Einleitung
Im November 2009 beschloss die Bundesregierung auf dem Brandenburgischen Schloss Meseberg die Entwicklung einer Demografiestrategie, welche die demografische Lage Deutschlands erfassen und die daraus ableitbare künftige Entwicklung analysieren soll. Dies ist erfreulich, denn zum einen wird Demografie hiermit bereits begrifflich als "großes" Thema anerkannt, zum anderen wird deutlich, dass die Politik bereit ist, auf die demografische Herausforderung dynamisch und strategisch zu antworten. Der Weg hin zu dieser Anerkennung der Demografie währte in Deutschland jedoch übertrieben lange; über viele Jahre wurde versucht, den sich ankündigenden Geburtenrückgang wegzudiskutieren, und Migrationsprozesse wurden in ihrer Dauerhaftigkeit nicht wirklich ernst genommen. Dass nun gar von einer Strategie die Rede ist, dimensioniert die Demografie - parallel zu Wirtschaft, Verteidigung, Arbeit - endlich zu einer der tragenden Säulen der gesellschaftlichen Entwicklung,
Die Arbeit an der Demografiestrategie soll durch das Bundesministerium des Innern auf der Ebene der Staatssekretäre koordiniert werden. Im Beschluss ist die Rede von der Reduktion der Abwanderung, der Stabilisierung der privaten und öffentlichen Infrastruktur im ländlichen Raum, und beides wird dann nochmals heruntergebrochen auf Bereiche wie Gesundheitsvorsorge, Bildungsmöglichkeiten vor Ort, Mobilitätssicherung und anderes mehr. Es entsteht überdies der Eindruck eines Schwerpunktes in Ostdeutschland. Erfreulicherweise wird aber auch der Anspruch der "Gestaltung des demografischen Wandels" erhoben, der zwar hoch gegriffen ist, strategisch aber richtig ansetzt. Es handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche und vor allem auch gesamtstaatliche Aufgabe, die ressortübergreifend oder auch ressortbezogen umsetzbar bis 2012 entwickelt werden soll.
Die Regierungsvorlage ist höchst willkommen, scheint sie doch über alle verstreut angelegten demografischen Politikansätze hinauszugehen, wenn die Absichtserklärung beim Wort genommen werden darf. Der Beschluss der Bundesregierung ist "interministeriell" angelegt, das heißt, es wird von einer Querschnittsaufgabe ausgegangen und eine gouvernementale Gestaltung des demografischen Wandels beabsichtigt. Es bleibt jedoch abzuwarten, inwiefern wirklich "Gestaltung" gemeint ist. Ob diesem Gestaltungsanspruch wirklich Rechnung getragen wird, darauf wird man bis zum Abschluss des Demografieberichts gespannt sein dürfen. Es kann überdies nur gehofft werden, dass keinerlei regionale Einschränkung vorgenommen und tatsächlich dem Begriff Strategie entsprechend vorgegangen wird.
Strategische Politik und Wissenschaft
Was heißt Strategie? Welcher konzeptionelle Zugriff darf mit diesem Ansatz verbunden werden? Es liegt neuerdings auch in der Politikwissenschaft eine gute Literaturgrundlage vor, von der aus sich argumentieren lässt.
Unter demografischen Prozessen subsumiert man die Zu- und Abwanderung, die Geburtenentwicklung, die Alterung und Schrumpfung der Gesellschaft. Diese Prozesse laufen fast unabhängig von jedweder Steuerung ab. In der Bevölkerungswissenschaft
Das Ansinnen, demografische Prozesse beeinflussen zu wollen, stellt eine weitere Schwierigkeit dar. Auch Nicht-Eingriffe sind Entscheidungen. Auf den erwähnten Geburtenrückgang so gut wie nicht zu reagieren oder eine Reaktion als sinnlos auszugeben, überlässt ihn dem Selbstlauf, wie geschehen. Der Versuch, generatives Verhalten steuern zu wollen, ist ein heikles moralisches Unterfangen, auf das sich in demokratischen Gesellschaften so gut wie niemand festlegen lassen möchte. Das Gegenteil aber, Geburtenzahlen in Entwicklungsländer begrenzen zu wollen, wird als selbstverständlich angesehen. Mit derartigen Dialektiken umzugehen, setzt zumindest einige Sensibilität voraus. Ähnliches gilt für das Thema Migration. Ob ein Land Zuwanderung haben möchte oder nicht, ob es also diesen demografischen Prozess steuern will, gar Zuwanderer - etwa nach einem bestimmten Punktesystem - auszuwählen beabsichtigt, zeigt ein weiteres Segment dessen auf, was es bedeutet, auf demografische Prozesse Einfluss nehmen zu wollen.
Verwalten oder gestalten?
Abgesehen von der geschilderten Schwierigkeit selbst hat in pluralistischen Gesellschaften und Parteiendemokratien eine Diskussion über das politische Vorgehen stattzufinden; das Aushandeln von Entscheidungen kompliziert die Materie jedoch zusätzlich. Bei derartig sensiblen Entscheidungen zu einem gesellschaftlichen Konsens zu finden, wäre zwar ratsam, kann aber keinesfalls garantiert werden.
Angesichts dieser Umstände liegt es nahe, Entscheidungen auszuweichen und die demografischen Prozesse quasi als schicksalhaft, determiniert und unbeeinflussbar auszugeben und auf eine Politik zu setzen, die sich zwar mit allen demografischen Fragen beschäftigt, die Entwicklungen aber nur noch hinnimmt und sie letztlich lediglich verwaltet oder kanalisiert. Bereits dies ist angesichts des fortgeschrittenen Zustandes der Bevölkerungsentwicklung in Deutschland zu einer Herausforderung geworden, deren Bewältigung einiger Anstrengung bedarf. Bei einer solchen Politik von Gestaltung zu reden, wäre jedoch eine Übertreibung.
Verwalten heißt zum Beispiel, dass man den sogenannten Rückbau Ost betreibt, Stadtteile aussucht, die nicht mehr saniert werden, sowie Schulen, Infrastruktureinrichtungen, Versorgungssysteme, Ämter und Behörden konzentriert. Sachsen gehört diesbezüglich zu den Bundesländern, die, obgleich keinesfalls am stärksten von demografischen Einschnitten betroffen, vorgebaut haben, örtliche Demografiebeauftrage und Demografiemanager kennen, von "Demografiesensitivität" sprechen und in jeder Hinsicht gut vorbereitet sind.
Gestalten bedeutet, dass man strategisch handelnd vorgeht und Ziele entwickelt, die den demografischen Prozess beeinflussen sollen. So verschafft man sich Klarheit darüber, inwiefern man Schrumpfungsprozesse hinnehmen möchte, wobei es auf das Ausmaß des Prozesses ankommt. Eine Art Implosion zu akzeptieren, mag sich zwar aus der Praxis ergeben - etwa in manchen ostdeutschen Regionen ("intelligent schrumpfen") - dürfte aber, wenn schon von Strategie die Rede ist, nicht als Ziel gelten.
Über verkraftbare Migrationsvolumina nachzudenken, ist beim gestaltenden Ansatz ebenso geboten wie die Findung eines Konsenses über die Frage, wer denn zuwandern soll - in welchem Alter möglichst, mit welcher Qualifikation, mit welcher kulturellen (sprachlichen) Ausstattung, mit welchen Eigenmitteln? Die deutsche Politik war mit diesen Fragen in der Vergangenheit überfordert, ließ sie Migration über Jahre doch relativ ungesteuert zu.
Gestalten zu wollen, bedeutet schließlich auch zu fragen, wie man den Geburtenrückgang abbremsen kann, damit ein erträglicherer demografischer Prozess eingeleitet wird als der gegenwärtige. Hier stellt sich ein breites Politikfeld dar, das viele Anläufe erlebt hat und unterschiedliche ministerielle Handwerker mit unterschiedlichen Akzentsetzungen tätig sah. Gestalten hieße also einzugreifen, um Prozesse nicht einfach nur hinzunehmen, sondern sie auch zu korrigieren. Welche Mittel bei diesem strategischen Ziel vorhanden sind, greife ich später auf.
Verhältnis von Politik und Demografie
Im Verhältnis von Politik und Demografie, Politiker und Bevölkerungswissenschaftler, bestehen gegenseitige Vorbehalte. Früher sahen Politiker in der Demografie zu langfristig ablaufende Prozesse, die sie in ihrer überschaubaren Amtszeit vermutlich nicht würden beeinflussen können, weswegen jeglicher Eingriff, noch dazu ein umstrittener, etwa pronatalistischer, unterlassen wurde. Hinweise von Demografen, es sei vielleicht mit einer Null-Komma-X-Wirkung zu rechnen, beendeten meistens die Kontakte, denn es sei wohl kaum einem auf Erfolge angewiesenen Politiker zuzumuten, sich bei derartigen "Wirkungen" politisch einzusetzen. So gingen die Jahrzehnte ins Land. Demografen, vor allem die im engeren Sinne nur empirisch arbeitenden Sozialwissenschaftler, wollten sich in ihrem Terrain nicht von politischen Fragen leiten lassen. Man arbeite getrennt von normativen politischen Welten - was an sich nie stimmte, denn es gibt auch in der Gesellschaftspolitik bzw. in der Migrations-, Frauen-, Familien- oder Gleichstellungspolitik zahllose deutliche, um nicht zu sagen einseitige Positionierungen. Neutralität kann nicht einfach unterstellt werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass die deutsche Demografie besonderen Wert auf den Abstand zur Politik legt - wofür die aktuelle demokratische Politik nichts kann, denn das Problem liegt in der Vergangenheit der Bevölkerungswissenschaft. Zwar kam es zu einigen Aufarbeitungen der Disziplin, wie sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts agierte,
Dennoch kam es durchaus vor, dass man gelegentlich von Seiten der Politik auf Demografen zuging und Fragen zu bestimmten Themen aufwarf, die mit Expertisen zu bearbeiten waren. Der große Bereich der Familiendemografie bzw. auch der Familiensoziologie hat es entsprechend zu hoher Aufmerksamkeit gebracht.
Ziele, Breite und Mittel strategischer Demografiepolitik
Politik sollte - wenn strategisch ausgeholt wird - Ziele vorgeben, die diesem Anspruch entsprechen. Gefahr liegt ja durchaus darin, dass leider nicht wie etwa in der Ökonomie ein Rat der Wirtschaftsweisen gesucht wird, sondern nur nach kleinräumigen, sozialspezifischen, gruppenorientierten Themen und eben nicht nach gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsrichtungen und deren Supervision gefragt wird. Eine Demografiestrategie bezieht die gestalterische Einflussnahme auf den demografischen Prozess in seiner ganzen Breite mit ein, so wie die Ökonomen zu Analysen in ähnlicher Größenordnung aufgelegt sind. Eben deshalb, wenn das Ganze in den Blick genommen werden soll, ist eine Strategie tatsächlich vonnöten. Politische Demografie begleitet, beobachtet und analysiert die entsprechenden Prozesse und respektiert die Ansprüche des politischen Systems ebenso wie die des demografischen Systems, von dem man in Zusammenfassung der demografischen Prozesse sprechen kann.
Bekanntlich verfügt die Politik über viele Politikfelder, die als Mittel der Strategie Aufgaben bekommen dürften bzw. diese in die Strategie einbringen werden. Natürlich gibt es da a) die Gesundheitspolitik, die, insofern die Bevölkerung noch gesünder als heute in den Alterungsprozess geleitet wird, eine wichtige Funktion innehat. Auch an b) die Bildungspolitik ist zu denken,
Enger demografieorientiert gestalterisch werden aber vor allem die folgenden Politikfelder zum eigentlichen Mittel des Fortschritts, jedenfalls des Erfolgs einer Demografiestrategie, berufen sein: Das sind die Familien-, Frauen- und Migrationspolitik. Sie werden sich - bzw. müssten sich bei einer entsprechenden Strategie! - refigurieren, wenn das erwähnte Ganze in den Blick kommt, wenn zum Beispiel als Ziel ausgegeben würde, den Bevölkerungsbestand sichern zu wollen - sofern eine pluralistische deutsche Gesellschaft sich darauf verständigen kann, das Land und seine Bevölkerung erhalten
In der strategischen Perspektive wird sich aus der Gesamtschau der eigentlich demografierelevanten Politikfelder eine Demografiepolitik abzeichnen, deren Existenz längst überfällig ist. Demografiepolitik, im Französischen als démographie politique längst bekannt und dort als Politik für die Zukunft der Familie verstanden im Unterschied zur politique familiale, welche die bestehenden Familien und ihre Kinder meint, ist den diversen, demografisch relevanten Politikfeldern gewissermaßen übergeordnet, eine Art politische Metaebene. Sie bringt zum Ausdruck, dass sich der demografische Wandel mit nur begrenzten Politikfeldern kaum beeinflussen lässt. Frauenpolitik, Migrationspolitik, Familienpolitik und andere Politikfelder haben jeweils ihre spezifische Berechtigung, können aber keine gesamtpolitische Antwort auf den demografischen Wandel sein.
Demografiepolitik zu betreiben bedeutet also, dass man der Ansicht ist, dass nur eine Konzentration der Aufgaben und nicht ihre Verteilung weiterführen. Die Durchsetzung einer Demografiestrategie kann nicht im Sinne einer lockeren Querschnittspolitik unterschiedlichen Akteuren überlassen werden, vielleicht mit einigen bemühten Demografiebeauftragten, deren Existenz suggeriert, es sei etwas getan worden. Sie sollte aus einer Hand erfolgen. Nur so entstünde die erforderliche Durchsetzungsstärke, die dem angesprochenen Säulencharakter entspräche, wäre operative Kraft zur Durchsetzung der Politik vorhanden. Die Verfügung über entsprechende Etats im Bundeshaushalt würde eine stärkere Beachtung des neuen Politikfeldes garantieren.
Ressortfrage: Demografieministerium?
Demografiepolitik aus einem Guss - um zuzuspitzen, was hier schon angedeutet wurde - hieße auch, ein entsprechendes Ministerium zu etablieren. Der Vorteil eines eigenen Ressorts wäre unübersehbar. Es würde ein strategisches Zentrum entstehen, und auch eine politisch-symbolische Aufwertung jeglicher Beschäftigung mit demografischen Herausforderungen wäre damit verbunden. Niemand spräche mehr von "Gedöns", wie seinerzeit Bundeskanzler Gerhard Schröder, dessen Familienministerin Renate Schmidt
Man male sich einmal aus, Wirtschaft würde - mit einiger Plausibilität - als Querschnittsaufgabe verstanden, die unbedingt in allen Ministerien verankert und dadurch beachtet werden müsse - eine skurrile Vorstellung! Welcher Erfolg war es für die Umweltpolitik, als 1986 ein Bundesumweltministerium eingerichtet wurde und die vielen verstreuten Umweltthematiken in den Administrationen nicht mehr mühsam zusammengesammelt werden mussten. Ein Demografieministerium - eine Utopie, aber manchmal ist der Weg von der Idee zur Wirklichkeit ein kurzer - könnte alle anderen bunten Widmungen der Ministerien ersetzen, die auf Länderebene auffindbar sind: Gleichstellung, diverse Generationen, Integration, Emanzipation und anderes mehr. Doch gerade diese Schaufensterpolitik dürfte eines der Haupthindernisse für ein nüchtern betrachtet erforderliches Demografieministerium sein. Ein weiteres Hindernis liegt sicherlich in der bisherigen Struktur der Ressortverteilung. Niemand möchte etwas abgeben. Und die Medien, als treibende Kraft für Veränderungen, haben das Thema auch noch nicht entdeckt. Vielleicht muss der Druck erst noch steigen,
In der Politikwissenschaft ist schon lange skeptisch von der sogenannten Pfadabhängigkeit von Entwicklungen die Rede. Damit sei gesagt, dass zwar sachangemessen Vieles denkbar ist, praktisch aber Politik in gewohnten Bahnen abläuft. Deshalb ist man gut beraten, keinesfalls dogmatisch etwas zu favorisieren, was zumindest derzeit noch auf keiner Agenda steht. Auch die Verlagerung von Arbeitsfeldern, Referaten und Zuständigkeitsbereichen einzelner Ministerien zugunsten eines neuen Ministeriums ist deswegen derzeit unwahrscheinlich. Gewohnheit schlägt Kompetenz.
Kanzlerfrage und europäische Ebene
Sieht man die Dinge auf diese Weise pragmatisch und realistisch, kann man aus der Ressortfrage nur den Schluss ziehen, dass sie - irgendwann einmal - zu einer Kanzlerfrage wird. Nur von dort aus ließe sich neu strukturieren und strategisch gestalten. In gewisser Weise ist also die gesamte Demografiestrategie - so sich dimensionieren lässt, so man sie tatsächlich ernst nimmt - eigentlich eine Kanzlerstrategie. Schließlich geht es um die Zukunft einer 80-Millionen-Bevölkerung und deren demografisch-strategische Einschätzung und Einordnung durch die politische Führung.
Doch auch von einer Kanzlerstrategie sollte man zunächst, wenn man tatsächlich wieder politische Spielfelder erreichen möchte und sich die aktuelle Agenda ansieht, vielleicht besser Abstand nehmen. Es wäre allerdings längst an der Zeit, dass eine Gipfelkonferenz der Europäischen Union sich eigens und nur des Themas und gesamten Politikfeldes Demografiepolitik annähme, vielleicht sogar angeschoben durch den sogenannten deutsch-französischen, in diesem Fall noch besser durch den französisch-deutschen Motor. Schließlich ist Frankreich im Unterschied zu Deutschland seit Jahrzehnten demografisch gesehen ein vorbildliches Land, jedenfalls bezogen auf Fertilitätsraten. Die Europäische Kommission hat immerhin 2005 bereits ein Grünbuch zur neuen Solidarität zwischen den Generationen verfasst,
An dieser Stelle sei darauf aufmerksam gemacht, dass das von der Bevölkerungsgröße her kleinere Frankreich (64,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner) seit ein paar Jahren bereits mehr Geburten aufweist als Deutschland. Diese hierzulande kaum wahrgenommene Entwicklung stellt für Frankreich ein Ereignis dar, das gar nicht überschätzt werden kann, wenn man sich daran erinnert, dass die schiere deutsche Bevölkerungsgröße für Frankreich seit dem späten 19. Jahrhundert einen Albtraum darstellte.
Strategiekriterien
Eine Strategie zu vertreten - so hatte ich eingangs definiert - bedeutet, Ziele zu fixieren. Dafür wird man bestimmte Kriterien entwickeln müssen. Drei seien hier angesprochen, um eine angestrebte Bevölkerungsentwicklung beurteilen zu können.
1. Im natürlichen Bevölkerungswachstum muss Resilienz angestrebt werden (auch wenn die Differenz zwischen Anstreben und Erreichen recht groß bleiben mag). Seit 40 Jahren erleben wir in der Bundesrepublik einen Geburtenrückgang. Niemand wird erwarten, dass eine derartige Einbeulung, wenn wir uns den Bevölkerungsaufbau anschauen, wieder korrigiert werden kann. Es dürfte aber richtig sein, eine resiliente Struktur anzustreben, die den Bevölkerungsaufbau wieder besser ausgleicht. Die Makroebene zu verändern, setzt jedoch voraus, dass sich die Mikroebene des generativen Verhaltens damit vereinbaren lässt - und eben da liegt das alte Phänomen der sogenannten Nachwuchsbeschränkung vor,
2. Nachhaltigkeit wurde bereits als Kriterium auf die familienpolitische Agenda zu Beginn des 21. Jahrhunderts gesetzt. Insofern sollte hinter die Erkenntnis, dass eine ausgeglichenere Bevölkerungsentwicklung wünschenswert ist - so sie unter Entscheidungsbedingungen der Eltern in einer pluralistischen Gesellschaft erreichbar ist - nicht zurückgefallen werden.
3. Schließlich dürfte Leistungsbezogenheit ein weiteres belastbares Kriterium sein:
Von Familienleistungsausgleich ist schon lange die Rede. Kinder zu haben wird familienpolitisch durch viele staatliche Leistungen anerkannt. Eine Zusammenführung dieses Spektrums wird derzeit überprüft und ergibt deshalb Sinn, weil wieder größere Sichtbarkeit damit verbunden wäre. Sofern ein Familiensplitting nach französischem Beispiel das bestehende deutsche Ehegattensplitting substanziell übertrifft, sollte es diskutiert werden.
Steuerentlastungsperspektiven, die besonders die Mittelklasse erfassen würden, sind überfällig - auch um die Differenz von Familien- und Sozialpolitik zu profilieren. Beschäftigungspolitisch könnte eine neue Variante von Gleichstellungspolitik entwickelt werden, die Mütter - sie sind effektiv die reproduktiven Leistungsträgerinnen - bei gleicher Eignung bevorzugt. Alterssicherungsbezogen und im Horizont der Verfassungsgerichtsurteile vorgehend sind entsprechende generationenvertragliche Regelungen nachzuholen, damit die Gesellschaft sich auf generationengerechte Maßstäbe einstellen kann. Insofern in der Zuwanderungspolitik, wie wir es seit einiger Zeit erleben, nur noch von qualifizierter Zuwanderung gesprochen wird, verankert sich auch dort ein Leistungsdenken, was eine Wende bedeutet. Allerdings dürfen die schon in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten, sofern sie - eine Minderheit - Integrationsprobleme haben, nicht ignoriert werden.
Leistungsgerecht muss auch eine Alterssicherungspolitik angelegt sein. Eine Generation, die durch Nachwuchsbeschränkung das bestehende Umverteilungssystem belastet, muss generationengerecht an den Lasten beteiligt werden. In der öffentlichen Meinung stößt auf strikte Ablehnung, was systematisch richtig wäre: die Alterssicherung - auch - kinderspezifisch auszurichten. Vergleichsweise einfacher ist es dann schon, die Verlängerung der Lebenserwerbsarbeitszeit zu organisieren, so dass die viel kleinere nachwachsende Generation nicht auch noch die längere Ruhestandsphase der älteren Generation zu finanzieren hat. Für Politikerinnen und Politiker ist dies ein höchst unangenehmes Thema!
In pluralistischen, hoch individualisierten Gesellschaften sind es strapaziöse Vorgänge, derartige Kriterien zu bearbeiten, und die Literatur zu den Schwierigkeiten der Umsetzung solch komplexer Vorhaben ist umfangreich.
Würde es gelingen, die Gesellschaften in Europa kinderfreundlicher zu gestalten, wäre das sehr erfreulich - selbst bescheidene Erfolge wären schon zu begrüßen. Auch den Medien kommt diesbezüglich eine wichtige Begleitfunktion zu.
Eine Politik für eine alternde Gesellschaft zu betreiben heißt - neben den bekannten gravierenden Fragen
Sicherlich nicht angemessen wäre es, anstelle einer Demografiepolitik substitutiv ausschließlich eine sozialpolitische Agenda zu favorisieren. Kinderarmut zu reduzieren, ist sicherlich ein legitimes und wichtiges Ziel. Ersetzt es aber Familienpolitik, bleibt ein Manko bestehen. Sozialpolitik hat in sich einen Wert und ist demografiestrategisch auch mit Aufgaben zu versehen, sie darf aber nicht anstelle einer originär demografischen Politik treten.
Schlussfolgerungen
Sicherlich einfacher ist die demografische Herausforderung als Anpassungsstrategie zu verstehen.
die Erhöhung der Lebensarbeitszeit;
die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit bzw. die noch bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie;
gezielte Mütterförderung;
Migrationspolitik, die besonders Qualifizierte anzieht;
Alterungsprozesse der Bevölkerung zu begleiten, sowohl was die Aktivierung "junger Alter" angeht, als auch, was zum Beispiel altersgemischte Belegschaften betrifft;
in jeder Hinsicht das Eintreten der "Babyboomer"-Generation in sehr hohe Altersklassen vorzubereiten.
Konzeptionell lässt sich der Kampf zweier Politikstrategien identifizieren. Die Gestaltungsstrategie legt den Akzent auf die Einflussnahme auf den demografischen Wandel, sie wirft den Blick auf das Ganze und ist letztlich optimistisch, was die mittel- oder langfristigen Effekte eines derartigen Politikansatzes angeht. Sie denkt von der Komplexität her. Sie weiß, dass sie 40 Jahre früher viel größere Chancen gehabt hätte. Verantwortungsethisch muss auch in schwieriger Zeit eine Zuversichtsperspektive aufrechterhalten werden. Ihre Vertreter neigen eher zu der Meinung, Politik sei das Schicksal, nicht die Demografie; Politik habe, bei immenser Anstrengung, an Gestaltungsmacht nicht verloren. Die gestaltende Strategie impliziert eine Generationenpolitik, die sich in diesen langen Zeiträumen abspielen muss. Tiefgreifende Änderungen wären anzugehen, die am besten im europäischen Kontext mitgetragen und begleitet werden sollten. Eine Art great new deal stünde an, und ein Bewusstsein seiner Notwendigkeit müsste bestehen.
Die Anpassungsstrategie dagegen hat den großen Vorteil, dass sie unmittelbar erkennbare Fortschritte, Maßnahmen, Korrekturen und Zustimmung mobilisieren kann. Sie geht auf die aktuellen Herausforderungen ein, analysiert treffend den Verlauf des demografischen Wandels und widmet sich der Machbarkeit. Ihre Vertreter wünschen sich auch eine veränderte Fertilität, sehen aber keine Chance, nachhaltig darauf einzuwirken und kümmern sich entsprechend um den Ist-Zustand. Strategisches Vorgehen bedeutet bei ihnen das Koordinieren von Maßnahmen.
Beide Strategien sind hier objektiv und ohne Ressentiments dargelegt worden. Es könnte jedoch sein, dass sich nach einem erneuten Abwarten zu einem späteren Zeitpunkt doch noch die Gestaltungsoption durchsetzt. Vielleicht wäre aber auch schon viel erreicht, wenn versucht würde, über ein Mischsystem beider Strategien nachzudenken.