten, Ansprechpartnern und für sie relevanten Institutionen lotsen kann.
Mit der Erfüllung dieser Voraussetzungen können Migration und Integration nicht nur demografischen Anforderungen in Deutschland und in der EU entsprechen. Sie können auch die zunehmenden sozioökonomischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der Megatrends abfedern helfen. Bei dieser Aufgabe sind freilich gerade auch andere Politikbereiche gefordert, wie die Wirtschafts-, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Familienpolitik. In ihrer konsistenten Praxis liegt aber auch die Chance der Beeinflussung der Megatrends nach den eigenen Präferenzen.