Einleitung
Traditionell wird die Öffentlichkeit alljährlich durch die Ergebnisse von Gewerkschaftskampagnen wie dem DGB-Index "Gute Arbeit" oder auch durch Mitarbeiterbefragungen international tätiger Unternehmensberatungen mit Horrorergebnissen bei der Arbeitszufriedenheit bzw. dem Engagement der Arbeitnehmer aufgeschreckt: Laut DGB-Index "Gute Arbeit" 2010 sind 31 Prozent der Befragten "fixiert" unzufrieden, "konstruktiv" unzufrieden oder lediglich "resignativ" zufrieden. Kann das Management bei solchen Zahlen überhaupt business as usual betreiben? Um diese Frage vorweg zu beantworten: Es kann. Denn nicht nur beim Blick in das eigene Unternehmen oder auf die Kollegen ist man sehr verwundert, dass angeblich alle bis auf eine kleine Minderheit höchstens Dienst nach Vorschrift leisten sollen. Diese vermeintlichen Zustandsbeschreibungen der Arbeitsqualität und der Mitarbeiterzufriedenheit in Deutschland zeichnen lediglich ein bewusst verzerrtes Bild, das den tatsächlichen Verhältnissen nicht entspricht und allen Akteuren innerhalb und außerhalb der Unternehmen Unrecht tut.
Die Fakten hingegen zeigen die Wirklichkeit: Die Beschäftigten sehen ihre Arbeitssituation positiv. Eine repräsentative Befragung von Erwerbstätigen durch Krankenkassen und Berufsgenossenschaften im Rahmen der Initiative Gesundheit und Arbeit (IGA) ermittelte: Fast 90 Prozent der Männer und Frauen betrachten ihre Arbeit als vielseitig und abwechslungsreich und finden, dass diese ihnen Anerkennung einbringt. 79 Prozent der Männer und 87 Prozent der Frauen meinen, ihre Arbeit halte sie fit.
Warum gibt es aber in der öffentlichen Diskussion das Bestreben, nur die negativen Aspekte von Arbeit bzw. der Arbeitsbedingungen herauszustellen und stets belastungs- und risikoorientiert zu diskutieren? Positive Aspekt der Arbeit hingegen werden kaum thematisiert. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Beobachtung von Lawrence Kersten, einem ehemaligen Professor für Kommunikation und heutigem Manager, der - auf das Beispiel der USA bezogen - konstatiert, dass die Arbeitsbedingungen zwar immer besser werden, die Zufriedenheit der Mitarbeiter dennoch teilweise rückläufig sei. Kersten schlussfolgert, dass "Enttäuschungen und Unzufriedenheit (...) sich vermeiden [ließen], wenn Angestellte weniger überzogene Ideale bezüglich ihrer Arbeit pflegten".
Neue Herausforderungen
Bei der Diskussion um eine neue Kultur der Arbeit muss folgendes zur Kenntnis genommen werden: Die Unternehmen in Deutschland stehen auf dem Weg in eine wissensbasierte Dienstleistungsgesellschaft vor tiefgreifenden Veränderungen. Jedes Unternehmen hat dabei eine spezifische Ausgangsposition und somit zwangsläufig andere Strategien der Bewältigung. Gleichwohl müssen aber nahezu identische Herausforderungen des globalisierten und damit hoch intensivierten Wettbewerbs, der demografischen Entwicklung oder des Einflusses neuer Informationstechnologien gemeistert werden, um den wirtschaftlichen Erfolg und damit den Fortbestand am Markt nachhaltig zu sichern. Die genannten Entwicklungen machen eines deutlich: Das Verständnis von Arbeit bzw. der Organisation von Arbeit muss sich den veränderten Rahmenbedingungen anpassen.
Verschiedene Initiativen der Politik und insbesondere der Gewerkschaften scheinen auf die Frage, wie den Herausforderungen begegnet werden kann, eine scheinbar simple Antwort gefunden zu haben: Man "erhöhe" einfach die Qualität der Arbeit (insbesondere die Gewerkschaften beanspruchen hier die alleinige Deutungshoheit darüber, was Arbeit "gut" macht), dann werden zufriedene Mitarbeiter hervorragende Produkte und Dienstleistungen an glückliche Kunden verkaufen. Jeder Personalverantwortliche weiß selbstverständlich: Die Unternehmensrealität ist wesentlich komplexer, und auf komplexe Fragen können nicht immer einfache Antworten gefunden werden. Unternehmen müssen im Spannungsfeld von Kapitalgebern, Arbeitnehmern, Kunden und Gesellschaft agieren, was zwangsläufig auch zu Zielkonflikten führen kann, so dass der "humanste Arbeitsplatz (...) nichts wert [ist], wenn er in einer konjunkturell schwierigen Situation wegen zu hoher Kostenbelastung aufgegeben werden muss".
Das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) greift bei der Diskussion um Arbeitszufriedenheit und Mitarbeiterengagement das aus dem angloamerikanischen Raum stammende Konzept des High Performance Workplace (HPWO) auf. Charakteristika sind unter anderem flache hierarchische Strukturen, job rotation und multi tasking am Arbeitsplatz oder die stärkere Nutzung horizontaler Kommunikationsstrukturen, mit dem Ziel, die notwendige Innovationsfähigkeit und Flexibilität in einer dynamischen Unternehmensumwelt zu erhalten bzw. zu erhöhen.
Eine 2008 veröffentlichte Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) untersucht den Zusammenhang von Unternehmenskultur, Arbeitsqualität, Mitarbeiterengagement und Unternehmenserfolg.
Die BMAS-Studie ermittelte jedoch bei aller Zufriedenheit mit der Arbeit zugleich auch einen Anstieg des erlebten Arbeitsstresses. Nicht untersucht wurde dabei allerdings die Bedeutung des individuellen Lebensstils im Zusammenhang mit dem Erleben von Stress bei der Arbeit. Der Anstieg des subjektiv empfundenen Stresses kann somit nicht ursächlich der vorgefundenen Unternehmenskultur zugerechnet werden. So verweist die Lehrerstudie 2006 der Universität Potsdam beispielsweise darauf, dass die Belastung von Lehrern auch die Folge einer falsch getroffenen Berufswahl ist. Eine große Zahl der Lehramtsstudenten und Referendare ist den psychischen Anforderungen des von ihnen gewählten Berufes überhaupt nicht gewachsen. Somit führen weniger der Unterricht und die aktuellen Arbeitsbedingungen zu psychischen Problemen oder Erschöpfung, sondern vielmehr Persönlichkeitsmerkmale. Dementsprechend bleibt den Unternehmen im Falle mangelnder persönlicher Eignung für den gewählten Beruf eine nur kleine oder überhaupt keine Einflussmöglichkeit, über die Unternehmenskultur oder die Arbeitsbedingungen die individuelle Arbeitszufriedenheit zu erhöhen.
Deutlich wird, dass teilweise Erwartungshaltungen abgefragt werden, die mit der betrieblichen Realität in nahezu keinem Zusammenhang stehen und so auch nicht betriebswirtschaftlich sinnvoll zu realisieren sind. So ist aufgrund eines zu bewältigenden Auftrags- oder Arbeitsvolumens ein selbstbestimmter Überstundenausgleich und damit totale Zeitsouveränität nicht immer möglich, auch im Hinblick auf andere Kollegen, die dies sonst kompensieren müssten. Weiterbildung und Personalentwicklung sind ohne Frage wichtig, sind aber eben nicht allein Aufgabe der Führungskraft - vielmehr bedarf es auch der Eigeninitiative des Einzelnen, seine Arbeitsfähigkeit durch Weiterbildung zu erhalten. Die genannten Beispiele zeigen, dass die Qualität der Arbeitsplätze oft vollkommen realitätsfern thematisiert wird.
Ein weiteres Paradoxon: Das Geva-Institut ermittelte 2007 bei internationalen Mitarbeiterbefragungen zur Zufriedenheit, beruflichen Einstellung und zum bevorzugten Führungsstil, dass deutsche Arbeitnehmer eher "Alpha-Typen" in Führungspositionen präferieren, und sie Durchsetzungsstärke und Entschlusskraft erwarten. Gleichwohl erfordert "Gute Arbeit" laut DGB-Index aber absolute Entscheidungssouveränität darüber, wann und wie viel Arbeit jemand leistet. Dieser Widerspruch wird in den Unternehmen schwer aufzulösen sein.
Subsumierend lässt sich festhalten: Vor dem Hintergrund der differenzierten Ergebnisse der einzelnen Studien wird deutlich, dass allgemeingültige Aussagen hinsichtlich "Guter Arbeit" oder "guter Arbeitsbedingungen" kaum möglich sind, und dass die Frage von Erwartungshaltungen und objektiven Kriterien dabei sorgfältig zu prüfen ist. Jedweden Normierungs- oder Regulierungsversuchen ist daher eine Absage zu erteilen. Nur im unternehmensindividuellen Kontext kann es gelingen, Arbeit so zu gestalten, dass Bedarfe des Unternehmens und Bedürfnisse der Mitarbeiter betriebswirtschaftlich sinnvoll in Einklang gebracht werden können. Und nur dies trägt dann auch zum unternehmerischen Erfolg bei.