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Zum Wandel im Umgang mit der menschlichen Leiche: Hinweise und Erklärungsversuche

Dominik Groß

/ 16 Minuten zu lesen

Veränderungen in der Bestattungskultur sind Indizien für den Wandel im Umgang mit der Leiche. Die neue Bestattungsvielfalt ist Ausdruck des Bestrebens, den persönlichen Handlungsspielraum über den Tod hinaus auszudehnen.

Einleitung

Es gibt viele Hinweise darauf, dass der Umgang mit der menschlichen Leiche einem grundlegenden Wandel unterliegt. Zu den augenfälligsten Indizien gehören Veränderungen in der Bestattungskultur: Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts stellte die Beerdigung die übliche Form der Bestattung menschlicher Leichname dar. Demgegenüber hat sich in jüngster Zeit ein ausgeprägter "Bestattungspluralismus" entwickelt. Mittlerweile stehen weit mehr als 20 Formen der Bestattung zur Wahl. Die Hälfte der Bundesbürger wünschte sich gemäß einer Umfrage im Jahr 2007 für die eigene Beisetzung ein traditionelles Erd- oder Urnengrab, während es 1998 noch 87 Prozent und 2004 immerhin 62 Prozent waren. Die Befürworter moderner beziehungsweise alternativer Bestattungsformen ziehen derselben Umfrage zufolge vor allem die Verstreuung der eigenen Asche (45,6 Prozent) und die Urnenbeisetzung (45,5 Prozent) außerhalb eines Friedhofs sowie die Baumbestattung auf einem Friedhof (39,8 Prozent) in Betracht. Jeweils ein Drittel sieht auch in der Urnenbeisetzung im eigenen Garten, in der Urnenaufbewahrung zu Hause und in der Verstreuung der Asche aus einem Heißluftballon heraus denkbare Optionen, während die neuen Formen Diamantenpressung und Weltraumbestattung für 13,8 Prozent der Befragten infrage kamen. Generell zeigen die Umfragen eine bemerkenswerte Offenheit für neue Ideen im Umgang mit dem eigenen Leichnam.

Der feststellbare Wandel evoziert zugleich die Frage nach seinen Ursachen und Implikationen. An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an: Er will verdeutlichen, dass die neue Bestattungsvielfalt nicht allein Kennzeichen einer individualisierten Gesellschaft ist, sondern zugleich Ausdruck des Bestrebens, den persönlichen Handlungsspielraum über den eigenen Tod hinaus auszudehnen. Dabei dient der eigene Leichnam gewissermaßen als Mittel zum Zweck.

Bestattungspluralismus: Ausdruck von Individualisierungstendenzen?

Wer sich mit den gegenwärtigen Möglichkeiten der Bestattung des menschlichen Leichnams beschäftigt, sieht sich mit einer Fülle von Optionen konfrontiert:

Die Erd- beziehungsweise Sargbestattung gilt als die klassische und nach wie vor häufigste Bestattungsart. Hierbei erfolgt die Beisetzung in einem Sarg. Doch auch die Beerdigung unterliegt seit den 1980er Jahren einem zunehmenden Diversifizierungs- und Pluralisierungsprozess. Dies betrifft zum Beispiel die Särge selbst - neben konfektionierten Särgen finden sich mittlerweile bunte, selbstgestaltete und individualisierte Särge und Sargformen. In Deutschland ist das Friedhofs- und Bestattungsrecht durch landesrechtliche Vorschriften geregelt, die bisher einen "Friedhofszwang" vorsehen. Hierunter wird eine Vorschrift verstanden, die es verbietet, die physischen Reste eines toten Menschen (sei es im Sarg oder in der Urne) an einem anderen Ort als auf einem Friedhof (oder im Meer) aufzubewahren. Einige Bundesländer haben allerdings bereits eine Liberalisierung beschlossen oder ziehen diese in Betracht.

Lässt die Erdbestattung bereits eine zunehmende Zahl von Wahlmöglichkeiten zu, so gilt dies für die Feuer- beziehungsweise Urnenbestattung in weit größerem Maße. 1998 lag der Prozentsatz der Feuerbestattungen bei knapp 40 Prozent; in östlichen und nördlichen Bundesländern beträgt er inzwischen über 50 Prozent. In jüngster Zeit werden im Rahmen von Naturbestattungen auch schnell abbaubare Urnen eingesetzt; manchmal wird sogar ganz auf Urnen verzichtet. Findet die Beisetzung im Wurzelbereich von Bäumen statt, spricht man von Baumbestattung. Vor der amerikanischen Ostküste wird mittlerweile auch eine Korallenriff-Bestattung angeboten. Bei der Almwiesenbestattung wird die Asche des Verstorbenen an einer bestimmten Stelle auf einer Almwiese in der Schweiz in die Erde eingebracht.

Einer zunehmenden Beliebtheit unter den Bestattungsformen erfreut sich die Naturverstreuung. So besteht beispielsweise in der Schweiz die Möglichkeit, die Asche auf ausgewiesenen Aschestreuwiesen zu verstreuen. Bei der Himmelsbestattung wird die Asche aus der Luft verstreut. Im Rahmen einer Seebestattung wird die Asche des Verstorbenen in einer wasserlöslichen Urne der See übergeben. Die Übergabe erfolgt in der Regel in gesondert ausgewiesenen Gebieten in der Nord- oder Ostsee, auf speziellen Wunsch aber auch in allen Meeren der Welt. Die Zahl der Seebestattungen lag in Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts bei etwa 5000 jährlich. Als besonders exklusiv gilt die sogenannte Weltraumbestattung: Dabei wird ein geringer ("symbolischer") Teil der Asche mit Raketen in den Weltraum befördert und dort der "Ewigkeit" übergeben.

Eine größere quantitative Bedeutung kommt der Verwahrung der Asche im Privatbereich zu. Zwar verbietet der Friedhofszwang in Deutschland die Möglichkeit, die Asche eines Verstorbenen im Privatbereich aufzubewahren, doch steigt die Zahl der Menschen, die diese Regelung umgehen. Die Einäscherung muss hierbei entweder im Ausland vorgenommen werden, oder dem deutschen Krematorium geht eine ausländische Urnenanforderung zu. Das Krematorium verschickt daraufhin die Asche in der Regel ohne weitere Formalitäten per Post ins Ausland. Wird von den lokalen Behörden zur Ausstellung der Bestattungserlaubnis der Nachweis einer Grabstätte im Ausland gefordert, werden oftmals kostengünstige ausländische Verstreuungsgrabstätten angegeben. Anschließend holen Angehörige die Asche entweder selbst im Ausland ab oder sie wird ihnen vom ausländischen Bestatter per Post zugeschickt. Aufgrund der beschriebenen Praxis gewinnt die Verwahrung der Totenasche im Privatbereich zunehmend an Bedeutung - auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Kosten für diese Art der privaten "Bestattung" vergleichsweise niedrig sind. Von der Verwahrung der Asche in einer Schmuckurne im Wohnzimmer, über die Beisetzung im eigenen Garten bis zur Aufbewahrung eines Teils der Asche in einem Amulett eröffnen sich hier vielfältige Optionen.

Tradition hat in Deutschland auch die postmortale Körperspende an ein anatomisches Institut. In diesen Fällen werden die Leichname als Lehr- und Studienmaterial verwendet. Anschließend wird der Körper eingeäschert und auf Kosten des Instituts oder gegen einen geringen Kostenbeitrag bestattet. Eine Körperspende kann nur dann angenommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten eine entsprechende schriftliche Erklärung gegenüber dem betreffenden anatomischen Institut abgegeben hat. Neben altruistischen und fachlichen Motiven werden mittlerweile auch finanzielle Aspekte für die Entscheidung zur Körperspende geltend gemacht. Seit einigen Jahren übersteigt das Angebot an "Körperspendern" bei weitem den Bedarf der anatomischen Institute: Etwa 80000 bis 100000 Bundesbürger haben derzeit eine Körperspendevereinbarung mit anatomischen Prosekturen geschlossen.

Als Innovation auf dem Gebiet der Bestattungstechnologie gilt demgegenüber die Promession. Ziel des auch als "Öko-Bestattung" bezeichneten Verfahrens ist die harmonische Eingliederung des Verstorbenen in den Kreislauf der Natur. Hierzu wird der tote Körper kompostiert. Der Leichnam hinterlässt keine Rückstände und belastet weder Böden noch Meere. Im Rahmen der Promession wird der Tote zunächst auf minus 18 Grad Celsius heruntergekühlt, dann in minus 196 Grad kalten flüssigen Stickstoff getaucht und schockgefroren. Schallwellen in einer Vibrationskammer lassen den Körper anschließend in geruchsfreies Pulver zerfallen. In einer Vakuumkammer wird das Pulver getrocknet, anschließend in einen kompostierbaren Sarg gefüllt und bestattet.

Eine weitere neue Bestattungsmethode ist die alkalische Hydrolyse oder Resomation, bei welcher der Leichnam durch die Einwirkung einer starken Lauge aufgelöst wird. Die Leiche wird in einem Druckbehälter aus Edelstahl bei Temperaturen von 150 bis 160 Grad Celsius in Kalilauge binnen weniger Stunden zersetzt. Abgesehen von wenigen Knochenresten resultiert hierbei eine braune, äußerst zähflüssige Flüssigkeit, die über den Abfluss entsorgt werden kann. Bis zum Sommer 2007 wurden in den USA angeblich etwa 1000 Menschen auf diese Art bestattet.

Entritualisierung des Umgangs mit den Toten

Jeder zweite Deutsche tritt durch die Wahl individualisierter Bestattungsformen, -orte und -rituale bewusst aus der traditionellen Erinnerungskultur heraus. Eine zunehmende Entritualisierung des Umgangs mit den Toten und eine tendenzielle Abkehr vom Friedhof als traditionellem Ort des Leichnams und der letzten Ruhe gehen damit einher. Der Wandel der Bestattungsriten und der Erinnerungskultur spiegelt damit beispielhaft die gesellschaftlichen Trends zur Säkularisierung, Liberalisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Privatisierung und Technisierung. Der gezielte Zugriff auf die eigene Bestattung lässt sich mit vielfältigen programmatischen Zielen verbinden:

  • mit dem Ziel, sich durch die Wahl einer speziellen Bestattungsform gegenüber anderen abzugrenzen oder sich selbst zu inszenieren. Bei dieser Ausgestaltung fungiert der Verstorbene (letztmalig) als Dramaturg seiner eigenen Lebensgeschichte: "Wer will, kann seine Asche als Feuerwerk am Himmel explodieren lassen oder aber seine sieben Gramm Totenasche zu einer Weltraumbestattung in den Orbit schießen lassen, um dort mit der Urnenkapsel als Sternschnuppe zu verglühen."

  • mit dem Ziel, den eigenen Lebensverlauf durch die Wahl der Bestattung in einem gleichsam symbolischen Akt zu "spiegeln". Die Seebestattung von Matrosen und Seeleuten gehörte früher zu den wenigen etablierten alternativen Bestattungsformen. Hintergrund war der Wunsch der Betroffenen, durch diese Form der Beisetzung die "programmatische" Rolle des Meeres in ihrem Leben zu dokumentieren. Ähnliches gilt für eingefleischte Fußballfans, die in Gräberfeldern ihres Vereins ihre letzte Ruhestätte finden wollen. Ein Beispiel hierfür bietet der Hamburger Sportverein (HSV), der auf dem Friedhof Altona in unmittelbarer Nähe des Fußballstadions ein Gräberfeld reservieren ließ.

  • mit dem Ziel, dem Leben eine besondere (wie gemeinschaftsstiftende) Sinnhaftigkeit zu verleihen. Beispiel hierfür ist die anatomische Körperspende bei Personen, die ihren toten Körper in den Dienst der Allgemeinheit stellen wollen.

  • mit dem Ziel, eine besondere Naturverbundenheit zu demonstrieren. Die Baumbestattung in Friedwäldern kann als Ausweis besonderer Naturverbundenheit oder einer naturreligiösen Einstellung interpretiert werden. Gleiches gilt für die verschiedenen Formen der Naturverstreuung.

Die beschriebene Herausbildung diverser posttraditionaler Bestattungsformen ist Ausdruck zunehmender Autonomiebestrebungen. Der bewusste Zugriff auf die eigene Bestattung(sform) eröffnet einen persönlichen Aktionsraum. Gleichzeitig zeigt sich ein neuer, stark säkularisierter und technisierter Umgang mit dem Tod: Voraussetzung für den beschriebenen Bestattungspluralismus war eine Schwächung beziehungsweise die Aufhebung des traditionell engen gedanklichen Zusammenhangs zwischen der (kirchlicherseits favorisierten) Erdbestattung und dem Wiederauferstehungsglauben. An seine Stelle treten neue Interpretationsmuster des Todes und neue Versuche einer Relativierung und Überwindung desselben - wiederum auf der Grundlage der Dienstbarmachung des eigenen toten Körpers und unter Zuhilfenahme neuester technischer Methoden.

Zugriff auf den eigenen Leichnam: Diamantierung, Kryonisierung, Plastination

Der beschriebene Bestattungspluralismus ist Zeichen einer individualisierten Gesellschaft, aber auch Ausdruck des individuellen Versuchs, den persönlichen Tod durch einen spezifischen Zugriff auf die Leiche zu relativieren. Liselotte Hermes da Fonseca zufolge stellt der Tod die "größte Kränkung des Menschen" dar. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das uralte Bestreben der Menschheit, über das Unverfügbare schlechthin - den Tod - zu verfügen. Während die bisher beschriebenen Bestattungsformen die Absolutheit des Todes und seine Einordnung gleichwohl als unüberwindbares Ereignis anzuerkennen scheinen, trifft dies für einige andere Formen der Bestattung - wie die Diamantierung, die Plastination und die Kryonisierung - nur noch bedingt zu. Sie dienen vielmehr auf unterschiedliche Art und Weise dem Ziel, den Tod durch den spezifischen Einsatz der eigenen Leiche gefügig zu machen: Sei es, dass die konkreten Äußerungsformen des Todes - die verwesende beziehungsweise zu Asche zerfallene Leiche - "umgangen" werden (Diamantierung und Plastination) oder eine spezifische Vorstellung von Unsterblichkeit und Wiederauferstehung realisiert werden sollen (Kryonisierung).

Diamantierung

. Sie setzt eine Kremierung der Leiche voraus: Kremationsasche besteht zu einem geringen Teil aus Kohlenstoff. Durch ein spezielles Trennungsverfahren wird der Kohlenstoff aus der Asche gelöst und in einem weiteren Schritt der extrahierte Kohlenstoff in Grafit verwandelt. In dieses wird ein Startkristall eingebettet, um den unter konstant zunehmendem Druck und steigender Hitze langsam ein Diamant "wächst". Die Kosten werden je nach Unternehmen, Steingröße und Quelle mit 4500, 15000 oder 22000 Euro beziffert.

Die Diamantbestattung ist in Deutschland aufgrund des Bestattungszwangs unzulässig, wird aber geduldet, wenn die Asche des Verstorbenen in Länder gebracht wird, in denen die Diamantierung als ordentliche Bestattung akzeptiert wird. Dies ist mittlerweile in vielen Staaten der Fall. Verlässliche Daten zur Zahl der Diamantbestattungen liegen nicht vor; es ist jedoch davon auszugehen, dass die hohen Preise limitierend wirken, zumal die Beisetzung der nicht verbrauchten Asche weitere Kosten verursacht. Dass man mit der Diamantierung der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens entgegenzutreten glaubt, insinuiert bereits die Wortwahl der Unternehmen in ihren Werbekampagnen. So wird die Diamantierung als Prozesskette beschrieben, an dessen Beginn eine "Leiche" und an dessen Ende ein "Lebensjuwel" ("LifeGem") stehe. Darüber hinaus wird suggeriert, dass der Prozess der Diamantierung sogar der Individualität Rechnung trage: "Der Erinnerungsdiamant erstrahlt einmal in weiß bis zu einem bläulichen Ton. So unterschiedlich die Menschen sind, so differiert auch die Farbe in seiner Abhängigkeit vom individuellen Bor-Gehalt der Urnenasche."

Die Diamantierung des Leichnams kann verschiedenen Zielen dienen. Im einfachsten Fall ist sie an die Vorstellung geknüpft, mit dem Schmuckstein eine konkrete Erinnerung an den Verstorbenen zu erhalten. Dass man mit der Diamantierung allerdings nicht vorrangig Hinterbliebene ansprechen möchte, sondern vielmehr den Lebenden und dessen Wunsch nach fortwirkender Selbstbestimmung, zeigt ein Blick auf die Webseiten der Anbieter. Diese werben mit dem Angebot, Diamanten bereits zu Lebzeiten vorzubestellen. Mit dem Verfahren der Diamantierung erreichen Menschen, die sich nicht der Vergänglichkeit preisgeben wollen, einen Zustand der "Unvergänglichkeit" und "Ewigkeit". Demnach ist die Diamantierung Ausdruck einer neuen Sehnsucht nach dauerhafter materieller Repräsentanz. Ebenso wesentlich scheint die mit der Diamantierung erreichte Ästhetisierung der Erscheinungsform: Auch sie steht in starkem Kontrast zu Zerfall und Zersetzung insbesondere erdbestatteter Leichname. Besonders verdichtet ist diese Botschaft in der Bezeichnung "LifeGem" ("Lebens-Juwel"): Sie verbindet die Aspekte Vitalität ("Leben") und Ästhetik ("Juwel"). Schließlich wird suggeriert, dass die Unverwechselbarkeit des Betroffenen in der kristallinen Form des Diamanten fortbestehe.

Plastination.

Der Begriff Plastination beschreibt ein vergleichsweise neues Konservierungsverfahren, das bei der anatomischen Präparation von toten Körpern und Körperteilen Verwendung findet. Die durch Gunther von Hagens etablierte Technik wurde bekannt durch die Wanderausstellung "Körperwelten", in der derartige anatomische Präparate sowie vollständige Leichen öffentlich präsentiert werden. Das Verfahren ist dadurch charakterisiert, dass das in den Zellen vorhandene Wasser durch Kunststoff (Polymere) ersetzt wird. Dadurch entstehen Präparate, die den natürlichen Gegebenheiten sehr nahekommen. Plastinate sind dauerhaft haltbar. Anders als die Diamantierung oder die nachfolgend beschriebene Kryonik fallen für die Körperspende mit dem Ziel der Plastination keine Kosten an; sie ist somit der breiten Bevölkerung zugänglich. Tatsächlich erfreut sich die Plastination eines wachsenden Interesses.

Der Wunsch, den eigenen Leichnam posthum in ein Plastinat überführen zu lassen, kann durchaus unterschiedlich motiviert sein: Die Plastinierung kann zum Beispiel - ähnlich wie die Diamantierung - an das Ziel geknüpft sein, post mortem durch die fortdauernde physische Präsenz besser in Erinnerung zu bleiben. In diesem Fall steht der Wunsch, der Verwesung entrissen zu werden - die Sterblichkeit im Sinne von Vergänglichkeit zu überwinden -, im Mittelpunkt des Interesses. Angesprochen ist hiermit letztlich der Denkmalcharakter eines Plastinats. Die eigene Plastinierung kann aber auch an den weitergehenden Wunsch gekoppelt sein, zu "über"leben. In diesem extremen Fall wird der Präparator tatsächlich als "Unsterblichkeitsmakler" begriffen. Derartige an die Materialität der eigenen Leiche geknüpfte Unsterblichkeitsphantasien befördert Gunther von Hagens gezielt mit Aussagen wie: "Willst du wirklich ewig leben, musst du deinen Körper geben." Dazu bedient sich von Hagens einer Ästhetik der Vitalität: Dies gelingt ihm, indem er Plastinate in dynamische, bewegte Posen einrückt. Neben das Phänomen der "Verlebendigung" tritt ein weiterer Aspekt: die Schaffung von Identität und Unverwechselbarkeit; die Plastinate werden mit Alleinstellungsmerkmalen und mit Namen versehen (wie "Der Läufer", "Der Schachspieler").

Ob eine solche subjektive Wahrnehmung einer kritisch-objektiven Beurteilung standhält, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden. Entscheidend scheint hier die Feststellung, dass der Zugriff auf den eigenen toten Körper und dessen Plastinierung zumindest von einem Teil der Körperspender als eine Option wahrgenommen wird, dem Tod zu entgehen oder ihn in seiner Absolutheit zu relativieren. Doch auch der Teil der Körperspender, der Plastinate vornehmlich als moderne Form von "Denkmälern" sieht und mit der Plastination "lediglich" das Ziel verbindet, postmortal in Erinnerung zu bleiben, zielt damit auf eine Relativierung des eigenen Todes ab - gemäß Bertolt Brechts Feststellung: "Der Mensch ist erst wirklich tot, wenn niemand mehr an ihn denkt."

Kryonisierung.

Ein dritter Versuch, den Tod gefügig zu machen, stellt die Kryonik oder Kryostase dar. Sie dient dem Ziel, verstorbene Menschen mittels Kältekonservierung für die Zukunft zu erhalten, um sie zu einem geeigneten Zeitpunkt ins Leben zurückzuführen. Anhänger der Kryonik gehen davon aus, dass die Medizin künftig die Krankheit, die zum Tod des Menschen geführt hat, heilen und darüber hinaus Körper, Geist und Intellekt des Verstorbenen wiederbeleben kann. Der Betroffene wird hierbei unmittelbar nach seinem Tod kältekonserviert. Dazu bedient sich die moderne Kryonik der Vitrifizierung: Das Blut wird durch eine Kühlflüssigkeit ersetzt, um damit die Entstehung von Eiskristallen, welche die Zellmembranen zerstören würden, zu verhindern. Zur Lagerung wird der Organismus üblicherweise bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff gekühlt. Zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft soll der kryokonservierte Körper "reanimiert" werden. Die Kosten für eine Ganzkörperkonservierung werden auf etwa 120000 US-Dollar beziffert, der Betrag für eine Neurokonservierung wird mit 50000 US-Dollar angegeben. Während die Kryokonservierung von Leichen in Deutschland verboten ist, finden sich mittlerweile in einigen westeuropäischen Staaten wie in der Schweiz und in Großbritannien Anbieter. Belastbare Zahlen zur Verbreitung der Kryokonservierung von Leichen liegen nicht vor. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich das Verfahren auch künftig auf eine vergleichsweise kleine Personengruppe beschränken wird. Der typische Kunde wird als "atheistisch, männlich, gebildet und vermögend" beschrieben.

Wenngleich die überwältigende Mehrheit der Biowissenschaftler und Mediziner grundsätzlich bezweifelt, dass eine fortgeschrittene Wissenschaft der Zukunft kryokonservierte Körper wiederbeleben kann, gibt es gerade unter den Anhängern der Kryonik auch viele Wissenschaftler. Auch bei der Kryonik handelt es sich stricto sensu nicht um eine Bestattungsart, und ähnlich wie die Diamantierung und die Plastination richtet sich die Kryonik (vorrangig) direkt an die Lebenden, die ihren Handlungsspielraum über den eigenen (vermeintlich reversiblen) Tod hinaus ausdehnen wollen. Wie bei der Plastination wird der eigene Leichnam für den Kryonik-Kunden zur unverzichtbaren Ressource, da die Hoffnung auf Unsterblichkeit ganz konkret und unmittelbar an die Materialität der Leiche geknüpft ist.

Inszenierung des Weiter-Lebenden

Der postmoderne Mensch denkt sich seinen Tod und seine postmortale Existenz neu. Damit einher gehen eine Abkehr vom Friedhof als herkömmlichem Ort des Leichnams und der letzten Ruhestätte, aber auch eine (partielle) Abkehr vom (christlichen) Wiederauferstehungsglauben. An dessen Stelle treten neue säkulare Deutungsmuster des Todes, aber auch Versuche einer Relativierung desselben. Der Umgang mit der eigenen Leiche folgt vielfach einer individuellen Programmatik mit dem Ziel, sich durch die Wahl einer speziellen Bestattungsform selbst zu inszenieren und den eigenen Lebensverlauf durch die Wahl der Bestattung zu "spiegeln". Die eigene Leiche dient bei allen genannten Formen als Mittel, um einen Zustand der materiellen Fortexistenz als "Überleben" zu "inszenieren".

Diese Inszenierungen erfolgen auf dreierlei Weise: (1) Bei der Diamantierung stehen Unvergänglichkeit und Ästhetisierung im Mittelpunkt der Programmatik - Eigenschaften, die im vollständigen Gegensatz zum Zerfall und Verwesung konventionell bestatteter Leichname stehen. (2) Die Plastination ist ihrerseits als Inszenierung einer "Verlebendigung" zu interpretieren; hier wird Unvergänglichkeit (verkürzt) mit Unsterblichkeit gleichgesetzt. Am weitreichendsten ist indessen (3) die Kryonik, die als neue, auf Technikgläubigkeit fußende Form des "Wiederauferstehungsglaubens" interpretiert werden kann, und der eine konkrete, am engeren Wortsinn orientierte Definition von Unsterblichkeit zugrunde liegt. In allen Fällen handelt es sich damit um Versuche der Grenzverschiebung zwischen Leben und Tod. Ziel ist die Erreichung eines "Zustands", in dem der Tod nicht mehr Tod im absoluten Sinne bedeutet, und bei dem keiner mehr "vergeht", wenn er stirbt. Der Tote wird zum Weiter-Lebenden umdefiniert.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dominik Groß/Martina Ziefle, Im Dienst der Unsterblichkeit?, in: Dominik Groß/Jasmin Grande (Hrsg.), Objekt Leiche: Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper, Frankfurt/M. 2010, S. 545-581.

  2. Vgl. Infratest-Umfrage, Nur noch jeder Zweite wünscht eine traditionelle Bestattung, 2007, online: www.aeternitas.de/inhalt/marktforschung/
    meldungen/aeternitas_umfrage_2007 (21.3.2011).

  3. Vgl. Magdalena Köster, Den letzten Abschied selbst gestalten. Alternative Bestattungsformen, Berlin 2008; Michael Nüchtern/Stefan Schütze, Bestattungskultur im Wandel, Berlin 2008.

  4. Vgl. Dagmar Hemmer/Andreas Höferl, Privatisierung und Liberalisierung öffentlicher Dienstleistungen in der EU-15: Bestattungswesen, Wien 2003, S. 8; Stiftung Warentest (Hrsg.), Bestattung: was tun im Todesfall?, Berlin 2008.

  5. In jüngerer Zeit werden zunehmend auch Sargformen angeboten, die dem Selbstverständnis des Verstorbenen Rechnung tragen sollen. Särge aus der Werkstatt von Kane Kwei in Form von Korkenziehern, Biergläsern, Getränkeflaschen, Fischen oder Autos sind in Europa hoch gehandelte Kunstobjekte. Vgl. Dominik Groß/Michael Rosentreter, Sarg, in: Héctor Wittwer/Andreas Frewer/Daniel Schäfer (Hrsg.), Sterben und Tod, Stuttgart-Weimar 2010, S. 261-266.

  6. Vgl. Norbert Fischer, Zwischen Trauer und Technik, Berlin 2002.

  7. Vgl. D. Hemmer/A. Höferl (Anm. 4), S. 4.

  8. Vgl. Sylvie Assig, Waldesruh statt Gottesacker, Stuttgart 2007.

  9. Vgl. Dorothea Lüddeckens, Oase ohne Geier, in: Bestattungskultur, (2006) 7, S. 14f.; Manfred Gerner, Friedhofskultur, Hohenheim 2001, S. 122f.

  10. Vgl. N. Fischer (Anm. 6), S. 119.

  11. Vgl. Webseite eines Anbieters: www.memorialspaceflights.com/services.asp (21.3.2011).

  12. Sie werden derzeit mit 150 bis 350 Euro angegeben. Vgl. Webseite eines Anbieters: www.bestattungsplanung.de/pages/
    bestattungsarten/283-0.html (21.3.2011).

  13. Vgl. Gereon Schäfer/Dominik Groß, Körperspende oder Tauschgeschäft?, in: Dominik Groß (Hrsg.), Die dienstbare Leiche, Kassel 2009, S. 42ff.

  14. Vgl. Kurt W. Becker, Anmerkungen zur Geschichte der anatomischen Sektion, Homburg 2002.

  15. Vgl. Thomas Vilgis, Eiskalt ins Grab, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 8.7.2007, S. 60.

  16. Vgl. Neue Bestattungstechnik. In Lauge auflösen und ab in den Abfluss, in: Spiegel online vom 10.5.2008: www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/
    0,1518,552562,00.html (21.3.2011).

  17. Alternative Bestattungsformen, 3sat-Bericht, Juni 2008, online: www.3sat.de/page/?source=/scobel/122961/index.html (21.3.2011).

  18. Liselotte Hermes da Fonseca, "Trauerlose Würfelanatomie" als Gesellschaftsmodell, in: dies./Thomas Kliche (Hrsg.), Verführerische Leichen - verbotener Verfall. "Körperwelten" als gesellschaftliches Schlüsselereignis, Lengerich 2006, S. 432.

  19. Vgl. Nadine Witt/Thomas Dickinson, "Cryonics" - Die Wichtigkeit der Körper für die Unsterblichkeit, in: D. Groß (Anm. 13), S. 136-140.

  20. Im Unterschied zur Diamantierung wird bei der "Edelsteinbestattung" lediglich nach der Kremation die Aschekapsel eine geraume Zeit mit einem ausgewählten Edelstein gemeinsam "gelagert". Die zugrunde gelegte These ist, dass der Stein durch die Wirkung der Asche "energetisiert" wird. Vgl. Webseite eines Anbieters: www.friedjuwel.de/downloads/praesentations
    mappe.pdf (21.3.2011).

  21. Vgl. Andrea Mühlberger, Neuer Bestattungstrend aus Wien. Der Verblichene im Ohrring, ARD-Hörfunkstudio Wien vom 3.11.2006.

  22. Vgl. Petra Busch, Öko-Bestattung und Glanzstücke: Aus 75 Kilo Leiche werden 25 Kilo Dünger - oder ein Diamant, in: Kleine Inseln. Das Pietätsportal vom 20.9.2008.

  23. Leichen-Diamanten. Firma presst Tote zu Trauer-Klunkern, in: Spiegel online vom 29.8.2002: www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/
    0,1518,211215,00.html (21.3.2011).

  24. Vgl. ebd.

  25. Wegseite eines Anbieters: www.algordanza.ch/Verfahren/Bestellung.aspx (21.3.2011).

  26. Vgl. ebd.

  27. Vgl. D. Groß/M. Ziefle (Anm. 1), S. 134.

  28. Zygmunt Baumann, Tod, Unsterblichkeit und andere Lebensstrategien, Frankfurt/M. 1994, S. 93.

  29. Zit. nach: Nina Kleinschmidt/Henri Wagner, Endlich unsterblich? Gunther von Hagens - Schöpfer von Körperwelten, Berlin 2000, S. 82.

  30. Vgl. Eva Blome/Johanna A. Offe, Die Konstruktion des Echten: Das Körperbild der Ausstellung Körperwelten, in: L. Hermes da Fonseca/Th. Kliche (Anm. 18), S. 191.

  31. Vgl. ebd., S. 208.

  32. Tatsächlich lassen sich viele Argumente anführen, die eine solche Einschätzung zumindest relativieren. Zum einen bleiben die Leichname in der Regel nicht als Ganzkörper-Plastinate erhalten, sondern werden in "Baukastenmanier" neu zusammengesetzt. Ebenso sagen die Posen der Plastinate nichts über die Körperspender aus: Das als Schachspieler inszenierte Plastinat muss kein Schachspieler gewesen sein, so dass es sich um willkürliche Zuschreibungen von "Identitäten" handelt. Vgl. Liselotte Hermes da Fonseca, "Lifeseeing" in den "Körperwelten", in: dies./Th. Kliche (Anm. 18), S. 14; Michael Langhanky, Jenseits des Anstands - Ein Versuch über Anstand, Abstand und Transformation, in: ebd., S. 66f.

  33. Vgl. Peter Hossli/Robert Huber, Verstorben, bis auf weiteres, in: Focus, (2003) 43.

  34. Ebd.

  35. Vgl. Scientists' Open Letter on Cryonics, 24.3. 2004, online: www.imminst.org/cryonics_letter (21.3. 2011).

  36. Vgl. N. Witt/Th. Dickinson (Anm. 19), S. 137.

Dr. med., Dr. med. dent., Dr. phil., geb. 1964; Professor am Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Universitätsklinikum Aachen, Wendlingweg 2, 52074 Aachen. E-Mail Link: dgross@ukaachen.de E-Mail Link: dominik.gross@rwth-aachen.de