Einleitung
Wozu benötigen private Haushalte finanzielle Bildung? Wenn private Haushalte finanzielle Dienstleistungen nachfragen, werden sie vor vielfältige Probleme gestellt, beispielsweise komplexe und undurchschaubare Produkte oder irreführende Werbung. Auch fehlt Haushalten meist das Verständnis der Funktionsweise von Finanzmärkten. In der Schule wird das notwendige Wissen nur selten erworben, weil es zum Teil den Lehrenden selbst an eigenen finanziellen Kompetenzen fehlt.
Zur Bewältigung ökonomisch geprägter Lebenssituationen und zum "guten Leben" im Sinne eines gelungenen und selbstbestimmten Lebens müssen finanzielle Entscheidungen getroffen werden.
Ein Hauptziel der finanziellen Bildung ist die Vermeidung von Verarmungsprozessen. Studien
Über die Bewältigung finanziell geprägter Lebenssituationen hinaus verhilft finanzielle Bildung auch zu einem verbesserten allgemeinen Weltverständnis. Hierzu gehört ein grundlegendes Verständnis für die Funktion von Geld und Vermögen im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang sowie für die Funktionsweise von Finanzmärkten in einer globalisierten Wirtschaft. Finanzielle Kompetenz ist eine Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe. Sie beruht auf einer Verknüpfung von Kompetenzen zur Bewältigung privater Finanzprobleme mit solchen zur Analyse und Bewertung gesamtwirtschaftlicher Problemlagen und Politikkonzeptionen.
Zum Begriff der finanziellen Bildung
Finanzielle Bildung ist Teil der ökonomischen Bildung: "Financial education is therefore the addition of financial competence to the goals of economic education. Much of the current discussions around economic education in Germany and North-America revolve around exactly this issue: including financial knowledge, financial literacy and financial capability as goals for economic education."
In der Literatur gibt es keine einheitliche Definition für finanzielle Bildung. Eine für die Commerzbank arbeitende Autorengruppe stellt darauf ab, dass finanzielle Bildung dazu dienen solle, den Alltag zu bestehen und Chancen wahrzunehmen. Dazu gehören das Verständnis der Funktionen von Geld, das Geldmanagement, der Umgang mit Lebensrisiken, der Vermögensaufbau und die Altersvorsorge sowie das Verleihen und Anlegen von Geld. Grundlegend ist ein "handlungsorientierter lebenspraktischer Zugang"
In der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) spielen das "Verständnis von Finanzprodukten" sowie "die Fähigkeit und das Bewusstsein um finanzielle Risiken und Möglichkeiten"
Kernbereiche finanzieller Bildung
Will man auf der Basis der Literaturanalyse die Inhalte der finanziellen Bildung konkretisieren, lassen sich vier Kernbereiche identifizieren: Vermögen bilden, mit Verschuldung umgehen, sich versichern und täglich mit Geld umgehen (Zahlungsverkehr). Diese vier Bereiche tauchen so oder ähnlich immer wieder in den verschiedenen und ansonsten heterogenen Arbeiten
Die Kernbereiche bilden ein lebensnahes Inhaltskonstrukt. Eine exakte Abgrenzung ist im Einzelfall nicht immer möglich. So mag im Bereich "Täglich mit Geld umgehen" auch das Thema "Mit Verschuldung umgehen" relevant werden. Solche Überschneidungen können als Chance angesehen werden, Parallelen zu ziehen und Transfers zu leisten. Auch ist es möglich, Fach- und Bildungskategorien
Vermögen bilden.
Vermögensbildung durch Sparen bedeutet, in der Gegenwart zugunsten der Zukunft auf Konsum zu verzichten. Es werden also Konsum- und Einkommensströme zeitlich voneinander entkoppelt. Die Entscheidungen, die bei der Vermögensbildung getroffen werden müssen, verlangen Klugheit und Verantwortungsgefühl, und theoretisch umfasst der Planungshorizont die gesamte Lebensspanne. Das "gute Leben" bedeutet eine angemessene und selbstbestimmte Bewertung des Lebensstandards in verschiedenen Lebensphasen, beispielsweise während der ersten Berufstätigkeit, beim Existenzaufbau im mittleren Alter und im Ruhestand. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Menschen damit überfordert sind. Tendenziell herrschen "Kurzsichtigkeit" und eine Vernachlässigung der Altersvorsorge vor.
Vermögen ist nicht allein Absicherung, sondern auch Einkommensquelle, sei es durch Zinsen, Mieteinnahmen oder Dividenden. Je nachdem, in welcher Form Vermögen gehalten wird - beispielsweise in Sparbüchern, Aktien, Immobilien -, unterscheiden sich Erträge und Risiken. Zur finanziellen Allgemeinbildung gehört, dass zumindest die wichtigsten und gängigen Finanzprodukte hinsichtlich ihrer Risiken, Fristen und Erträge verglichen werden können. Vermögensbildung ist rechtlich geregelt und wird - beispielsweise für die Altersversorgung und die Bildung von Wohneigentum - staatlich gefördert.
Die Verknüpfungen der individuellen und gesellschaftlichen Aspekte des Kernbereichs Vermögensbildung zeigen sich beispielsweise bei den Themen Inflation oder Vermögensverteilung. Der unterschiedliche Einfluss von Inflation auf verschiedene Vermögensformen - Wertverlust von Geldvermögen und "Flucht in die Sachwerte" -, die ungleiche Vermögensverteilung und ihre Entwicklung im Zeitablauf werfen Gerechtigkeitsfragen auf, die von hoher politischer Brisanz sind. Zum mündigen Staatsbürger gehört deshalb auch Finanzkompetenz als Allgemeinbildung.
Mit Verschuldung umgehen.
Verschuldung bedeutet, zugunsten der Gegenwart auf zukünftigen Konsum zu verzichten. Wieder werden Konsum- und Einkommensströme zeitlich voneinander entkoppelt, aber in umgekehrter Reihenfolge wie beim Sparen. Besonders junge Menschen tendieren dazu, die Rückzahlung von Krediten als "Nachsparen" aufzufassen, und übersehen deshalb die Risiken der Verschuldung. Kredite müssen fristgemäß zurückgezahlt werden, und bei verspäteten Raten fallen Verzugszinsen an. Mahnbescheide werden verschickt, Kredite gekündigt und zur sofortigen Zahlung fällig gestellt. Es folgen Lohnabtretungen, Pfändungen und am Ende der "Offenbarungseid", die Eidesstattliche Versicherung.
Private Überschuldung liegt vor, wenn Ratenverpflichtungen nicht mehr bedient werden, weil das verfügbare Haushaltseinkommen und ein eventuell vorhandenes eigenes Vermögen dauerhaft nicht ausreichen, neben dem Lebensunterhalt weiteren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Am Ende nimmt der Schuldenberg - nicht zuletzt durch Verfahrenskosten - immer weiter zu, selbst wenn der Schuldner Raten abzahlt.
Der Umgang mit Verschuldung, insbesondere aber mit Überschuldung, stellt eine komplexe Aufgabe dar, bei der die privaten Haushalte auf Hilfe angewiesen sind, beispielsweise durch Schuldnerberatungsstellen. Das Wissen um Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten kann deshalb zur finanziellen Allgemeinbildung gezählt werden. Überschuldung führt zur Senkung des Lebensstandards, also zum Gegenteil dessen, was mit der Schuldenaufnahme ursprünglich beabsichtigt worden ist. Von der sozialen Umgebung wird Überschuldung oft als Symptom für Unfähigkeit und mangelnde Leistungsfähigkeit angesehen. Neben materiellen Problemen geht sie mit einer psychischen und sozialen Destabilisierung einher sowie häufig mit Ehe- beziehungsweise Familienproblemen und Suchtproblemen. Gesamtgesellschaftliche Aspekte der Verschuldung, die zur finanziellen Allgemeinbildung des mündigen Staatsbürgers gehören, sind die Staatsverschuldung und internationale Schuldenkrisen.
Sich versichern.
Versicherungen sind ein wesentliches Merkmal sozialer Marktwirtschaften.
Zur Finanzkompetenz gehört es, die Risiken des täglichen Lebens beschreiben zu können und sie nicht zu bagatellisieren oder gar zu ignorieren. Der Bagatellisierung von Risiken steht allerdings die "Überversicherung" gegenüber, welche durch aggressive Werbung und Verkaufsmethoden bewirkt werden kann. Mündige Verbraucher wählen von den vielfältigen Angeboten, die der Markt für Versicherungen bietet, jene aus, die ihren Bedürfnissen am besten dienen. Dazu müssen sie die Versicherungsangebote auf ihre Qualität, insbesondere hinsichtlich des Preis-Leistungs-Verhältnisses, hin analysieren und vergleichen können. Von besonderer Bedeutung ist, unter welchen Bedingungen eine Versicherung zahlt, welche Verpflichtungen der Versicherungsnehmer eingeht und welche Rolle Meldefristen sowie pünktliche Prämienzahlungen spielen.
Vorzeitiger Tod, Krankheit, Unfall, Diebstahl, Haftpflichtschäden und andere "Schadensfälle" können die wirtschaftliche Existenz eines privaten Haushalts gefährden. Keine Versicherung kann verhindern, dass solche Dinge geschehen. Der Einzelne hat allerdings einen gewissen Einfluss auf die Risiken, die er eingeht. Versicherungen leisten im "Schadensfall" Zahlungen, die mehr oder minder ausreichen, den Schaden zu beheben. Wo das nicht möglich ist - keine Versicherung kann einen tödlich verunglückten Menschen wieder lebendig machen - können finanzielle Schwierigkeiten, beispielsweise Einkommensausfall wegen eines Unfalls, für die Familie gemildert werden.
Die Verknüpfung privater und gesellschaftlicher Aspekte wird beim Vergleich zwischen Sozial- und Individualversicherung deutlich. In der Sozialversicherung - Renten-, Kranken-, Pflege-, Unfall-, und Arbeitslosenversicherung - richten sich die Beiträge nach dem Einkommen des Versicherten, nicht nach dem Risiko: Es gilt das Prinzip des sozialen Ausgleichs. Mit Ausnahme der Arbeitslosenversicherung finden die Zweige der Sozialversicherung ihre Entsprechungen in der Individualversicherung, beispielsweise in der privaten Lebensversicherung für die Alters- und Hinterbliebenenvorsorge. Im Unterschied zur Sozialversicherung folgt die Beitragsberechnung der Individualversicherung nicht dem Prinzip des sozialen Ausgleichs, sondern dem Äquivalenzprinzip (Versicherungsprinzip): Die Höhe des Versicherungsbeitrags richtet sich nach dem Risiko der jeweiligen Risikogruppe. Beide Prinzipien geraten leicht in Konflikt, wie der politische Diskurs über die Reform der Krankenversicherung zeigt.
Täglich mit Geld umgehen.
Ein weiterer wichtiger Teil der finanziellen Bildung ist der tägliche Umgang mit Geld. Hierzu gehört in erster Linie die Erstellung eines persönlichen Haushaltsbuches. Es sollte die Einnahmen und Ausgaben für einen bestimmten Zeitraum, beispielsweise eine Woche oder einen Monat, ausweisen, um sich einen Überblick über das eigene Budget, seine Belastung und seine Struktur zu verschaffen.
Für die Organisation des Zahlungsverkehrs ist die Kompetenz zur Verwaltung eines Girokontos unerlässlich: Überweisung, Einzugsermächtigung, Dauerauftrag, Lastschrift, Online-Banking.
Durch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten von EC-Karten, die der Erleichterung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs dienen, kann schnell der Überblick über die eigenen Finanzen verloren gehen. Beim Einsatz von Kreditkarten wird das Girokonto erst zu einem späteren Zeitpunkt belastet. Leicht sind die Ausgaben längst vergessen, wenn sie im Kontoauszug ausgewiesen werden. Viele Banken und Sparkassen bieten für Schüler und Auszubildende ein oft kostenloses Girokonto an, bei dem eine Kontoüberziehung nicht oder nur in geringem Maße möglich ist. Die meisten anderen relevanten Funktionen stehen allerdings zur Verfügung. Das Schülerkonto bietet die Möglichkeit, bereits in jungen Jahren die Grundlagen des Zahlungsverkehrs zu erlernen. Zu beachten ist, dass der Kontoinhaber für falsch eingetippte Werte selbst die Verantwortung trägt. Aus Sicht der Kreditinstitute hat das kostenlose Girokonto für Schüler auch die Funktion, frühzeitig Kunden zu binden. Deshalb sind Girokonten für Schüler häufig mit besonderen Vergünstigungen verknüpft, die bisweilen an ein bestimmtes Alter gebunden sind.
Stand und Perspektiven der finanziellen Bildung
In Europa wurden in der jüngsten Zeit zahlreiche Projekte initiiert, die auf die Stärkung der finanziellen Bildung ausgerichtet sind.
Dabei ist das Interesse an finanzieller Bildung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen durchaus vorhanden.
In einer Studie der Commerzbank zu Ursachen für mangelndes Finanzwissen wurden Einstellungen und Normen zum Umgang mit Geld geprüft.
Der Grundstein für einen erfolgreichen Umgang mit den eigenen Finanzen sollte bereits im Kindesalter gelegt werden, indem Eltern versuchen, ihren Kindern eine adäquate Einstellung zum Taschengeld zu vermitteln. Finanzielle Bildung im Elternhaus ist wirksamer als in der Schule oder anderen externen Bildungsinstitutionen.
Deshalb und aus Gerechtigkeitserwägungen sind in der finanziellen Bildung die Schule, die politische Bildung allgemein und die Einrichtungen der Erwachsenenbildung in der Pflicht. Mit "Ratgeber-Literatur" oder sporadischen Medienbeiträgen kann finanzielle Bildung nicht geleistet werden. Sie bedarf der fachdidaktischen Fundierung im Rahmen der ökonomischen Bildung gemäß dem Leitbild des mündigen Verbrauchers und mündigen Wirtschaftsbürgers.