Einleitung
Kaum einer politischen Ausdrucksform wird gegenwärtig mehr Aufmerksamkeit gewidmet als dem politischen Protest. Die Kundgebungen und Demonstrationen der vergangenen Monate - von Stuttgart bis Kairo - zeugen von anhaltender, ja wachsender Bereitschaft zu "kollektiver, öffentlicher Aktion", insbesondere von nichtstaatlichen Akteuren, mit der "Kritik oder Widerspruch zum Ausdruck" gebracht und die "Formulierung eines gesellschaftlichen oder politischen Anliegens" verbunden wird.
Sport im Allgemeinen - und Fußball als weltweit populärster Sportart im Besonderen - wird beträchtliches Potenzial zugeschrieben, auch nicht unmittelbar sportbezogenen Interessen als Projektionsfläche zu dienen. Es gilt nicht mehr allein die Parole, "was zählt is' auf'm Platz", sondern es sind in zunehmendem Maße Verknüpfungen von sportlichen und außersportlichen Interessen auszumachen. Waren es früher vor allem internationale Sportgroßereignisse, bei denen Diktatoren mit Hilfe erfolgreicher Olympioniken, oder Militärregierungen durch Erfolge bei Fußballweltmeisterschaften sportliche Siege in politische Zustimmung ummünzten, so hat sich das Ausmaß an Vereinnahmungsprozessen im Sport in den zurückliegenden 20 Jahren deutlich erhöht und weiter ausdifferenziert.
Zu den grundlegenden Kennzeichen von Protest gehört die Artikulation von Widerspruch, die mit der Forderung nach Wandel oder Veränderung verbunden wird, um einen Missstand zu beheben oder vor drohenden Fehlentwicklungen zu warnen. Die dabei zum Tragen kommenden Formen des Protestrepertoires variieren ebenso wie Themen, Träger und Ausmaß. Gemein ist fast allen Protesten jedoch das Bemühen, öffentliche Aufmerksamkeit zu wecken, Zustimmung zu finden und potenzielle Unterstützer für das eigene Anliegen zu mobilisieren.
Dieser Beitrag lenkt den Blick in typologischer Absicht insbesondere auf sportbezogene Protestformen und -themen. Grundsätzlich ist dabei zwischen zwei Hauptformen zu unterscheiden: Zum einen Protestereignisse, bei denen es im engeren Sinne nicht um sportliche Interessen geht, sondern bei denen der Sport vielmehr eine Projektionsfläche für politischen oder sozialen Protest darstellt, dessen Zielsetzungen mit Sport allenfalls mittelbar verkoppelt sind; zum anderen Fälle, in denen es um sportliche Interessen geht und der Anlass des Protests unmittelbar mit Sport verbunden ist.
Engagement für Menschenrechte
Das zentrale Thema von Protestanalysen im Bereich des amerikanischen Sports bildet die Wechselbeziehung zwischen Sport und schwarzen Athleten bzw. zwischen "sports and race".
Der Boykott schlug zwar fehl (unter anderem deshalb, weil die Apartheidstaaten Südafrika und Rhodesien, das heutige Simbabwe, von den Spielen ausgeschlossen wurden), aber das OPHR trat in Mexiko dennoch prominent in Erscheinung: Die beiden afroamerikanischen Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos, die beim 200-Meter-Lauf den ersten und dritten Platz belegt hatten, erschienen zur Siegerehrung ohne Schuhe; an ihren Trainingsjacken, wie auch an der des zweitplatzierten Australiers Peter Norman, heftete ein OPHR-Button. Auf dem Podest reckten Smith und Carlos ihre jeweils mit einem schwarzen Handschuh versehenen Fäuste nach oben - das Zeichen der "Black-Power"-Bewegung. Diese Geste ging nicht nur in die Olympiageschichte, sondern als Bild auch in das kollektive Gedächtnis ein. Die beiden Leichtathleten wurden danach vom US-Verband aus dem olympischen Dorf verwiesen, aus dem Nationalkader ausgeschlossen und mussten auf Fördergelder verzichten; erst Jahrzehnte später wurden sie rehabilitiert und ihr Protest als Beitrag zur Gleichberechtigung anerkannt.
Dass das Thema Menschenrechte Ende der 1960er Jahre auch zu kollektiven Protesten demonstrativer Natur führte, lässt sich insbesondere am Beispiel Südafrika zeigen. Seit Beginn der Apartheid 1948 wurde die nicht-weiße Bevölkerung in Südafrika in allen Lebensbereichen diskriminiert; auch in den Sportligen, auf Tribünen und an den Stadioneingängen wurde nach Hautfarbe getrennt. Diese Politik führte zu immer stärkerem internationalen Druck, der letztlich dazu beitrug, dass das Land Ende der 1960er Jahre in fast allen Disziplinen von internationalen Wettbewerben ausgeschlossen wurde. Eine Ausnahme machte allein das International Rugby Board, das dadurch besonders vehemente Proteste provozierte. Deutlich wurde dies 1969/70, als die südafrikanische Nationalmannschaft eine Tour durch England, Wales und Irland unternahm. "Vor den Stadien demonstrierten Zehntausende von Apartheidgegnern. Sie veranstalteten Sitzblockaden, stürmten das Spielfeld, machten das Geläuf durch Glasscherben unbespielbar. Im (...) Hotel verklebten Studentinnen die Schlösser der Hoteltüren, (...) Busfahrer chauffierten sie an falsche Spielorte. Techniker der BBC weigerten sich, die Begegnungen zu übertragen."
Religiös motivierter Protest
Der Boxer Muhammad Ali gehörte, zunächst noch unter seinem Geburtsnamen Namen Cassius Clay, nach seinem Goldmedaillengewinn bei den Olympischen Spielen 1960 und vor allem nach seinem Wechsel ins Profilager und dem Weltmeistertitel im Schwergewicht 1964 zu den populärsten US-Sportlern überhaupt. Durch seine extravagante Selbstinszenierung und zahlreiche Erfolge schürte er weltweit das Interesse am Boxsport. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, als er 1964 zum Islam konvertierte, sich den Namen Muhammad Ali gab und, als er zum Militärdienst in Vietnam einberufen wurde, diesen verweigerte. Als er dann im April 1967 erklärte, dass er als Priester der "Nation of Islam" keinen Militärdienst leisten könne und alle angebotenen Alternativen ablehnte, entzog ihm die New York State Athletic Commission die Boxlizenz, der Weltmeistertitel wurde aberkannt. Ali erhielt eine Haftstrafe auf Bewährung, blieb aber gegen Kaution auf freiem Fuß. In den folgenden Jahren durfte er weder in den USA noch im Ausland boxen.
Erst Ende September 1970 erhielt er die Lizenz zurück, 1971 entschied der Supreme Court, dass Ali aus Gewissensgründen von der Wehrpflicht befreit hätte werden müssen, und hob das Gerichtsurteil auf. Obwohl er seinen Protest nicht bewusst inszenierte, versetzte der Boxer mit der Verweigerung des Kriegsdienstes die USA in Aufruhr. Zeitweilig galt er als Ikone der schwarzen Protestbewegung bzw. des afroamerikanischen Kampfes gegen das weiße Establishment. Ali steht als Sportler damit typologisch als Beleg, dass die Artikulation von Protest im Sport durch den Faktor Prominenz eine enorme Steigerung erfährt.
Eine ganz andere Facette religiös inspirierten Protests zeigte sich in Deutschland im Sommer 2009, als türkische Medien gegen eine auf den Propheten Mohammed Bezug nehmende Passage im Vereinslied von Schalke 04 protestierten.
Nationale Olympiaboykotte
Bereits 1906, bei den inoffiziellen "Olympischen Zwischenspielen" in Athen, hatte der irische Silbermedaillengewinner im Weitsprung, Peter O'Connor, einen Fahnenmast erklommen und die irische Flagge geschwenkt, um gegen die Bestimmung zu protestieren, unter britischer Fahne antreten zu müssen. Bei den Olympischen Spielen 1908 in London verzichtete das gesamte finnische Team auf eine Fahne, um nicht hinter der Flagge des zaristischen Russlands marschieren zu müssen. Doch neben Einzelpersonen und Verbänden haben sich auch ganze Staaten der Projektionsfläche des Sports zu Protestzwecken bedient.
Während des Kalten Kriegs erlebte die Instrumentalisierung des Sports zu nationalen Zwecken ihren Höhepunkt. Bereits 1928 hatte die Sowjetunion mit weiteren Staaten begonnen, Spartakiaden als eigene internationale Sportwettkämpfe auszutragen und die Olympischen Spiele zu boykottieren; die Sowjetunion verzichtete bis 1952 auf eine Teilnahme. Da Taiwan die Mitwirkung erlaubt worden war, blieb China den Spielen von 1958 bis 1980 fern. 1956 boykottierten die Niederlande, Spanien und die Schweiz die Sommerspiele in Melbourne, um gegen die Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn zu protestieren. Der gleichzeitige Teilnahmeverzicht durch Ägypten, Irak, Kambodscha und Libanon richtete sich hingegen gegen die israelische Invasion der Sinai-Halbinsel im Zuge der Suezkrise. Das zwischen Titelverteidiger Ungarn und der Sowjetunion ausgetragene Halbfinale im Wasserball ging indes als "Blutbad von Melbourne" in die Annalen der Olympiageschichte ein. Das Spiel wurde mit äußerster Härte geführt, und die Zuschauer ergriffen derart stark Partei gegen die Sowjetunion, dass das Spiel abgebrochen werden musste.
Eine vergleichbare Protestdimension war auch bei den Eishockeyspielen zwischen der Sowjetunion und der Tschechoslowakei bei der WM 1969 in Schweden auszumachen, die von Zuschauern (und Medien) zum Anlass genommen wurden, gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings zu protestieren.
Die Boykott-"Höhepunkte" stellen jedoch die Olympischen Spiele 1976, 1980 und 1984 dar. 1976 reisten über 20 nationale Teams aus Montreal ab, um gegen die neuseeländische Rugby-Mannschaft zu protestieren, die kurz zuvor in Südafrika angetreten war. 1980 erklärten die USA, aus Protest gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan nicht an den Spielen in Moskau teilnehmen zu wollen. Rund 40 weitere Staaten schlossen sich ihnen an, darunter auch die Bundesrepublik. 16 der in Moskau anwesenden Staaten protestierten gegen den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan, indem sie bei der Eröffnungsfeier statt ihrer Nationalflagge die olympische bzw. die Flagge ihres olympischen Komitees trugen, sieben Staaten schickten lediglich einen Fahnenträger, aber keine Athleten zur Eröffnung. Als Reaktion auf den Olympiaboykott 1980 verzichteten vier Jahre später die Sowjetunion und 13 weitere Staaten auf eine Teilnahme an den Sommerspielen in Los Angeles.
Der Boykott der Sommerspiele 1988 in Seoul durch Nordkorea, Kuba, Äthiopien und Nicaragua markiert das vorläufige Ende der staatlichen Boykottaktivitäten. Dass Olympische Spiele aber weiterhin einen idealen Resonanzboden für Protest bieten, wurde 2004 in Athen deutlich, als sich der iranische Judoka Arash Miresmaeili weigerte, gegen den Israeli Ehud Vaks anzutreten, bzw. vier Jahre später in Peking der iranische Schwimmer Mohammad Alirezaei eine ähnliche Position bezog. Im Vorfeld der Olympischen Spiele in China 2008 war es schließlich der Fackellauf, der wiederholt zum Ziel von Protesten wurde, die sich vor allem gegen die Tibet-Politik Chinas richteten.
Sozial motivierte Solidarisierungen und Proteste gegen politische Unterdrückung
Neben politischen Kontroversen war der Sport wiederholt auch Schauplatz sozial motivierter Protestbekundungen, etwa, als in den 1980er Jahren in Deutschland Diskussionen über Zechenschließungen aufbrandeten. Als die Bergbaugewerkschaft IG BE im September 1987 zu einem "Internationalen Aktionstag" im Ruhrgebiet aufrief, wurden die Kumpel der Zeche Westerholt am Vortag in das Gelsenkirchener Parkstadion eingeladen, wo sie beim Fußballspiel FC Schalke 04 gegen Bayern München für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze demonstrierten. Auch beim Regionalligaspiel Borussia Neunkirchen gegen den Bonner SC im März 1995 zogen rund 3000 Fußballanhänger gemeinsam mit den Bergleuten von der Innenstadt ins Stadion. Dort bildeten die Kumpel rund um das Spielfeld eine Menschenkette, während die Neunkirchener mit der Parole "Ja zur Kohle" auf den Trikots aufliefen. Als zwei Jahre später mehr als 200000 Ruhrgebietsbürger eine Menschenkette vom Osten zum Westen des Ruhrgebiets bildeten, reihte sich auch die Mannschaft des VfL Bochum ein. Und einen Monat später, als im Bochumer Ruhrstadion das Revierderby zwischen Bochum und Schalke anstand, betraten beide Fußballteams den Rasen mit 50 Bergarbeitern, die mit Fahnen und Transparenten für den Erhalt des Bergbaus demonstrierten.
Dass Transparente im Stadion auch zu Solidaritätsbekundungen mit Demokratiebewegungen genutzt werden, hatte sich bereits bei der Fußball-WM 1974 in Deutschland gezeigt: In der Halbzeitpause des Vorrundenspiels Chile gegen Australien überwanden Jugendliche die Absperrungen und entrollten ein Transparent mit der Aufschrift: "Chile - Socialista", mit dem sie gegen die chilenische Militärjunta demonstrierten.
In jüngerer Zeit ist es verstärkt zu Protestaktivitäten für Demokratiebewegungen gekommen, bei denen vor allem auf symbolischen und identitätsstiftenden Protest gesetzt wurde. So etwa 2003, als im Cricket-Weltcup, der unter anderem in Simbabwe ausgetragen wurde, die beiden simbabwischen Spitzenspieler Andy Flower und Henry Olonga schwarze Armbänder trugen, mit denen sie gegen den Terror des diktatorisch regierenden Präsidenten Robert Mugabe demonstrierten. In einer Erklärung sprachen sie vom Protest gegen den "Tod der Demokratie" und betonten, dass sie auf Menschenrechtsverletzungen und staatlich sanktionierte Folter aufmerksam machen wollten. Beide Spieler mussten nach ihrer Protestaktion das Land verlassen und ihre Karriere im Nationalteam beenden.
Ein aktuelles Beispiel für den Einsatz von Fußballfans für Demokratieanliegen lieferte jüngst auch die ägyptische Fangruppe "Ultras Ahlawy", die den Kairoer Verein Al-Ahly unterstützt. Ihr wird eine bedeutende Rolle bei den Protesten gegen den früheren Präsidenten Hosni Mubarak zugeschrieben, da sie im Januar und Februar 2011 tagelang den Tahrir-Platz gegen die Polizei mitverteidigt habe.
Proteste mit direktem Sportbezug
Bildete bei den bislang angeführten Protestformen und -motiven der Sport eher den Anlass als das Thema, so steht der Sport bei den nachfolgenden Beispielen selbst im Mittelpunkt. Zu den "klassischen" sportbezogenen Protestformen gehören die Verteilungskonflikte in den großen amerikanischen Profiligen. Hier kommt es immer wieder zu regelrechten Arbeitskämpfen zwischen den Spielern und ihren Arbeitgebern. Während die Sportler auf das Instrument des Streiks zurückgreifen, setzen die Klub- bzw. Ligenbesitzer auf die Möglichkeit der Aussperrung. So konnte etwa im Eishockey die Saison 1994/95 erst mit 103 Tagen Verspätung beginnen, 2005 musste die Spielzeit sogar ganz abgesagt werden. Auch im Basketball und Baseball führten Streiks und Ausschlüsse bereits zu Verschiebungen und Saisonverkürzungen. In Europa setzen Profisportler bisweilen ebenfalls auf Streiks, bislang jedoch in weitaus geringerem Ausmaß.
Dass neben öffentlichkeitswirksamen Streiks und den noch weitaus häufiger anzutreffenden Presse- oder Trainingsboykotts von einzelnen Profis oder ganzen Vereinen auch auf rechtliche Protestinstrumente gesetzt wird, um die eigenen ökonomischen Interessen zu behaupten, dokumentiert der Fall des belgischen Fußballers Jean Marc Bosman, der 1995 zum "Bosman-Urteil" des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) führte.
Direkte Bezüge zum Sport weisen auch die Proteste der Fans gegen überzogene Kommerzialisierungstendenzen im Profisport auf. Gingen die Fans, vor allem im Fußball, in früheren Jahren auf die Barrikaden, um gegen überteuertes Bier oder unbeliebte Spieler aufzubegehren, fallen die Protestziele und -formen im vergangenen Jahrzehnt deutlich differenzierter aus. So wandte sich vor der Bundesligasaison 2001/2002 die Initiative "Pro 15.30" mit Plakaten und T-Shirts gegen die zunehmende Ausdehnung der Spieltage über das gesamte Wochenende und forderte die Abschaffung des Sonntags als regulären Spieltag sowie die Festlegung der Anstoßzeit auf samstags, 15.30 Uhr. Aufmerksamkeit erzielten aber auch Aktionen von Anhängern, die gegen die Umbenennung der Stadien oder die Änderung der Vereinsfarben protestierten und etwa, wie im Fall von Nürnberg, über 5000 Unterschriften gegen den Namen "easyCredit-Stadion" sammelten. Ihre Entsprechung fanden diese Aktivitäten im Protest gegen die zunehmend kommerziellen Bewirtschaftungsformen in den Stadien, gegen reine Sitzplatzarenen oder VIP-Logen.
Die deutschen Beispiele muten indes zurückhaltend an gegenüber der Entwicklung in Großbritannien, wo wechselnde Eigentümer, horrende Eintrittspreise und eine immer stärker kommerzialisierte Eventkultur in den Stadien zu erheblichen Protesten geführt haben. Vor allem in Manchester hat sich eine regelrechte Protestkultur gebildet, die sich gegen den amerikanischen Besitzer von Manchester United, Malcolm Glazer, richtet. Dieser hatte den Fußballklub 2005 mit einem Darlehen gekauft, welches er dann auf den Verein übertrug und ihn dadurch mit einer enormen Schulden- und Zinssumme belastete. Die Proteste der United-Anhänger reichen von der Gründung eines neu gegründeten "FC United of Manchester" über das Tragen neuer Vereinsfarben (Grün-Gold, den Farben des Newton Heath Football Club, wie United bis 1902 hieß) bis hin zum Versuch, die Mehrheit am Verein zu übernehmen, um Glazer und seine Söhne gewissermaßen auszukaufen.
Fazit: Mehr Protest als Bewegung
Die Bandbreite der hier angeführten, insgesamt aber nur einen kleinen Ausschnitt der Protestaktivitäten widerspiegelnden Beispiele verdeutlicht, in welchem Ausmaß Protest im organisierten Spitzensport seinen Platz gefunden hat. Mit Blick auf die Protestmotive sind typologisch zahlreiche unterschiedliche Impulse auszumachen: Es sind bei weitem nicht nur enttäuschte Fans, die gegen die eigene oder die gegnerische Mannschaft nach Niederlagen protestieren, Schmählieder intonieren oder Mannschaftsbusse blockieren. Den über den Sport vermittelten Interessen sind mittlerweile kaum noch Grenzen gesetzt - vor allem, wenn man aktuelle Problemfelder wie Minderheitenrechte oder Naturschutz einbezieht. Mit Ausnahme des staatlich organisierten Protests bei Olympiaboykotten ist der Protest zumeist situativ, punktuell und auch nur begrenzt nachhaltig. Sportpolitische Bewegungen im Sinne sozialer Bewegungen haben sich bislang erst in Ansätzen herauskristallisiert - am deutlichsten im Bereich des Fanprotests gegen Kommerzialisierung. Gerade die "Ultra-Bewegung" hat sich zu einer Facette der Jugend- und Protestkultur entwickelt, die als kritisches Gegengewicht zum herrschenden Sport(verständnis) agiert.
Zu den Hauptakteuren sportbezogenen Protests gehören Anhänger und Sportler, während sich die Aktivitäten von Vereinen und Verbänden eher auf die formalen Konfliktregulierungsmechanismen sowie die Arbeit in den Gremien konzentrieren. Der populäre, medial vermittelte Spitzensport eignet sich besonders für Proteste: einerseits aufgrund seiner hohen Verbreitung, die Aufmerksamkeit garantiert, anderseits aufgrund seiner finanziellen Bedeutung. Hinsichtlich des Aktionsrepertoires kommt fast die gesamte in der Protestforschung bekannte Bandbreite von Ausdrucksformen zum Tragen - mit einem deutlichen Akzent auf symbolischen, demonstrativen Protestformen. Zugleich wird der Protest vielfältiger, kreativer und auch professioneller.
Was der Sport bislang (noch) nicht erzeugt hat, sind originäre Protestformen. Anders als etwa die Popbranche, die mit Protestkonzerten oder -liedern hervorgetreten ist, gibt es weder das Protest-Tor noch das Protest-Spiel - zumindest nicht im Bereich der massenwirksamen Events des Spitzensports. Dem Ende Juni 2001 in Kopenhagen ausgetragenen Fußball(länder)spiel Tibet gegen Grönland und der Partie Bhutan gegen Montserrat im Jahr darauf kommt hier gewissermaßen eine Sonderrolle zu, da alle beteiligten "Länder" keine FIFA-Mitglieder sind und der Spielcharakter deswegen auch eine Protestdimension besaß.
Es zeichnet sich ab, dass den neuen sozialen Medien, die schon jetzt rege von Fans genutzt werden, künftig noch stärkere Bedeutung zukommen wird. Die zunehmende Verlagerung der Protestkultur in elektronische Massenmedien lässt ein weiteres Anschwellen auch von sportbezogenen Protesten erwarten. Sollte dieser Trend anhalten, könnten Protestaktivitäten allein schon vom Umfang her erheblich an Bedeutung gewinnen. Dies gilt umso mehr, wenn die bislang nur begrenzten Allianzen zwischen Sportlern, Anhängern und gesellschaftlichen Gruppierungen ausgebaut werden.