Einleitung
Die Lebensbedingungen in einer Gesellschaft sind davon geprägt, wie Arbeit organisiert ist. Seit der Umwälzung von Produktionsmethoden durch den industriell-technischen Fortschritt und seit der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft in Europa ist menschliche Arbeit ins Zentrum gesellschaftspolitischer Aufmerksamkeit gelangt:
Wirtschaftswachstum wurde zum Credo nationaler Wirtschaftspolitiken, ohne dass gleichzeitig auf ein Qualitätswachstum der Arbeitsbedingungen oder auch auf geeignete Maßstäbe für Wohlfahrt geachtet wurde. Dass die verwendete Arbeitskraft unabdingbar mit der Person der Arbeitenden verbunden ist, deren Menschenwürde zu schützen ist, wurde erst in historischen Kämpfen für Arbeits- und Sozialschutz zu einer weithin geteilten Einsicht. Mit der Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization, ILO) nach dem Ersten Weltkrieg 1919 wurde diese Einsicht institutionalisiert; sie kam allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg - zumindest in den hochindustrialisierten Ländern - in einem breiten wohlfahrtsstaatlichen Konsens zum Tragen.
Nach der beispiellosen Phase einer prosperierenden Wirtschaftsentwicklung in den 1960er und 1970er Jahren wurde jedoch der unterstellte Zusammenhang von nationalem Wirtschaftswachstum und Wohlstand in den früh industrialisierten, westlichen Gesellschaften auf breiter Basis erneut brüchig: Arbeitslosigkeit nahm wieder massiv zu. Die Arbeitsproduktivität wurde durch neue Technologien und Rationalisierung stark erhöht, während von einer allgemeinen Verbesserung und Überwindung entfremdender Arbeitsbedingungen nicht die Rede sein konnte. Unter Frauen, Studierenden und anderen Teilen der Gesellschaft wuchsen emanzipative Bestrebungen gegen überkommene paternalistische und autoritäre Ordnungsvorstellungen. Während der sozial-liberalen Regierung in der Bundesrepublik Deutschland (1969-1982) entstand das Aktionsprogramm zur "Humanisierung des Arbeitslebens" als Teil eines großen gesellschaftspolitischen Reformprogramms, in dem unter anderem das Arbeitsrecht (vor allem mit Blick auf das Betriebsverfassungsgesetz und das neue Arbeitssicherheitsgesetz), aber auch das Ehe- und Familienrecht reformiert wurden. Individuelle Freiheitsrechte und kollektive Mitbestimmungsrechte sollten gestärkt werden.
Universalisierte Bedeutung der Erwerbsarbeit
Die tektonischen soziokulturellen Verschiebungen im Gefüge der Gesellschaft machten sich Anfang der 1980er Jahre durch eine auffällige Ungleichzeitigkeit bemerkbar: Während auf Soziologie-Kongressen mit Verweis auf Hannah Arendts Kritik an der Gesellschaft von Jobholders, denen die Arbeit ausgeht,
Im Zuge dieser Entwicklung hängen mehr als je zuvor der persönliche Unterhalt und Wohlstand, Sozialschutz im Fall von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit, gleichberechtigte Bürgerschaft und das Selbstwertgefühl der einzelnen Menschen von der Einbeziehung in den monetarisierten Tauschzusammenhang ab. Durch diese gesellschaftliche Zentrierung auf Erwerbsarbeit in Verbindung mit kultureller und institutioneller Enttraditionalisierung geraten andere wichtige Tätigkeiten, ohne die eine Gesellschaft nicht bestehen kann, unter Druck, so vor allem die bisher von Frauen erbrachten unbezahlten Sorgetätigkeiten für Angehörige, Kinder, Kranke und Alte. Von einer Universalisierung solcher Tätigkeiten kann also keineswegs gesprochen werden, trotz Elterngeld, Pflegegeld und Familienaudits für Unternehmen, welche die Angehörigenbetreuung und Pflege für Frauen und Männer ermöglichen sollen. Zum Teil werden diese Tätigkeiten fürsorglicher Praxis professionalisiert, vermarktlicht und transnationalisiert. Für manche Sorgetätigkeiten, besonders in den Herkunftsländern der oft in diesem Bereich tätigen Migrantinnen, gibt es aber keinen Ersatz mit entsprechend problematischen Folgen.
Doppelter Transformationsprozess
Die Struktur der Erwerbsarbeit selbst ist in Deutschland seit 1990 durch einen doppelten Transformationsprozess
Was im Rückblick in West und Ost als fordistisches Produktions- und Regulationsregime beschrieben wurde,
Mit Blick auf Freiheitsspielräume, Abwechslungsreichtum sowie Kooperations- und Lernchancen bei der Arbeit waren die Arbeitsbedingungen aber sehr unterschiedlich. Produktionstätigkeiten in der verarbeitenden Industrie waren durch die Prinzipien tayloristischer Arbeitsvorgaben bestimmt, das heißt durch eine vom Management durchgesetzte Abspaltung aller planerischen von ausführenden Tätigkeiten, mit der Folge minutiös vorgegebener Handgriffe und strikter hierarchischer Kontrolle. Prototyp solcher Arbeitsbedingungen war das Fließband. Schon in den 1960er Jahren wurden wegen der wenig menschengerechten Arbeitsbedingungen in der Bundesrepublik willige Arbeitskräfte im Ausland gesucht. Wer gleichwohl aus Deutschland in der industriellen Produktion von Massenkonsumgütern, zum Beispiel von Autos, tätig war, kam vielfach aus Ausbildungsberufen und kleinen Betrieben (Kraftfahrzeugmechaniker, Koch, Frisörin u.a.); bei diesem Wechsel wurden deutlich höhere Löhne oder familiengerechtere Arbeitszeiten, aber auch Arbeitsplätze eingetauscht, die als schwer, monoton, freiheitsberaubend und kränkend erlebt wurden. Eine Arbeiterin beschrieb dies im Rückblick auf die ersten Abende, nachdem sie ihren alten Arbeitsplatz als Fleischfachverkäuferin mit einem Platz am Montageband in einem Automobilwerk getauscht hatte, folgendermaßen: "(...) hab mich aufs Sofa gesetzt und habe nur geheult".
Während die betriebliche Sozialordnung in kleinen und mittelgroßen Unternehmen weiterhin durch sehr unterschiedliche Ausgestaltungen des Verhältnisses von Kooperation und Konflikt zwischen Belegschaft und Unternehmer geprägt blieb,
Die fordistische Formation erodierte in der Folge von Absatzkrisen durch die Sättigung der Märkte für dauerhafte Konsumgüter, von neuen Konkurrenten auf dem globalen Warenmarkt, der Deregulierung der Finanzmärkte und der Ausbreitung neuer Technologien wie der Mikroelektronik. Als neoliberale Wirtschaftspolitik zur vorherrschenden Leitperspektive wurde, begannen Unternehmen eine Politik der Dezentralisierung und Transnationalisierung. Die Politik setzte in den Gemeinwesen auf die Privatisierung bisher staatlich organisierter Handlungsfelder; es zerbrach der sozialstaatliche Konsens in den europäischen Industrieländern.
Produktion und Dienstleistungen großer westlicher Konzerne wurden in sogenannten globalen Wertschöpfungsketten dezentralisiert, also nach Maßgabe von Kostenminimierung und profitorientierten Investitionsimperativen auf Standorte an völlig verschiedenen Orten der Welt verlagert (outsourcing/insourcing), zurückverlagert oder auch aufgegeben (disinvestment). Hatte Henry Ford den Ehrgeiz gehabt, möglichst alle Bestandteile seiner Autos in eigenen Fabriken zu produzieren, so lautet die Devise in der postfordistischen Ära, alle Produktions- und Dienstleistungsprozesse dorthin auszulagern, wo sie billiger einzukaufen sind. Relativ hohe Löhne hatten im Fordismus dazu beitragen sollen, dass die neuen dauerhaften Konsumgüter von den Beschäftigten, die sie produzierten, selbst erworben werden konnten. Demgegenüber geht es jetzt den Firmen darum, Marktanteile durch möglichst billige Produkte (wieder) zu erobern. Das beinhaltet die Nutzung der billigsten Arbeitskraft, in den neuen Herkunftsländern der Produkte ebenso wie in Deutschland. Entsprechend gewannen auch neue Verkaufsstrategien und flexibilisierte Beschäftigungsverhältnisse im Einzelhandel an Boden.
Viele Unternehmen investierten überdies einen Teil ihrer Gewinne in spekulative Geschäfte, weil die sogenannten neuen Finanzinstrumente in einem deregulierten Finanzmarkt sehr viele höhere Rendite versprachen als realwirtschaftliche Prozesse. Diese spekulativen Transaktionen haben trotz einiger Neuregulierungen angesichts der Weltfinanz- und Wirtschaftskrise seit 2008 auch heute wieder Konjunktur. In den Wirtschaftsmedien mehren sich kriegerische Ausdrucksweisen wie "feindliche Übernahme" ebenso wie Bilder von Katastrophen biblischen Ausmaßes ("Heuschreckenplage"). Tatsächlich hat sich die existenzielle Abhängigkeit von den Volatilitäten (Schwankungsbreite der Wertpapierkurse) des Weltfinanzmarkts für viele Beschäftigte auch hierzulande erhöht und angesichts des verminderten Sozialschutzes zu weit verbreiteten Unsicherheitsgefühlen beigetragen.
In den Gemeinwesen hat die Politik der Privatisierung zur Umwandlung von Behörden in Unternehmen und zu umfassenden Strategien der Ökonomisierung geführt. Verbunden war dies mit einem Abbau der öffentlichen Beschäftigung und der Einführung neuer Managementstrategien auch in Organisationen für soziale Dienstleistungen. Die Idee, möglichst überall wenig regulierte Marktprozesse einzuführen, setzte sich auf breiter Front durch: In der Arbeits- und Sozialpolitik ging sie mit der Tendenz einher, die hohen Arbeitslosenquoten und Staatsausgaben durch Flexibilisierung und (Re-)Kommodifizierung von Arbeitskraft zu senken: durch eine Senkung der Zumutbarkeitsschwellen für angebotene Arbeit, durch Kürzung des Arbeitslosengeldbezugs und durch Anreize für atypische Beschäftigungsformen. Zu Letzteren gehören befristete Beschäftigung, sozial versicherte Teilzeit ohne existenzsicherndes Einkommen, geringfügige Beschäftigung, Leiharbeit und Alleinselbstständigkeit. Alle diese Beschäftigungsformen sind mit einem größeren Risiko mit Blick auf Einkommen, Sozialschutz, Mitsprachemöglichkeiten und Arbeitsbedingungen verbunden, mit weniger arbeitsrechtlichem Schutz und prekären Lebensbedingungen.
Die Flexibilitätsanforderungen, denen sich Unternehmen durch neue Marktverhältnisse ausgesetzt sehen, sind an die Beschäftigten in Gestalt von externen (atypische Beschäftigungsformen) und internen (Arbeitszeitflexibilisierung, neue Managementstrategien) Flexibilisierungsstrategien weitergegeben worden. Grundlegende Veränderungen der Erwerbsarbeit finden sich daher in der postfordistischen Formation in dreifacher Hinsicht: erstens bei flexiblen Beschäftigungsformen, zweitens bei organisationsinternen Vermarktlichungsprinzipien innerhalb der Unternehmen und drittens bei Anforderungen an das Engagement der Beschäftigten.
Flexibilisierung der Beschäftigung
In Deutschland ist es seit den unter dem Namen "Hartz-Gesetze" bekannt gewordenen Reformen am Arbeitsmarkt zwar zu einem Abbau der registrierten Arbeitslosigkeit gekommen, aber bis heute nicht zu einem nennenswerten Anstieg der existenzsichernden, sozialversicherten Vollzeitbeschäftigung, welche die Referenzfolie für die Regelungen im Sozialschutz bildet. Trotz eines leichten Wiederanstiegs aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung vor der Finanzkrise im Jahre 2008 konnte weder der Anteil des Jahres 2001 noch der Anteil von 1994 wieder erreicht werden.
Teilzeitarbeit findet sich besonders häufig unter Frauen. Auch im EU-Durchschnitt (der 27 Länder) haben nach Eurostat-Daten nur 8 Prozent der Männer eine Teilzeitbeschäftigung, aber 31 Prozent der erwerbstätigen Frauen, wobei die Niederlande mit 75 Prozent und Deutschland mit 46 Prozent der beschäftigten Frauen einen besonders hohen Anteil aufweisen. Dabei ist nicht nur die Teilzeitquote für sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für Frauen höher, auch die Quote sogenannter geringfügiger, nicht sozialversicherter Beschäftigung ist stark gestiegen. In keinem Land der EU findet sich im Übrigen (unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Zahl der Arbeitsstunden) eine so ausgeprägte Einkommensungleichheit zwischen den Geschlechtern wie in der Bundesrepublik Deutschland.
Von Bedeutung ist zudem - allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau - die Zunahme der Leiharbeit, auch Zeitarbeit genannt, die zwischen 1994 und 2008 auf knapp 3 Prozent stieg. Die starke Zunahme ist durch Veränderungen im entsprechenden Gesetz geprägt wie die Aufhebung des besonderen Befristungsverbots, des Synchronisationsverbots (das heißt des zeitlichen Zusammentreffens des Arbeitsvertrags bei der Zeitarbeitsfirma mit der Auftragsdauer bei der Kundenfirma) sowie des Wiedereinstellungsverbots. In der Krise wurden diese Menschen als Erste arbeitslos; im Konjunkturaufschwung greifen Unternehmen jetzt vermehrt auf Leiharbeit als externe Flexibilisierungsstrategie zurück. Für die Beschäftigten (meist Männer) ist also Leiharbeit mit großer Unsicherheit verbunden, aber auch mit bedeutenden Lohneinbußen - deshalb die gewerkschaftliche Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit im selben Betrieb.
Auch die Quote befristeter Beschäftigung ist zwischen 1992 und 2009 von 10,5 Prozent auf 14,5 Prozent gestiegen. Der entsprechende Anteil bei neuen Beschäftigungsverhältnissen wuchs im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts gemäß den vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung erhobenen Betriebspanel-Daten sogar von 32 Prozent auf 47 Prozent. Bei Akademikern stieg der Anteil auf über 40 Prozent.
Neue Organisationskonzepte
Innerhalb der Unternehmen setzen sich zunehmend neue Managementstrategien und Konzepte der Arbeitsorganisation durch. Dazu gehört vor allem eine organisationsinterne (Quasi-)Vermarktlichung der Beziehungen zwischen Abteilungen, die - nach ökonomischen Vorgaben des Managements - zu wirtschaftlich eigenverantwortlichen "Centern" gemacht werden. Dazu gehört zudem eine neue betriebliche Leistungspolitik, in der von den Beschäftigten persönliches Engagement gefordert ist, aber das Entgelt sich weniger am Arbeitsaufwand als am ökonomischen Erfolg des Unternehmens bemisst.
Allerdings stärkt die Dezentralisierung der Unternehmen auch organisatorische Zentrifugalkräfte, denn sie schafft bei den Beschäftigten Anreize, vorrangig den eigenen Bereich im Blick zu haben. So zeigt eine Untersuchung im kommunalen Nahverkehr, dass Kooperationsprobleme und von Misstrauen geprägte Beziehungen in den Unternehmen zunehmen, wenn beispielsweise der Aufwand für notwendige Reparaturen von Fahrzeugen, mit der ein Center "Fahren" ein Center "Service" beauftragt, zu gering veranschlagt wird, um so die Kosten des eigenen Centers niedrig zu halten.
Im industriellen Entwicklungs- und Forschungsbereich, besonders im IT-Sektor, erfordern die projektförmigen Arbeitsaufgaben in globalen Strukturen oft zeitversetzte Kooperationsnotwendigkeiten und damit verbundene, entstandardisierte Arbeitszeiten; der Aufwand an (formal nicht anerkannter) "Interaktionsarbeit" steigt, weil durch persönliche Kommunikation die digital übermittelten, kontextlosen Informationen wieder aufgabengerecht einzubetten sind. In der jüngeren IT-Branche, die mit dem Versprechen auf eine neue Ökonomie mit ganz anderen Arbeitsbedingungen startete, ist dies mit einem postindustriellen Leistungsdiskurs verbunden, in dem die industriegesellschaftlich gebildeten Maße für Arbeitszeiten unter dem Gesichtspunkt selbstbestimmter Arbeit verworfen wurden: Zielvereinbarungen und Vertrauensarbeitszeiten ersetzen externe Kontrolle durch persönliches Engagement und Druck, den sich die Beschäftigten selbst machen.
Vom Störfaktor zur Anforderung
Die (Quasi-)Vermarktlichung organisationsinterner Kooperation und Koordination ist in den neuen Managementstrategien mit einem veränderten Blick auf die Subjektivität der Arbeitenden verbunden. In der traditionellen, von Industriearbeit geprägten Arbeitskultur wurde die Subjektivität der Beschäftigten als vermeintlicher Störfaktor in der Produktion ignoriert oder unterdrückt.
Problematisch ist dieser subjektive Interessenausgleich besonders dann, wenn in einer von Unsicherheitszonen geprägten Situation widersprüchliche Arbeitsanforderungen zu bewältigen sind, und zwar unter dem Vorzeichen selbstbestimmter Arbeitsausführung: In der IT-Branche als Hightech-Bereich kann beispielsweise die vom eigenen Unternehmen verlangte und mit dem Kunden vertraglich fixierte Termintreue bei ausgehandelten Preisen für die zu liefernden Produkte - deren Herstellungszeit jedoch immer nur ungenau vorgeplant werden kann - mit dem Eingehen auf Kundenwünsche oder mit dem persönlichen Anspruch auf die professionelle Qualität kollidieren. Konfliktbewältigung und Überstunden sind Quellen von Stress und psychischer Belastung, es sei denn, es ist möglich, die vorgegebenen Rahmenbedingungen für die Aufgaben im Unternehmen zu thematisieren und durch Verhandlungen zu verändern.
Im Pflegebereich als Hightouch-Bereich finden sich entsprechende Problemlagen in ökonomisierten Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen.
Sogenannte Emotions- oder Gefühlsarbeit, also die Kontrolle sowohl der eigenen Emotionen als auch der Gefühlslage der Klienten/Kunden im Sinne des Arbeitsauftrags, gehört zu den sich ausbreitenden Anforderungen im Rahmen vieler Dienstleistungstätigkeiten, sei es im Verkaufsgeschäft oder im Gesundheitsbereich. Bei dieser Anforderung gibt es eine Gratwanderung, welche die psychische Gesundheit der Beschäftigten betrifft, und eine moralische Dimension sowohl mit Blick auf die Klienten als auch auf die Beschäftigten: Denn es werden hier Grundvoraussetzungen für menschliche Kommunikation als einem Medium für Verständigung und für seelische Authentizität berührt.
Es darf nicht verkannt werden, dass die gegenwärtige Arbeitswelt durch sehr große Unterschiede gekennzeichnet ist: Nach wie vor finden sich Arbeitssituationen ohne Freiheitsspielräume, unter strikter Fremdkontrolle und mit schwerer körperlicher, oft eintöniger Arbeit, sei es in der industriellen Produktion, im Handwerk oder bei den Dienstleistungstätigkeiten, die als wenig qualifiziert gelten: im Einzelhandel, in der Fast-Food-Branche oder der Reinigungsbranche.
Hier wären nun die Institutionen des überbetrieblichen Sozialschutzes und des betrieblichen Arbeitsschutzes besonders gefordert. Genau diese Institutionen und ihre Kontrollmöglichkeiten verlieren aber gegenwärtig an Boden: überbetrieblich aufgrund mangelnder Regelungen zum Sozialschutz für neue Erwerbsformen und informelle Arbeit; betrieblich aufgrund flexibler Arbeitsformen und Arbeitszeiten, neuer Arbeitskulturen in neuen Branchen, die zunächst von einer jugendlichen Hochleistungskultur geprägt waren und in denen aufgrund der Ausbreitung kleiner Unternehmen eine formale Interessenvertretung der Belegschaft (Betriebsrat) nicht existiert.
Decent Work für alle?
Die Arbeitskraft ist an die Person der Menschen und deren Würde gebunden; der Arbeitsmarkt darf daher nicht als Markt wie jeder andere begriffen werden. Diese Einsicht ist schon 1919 bei der Gründung der ILO feierlich in der Verfassung der Organisation verankert worden. Seit 1999 bemüht sich die ILO mit ihrer "Agenda für Decent Work" den Fehlentwicklungen der Globalisierung im Arbeitsleben entgegenzutreten. Zu den Säulen der Decent Work-Agenda gehören Rechte bei der Arbeit, Beschäftigungsförderung, Sozialschutz und Sozialdialog.
Welche Folgen müsste es in Deutschland zeitigen? In Deutschland müsste das Politikziel Decent Work bei der Förderung produktiver Beschäftigung eine nachhaltige Arbeitsqualität anstreben, in der sich gute Arbeitsbedingungen mit guten Arbeitsergebnissen und ökologischer Sensibilität verbinden: Angesichts atypischer Beschäftigungsverhältnisse bedarf es neuer Bezugsgrößen für Sozialschutz im Falle von Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit. Das von der EU-Kommission lancierte Konzept der Flexicurity (Flexibilität und Sicherheit), so diskussionsbedürftig es noch konzeptionell sein mag, hat vor allem ein Umsetzungsproblem.
Neben diesen gesellschaftspolitischen Ansätzen müssten auf der Seite der Unternehmen Routinen für Achtsamkeit eingeführt werden, zum Beispiel durch gesicherte (Zeit-)Räume für geschützte Dialoge zur gesundheitspräventiven Thematisierung problematischer Organisationsabläufe. Viele mittelständische Betriebe konnten bekanntlich auf der Grundlage achtsamer sozialer Beziehungen auch wirtschaftliche Turbulenzen erfolgreich überstehen. Es geht um notwendige Rahmenbedingungen, damit Unternehmen wieder als soziale Erfahrungsräume und nicht vor allem als Finanzanlage wahrgenommen werden. Die Geltung des Erwerbsbürgerprinzips für Männer und Frauen macht es zudem unabdingbar, dass auch die Flexibilitätsanforderungen der nicht beruflichen Sorgetätigkeiten in der Arbeitspolitik berücksichtigt werden, damit sie mit den Flexibilitätsanforderungen der Erwerbsarbeit in Einklang gebracht werden können. Eine innovative Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft ist ohne humane Arbeitsbedingungen nicht zukunftsfähig.