Einleitung
Obgleich sich für das allgemeinbildende Schulwesen in Deutschland mit seinen unterschiedlichen Schulformen und seiner bildungspolitischen Länderhoheit keine allgemeinverbindlichen Aussagen treffen lassen, kann doch festgestellt werden, dass seine ökonomischen Bildungsgehalte den Erfordernissen der Zeit weitgehend nicht gerecht werden. Wenn auch die Hauptschulen generell noch am ehesten ökonomische Bildungsstoffe in unterschiedlich benannten Fächern aufnehmen, kann dies keineswegs zufriedenstellen. Im Bereich der Realschulen und Gymnasien wie auch der vergleichbaren Jahrgangsstufen an Gesamtschulen ist die einschlägige Situation annähernd gleich defizitär. Allein die Länder Bayern, Niedersachsen und Thüringen tragen durch entsprechende Lehrpläne der wirtschaftlichen Bildungsaufgabe ansatzweise Rechnung.
Der trotz dieser erfreulichen Ausnahmen beklagenswerte ökonomische Bildungsnotstand an allgemeinbildenden Schulen wurde bereits in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren von Bildungspolitikern, Sozialpartnern und Elternverbänden nachdrücklich betont und angeprangert - allerdings ohne den erwünschten nachhaltigen Effekt. Auch das erste Memorandum des Deutschen Aktieninstituts "Zur ökonomischen Bildung" von 1999 konnte nichts Feststellbares bewirken. Den wohl gewichtigsten diesbezüglichen Vorstoß leistete im Jahr 2000 das vom Deutschen Elternverein, dem Verband Deutscher Realschullehrer, der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung, der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und dem Deutschen Gewerkschaftsbund edierte "Memorandum: Wirtschaft - notwendig für schulische Allgemeinbildung". Sein Erfolg bleibt abzuwarten.
Gleiches gilt für die neuerliche Denkschrift des Deutschen Aktieninstituts "Ökonomische Bildung in allgemein bildenden Schulen" aus dem Jahr 2008 sowie das 2010 im Auftrag des Gemeinschaftsausschusses der deutschen gewerblichen Wirtschaft vorgelegte Gutachten "Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen". Der Tenor dieser Verlautbarungen ist weitgehend gleichlautend: Der von frühester Jugend an in komplexe wirtschaftliche Sach- und Problemverhalte gestellte Mensch wird auf diese Lebenssituation schulisch nicht hinreichend vorbereitet. Seiner Befähigung zur ökonomischen Lebensmeisterung wird nicht im erforderlichen Umfang entsprochen. Eine ihn dafür ausstattende Grundbildung muss deshalb zum integralen Bestandteil der schulischen Allgemeinbildung werden.
Die Begründetheit dieser Feststellung wird durch neuere demoskopische Befunde erhärtet. Nach einer durch den Bundesverband deutscher Banken in Auftrag gegebenen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts ipsos (Mannheim) aus dem Jahr 2009 weisen rund 84 Prozent der jungen Erwachsenen erschreckende Lücken im wirtschaftlichen Elementarwissen auf und verlangen demzufolge nach einer entsprechenden allgemeinen wirtschaftlichen Schulbildung. Eine im Jahr 2010 im Auftrag der Commerzbank vom Emnid Institut (Bielefeld) durchgeführte Umfrage förderte zu Tage, dass nur 14 Prozent der volljährigen Bundesbürger ihr Wissen über wirtschaftliche Sach- und Problemverhalte als "gut" und "sehr gut" einschätzen, während der Rest sein diesbezügliches Wissen in unterschiedlicher Wertung unter diesem Niveau einstuft und die Notwendigkeit ökonomischer Bildung signalisiert.
Ökonomische Bildung
Leitziel ökonomischer Bildung ist der mündige Wirtschaftsbürger. Folgen wir Hans-Jürgen Albers,
Die über ökonomische Bildung zu bewältigenden Lebenssituationen lassen sich im Wesentlichen drei Situationsfeldern zuordnen: dem Konsum, der Arbeit und der Wirtschaftsgesellschaft. Mit den ökonomischen Problemen des Konsums sieht sich der Jugendliche schon in frühen Jahren konfrontiert und zur Auseinandersetzung gezwungen. Über den Konsum vollzieht sich sein Einstieg ins Wirtschaftsleben. Ihm folgt nach geraumer Zeit die arbeitsweltliche Integration (Arbeit). Über sie eröffnet sich dem jungen Menschen die Möglichkeit der eigenverantwortlichen materiellen Existenzsicherung und darüber hinaus der persönlichen Bewährung. Als Konsument und Arbeitender entdeckt sich schließlich der Heranreifende als Glied einer größeren Einheit, unserer Wirtschaftsgesellschaft. In ihre Ordnung ist er gestellt, zu ihrer Mitgestaltung ist er als demokratischer Bürger aufgerufen.
Den aus diesen - den jungen Menschen umfassenden und sukzessiv wie auch fortdauernd einfordernden - Handlungsbereichen erwachsenden Ansprüchen haben die (diversen) wirtschaftskundlichen Schulcurricula zu entsprechen. Und an diesen Lehrplänen haben sich schließlich auch die (für die verschiedenen Schulformen verfassten) Studienordnungen der Lehramtsstudiengänge "Ökonomie" auszurichten. "Ökonomie für Pädagogen"
Lassen wir uns von der Erkenntnis leiten, dass es im Rahmen der unterrichtlichen Befassung unmöglich ist, die wirtschaftliche Wirklichkeit in ihren Grundlagen, Abläufen, Wirkungen und Erfordernissen objektiv als Ganzes zu erfassen, so scheint die Forderung nach einer Reduktion des ökonomischen Bildungsgutes zwangsläufig. Eine solche Reduktion muss auf das Stoffallgemeine abheben, das heißt auf Einsichten in die Grundstrukturen, die diesen Lehrgegenstand skelettartig durchziehen und zusammenhalten. Derartige Grundeinsichten sind geeignet, die Komplexität wirtschaftlicher Erscheinungen (die ökonomische Wirklichkeit) systematisierbar und damit in gewisser Weise durchschaubar zu machen, so, "dass an einem inhaltlichen oder methodischen Element (...) der ganze Stoff oder große Teile von ihm repräsentativ erschaut werden können".
Fachwissenschaftliche Kategorien
In dem für die allgemeine ökonomische Bildung relevanten Stoffbereich lassen sich aus unserer Sicht folgende fachwissenschaftliche Kategorien (Stoffkategorien) ausmachen.
Menschliches Handeln ist bedürfnisgetrieben.
Jegliches freiwillige menschliche Tätigwerden ist als Reaktion auf ein Bedürfnis (Mangelempfinden) zu verstehen. In seiner Verschiedenartigkeit und Vielfältigkeit reflektiert dieses Mangelempfinden "das Produkt eines evolutionären Prozesses, in dem sich nicht nur individuelle und kollektive Bezüge, sondern auch unterschiedliche Bewusstseinsstufen von Verhaltensregeln ausdifferenziert haben".
Die Knappheit der Güter zwingt den Menschen zu wirtschaftlichem Handeln.
Aus der Unbegrenztheit der menschlichen Bedürfnisse und der Begrenztheit der zu ihrer Befriedigung geeigneten Güter respektive zu deren Beschaffung (Kauf) notwendigen (Finanzierungs-)Mittel ergibt sich für den Bedürfnisträger Mensch die Notwendigkeit zu wirtschaftlichem Handeln, das heißt zu Anstrengungen, diese Diskrepanz zwischen unbegrenzten Bedürfnissen und knappen Mitteln zu mildern. Die bestmögliche Lösung des aufgezeigten Diskrepanzproblems folgt dem aus dem Rationalprinzip abgeleiteten ökonomischen Prinzip, das sich in zwei Handlungsmaximen, als Minimierungs- und Maximierungsaufgabe, ausdrücken lässt.
Wirtschaftliches Handeln ist konfliktgeprägt.
Die Vielfalt der bei den zu wirtschaftlichem Handeln gezwungenen Menschen um Berücksichtigung konkurrierenden eigenen und fremden Bedürfnisse versetzt diese (fast) ständig in Konflikte, das heißt in Situationen, die durch das Vorhandensein mehrerer (zumindest theoretischer) Handlungsalternativen gekennzeichnet sind.
Wirtschaftliches Handeln ist entscheidungsbestimmt.
Um sich aus der für das wirtschaftliche Handeln so typischen Konfliktsituation zu lösen und nicht in passiver Unentschlossenheit zwischen den verschiedenen Handlungsalternativen zu verharren, muss sich der Wirtschaftende entscheiden. Um aber (rationale) Entscheidungen treffen zu können, ist das Wirtschaftssubjekt gezwungen zu planen.
Wirtschaftliches Handeln ist risikobehaftet.
Da die Komplexität der wirtschaftlichen Wirklichkeit in der Regel keine vollständige Erfassung der für den Entscheidungsprozess relevanten Informationen zulässt, kann der Entscheidungsträger häufig die Konsequenzen seiner Handlung(en) im Zeitpunkt der Entscheidung nicht vollständig erfassen. Seine Entscheidung kommt somit in der Regel bei Unsicherheit zustande. Mit der Unsicherheit der Entscheidung wächst aber das Risiko des sich auf die Entscheidung gründenden wirtschaftlichen Handelns.
Wirtschaftliches Handeln ist nutzen- respektive gewinnorientiert.
Das sich rational verhaltende Wirtschaftssubjekt wird sich für die Handlungsalternative entscheiden, die ihm unter der gewählten Zielprämisse am günstigsten erscheint, das heißt ihm den optimalen Mitteleinsatz und damit den größten Nutzen (aus der Sicht des privaten Haushalts) respektive den höchsten Gewinn (aus der Sicht des Unternehmers) verspricht.
Wirtschaftliches Handeln impliziert Arbeitsteilung.
Die Maximierung des Nutzens respektive des Gewinns erfordert neben der Optimierung des Sachmitteleinsatzes die Optimierung des Wirkungsgrades der in den wirtschaftlichen Handlungsprozess eingehenden menschlichen Arbeit. Wichtigstes Mittel zur Steigerung der Arbeitseffizienz ist die Arbeitsteilung (Spezialisierung) auf betrieblicher, überbetrieblicher, nationaler, internationaler und globaler Ebene.
Wirtschaftliches Handeln schafft Interdependenz.
Die Arbeitsteilung zwingt die in sie eingebundenen Wirtschaftssubjekte in wechselseitige Abhängigkeit (Interdependenz) und löst damit einen Prozess der Vernetzung mit einer (vorläufig) nicht endenden Dynamik aus.
Wirtschaftliches Handeln bedarf der Koordination.
Die aus der Arbeitsteilung resultierende Interdependenz der Wirtschaftssubjekte erfordert eine wechselseitige Interessenabstimmung (Koordination) zwischen den Anbietern einerseits und den Anbietern und Nachfragern andererseits. Das einzige wirksame Koordinationsinstrument arbeitsteiliger Wirtschaftsprozesse ist der Markt.
Wirtschaftliches Handeln führt zu Ungleichheit.
Wirtschaften als nutzen- respektive gewinnmaximierendes Verhalten ist immer als individueller Aktionsprozess zu verstehen, dessen Effizienz typischerweise durch die Leistungen des Wirtschaftenden bestimmt wird. Solche individuellen und damit per se ungleichen Leistungen führen zwangsläufig zu ungleichen Handlungsergebnissen (Einkommen) und damit zu ökonomischer Ungleichheit (ungleiche Vermögensbildung) schlechthin.
Ungleichheit induziert Leistungsstreben, Fortschritt und Wohlstand.
Zwangsläufige wirtschaftliche Ungleichheit ist nicht als beklagenswerte Fehlleistung des Marktes zu sehen, sondern als höchst erfreuliche, ja notwendige Konsequenz individuellen wirtschaftlichen Handelns. Ungleichheit wirkt nämlich als Anreiz für Leistungsstreben und induziert über dieses Fortschritt und Wohlstand. Eine Konterkarierung der wirtschaftlichen Ungleichheit im Wege staatlicher Umverteilung ist kontraproduktiv.
Wohlstand fundiert Freiheit
und Macht.
Ökonomischer Wohlstand schafft innerhalb gewisser Grenzen materielle und soziale Freiheit. Darüber bietet er die Basis für den Erwerb von Macht(positionen) und damit die Möglichkeit der Einflussnahme auf Umstände und Personen.
Jeder ist sein eigener Unternehmer.
Der Selbständige ist Unternehmer hinsichtlich der von ihm angebotenen Produkte/Dienstleistungen, der Unselbständige ist Unternehmer hinsichtlich der von ihm angebotenen Arbeit. Beide, der Selbständige wie der Unselbständige, können ihre Erzeugnisse/Leistungen nur in dem Umfang vermarkten, wie diese der effektiven Nachfrage entsprechen und sich gegen ihre Konkurrenz und deren Erzeugnisse/Leistungen durchzusetzen vermögen. Diese Durchsetzung nicht zu vermögen, ist beider Risiko.
Wirtschaftliches Handeln/Geschehen vollzieht sich in Kreislaufprozessen.
Es sind dies im Besonderen der hauswirtschaftliche, der betriebliche und der volkswirtschaftliche Kreislauf.
Für die Umsetzung der Stoff- in Bildungskategorien erweist es sich als zweckmäßig, die einschlägigen Unterrichtsbeispiele möglichst aus der Erfahrungswelt der Schüler zu wählen. Diese lässt sich in ihrer zeitlichen Progression von der Kindheit ins Jugendalter grob in drei Bereiche einteilen: (1) private Haushalte/Konsumbereich; (2) Betrieb - Unternehmen/Produktions-, Dienstleistungs-, Berufs-, Arbeitsbereich; sowie (3) Gesellschaft, Staat, Gesamtwirtschaft/gesellschaftlicher, staatlicher, gesamtwirtschaftlicher Bereich. Diese Bereiche umfangen den Schüler im Zeitverlauf gleich konzentrischen Kreisen, fordern ihn ein und markieren damit eine zunehmende ökonomische Betroffenheit. Diese gilt es über die Schuljahre hinweg, das heißt in ihrem spezifischen Zeitverlauf, pädagogisch und didaktisch geschickt zu nutzen.
Bildungsstoffe
Eine Analyse der Lehrpläne für ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen (selbstständig oder in anderen Fächern integriert) macht immer wieder deutlich, dass die darin aufgelisteten Bildungsstoffe nur selten der Logik ökonomischer Erkenntnisgewinnung folgen. Die Anordnung der Bildungsstoffe ist häufig willkürlich, ohne "organischen" Aufbau und inneren Zusammenhang getroffen. Wirtschaftliche Begriffe und Themen unterschiedlicher Erkenntnisebenen und Anspruchsstufen finden sich in unverbundener Reihung. Mangelnder Sachverstand und ideologische Verblendung der Verantwortlichen führen in der Mehrzahl der Fälle zu diesen beklagenswerten unterrichtlichen Vorgaben.
Einem solchen "Wildwuchs" gilt es zu begegnen, indem elementare Stofflücken geschlossen und damit Verständnisbrücken gebildet werden. Eine solche erkenntnislogische (folgerichtige) Reihung des wirtschaftlichen Bildungsstoffes (siehe die Übersicht) lässt sich allerdings nur für den Grundlagenbereich der ökonomischen Bildung vornehmen. Darüber hinaus lässt sich eine allgemeinverbindliche Stoffauswahl und -anordnung kaum mehr in Ansatz bringen. Das Kriterium der "Unverzichtbarkeit des Bildungsgutes zur Bewältigung der (späteren) Alltagsprobleme" sollte jedoch auch hier strikt beachtet und nicht zugunsten fragwürdiger Modethemen vernachlässigt werden.
Die vorgenannten Bildungsstoffe sind unter dem eingangs genannten Generalanliegen der ökonomischen Bildung, junge Menschen zur wirtschaftlichen Daseinsbewältigung zu befähigen, mit der Vermittlung entsprechender Kompetenzen zu verbinden. Eine solche Kompetenzvermittlung bedeutet die Ausstattung des Schülers mit der differenzierten Potentialität, auf die wirtschaftlichen Alltagsherausforderungen angemessen reagieren zu können.
Ökonomische Bildung und politische Bildung
Die vielfach erhobene Forderung, ökonomische Bildung und politische Bildung an allgemeinbildenden Schulen in einem Unterrichtsfach zu fusionieren, kann bei näherer Betrachtung nicht aufrechterhalten werden. Wohl haben beide Bildungsbereiche Gemeinsamkeiten, so insbesondere in system- und ordnungstheoretischer Hinsicht (Gesellschafts-/Wirtschaftssysteme, Gesellschafts-/Wirtschaftsordnungen) und dieser nachgeordneten Problemstellungen. Ihre Bildungsziele sind jedoch recht unterschiedlich. Während die ökonomische Bildung, wie eingangs dargelegt, den mündigen Wirtschaftsbürger, den sich selbstbehauptenden Konsumenten und Erwerbstätigen, in seinen individualorientierten, selbstinteressegeleiteten Strebungen im Visier hat, strebt die politische Bildung über den mündigen Staatsbürger ein funktionierendes Mitglied des Gemeinwesens und mittels dieses eine Stabilisierung der jeweils gegebenen Herrschaftsordnung an.
Beide Disziplinen - die ökonomische und die politische Bildung - sind in ihrem die vorgenannten Ziele bedienenden Bildungsstoff sehr komplex angelegt und können damit ihrem jeweiligen fachspezifischen Anliegen ohne die künstliche Konstruktion eines "Mammutfaches" nur in getrennten Bildungsanstrengungen gerecht werden.
Hinzu kommt, dass beide Unterrichtsfächer unterschiedlich qualifizierte Lehrer voraussetzen: Während ökonomische Bildung bei ihren Mittlern ein Studium der Wirtschaftswissenschaft (möglichst unter Einschluss der wirtschaftlich relevanten Rechtsmaterie (aus: Schuldrecht, Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht, Sozialrecht) erfordert, setzt politische Bildung bei diesen (Mittlern) ein politikwissenschaftliches Studium voraus. Beide Studiengänge verlangen den Einschluss einer fachspezifischen Didaktik. Eine Nichtbeachtung dieser Erfordernisse muss zwangsläufig in unterrichtlicher Anmaßung und damit im pädagogischen Dilettantismus enden.