Einleitung
Das Thema der unternehmerischen Selbstständigkeit erhält im deutschen Bildungssystem einen immer höheren Stellenwert. Während es jedoch vor allem an Universitäten Einzug hält, findet eine Implementierung in den Schulen zögerlicher statt. Zwar fordern und fördern Staat und Wirtschaft eine Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit, doch ist diese in Deutschland nur bedingt entwickelt. Gerade in Schulen könnte frühzeitig eine Basis zur Förderung einer solchen Kultur gelegt werden, ohne den allgemeinen Erziehungsauftrag dieser Bildungsinstitutionen zu vernachlässigen.
Wie es um eine Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit hierzulande bestellt ist und wie mit dem Thema an allgemeinbildenden Schulen umgegangen wird und werden kann, soll im Folgenden erörtert werden. Zunächst soll eine Begriffsklärung zur unternehmerischen Selbstständigkeit und zu eng miteinander verknüpften Definitionen herausgearbeitet werden, um im weiteren Verlauf näher auf den Kulturbegriff eingehen zu können.
Zum Begriff
Der Begriff der unternehmerischen Selbstständigkeit wird oft mit dem Begriff der beruflichen Selbstständigkeit verbunden. Eine eindeutige definitorische Abgrenzung der beiden Begriffe fällt daher relativ schwer. Ralf Gerbershagen stellt beispielsweise fest, dass der Begriff der unternehmerischen Selbstständigkeit nur im Zusammenhang mit der beruflichen und persönlichen Selbstständigkeit betrachtet werden kann. Ein pädagogisch verantwortlicher Umgang mit dem Thema ist dieser Auffassung nach einer solchen definitorischen Entsprechung verpflichtet. Demnach bildet die persönliche Selbstständigkeit "das Fundament für die Entwicklung von beruflicher und unternehmerischer Selbstständigkeit". Dieser verbindenden Begriffsverortung stehen deutliche Begriffstrennungen gegenüber.
Vera Döring weist darauf hin, dass berufliche Selbstständigkeit als Tätigkeit zu verstehen ist, die von einer Person in einer abhängigen Erwerbsarbeit selbstständig, eigenverantwortlich und kompetent durchgeführt wird; eine Person, die ihre Existenz in Form einer selbstständigen Arbeit durch ein eigenes Unternehmen sichert, handelt wiederum eindeutig unternehmerisch selbstständig. Um unternehmerisch selbstständig handeln zu können, sollte die Person über entsprechende Kompetenzen verfügen, die ihr bei der Ausführung der Tätigkeit behilflich sein können. Für die Qualifizierung, in der Fertigkeiten und Fähigkeiten wie beispielsweise Verantwortungsbewusstsein, Eigenständigkeit und Ausdauer vermittelt werden können, hat sich im deutschen Bildungssystem der Begriff der Entrepreneurship Education etabliert: "Entrepreneurship Education kann für eine eigene Definition als Disziplin beschrieben werden, deren Ziel es ist, Persönlichkeiten und deren berufliche Handlungskompetenz zur 'unternehmerischen Selbstständigkeit' zu entwickeln bzw. aus- und weiterzubilden." Dieser Prozess zur Unterstützung der aktiven Entwicklung von Selbstständigkeit kann als Kulturfaktor bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang soll im Weiteren herausgearbeitet werden, wie sich der Terminus "Kultur" in Verbindung mit unternehmerischer Selbstständigkeit definieren lässt.
Der Begriff der Kultur der Selbstständigkeit wird inflationär benutzt, meist ohne sich der genauen Bedeutung bewusst zu sein. So meint Reinhard Schulte, dass diese Worthülse zumeist rhetorische Absichten verfolgt. Für den Gebrauch in der Wissenschaft sollte der Begriff präzisiert werden. Bezug wird hier auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Einflussfaktoren genommen, welche die Förderung von Gründungsaktivitäten verfolgen. Diese Förderung auf allen gesellschaftlichen Ebenen soll ein Bewusstsein für (unternehmerische) Selbstständigkeit schaffen. Kultur als eigenständiger Begriff meint zudem "die Gesamtheit aller Werte, Normen und Einstellungen, die über Sozialisationsprozesse von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden".
Eine Kultur der Selbstständigkeit wird seit Mitte der 1990er Jahre diskutiert. Die Forderung nach einer solchen Kultur soll eine Abgrenzung zu einer "unselbstständigen" Gesellschaft evozieren. In diesem Zusammenhang liegt die Vermutung nahe, dass einem Großteil der Bevölkerung bis dahin die Fähigkeit, unternehmerisch tätig zu sein, abgesprochen wurde. Um Beschäftigungskrisen entgegenwirken zu können, Innovationen zu fördern sowie das Unternehmerbild in der Gesellschaft und die Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeiten zu verbessern, sollte diese Kultur Einzug erhalten. Diese Entwicklung hat bis heute Bestand. Rainer Haseloff erhebt diesbezüglich die unternehmerisch denkende Person zum Leitbild für unsere Gesellschaft und misst ihr für die Zukunft eine hohe Bedeutung zu: "In der Wissensgesellschaft von morgen wird der Berufstypus des 'unselbstständig' arbeitenden Angestellten mehr und mehr der Vergangenheit angehören und durch unternehmerisch denkende und handelnde Mitarbeiter ersetzt."
Kerstin Westerfeld hingegen ist der Auffassung, dass sich entsprechende Werte und Normen, die mit der Kultur der Selbstständigkeit in Verbindung gebracht werden können, über einen langen Zeitraum hinweg entwickeln müssen. Vielmehr hat sich jedoch in Deutschland eine "Angestellten- und Versicherungsmentalität" verbreitet. Gerade in Westdeutschland hat sich dieses Sicherheitsdenken stark etabliert. In einer Wohlfahrtsgesellschaft wie der unsrigen will kaum jemand auf den gewohnten Standard verzichten. Das könnte ein bedeutsamer Erklärungsansatz dafür sein, dass die Gesellschaft in diesem Sicherheitsdenken verhaftet ist. Diesbezüglich stellt Westerfeld die Frage, "inwiefern das politische Engagement" in einer von "Angestellten- und Versicherungsmentalität" geprägten Gesellschaft, deren Werte nicht den Werten einer Kultur der Selbstständigkeit entsprechen, "überhaupt kurz- und mittelfristig Einfluss auf die Schaffung einer Kultur der Selbstständigkeit nehmen kann". Diese Aussage erweckt den Eindruck, dass die Aufgabe schier unmöglich erscheint. Ohne einen mentalen Wandel herbeizuführen wird dies anscheinend nur schwer gelingen. Ansätze, die diese Veränderung in der Gesellschaft initiieren wollen, sollen im weiteren Verlauf vorgestellt werden.
Zum Stand der Dinge
In Zeiten einer positiven Konjunkturlage ist die Neigung der Bevölkerung, unternehmerisch selbstständig zu agieren, als eher gering einzustufen. Dieses Verhalten spiegelt die zuvor beschriebene Angestellten- und Versicherungsmentalität wider. Bei hohen Beschäftigungszahlen fühlen sich die Menschen nicht aufgefordert, unnötig Risiken einer Existenzgründung auf sich zu nehmen. Dem gegenüber kann sich in Phasen wirtschaftlicher Not die Gründungsaktivität erhöhen. Dies ist zumeist der Versuch, einer drohenden Arbeitslosigkeit zu entkommen. Es darf angenommen werden, dass diese individuelle Motivation nicht mit einer beabsichtigten Entwicklung einer Gründungsbereitschaft vergleichbar ist. Des Weiteren stellt sich die Frage, inwiefern solche zumeist ad hoc vorgenommenen Gründungen am Markt Bestand haben. In den meisten Fällen fehlt eine nachhaltige Auseinandersetzung mit dem Thema der unternehmerischen Selbstständigkeit, so dass eine entsprechende Qualifizierung vernachlässigt wird.
Unabhängig von dieser Tatsache ist die Gründungsneigung in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor als gering zu bezeichnen. Dieser Umstand wirkt sich auch auf die Regelung von Unternehmensnachfolgen bei mittelständischen Betrieben aus. Am Markt etablierte Unternehmen sind aufgrund fehlender Nachfolgerinnen und Nachfolger gezwungen, ihr Unternehmen aufzugeben und das Personal zu entlassen. Mit jeder Unternehmensauflösung geht auch ein Verlust der wirtschaftlichen Kraft eines Landes einher. Gründe für eine solch geringe Gründungsneigung können auch Rahmenbedingungen wie bürokratische Hürden und finanzielle Belastungen sein.
Im internationalen Vergleich wird zudem deutlich, dass das Unternehmerbild in Deutschland eher negativ geprägt zu sein scheint. Die Reformkommission forderte nach Birgit Weber bereits 1999, dass schon in den Schulen das Bild der Unternehmerperson als egoistischer, Zigarre rauchender Kapitalist abgelöst werden müsse. Durch eine wenig differenzierte Vermittlung des Unternehmerbildes und die damit einhergehende einseitige Betrachtung des Themengebietes der unternehmerischen Selbstständigkeit werde die "Bedeutung des Unternehmertums für die Gesamtwirtschaft und soziale Ordnung" zu gering geschätzt. Der Wunsch nach einer neuen, kreativen Generation, die durch innovative Gründungsideen das Wirtschaftswachstum ankurbelt und weitere Arbeitsplätze schafft, ist vor allem aus politischer Perspektive so hoch, dass einer überholten Kritik am Unternehmertum im Bildungssystem entgegengewirkt wird. Innovative Gründungen, gerade in Wirtschaftssektoren, denen eine hohe Forschungs- und Wissensintensität zugesprochen wird, sind für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Landes notwendig.
Eine reflektierte Vermittlung in den Schulen kann zu einem Mentalitätswandel in der Gesellschaft beitragen, ohne dass Schülerinnen und Schüler von dem Thema überwältigt werden. Es bedarf im ersten Schritt eines aufgefrischten Blickes auf die Zusammenhänge unternehmerischen Denkens und Handelns, um bei den Lernenden ein neues Bewusstsein für unternehmerische Selbstständigkeit zu wecken. Hiermit geht die vermehrte Förderung einer Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit an Schulen einher. Der Einsatz von Entrepreneurship Education kann an Schulen hierfür eine Basis legen. In diesem Rahmen werden unter anderem Schulprojekte initiiert, die für das unternehmerische Denken und Handeln sensibilisieren sollen.
Projektbeispiele
Ein Grund für das Desinteresse am Themengebiet der unternehmerischen Selbstständigkeit in der Bevölkerung wird auch in dessen geringer Bedeutung für den Schulunterricht gesehen. Wird die Aufgabe, eine Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit zu schaffen, an Schulen ernst genommen, so müssen neben der Ziel- und Inhaltsbestimmung auch die Bildungsaufträge der unterschiedlichen Schulformen bedacht werden. Allgemeinbildende Schulen stehen in diesem Sinne anscheinend fast diametral zu den Anforderungen an eine unternehmerische Selbstständigkeit. So befinden sich beispielsweise die Lehrenden zumeist in einem sicheren Arbeitsverhältnis, das recht stark in Rahmen seiner Tätigkeit durch Rahmenlehrpläne und die Nutzung von entsprechenden Schulbüchern strukturiert wird. Der Schulalltag wird durch Stundenpläne geregelt, und komplexe Sachverhalte werden einer didaktischen Reduktion unterzogen. Entscheidungen müssen hier selten, wie das jedoch bei einer unternehmerischen Selbstständigkeit der Fall sein kann, unter hohem Risiko gefällt werden.
Von besonderem Interesse ist hier die aktuelle Inmit-Studie (Institut für Mittelstandsökonomie an der Universität Trier e.V.) zum Thema Entrepreneurship Education an Schulen, welche im Schuljahr 2008/2009 mit insgesamt 2800 Jugendlichen (aktuelle und ehemalige Schülerinnen und Schüler) und 193 Lehrkräften bundesweit durchgeführt werden konnte. Hier wurden Lernende und Lehrende mittels Fragebögen und Telefoninterviews befragt, die an einem Schulprojekt zum unternehmerischen Denken und Handeln teilnehmen beziehungsweise teilgenommen haben. Zu diesen Projekten gehörten "Junior/Junior-Kompakt", der "Deutsche Gründerpreis für Schüler" sowie "Jugend gründet". Zudem befanden sich in der befragten Kohorte 449 Nichtteilnehmende an den zuvor genannten Projekten, die als Kontrollgruppe fungierten. Die Schulklassen 7 bis 13 aller Schulformen wurden untersucht. Legt man die Ergebnisse zu Grunde, so lässt sich feststellen, dass sich die Projektteilnehmenden wie auch die Nichteilnehmenden bei der Frage zum allgemeinen Ansehen von Unternehmerinnen und Unternehmern in Deutschland tendenziell sehr positiv bis eher positiv geäußert haben. Lediglich im Schnitt zehn Prozent der Befragten schätzten das Ansehen eher negativ bis sehr negativ ein. Das Bild des Unternehmers an deutschen Schulen scheint demnach durchaus differenzierter wahrgenommen zu werden als zuvor angenommen, so dass zu vermuten ist, dass die öffentlich geförderten Projekte an Schulen durchaus erste Erfolge erzielen.
Weiterhin lässt sich feststellen, dass im Schnitt mehr als die Hälfte (52,9 Prozent) der an den Projekten Teilnehmenden sich selbst als Unternehmertyp beziehungsweise "eher" als Unternehmertyp einschätzen. Nichtteilnehmende hatten sich insgesamt nicht ganz so oft als Unternehmertyp eingeschätzt (50,6 Prozent). Diese Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass sich etwa jeder zweite Befragte grundsätzlich die Kompetenzen einer Unternehmerperson zuschreibt. Wird hier eine reflektierte Selbsteinschätzung vorausgesetzt, kann auch ein Rückschluss auf das Lehr-/Lerngeschehen an Schulen gezogen werden. Es darf angenommen werden, dass Kompetenzen, über die Unternehmerpersonen verfügen müssen, wie beispielsweise Verantwortungsübernahme, Kreativität und Ambiguitätstoleranz, demnach als Querschnittskompetenzen vermittelt werden.
Sowohl von den Schülerinnen und Schülern als auch von den Lehrkräften wurde die Teilnahme an den genannten Projekten als nützlich und positiv beurteilt. Diese stellten aus deren Sicht eine hervorragende Möglichkeit dar, die Befähigung zu erhalten, eine eigene Einschätzung zu den weiterentwickelten Kompetenzen und zur Option, unternehmerisch selbsttätig werden zu wollen, abgeben zu können. Lehrkräfte sehen darüber hinaus den Effekt, dass wirtschaftliche Themen in handlungsorientierter Form vermittelt werden konnten.
Damit auch unternehmerische Selbstständigkeit von Jugendlichen in diesem Sinne selbst erlebt werden kann, ist der Einsatz kreativer Unterrichtsmethoden beispielsweise in Form oben genannter Projekte als sinnvoll einzustufen. Dabei darf jedoch der Erziehungsauftrag nicht dahingehend missverstanden werden, dass junge Unternehmerpersonen herangezogen werden sollen: "Ökonomische Bildung im allgemeinen Schulwesen ist weder vorgezogene Berufsbildung, noch steht sie im Dienst einer Imagekampagne für den Unternehmerberuf. Sie dient der Lebens- und Weltvorbereitung in ökonomisch geprägten Lebenssituationen und Entwicklungen sowie der Ausbildung vielseitiger Fähigkeitsdimensionen als allgemeine Persönlichkeitsentwicklung."
Will Entrepreneurship Education eine Kultur der unternehmerischen Selbstständigkeit fördern, so kann dies nur in einer dem Bildungsauftrag der Schule nicht widersprechenden, reflektierten Form stattfinden. Das Thema der unternehmerischen Selbstständigkeit sollte dementsprechend bildungspolitisch in die Lehrpläne fächerübergreifend nach Schulformen differenziert und bereits in der Lehrerausbildung implementiert werden. Hierbei sollte es sich vor allem um die Vermittlung von Sachkompetenz und didaktisch-methodischer Kompetenz handeln. Im Vordergrund des inhaltlichen Lehr-/Lernprozesses steht die ökonomische Handlungskompetenz unternehmerischer Selbstständigkeit.
Erste Konturen des Phänomens der Kultur einer unternehmerischen Selbstständigkeit an Schulen und in der Lehrerausbildung könnten sich damit abzeichnen. Schule wäre in der Lage, eine solche Kultur herbeizuführen, ohne das Thema der unternehmerischen Selbstständigkeit als Postulat zu erheben. Die Jugendlichen sollen ihre Karrierepläne selbstkritisch entwickeln und ihren individuellen Lebensweg verfolgen. Unternehmerische Selbstständigkeit kann irgendwann in ihrem Berufsleben zu einer Option werden. Ob sie sich für oder gegen diese Option entscheiden, hängt dann im hohen Maße von einem bis dahin reflektierten Umgang mit dem Thema ab, dessen Basis möglicherweise schon in der Schule gelegt werden konnte.