Einleitung
Sieben Kriegsgefangene waren die ersten Muslime in Deutschland. Der König von Asturien hatte sie bei seinem Überfall auf Lissabon erbeutet und im Jahr 798 zusammen mit ihren Rüstungen und Maultieren als Freundschaftsgabe an Karl den Großen nach Aachen geschickt. Mit ihnen begann noch keine Geschichte des Islams in Deutschland, da sich die Spur der Zwangsmigranten gleich wieder verloren hat. Sonst hielten sich Muslime, wenn sie als Gesandte oder politische Unterhändler an die Höfe der Karolinger kamen, als Reisende nur kurz an Orten wie Paderborn auf. Größeren Eindruck als sie selbst machte der Elefant, den Harun ar-Raschid im Jahr 802 zu Karl dem Großen bringen ließ. Der Kalif von Bagdad hatte das exotische Tier nach dem Onkel des Propheten und Begründer seiner eigenen Dynastie Abu Abass genannt. Kaum ein Franke wird diese Zusammenhänge begriffen haben, aber der Repräsentant einer fremden und fernen Kultur konnte das Ansehen und den Schrecken des Kaisers erheblich steigern. Karl nahm jedenfalls den Elefanten auf seinen Kriegszügen mit. Aber bevor sein Heer im Jahr 810 auf die Dänen stieß, verendete Abu Abass an der Lippe.
Nur eine große Gruppe von muslimischen Zuwanderern hätte den Franken und später den Deutschen die Lösung des Integrationsproblems abverlangt. Doch dazu ist es im Mittelalter nie gekommen. Der kulturellen oder gar ethnischen Verflechtung stand schon entgegen, dass Berbern, Arabern oder auch Syrern ein Leben unter den klimatischen Verhältnissen im Norden der Pyrenäen und der Alpen kaum anziehend erschien. Noch wichtiger waren religiöse Vorbehalte gegen eine Migration. Erfahrungen, die der Prophet Mohammed selbst und seine ersten Anhänger gemacht hatten, begründeten das Verbot für Muslime, unter Herrschern einer anderen Religion zu leben. Wo sie auf Reisen christliche Länder passieren mussten, sollten sie diese rasch wieder verlassen, um der Gefahr des Glaubensabfalls auszuweichen. Schwer zu lösen, war die Frage, wie sich Muslime verhalten sollten, die von fremden Mächten unterworfen worden waren. Darüber stritten die Rechtsgelehrten, wenngleich es immer empfehlenswert war, den Ländern der Ungläubigen den Rücken zu kehren.
Ein kultureller Ausgleich, eine Anpassung der Lebensverhältnisse oder gar eine gemeinsame Fortentwicklung der je eigenen Erfahrungen und Errungenschaften waren also Muslimen und Christen nur dort möglich, wo die Gläubigen des Korans die Herrschaft errungen und am besten auch bewahrt hatten. Hierin unterscheidet sich die muslimisch-christliche Symbiose grundlegend vom Zusammenleben der Juden mit Christen oder Muslimen, weil Juden überall in der Minderheit und politisch abhängig waren. Militärische Eroberungen durch orientalische Verbände richteten sich in Europa gegen christianisierte Reiche, Regionen und Bevölkerungen. Gewalt und Unterwerfungen, die teilweise als Fremdherrschaft empfunden und nach Jahrhunderten wieder beseitigt wurden, bildeten die Voraussetzungen für kulturelle Austauschprozesse, von denen Europa bis heute zehrt.
Expansion in Richtung Europa
Schon unmittelbar nach Mohammeds Tod im Jahr 632 waren seine Stellvertreter, die Kalifen, von der Arabischen Halbinsel aus nach Osten und in den Raum des Mittelmeeres vorgestoßen. Ihre Kämpfer eroberten Damaskus, Jerusalem, Antiochien und Ägypten, verfehlten jedoch die ersehnte Einnahme Konstantinopels, der Kaiserstadt am Bosporus, in den Jahren 674/678 zum ersten Mal. Andere muslimische Heerführer setzten bei Gibraltar nach Europa über (im Jahr 711) und gewannen das christliche Reich der Westgoten fast ganz bis zu den Pyrenäen.
Als der byzantinische Kaiser mit bulgarischer Hilfe in einer zweiten, entscheidenden Abwehrschlacht vor Konstantinopel siegte (717/718), hatte sich auch im Westen, in Asturien, eine winzige politische Herrschaft ausgebildet, die den Christen erlaubte, zur Rückeroberung ihrer Heimat von den fremdgläubigen Invasoren anzusetzen (716). Die Reconquista sollte aber noch jahrhundertelang dauern und erst im Jahr 1492 zu ihrem Abschluss gelangen. Im Mittelalter blieben die Muslime schon deshalb stets ein Teil Europas, ohne freilich ins Herz des Kontinents vorzustoßen. Man darf indes bezweifeln, dass sie dies jemals ernsthaft beabsichtigt und davon geträumt hatten, die grüne Fahne des Propheten am Rhein flattern zu sehen. Auch der zum Mythos gewordene Sieg des Franken Karl Martell bei Tours und Poitiers im Jahr 732 über die Sarazenen (muslimische Stämme im Mittelmeerraum) war in diesem Sinne keine Entscheidungsschlacht gewesen. Umgekehrt hatte es selbst ein Herrscher wie Karl der Große nicht vermocht, gegen die Muslime auf der Iberischen Halbinsel bedeutende Landgewinne zu erzielen.
Erhebliche Zeit nach Spanien war auch Sizilien unter die Herrschaft des Islams geraten. Von Nordafrika aus eroberte eine arabische Dynastie bis 902 die ganze Insel. Die Muslime griffen sogar Rom an, plünderten den Vatikan und zerstörten St. Paul vor den Mauern. Papst Leo IV. (847-855) musste sich zum Schutz der Stadt als Kriegsherr betätigen. Er segnete eine Flotte, welche die Angreifer tatsächlich zerstreute, und ließ die "Leostadt" mit dem Petrusgrab durch eine Festung schützen. In Resten steht die "leoninische Mauer" noch heute. Besonders den Anstrengungen mehrerer Könige aus dem Stamm des großen Karl ist es zuzuschreiben, dass die Sarazenen nicht ganz Unteritalien einnahmen.
Etwas anders als im Westen und Süden Europas war es im Osten. An der Wolga nahmen die Bulgaren den Islam an (921/922) und bildeten ein Reich, das wegen seiner handelspolitischen Lage von Bedeutung war. Seine Ausstrahlung in die Nachbarschaft langte aber nicht aus zur Konversion der dort lebenden "heidnischen" Rus, die sich stattdessen für das Christentum orthodoxer Prägung entschieden haben.
Im hohen Mittelalter schien der Islam allenthalben zurückzuweichen. Aus Sizilien verdrängten die Normannen und endgültig der Stauferkaiser Friedrich II. die Sarazenen. In Spanien wurden die Muslime nach 1212 auf das Sultanat Granada eingeschränkt, und Städte und Reich der Wolgabulgaren unterwarfen die Mongolen 1236/1237.
Gegenbewegungen aus Asien kehrten den Trend aber um. Nach der Eroberung Jerusalems 1244 durch muslimische Mächte brachte der Sultan der Mamluken aus Ägypten den Mongolen an der "Goliathsquelle" (zwischen Jerusalem und Nablus) eine entscheidende Niederlage bei; der Khan der "Goldenen Horde", dem der größte Teil der Rus folgte, konvertierte bald darauf ebenso zum Islam (1257/66) wie das Ilchanat, die andere mongolische Herrschaft in Vorderasien (1295/1304). Der Einflussbereich der Muslime wurde bis über den Dnjepr hinaus vorgeschoben.
Noch einschneidender waren freilich Ausgriffe und Eroberungen der türkischen Osmanen in Byzanz und auf dem Balkan seit 1354 bis zum Fall der Hauptstadt Konstantinopel selbst (1453). Am Ende des Mittelalters liefen christlich-muslimische Siedlungsgrenzen immer noch durch Europa, wenn auch an anderen Orten als zuvor.
Europa entdeckt sich selbst
Obgleich sich die Muslime nur an den Peripherien des Kontinents festsetzen konnten, haben sie die Geschichte Europas nachhaltig beeinflusst. Durch ihre Eroberungen des vormals christlichen Nordafrikas, Persiens unter den Sassaniden und des Kaiserreichs von Byzanz in dessen asiatischen Provinzen hatten sie die antike Einheit der Mittelmeerwelt zerstört und Europa auf sich selbst verwiesen: Jetzt erst, im Mittelalter seit dem 8. Jahrhundert, entdeckte Europa sich selbst, vor allem, indem sich von Süden nach Norden die Kirche und nach dem Vorbild des Kaisers Konstantin des Großen das christliche Königtum verbreitete. Mit der Besiedlung Islands und teilweise sogar Grönlands, der Errichtung von Monarchien in Skandinavien und der Konversion der Litauer als letztem großen Volk Nordeuropas zum Glauben an den Gekreuzigten (1253/1386) waren die Expansionsmöglichkeiten aber erschöpft, zumal man sich bis ins 15. Jahrhundert kaum zu weiten Fahrten auf den Atlantik hinaus traute.
Den Muslimen hingegen war es gelungen, mit ihren frühen Eroberungen in der Levante die Wasserstraßen zwischen Mittelmeer und Indischem Ozean und teilweise auch den Zugang zu den asiatischen Seidenstraßen unter ihre Kontrolle zu bringen. Nicht nur für den Handel zwischen Okzident und Orient, sondern vor allem für den Kulturtransfer aus Persien, Indien und China besetzten sie im Mittelalter die Schlüsselposition. Lediglich zwischen dem frühen 13. und der Mitte des 14. Jahrhunderts waren die lateinischen Christen aus Westeuropa in der Lage, eigene Direktkontakte bis nach China zu pflegen. Ermöglicht hatten dies der Wagemut italienischer Kaufleute, die Eroberung des byzantinischen Reiches durch lateinische Kreuzzügler (1204) und die etwa gleichzeitige Gründung des mongolischen Großreiches durch Dschingis Khan. In den Zeiten der Großen Pest (vor allem von 1347 bis 1354) endete die Geschichte eines Weltsystems, das erstmals die kulturellen Inseln von Nordwesteuropa bis zum Fernen Osten miteinander verbunden hatte.
Einfluss des Islams
In Wissenschaft und Publizistik wird heute viel darüber gestritten, wo die Anfänge Europas zu suchen sind. Viele finden sie in der Antike und besonders bei der Freiheit und Demokratie der Griechen, andere aber erst im Mittelalter. Für diese Auffassung spricht die Verlagerung des historischen Kraftfeldes vom Saum des Mittelmeeres nach Norden, zu welcher der Islam mit seiner dynamischen Expansion entscheidend beigetragen hat. Über die Kontinentalisierung Europas geht aber die Funktion der Muslime als Geburtshelfer unseres Lebensraumes weit hinaus. Denn der Islam hat gerade von seiner vermeintlichen Randposition her die Geschichte Europas tiefgreifend beeinflusst. Entscheidend dafür waren die arabischen Eroberungen des 7. und 8. Jahrhunderts gewesen. Mit dem "islamischen Reich" war eine riesige Zone für die Verbreitung von Gütern, Ideen und Techniken entstanden, die von China und Indien bis nach England reichte. Die Begegnung von Völkern, Kulturen und Religionen, nicht zuletzt des Islams mit Christentum und Judentum, haben Innovationen und Erfindungen von höchst nachhaltiger Wirkung angeregt.
Agrarische Gesellschaften profitierten dabei zunächst durch Verbreitung neuer Kulturpflanzen. So haben die arabischen Ausgriffe nach Osten dem Mittelmeerraum unter anderem aus Indien Reis, Zuckerrohr, Zitrusfrüchte und Baumwolle, aus Persien Auberginen und Artischocken, wohl auch den Spinat, eingebracht. Sie erreichten Europa über Spanien meist im 10., wenn nicht durch die Kreuzzügler aus der Levante erst im 12. Jahrhundert (Aprikosen). Was in Monsungebieten üppig gedeiht, muss anderswo künstlich bewässert werden, so dass die neuen Pflanzen auch zum technologischen take off beitrugen. Im muslimischen Spanien setzte sich die syrische Irrigation so erfolgreich durch, dass man geradezu von einer "Schöpfradrevolution" spricht. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität verschaffte Handel und Städtewesen Aufschwung und Wohlstand. Kein Wunder, dass bald auch die Christen die neue Technik übernahmen und nach Verdrängung der Muslime beibehielten.
Viel einschneidender noch als die Bereicherung des Speisezettels war die Verbreitung des Papiers, das wiederum die Araber durch ihre kriegerischen Begegnungen mit den Chinesen im 7. Jahrhundert kennengelernt und im Kalifat (Bagdad 794) auf Kosten des Papyrus eingeführt hatten. In Europa verdrängte es das Pergament, das für eine Massenproduktion von Schriftgut viel zu teuer war. Über Nordafrika wurde der neue Beschreibstoff nach Andalusien und Sizilien vermittelt.
Für die Papierherstellung blieben die Christen auf die muslimischen Experten angewiesen. In Italien etablierten sich eher im Norden Zentren der Herstellung und des Exports von Papier (Genua, Bologna), während Papiermühlen jenseits der Alpen erst später bezeugt sind (1338 im französischen Troyes, 1390 in Nürnberg, 1494 im englischen Stevenage). Durch Verwendung des Papiers multiplizierten sich die Adressaten von Verwaltung und Politik, Recht, Wissenschaft und Kultur um ein Vielfaches: "Mehr als Könige und Kriege veränderte es das menschliche Leben und trug dazu bei, Europa von einer mündlichen zu einer schriftlichen Kultur zu machen." (R.I. Burns)
Entfaltung einer freien Wissenschaft und Philosophie
Zusammen mit den Pflanzen und den Technologien hatte die Araber aus dem Osten ein Strom wissenschaftlicher Literatur erreicht. Chinesische Werke waren zwar nicht darunter, dafür aber die reiche Überlieferung Indiens und Persiens, während die Eroberung byzantinischer Städte und Klöster den Muslimen auch Zugang zur antiken Naturwissenschaft und Philosophie der Griechen verschaffte. Angereichert durch die Kommentare und Ergänzungen der Araber floss das gelehrte Wissen aus dem Orient bis zum hohen Mittelalter auch Unteritalien und Spanien zu, wo es adaptiert und weiter bearbeitet wurde. Im Osten wie im Westen entstanden, wenngleich zeitlich versetzt, regelrechte Übersetzerkreise, welche die fremdsprachigen Abhandlungen den neuen Lesern im Arabischen, Kastilischen/Katalanischen und Lateinischen besser zugänglich machten.
In Bagdad erwarb sich besonders der Kalif al-Mamun (813-833) Verdienste um die Sammlung und Übersetzung griechischer und persischer Werke. Für ihn war unter anderem der wohl aus Persien stammende al-Khwarizmi tätig, der sich von der Mathematik der Inder inspirieren ließ. Mit einem seiner Werke begründete al-Khwarizmi die Algebra, während er in einer anderen Schrift den Gebrauch der indischen - später arabisch genannten - Zahlen und die grundlegenden arithmetischen Operationen lehrte. Das zweite Buch fand zwar nicht das Interesse seiner arabischen Zeitgenossen und ist im Original verloren. Beide Abhandlungen wurden jedoch während des 12. Jahrhunderts in Spanien ins Lateinische übersetzt. Der verballhornte Autorname in der lateinischen Fassung von al-Khwarizmis Buch über die indischen Zahlen "Algoritmi de numero Indorum" wurde bis heute zum mathematischen Terminus technicus "Algorithmus".
Von besonders großer praktischer Bedeutung war ein drittes Werk mit astronomischen Tafeln, das die Berechnung der Himmelskörper erlaubt. Es beruhte auf einer Urschrift in Sanskrit, doch berücksichtigte der Gelehrte von Bagdad auch griechische und persische Überlieferungen. Schon in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts benutzten und bearbeiteten arabische Mathematiker am Kalifenhof von Cordoba al-Khwarizmis Tafelwerk, das in dieser Form auch in Spanien von lateinischen Gelehrten übersetzt wurde. Nur die so im 12. Jahrhundert entstandenen Versionen in der westlichen Wissenschaftssprache, nicht aber die arabischen Originale, sind überliefert.
Unter den fremden Einflüssen, welche die Kultur der islamisierten Araber prägten, blieben die griechischen hinter denen aus dem mittleren Orient kaum zurück, zumindest in der Frühzeit. Die Araber konnten dabei von älteren Übersetzungen hellenistischer Werke ins Syrische profitieren. Die Verwandtschaft semitischer Sprachen erleichterte die sekundäre Übertragung ins eigene Idiom, bevor sich die arabischen Gelehrten selbst an die griechischen Originale trauten. Andererseits erreichten sie die Werke der Alten über mittelpersische Versionen.
In der Philosophie waren sie so gründlich, dass sie im 10. Jahrhundert über den ganzen Aristoteles verfügten und von Platon einige Dialoge in arabischer Sprache hatten. Auch Neuplatoniker, Stoiker und Neupythagoreer fanden ihr Interesse. Von den Medizinern, allen voran von Hippokrates und Galen, erstrebten sie erschöpfende Textcorpora in ihrer eigenen Sprache, in der Botanik schätzten sie Dioskurides, in den Naturwissenschaften im Übrigen Euklid, Archimedes und Ptolemaios. Wiederum ging die Aneignung der antiken Texte mit der Abfassung eigener Traktate einher.
Ruhm der arabischen Wissenschaften
Die Entfaltung einer freien Wissenschaft und Philosophie war allerdings im Kalifat von Bagdad auf Dauer unmöglich. Von jeher waren im Islam diejenigen Wissenschaften privilegiert, die der Kenntnis und dem Verständnis des Korans sowie des Rechts dienten. Man sprach geradezu von "islamischen Wissenschaften", denen in dienender Funktion auch die philologischen Disziplinen zugeordnet waren, die sich mit arabischer Sprache befassten. Von ihnen streng getrennt waren die "fremden" Wissenschaften, also die Lehren der heidnischen Griechen, die letztlich mit Erfolg bekämpft wurden. Spätestens in der Mitte des 11. Jahrhunderts ging deshalb das "goldene Zeitalter" der islamischen Kultur in Bagdad zu Ende.
Zur gleichen Zeit hatten die von Arabern übersetzten, kommentierten und selbstständig fortentwickelten Lehren griechischer und fernöstlicher Gelehrsamkeit das Interesse der westeuropäischen Gelehrten geweckt. Im muslimischen Spanien und im normannischen beziehungsweise staufischen Unteritalien traten die Herrscher und Fürsten als Patrone der Wissenschaft in Erscheinung. In Andalusien bildeten die Muslime auch Schulen aus, die sich auf bestimmte Fächer oder Gebiete konzentrierten. So war Sevilla im 12. Jahrhundert ein Schwerpunkt für aristotelische Philosophie. Im Allgemeinen betätigten sich die Gelehrten aber als Philosophen, Theologen, Naturwissenschaftler und sogar Poeten zugleich. Unerfüllter Erkenntnistrieb machte sie auch mobil, so dass sie "aus Liebe zur Wissenschaft" in den Orient reisten und dabei bis zum mongolischen Observatorium in Aserbaidschan vorstießen.
Der Ruhm der arabischen Wissenschaften in Spanien verbreitete sich andererseits bis nach England. Einer, der "nach seinem Vermögen die Studien der Araber durchdringen" wollte und dabei vor allem an Astronomie-Astrologie und an Mathematik dachte, war Adelard aus Bath. Er hatte an Schulen in der Normandie und an der Loire seine Ausbildung in den Sieben Freien Künsten (studia liberalia) erfahren und war dann weitergezogen, über die französischen Bildungszentren Tours und Laon nach Salerno und Sizilien sowie bis nach Antiochien in Syrien. Adelard übersetzte 1126 die astronomischen Tafeln des al-Khwarizmi und übertrug erstmals die "Elemente" des Euklid (eine Zusammenfassung der bis etwa 280 v.u.Z. entstandenen Arithmetik und Geometrie) vollständig vom Arabischen ins Lateinische. Daneben verfasste er auch eigene Abhandlungen, die zum Beispiel den mathematisch-astronomischen Geräten Abakus und Astrolab gewidmet waren.
Wie Adelard suchten auch andere weitgereiste Männer das christliche Spanien auf, um die Schätze Griechenlands, Indiens, Persiens und des Islams ins Lateinische zu übertragen. So wenig über den Lebensweg der Wissbegierigen bekannt ist, lässt sich erkennen, dass sie aus vielen Ländern des westlichen Europas kamen, darunter wohl auch aus dem römisch-deutschen Reich. In Toledo, Barcelona und verschiedenen Orten des Ebrotales bildeten sich Zentren der Übersetzungstätigkeit aus, an denen sich Muslime und Juden den christlichen Gelehrten zur Verfügung stellten.
Manchmal formulierte ein Christ den lateinischen Text zwar direkt nach der arabischen Vorlage, meist aber bildete er ein Team mit Anderen. Dann pflegte der erste Gelehrte das arabische Wort laut in die Volkssprache zu übertragen und ein zweiter darauf die lateinische Version niederzuschreiben. Der sich der Landessprache bediente, war oft ein Jude, der andere ein Christ, typischerweise ein Kleriker. Trilinguale Juden, die Hebräisch, Arabisch und eine der romanischen Sprachen beherrschten, spielten eine Schlüsselrolle. Der Prozess der Aneignung arabischer Literatur durch die Lateiner vollzog sich freilich nicht bloß durch Übersetzung, sondern wie bei den Arabern in Bezug auf die Griechen auch durch Zusammenfassung, Ergänzung und selbstständige Fortentwicklung der vorgelegten Texte.
Ähnlich wie im muslimischen Spanien war auch in Sizilien unter christlichen Herren die Wissenschaft höfisch bestimmt. König Roger II. ließ beispielsweise den arabischen Geographen al-Idrisi nach jahrzehntelangen Forschungen und ausgedehnten Exkursionen eine aufwändige Weltkarte erstellen. Unter einem seiner Nachfolger wurden auch hier Werke des Aristoteles und der ganze Platon übersetzt. Die Bibliothek in Syrakus soll die Werke der Weisheitslehrer Heron, Anaxagoras, Aristoteles, Themistios und Plutarch sowie der Naturwissenschaftler wie Euklid umfasst haben.
Kaiser Friedrich II., der Nachfolger der normannischen Herrscher von Sizilien, suchte den Kontakt mit dem Kaufmann und Mathematiker Leonardo von Pisa, der auf seinen Handelsreisen unter anderem nach Ägypten und Syrien immer wieder andere Gelehrte aufsuchte, um sein Wissen zu ergänzen. Durch sein "Buch über den Abakus" machte er seinen Landsleuten das Ziffernrechnen bekannt und brachte ihnen dessen praktische Vorteile im Geschäftsleben mit zahlreichen Beispielen aus arabischen, byzantinischen und lateinischen Quellen nahe. In Friedrichs Umgebung wurde unter anderem auch die Tierkunde des Aristoteles aus einer arabischen Fassung ins Lateinische übersetzt, die der Kaiser für sein eigenes "Falkenbuch" benutzte.
Christliche Pilger nach Santiago de Compostela oder nach Rom und sonstige Reisende verbreiteten den Ruhm der neuen Wissenschaft und die Kenntnis der latinisierten Schriften der Griechen und Araber im ganzen Westen. Besonders in den französischen Kathedralschulen, die ihrerseits Studierende auch aus Deutschland anzogen, blühte die Gelehrsamkeit auf. In Chartres beispielsweise konnten die lateinischen Dichter und Schriftsteller der Antike ebenso studiert werden wie die griechisch-römischen Philosophen und Naturwissenschaftler. Nicht zuletzt erregten aber die muslimischen Autoren selbst Aufmerksamkeit, denn die Araber galten als "die Philosophen" schlechthin. Avicenna, dessen eigentlicher Name Ibn Sina war, Arzt, Physiker, Philosoph, Jurist, Mathematiker, Astronom und Alchemist aus Persien, stand als Autorität neben Aristoteles. Indem sie den Lateinern eine völlig neue Grundlage der Wissenschaft zugänglich machten, wurden die Araber im hohen Mittelalter zum zweiten Mal zu Geburtshelfern Europas.
Der Ort, an dem die Wissenschaft jetzt zur Entfaltung kommen sollte, war freilich eine rein lateinische Einrichtung: die Universität. Von Hohen Schulen dieser Art, etwa der in Paris mit ihren Schwerpunkten auf Philosophie und Theologie, waren Muslime und Juden fast vollständig ausgeschlossen. Ebenso hatten spätere Pläne zur Einrichtung von Arabisch- oder Hebräischlehrstühlen an Universitäten keinen durchschlagenden Erfolg. Das gemeinsame Bemühen von christlichen, muslimischen und jüdischen Übersetzern um das rechte Verständnis der alten griechischen und neuen arabischen Texte im 12. oder auch im 13. Jahrhundert hatte keine transkulturelle Arbeitsform von Dauer begründet.
Beginnende Entzweiung
Als die arabischen (oder berberischen und syrischen) Muslime aus Spanien und Italien vertrieben waren, drangen ihre türkischen Glaubensgenossen auf dem Balkan nach Europa vor, ohne einen gleich starken Einfluss auf die Christen zu gewinnen. Im Gegenteil trieben die osmanischen Eroberungen beide Religionsgruppen auseinander. Sultan Mehmed II. beanspruchte als Eroberer von Konstantinopel (1453) das Erbe der römischen Imperatoren und fühlte sich als Rächer der Trojaner an den Griechen. Sein Volk nämlich, die Türken (Teukrer), hielt man seit dem frühen Mittelalter für Abkömmlinge jener von Homer besungenen Helden, welche die Achaier einst an der Küste Kleinasiens besiegt haben sollen. Als Nachkommen des Aeneas und anderer Überlebender und Flüchtlinge galten aber auch die Römer selbst sowie fast alle Völker Europas, darunter die Franzosen, Engländer und Deutschen. Mehmeds Wunsch, sich dieser europäischen Völkerfamilie zuzugesellen, ja an deren Spitze zu treten, wiesen freilich gelehrte Lateiner sofort zurück. Diese beklagten den Verlust Konstantinopels als einer Stadt Europas und einen Teil "unseres Vaterlandes", zu dem man die erobernden Osmanen nicht mehr zählen wollte. Der Humanist Enea Silvio Piccolomini, später als Papst Pius II. bekannt geworden, hat viel Mühe auf den Nachweis verwandt, dass "Teukrer" (Trojaner) und Türken nicht identisch seien.
Mit dem Fall von Byzanz begann sich das westliche, christliche Europa von den Türken abzugrenzen und diese von dem Kontinent auszuschließen. Die weiteren militärischen Erfolge von Mehmeds Nachfolger Süleyman dem Prächtigen, der Belgrad und Rhodos einnahm, die Ungarn entscheidend schlug (1526) und erst vor Wien scheiterte (1529), trug weiter zu der Entzweiung bei. Der deutsche Reformator Martin Luther erkannte in "dem Türken" den "Erzfeind Christi" und rief seinen Gott um Hilfe an: "Beweis dein Macht, Herr Jhesu Christ, der du Herr aller Herren bist, beschirm dein arme Christenheit, dass sie dich lob in Ewigkeit."