Einleitung
Die Situation ist festgefahren, und mit jedem Beitrag zur Thematik wird es schlimmer: Die sogenannten Islamkritiker und ihre Gegner stehen sich unversöhnlich gegenüber; ein Dialog, in dem vernünftige Argumente der einen Seite osmotisch auf die andere überwechseln könnten, ist restlos ersetzt durch Konfrontation. Dieser Eindruck wird durch die Tendenz vor allem in den visuellen Medien verstärkt, die Gäste ihrer Talkshows möglichst antagonistisch auszuwählen, statt an einem Erkenntnisgewinn, einem eventuell zu erreichenden Konsens interessiert zu sein. Die Wahrnehmung verfestigt sich aufgrund der einfachen Selbstorganisation, Vernetzung und Publikationsmöglichkeit interessierter, oft radikaler Gruppen im Internet. Das Gespräch über den Islam wird nicht aus der Mitte heraus geführt, sondern von den Rändern her: Es scheint nur ein Entweder-Oder zu geben, ein Für oder Gegen, bei dem es jeder Seite darum geht, den immer kleiner werdenden, unentschiedenen oder gleichgültigen Teil der Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen.
Diese weitgehend künstliche Bipolarität erzeugt unnötige Spaltungen und vergiftet die Atmosphäre. Auf zahlreichen Vortragsveranstaltungen zur Thematik im ganzen Bundesgebiet erlebe ich regelmäßig, mit welcher Heftigkeit die unterschiedlichen Fraktionen im Publikum aufeinander und manchmal auch auf den Dozenten reagieren. Vor allem aber lässt sich diese Bipolarität nicht aus der Sache selbst, dem Islam und den Muslimen in Europa, begründen. Jedem nachdenklichen Beobachter sollte klar sein, dass es in Islamfragen auch für Positionen zwischen den Extremen haltbare Gründe geben muss; dass bei einem bloßen Entweder-Oder zwangsläufig bedenkenswerte Aspekte zu kurz kommen müssen; dass eine vernünftige und begründbare Mittelposition (sie muss nicht in der statistischen Mitte der Meinungen selbst liegen) gerade dann vertretbar sein kann, wenn die zentrifugalen Kräfte sie zu diskreditieren suchen. Dieser Beitrag wird dem herrschenden Antagonismus vermutlich nicht entgehen. Der Versuch, Argumente gegen die Extreme zu sammeln, sei dennoch unternommen.
Wer spricht pro Islam?
Im Spektrum der Meinungen zum Islam, jedenfalls in Deutschland und Europa, fällt auf, dass von einer "Islamverherrlichung"
Eine solche, aus einer effektiven Nähe zum Islam als Religion entstandene Apologetik wäre zu unterscheiden von einer oft linksintellektuellen und politisch motivierten "Nachsicht" mit dem Islam, als deren Stammvater der palästinensisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said (1935–2003) gelten kann. In seinem Werk Orientalism (1978) stellte Said die These auf, dass das Aufkommen einer wissenschaftlichen Orientalistik, aber auch des populären Orientbildes im 19. Jahrhundert durch die kolonialen Ambitionen Großbritanniens und Frankreichs wesentlich begünstigt wurden. Besonders brisant ist Saids Feststellung, dass die Orientalistik ideologische, ja teils offen rassistische Haltungen pflegte, die wiederum von Politikern und Meinungsmachern aufgenommen wurden, um Eingriffe in den Orient zu rechtfertigen. Ein markantes Beispiel ist die von Said zitierte Aussage des britischen Orientalisten William Muirs (1819–1905): "Das Schwert Mohammeds und der Koran sind die beiden schlimmsten Feinde der Zivilisation, der Freiheit und der Wahrheit, welche die Welt je gesehen hat." Von solchen Aussagen bis zu den islamkritischen Blogs von heute lässt sich eine gerade Linie ziehen. Wenn Edward Said bis heute umstritten ist, liegt das nicht zuletzt am erschreckend langen Nachleben genau derjenigen Einstellungen gegenüber dem Orient, die er bei den vom ihm untersuchten Autoren herausarbeitet.
Problematische Aspekte des Islams werden in der von Edward Said geprägten Denkrichtung vor allem deshalb nicht oder nur selten thematisiert, weil gefürchtet wird, dass sie als Rechtfertigung für orientalistische Klischees und hegemoniale Ansprüche missbraucht werden, wie es im Kolonialismus der Fall war. Damit ist diese Denkschule bereits eine Reaktion auf dieselben abendländischen Denkmuster, die sich in der heutigen Islamkritik explizit wiederfinden. Die Islamkritik, obwohl der Terminus selbst bis dahin eher ungebräuchlich war, ist damit keineswegs eine Frucht der Anschläge des 11. September 2001, wie zu ihrer Rechtfertigung als einer Art Verteidigungsbewegung von ihren Vertretern gern behauptet wird. Die wichtigsten Werke, auf die sich die Islamkritik heute beruft, sind vielmehr vor diesem Datum erschienen: Samuel Huntingtons "Kampf der Kulturen" (1996), die Werke des amerikanischen Islamwissenschaftlers Bernard Lewis oder im deutschsprachigen Bereich die in den 1990er Jahren publizierten Werke des syrischstämmigen Politikwissenschaftlers Bassam Tibi.
Naturgemäß zählt Edward Said zu den Lieblingsfeinden der Islamkritik, die jedoch, da ihre Argumentationsmuster in die Ära vor Said zurückfallen, das eigentliche Dilemma der von Said geprägten Denkrichtung oft Post-colonial Studies genannt) nicht in den Blick bekommt: Diese am Werk Michel Foucaults geschulte Diskurs- und Machtkritik wäre nur konsequent, wenn sie neben der westlichen Diskursmacht gegenüber dem Orient auch die islamische Diskursmacht gegen alles – gemäß fundamentalistischer islamischer Deutung – Unislamische in den Blick bekommt, wie sie sich in der islamischen Geschichte ebenso findet wie in modernen wertkonservativen und fundamentalistischen Strömungen. Eine Machtkritik, die in den Verdacht gerät, parteiisch zu sein, wird unglaubwürdig und macht sich angreifbar. Sie unterminiert ihre eigene Sache.
Wenn aber gesagt wurde, dass die aktuelle Islamkritik argumentativ im prä-Edward-Said-Stadium verharrt, so ist davon eine bemerkenswerte Ausnahme zu machen. Die Islamkritik hat sich sehr erfolgreich emanzipatorische Positionen zu Eigen gemacht, die ein genuines Produkt derselben weltanschaulichen Strömungen sind, ohne die auch Said und seine Schule nicht denkbar wären, nämlich Marxismus und Postmoderne. Im Ergebnis munitionieren Feminismus
Herkunft und Verwandtschaft der Islamkritik
Wer den Begriff Islamkritik geprägt hat, ist unklar. Faktisch ist mit Islamkritik nichts anderes gemeint als die Kritik am Islam. Das Wort Islamkritik ist damit analog zu Begriffen wie Kulturkritik oder Gesellschaftskritik gebildet. Wie es Kultur-, Regime- und Gesellschaftskritiker gibt, gibt es nun auch Islamkritiker. Islamkritik zehrt vom guten Ruf des Kritischen an sich, eben von den Leistungen, mit denen etwa Kulturkritiker den gesellschaftlichen Diskurs bereichert haben.
Gegner der Islamkritik könnten den Begriff freilich als Euphemismus bezeichnen. Ob die Islamkritik für den Islam das leistet, was die Gesellschaftskritik für die Gesellschaft, die Kulturkritik für die Kultur leistet, hängt auch von ihrem Niveau ab. Es fällt aber auf, dass die Islamkritiker, mit Ausnahme der Muslime unter ihnen, sich gewiss nicht als Teilmenge des Islams begreifen (auch viele islamkritische oder sogenannte Ex-Muslime tun das nicht mehr, ähnlich wie bei uns die Kirchenkritiker oft auch keine Mitglieder der Kirchen mehr waren), während der Kulturkritiker jedoch zwangsläufig Teil der Kultur ist, die er kritisiert, der Regimekritiker Teil und Opfer der Ordnung, in der das Regime herrscht. Die Kritik eines solchen Kritikers ist damit immer auch Selbstkritik, so wie es die Kritik islamkritischer, aber sich nach wie vor zum Islam bekennender Muslime ist, oder wie es die Kirchenkritik des aus der Kirche ausgetretenen Kirchenkritikers war, sofern er die Kirche noch als Christ kritisierte und nicht etwa als Marxist. Der muslimische Islamkritiker sieht den Balken im eigenen Auge; der nichtmuslimische macht daraus den Splitter im Auge des anderen. Halten wir fest: Nichtmuslimische Islamkritik kostet den Kritisierenden nichts und tut ihm nicht weh.
Unabhängig davon wird die Islamkritik von ihren Gegnern inzwischen oft mit Antisemitismus und Rassismus verglichen.
Vergleichbare Positionen finden sich heute unter den Islamkritikern gegenüber den Muslimen und prägten unter anderem Diskussionen um die Aussage des Bundespräsidenten Christian Wulff vom 3. Oktober 2010, "auch der Islam gehört zu Deutschland".
Islamkritik ist nicht ursprünglich Rassismus. Aber sie ist rassistischen Empfindungen gegenüber anschlussfähig. Das macht sie angreifbar, zumal kaum einer ihrer namhaften Vertreter dies als Problem empfindet und thematisiert. Es gehört zum Charakteristikum der Islamkritik, dass sie sich gegenüber ihren schmuddeligen Rändern nicht entschieden abgrenzt.
Was leistet Islamkritik?
Man säße einer Illusion auf, wenn man glaubte, man könnte die islamkritischen Thesen mit Hilfe schierer islamwissenschaftlicher Sachkenntnis in wahre und falsche Behauptungen aufteilen und dergestalt eine sachliche Auseinandersetzung in die Wege leiten, die zu fundierten Aussagen über den Islam und die Muslime käme. Es ist naiv, anzunehmen, man könnte Islamkritiker "überzeugen" oder zu einer Revision oder Abmilderung ihrer Ansichten bewegen.
Dies gilt mindestens für den harten Kern der Islamkritik einschließlich ihrer medialen Protagonisten. Wer unter den Islamkritikern seine Ansichten revidiert, abmildert oder weniger absolut setzt, hat damit zu rechnen, selber wieder von der Islamkritik angegriffen zu werden, wie ich es weiter unten am Beispiel des Politikwissenschaftlers Hamed Abdel-Samad zeige.
Trifft aber diese Behauptung über die Unverbesserlichkeit des Kerns der Islamkritik zu, wird sie doch durch die Tatsache entwertet, dass die Islamkritiker von ihren Gegnern dasselbe behaupten. Eine Beschreibung der Islamkritik, ebenso wie eine Auseinandersetzung mit ihr, die über Tatsachen oder Tatsachenbehauptungen geführt wird, dürfte deshalb zu keinem Ergebnis kommen. In seiner anti-islamkritischen Streitschrift "Die Panikmacher" lässt sich Patrick Bahners, Feuilletonchef der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), auf Diskussionen über die Natur des Islams meistens gar nicht erst ein. Er hinterfragt vielmehr die immanente Schlüssigkeit islamkritischer Thesen und analysiert ihre rechtlichen und weltanschaulichen Implikationen. Sie dem Publikum bewusst zu machen, wie Bahners es tut, bedeutet, die Frage zu stellen, ob wir – das Publikum – diese Konsequenzen wirklich wollen oder nicht. Dem liegt das Kalkül zugrunde, dass womöglich mehr Menschen islamkritische Thesen übernehmen als bereit wären, deren Implikationen gutzuheißen, wenn sie offen zutage treten.
Islamkritische Behauptungen sind, obwohl sie in Form von Wirklichkeitsaussagen daherkommen, in aller Regel verkappte (negative) Werturteile. Ihre Evidenz beziehen sie eben nicht aus der dem Durchschnittspublikum ohnedies weitgehend unbekannten Sache des Islams, sondern dadurch, dass sie mit bewusst oder unbewusst bereits vorhandenen Werturteilen über den als oft fundamental fremde Kultur begriffenen Islam harmonieren. Islamkritische Urteile sind nicht richtig oder falsch und müssen sich nicht an der Wirklichkeit messen lassen. Sie müssen in den Ohren des Publikums nur richtig klingen. Sie klingen aber fast immer richtig, aus dem einfachen Grund, dass sie einer Selbstversicherung und Selbstvergewisserung ex negativo dienlich sind. Jeder islamkritische Satz hält eine implizite Aufwertung aller derjenigen Teile des Publikums bereit, die sich nicht zum Islam rechnen, die keine Muslime sind oder sich, wie etwa dezidiert säkularisierte, nicht mehr als solche begreifen. Der semantische Wert islamkritischer Sätze liegt nicht in ihrem Gehalt, sondern in ihrer Bereitschaft zum Urteil.
Anhand eines vielzitierten islamkritischen Satzes sei das aufgezeigt. "Der Islam will die Welteroberung"
Wiewohl unsachlich, hat der Satz von den islamischen Welteroberungsgelüsten spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine große gefühlte Evidenz. Er entwirft den Islam als Weltschurken, als Gegenteil eines idealisierten friedlichen Christentums, das zur Identifikation einlädt. Auch unabhängig vom Christentum hält die große Mehrheit der Bundesbürger – anders als ihre noch für das "Tausendjährige Reich" kämpfenden (Ur-)Großväter – ein Welteroberungsstreben vermutlich für verwerflich. Gelingt es nun, ein solches Bild des Islams medial weithin zu verbreiten, wird sich jeder, der sich für einen rechtschaffenen Bundesbürger hält und diesem Bild glaubt, vom Islam abgestoßen fühlen. Zugleich ist er in den billigen Genuss einer genuinen moralischen Empfindung gekommen, einer moralischen Empfindung, die unsere überkomplexe Gesellschaft selten gewährt: Für einmal ganz sicher zu wissen, was richtig beziehungsweise falsch ist: die Welteroberung. Also der Islam.
Die Leistung des islamkritischen Diskurses besteht weniger in seinen Erkenntnissen über den Islam als vielmehr in der Schaffung einer hohen Anzahl moralischer Urteile sowie emphatisch für die eigene Sache reklamierter Werte. Islamkritik dient zur Selbstbesinnung. Dagegen wäre nicht das geringste einzuwenden, täte sie dies nicht auf Kosten einer in Europa minoritären Gruppe von Menschen, die man auch auf globaler Ebene kaum zu den Gewinnern der vergangenen zwei bis drei Jahrhunderte zählen kann. Mit anderen Worten: Die Selbstbesinnung eines militärisch, ökonomisch und kulturell überlegenen "Abendländers" findet auf Kosten der Verlierer der Geschichte statt. Zumindest ist dies nicht sehr christlich. Ob es von weltlicher Weisheit kündet, wird sich zeigen.
Die Islamkritik begründet mit der Ablehnung des Islams das Axiom eines komplexen Systems von Werten und Weltanschauungen. In simpler Syllogistik folgt aus dieser Ablehnung alles Weitere, und alles Weitere folgt aus der Ablehnung des Islams: Weil der Islam schlecht ist, so die Logik, ist er unvereinbar mit dem, was nach unserer Auffassung gut ist: Demokratie, Freiheit, Individualität, Gleichberechtigung, Aufklärung und was einem einfallen mag; wenn aber der Islam unvereinbar ist mit Demokratie, Freiheit, Aufklärung, dann kann er nur schlecht sein. Die vollendete Tautologie dieser Schlussfolgerungen erschließt sich leicht. Mit dem in Historie und Theologie nachweisbaren Islam haben sie längst keinen Konnex mehr.
Um zu seinen Bewertungen zu kommen, muss der Islamkritiker davon ausgehen, dass der Islam seinem Wesen nach durch alle Zeit weitgehend mit sich selbst identisch geblieben ist, also 1400 Jahre lang und in einem geografischen Raum, der den halben Erdball umfasst. Der Islam wäre das beständigste mit sich selbst identische kulturelle System der Weltgeschichte: ein Wunder. Nehmen wir die Islamkritik ernst, müssen wir an Allah glauben. Freilich, kaum jemand außerhalb ihres harten Kerns und ihrer lautesten Fürsprecher nimmt die Islamkritiker in allen ihren Annahmen und Befürchtungen ernst. Aber ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung, wie wir sie aus Leserbriefen und Umfragen kennen, und ein noch beträchtlicherer Teil unter Politikern, Berufsbeamten und Intellektuellen übernimmt mit der einen oder anderen Variation zentrale Thesen der Islamkritiker.
Im harmlosesten Fall verdirbt die Islamkritik damit die Stimmung zwischen Alteingesessenen und Zugewanderten im Land. Im schlimmsten Fall lässt sie sich als Rechtfertigung zum Mord verstehen.
Demokratisierungsversuche in der islamischen Welt
Die keinem Beobachter entgehende krisenhafte Situation in den meisten islamischen Ländern, die seit Jahrzehnten bestehende Verstocktheit des religiösen Denkens in der islamischen Welt, die prekäre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Lage vieler Muslime im Westen munitioniert den Islamkritiker mit schwer zu widerlegenden Argumenten über die Minderwertigkeit des Islams. Je prekärer die Lage des Islams und der Muslime wird, desto bessere Argumente hat er an der Hand. Die offenbar aus einem politischen Partizipationswillen, sprich demokratisch inspirierten Revolutionen in Tunesien und Ägypten Anfang dieses Jahres bringen die Islamkritiker in Verlegenheit.
Angesichts dessen, was der islamkritischen Ideologie gemäß nicht sein darf, beeilen sie sich, ihr angelerntes Wissen zu bekräftigen: "Der Islam war von Anfang an eine Einheit von Religion und staatlicher Herrschaft. Demokratie setzt aber die Trennung der beiden Bereiche voraus, die es dort nirgendwo gibt. Und wenn wir uns schon im Westen heute – lange nach der Epoche der Aufklärung – verzweifelt fragen, warum es nicht mehr mündige, rational denkende Menschen als Basis von Politik und Gesellschaft gibt, wie soll dann im Islam 'Demokratie' entstehen, wo sogar ein Beginn der Aufklärung noch aussteht", so hieß es in einem Leserbrief an die FAZ am 5. Februar 2011 zu den Protesten in der arabischen Welt. Das ist in etwa die Unterstützung, welche die arabischen Demokraten sich vom Westen erhoffen. "Wahrscheinlich kann eine reife Demokratie nur auf Basis des christlichen Menschenbildes entstehen und bestehen", ergänzt auf derselben Leserbriefseite ein weiterer Kommentar. Ob Aufklärung oder Christentum für die Demokratie sorgen, ist letztlich gleichgültig: Hauptsache, wir sind es, nicht die Muslime. Islamkritiker müssen auf das Scheitern aller Demokratisierungsversuche in der islamischen Welt hoffen, andernfalls geriete ihr Weltbild in die Brüche.
Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad, bis vor kurzem noch ein beliebter muslimischer Gewährsmann der Islamkritiker, löste in Teilen seiner Leserschaft beträchtliche Irritationen aus, als er nach dem Anschlag auf einen koptischen Gottesdienst im Januar 2011 in Alexandria die durch die Mubarak-Diktatur angestaute Frustration eine der Ursachen des Terrorismus nannte.
Eine der ersten Leserreaktionen lautete unverblümt, dass dies Augenwischerei sei. Solange man nicht erkenne, dass der Islam die Anbetung des Bösen an sich sei, sei alles andere ein Herumdoktern an Symptomen.
Dass der islamische Fundamentalismus, zumal der gewaltbereite, eine große Herausforderung darstellt, wird nur ein Narr leugnen. Die Auseinandersetzung mit diesem Fundamentalismus, gleich ob gewaltbereit oder nicht, ist auf allen Ebenen zu führen, wobei der größte Verbündete des Westens die Muslime selber sind. Sie vor allem leiden unter dem islamistischen Terror und der fundamentalistisch begründeten Beschneidung elementarer Rechte dort, wo der Islamismus staatstragend ist: unter allen islamischen Ländern übrigens gegenwärtig in Iran und Saudi-Arabien. Wenn die Gefahren des politischen Islams aber so groß sind, wie die Islamkritik behauptet, schiene es doch angeraten, nicht nur Iran, sondern auch Saudi-Arabien, den Hauptförderer der sunnitisch-fundamentalistischen Mission, politisch und wirtschaftlich zu isolieren. Aber wenn es ums Geld geht, setzt auch beim Islamkritiker der Realismus ein: So groß erscheint ihm die Gefahr dann doch nicht, dass ihm ein Benzinpreis von zwei Euro infolge eines Boykotts saudischen Öls politisch vermittelbar wäre.
Aufklärung des Islams
Heißt das in diesem Beitrag Gesagte, dass der Islam nicht kritisiert werden darf, die Gefühle von Muslimen sakrosankt sind oder die Probleme in der islamischen Welt nicht auch etwas mit dem Islam oder der Verstocktheit vieler seiner Vertreter zu tun haben können? Sicherlich nicht. Die Idee aber, dass die westliche Beschäftigung mit dem Islam nicht primär dem Erkenntnisinteresse dient, sondern eine Bewertung implizieren muss, mutet komisch an. Dient die Altphilologie heute noch dazu, die Antike zu bewerten? Die Kritik des Islams ist zuerst die Aufgabe der Muslime selbst, eine Aufgabe übrigens, die jedenfalls die Intellektuellen unter ihnen in großer Zahl annehmen.
Eine Beeinflussung der islamischen Theologie und Exegese, die Aufklärung des Islams, wird sich nicht, wie die Islamkritik glaubt, über lautstark erhobene Forderungen und Anwürfe vollziehen, sondern über exakte philologische Forschung.