Einleitung
Es gibt viele Hinweise darauf, dass der Umgang mit der menschlichen Leiche einem grundlegenden Wandel unterliegt.
Der feststellbare Wandel evoziert zugleich die Frage nach seinen Ursachen und Implikationen. An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an: Er will verdeutlichen, dass die neue Bestattungsvielfalt nicht allein Kennzeichen einer individualisierten Gesellschaft ist, sondern zugleich Ausdruck des Bestrebens, den persönlichen Handlungsspielraum über den eigenen Tod hinaus auszudehnen. Dabei dient der eigene Leichnam gewissermaßen als Mittel zum Zweck.
Bestattungspluralismus: Ausdruck von Individualisierungstendenzen?
Wer sich mit den gegenwärtigen Möglichkeiten der Bestattung des menschlichen Leichnams beschäftigt, sieht sich mit einer Fülle von Optionen konfrontiert:
Die Erd- beziehungsweise Sargbestattung gilt als die klassische und nach wie vor häufigste Bestattungsart.
Lässt die Erdbestattung bereits eine zunehmende Zahl von Wahlmöglichkeiten zu, so gilt dies für die Feuer- beziehungsweise Urnenbestattung in weit größerem Maße.
Einer zunehmenden Beliebtheit unter den Bestattungsformen erfreut sich die Naturverstreuung. So besteht beispielsweise in der Schweiz die Möglichkeit, die Asche auf ausgewiesenen Aschestreuwiesen zu verstreuen. Bei der Himmelsbestattung
Eine größere quantitative Bedeutung kommt der Verwahrung der Asche im Privatbereich zu. Zwar verbietet der Friedhofszwang in Deutschland die Möglichkeit, die Asche eines Verstorbenen im Privatbereich aufzubewahren, doch steigt die Zahl der Menschen, die diese Regelung umgehen. Die Einäscherung muss hierbei entweder im Ausland vorgenommen werden, oder dem deutschen Krematorium geht eine ausländische Urnenanforderung zu. Das Krematorium verschickt daraufhin die Asche in der Regel ohne weitere Formalitäten per Post ins Ausland. Wird von den lokalen Behörden zur Ausstellung der Bestattungserlaubnis der Nachweis einer Grabstätte im Ausland gefordert, werden oftmals kostengünstige ausländische Verstreuungsgrabstätten angegeben. Anschließend holen Angehörige die Asche entweder selbst im Ausland ab oder sie wird ihnen vom ausländischen Bestatter per Post zugeschickt. Aufgrund der beschriebenen Praxis gewinnt die Verwahrung der Totenasche im Privatbereich zunehmend an Bedeutung - auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Kosten für diese Art der privaten "Bestattung" vergleichsweise niedrig sind.
Tradition hat in Deutschland auch die postmortale Körperspende an ein anatomisches Institut. In diesen Fällen werden die Leichname als Lehr- und Studienmaterial verwendet. Anschließend wird der Körper eingeäschert und auf Kosten des Instituts oder gegen einen geringen Kostenbeitrag bestattet. Eine Körperspende kann nur dann angenommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten eine entsprechende schriftliche Erklärung gegenüber dem betreffenden anatomischen Institut abgegeben hat. Neben altruistischen und fachlichen Motiven werden mittlerweile auch finanzielle Aspekte für die Entscheidung zur Körperspende geltend gemacht.
Als Innovation auf dem Gebiet der Bestattungstechnologie gilt demgegenüber die Promession.
Eine weitere neue Bestattungsmethode ist die alkalische Hydrolyse oder Resomation, bei welcher der Leichnam durch die Einwirkung einer starken Lauge aufgelöst wird. Die Leiche wird in einem Druckbehälter aus Edelstahl bei Temperaturen von 150 bis 160 Grad Celsius in Kalilauge binnen weniger Stunden zersetzt. Abgesehen von wenigen Knochenresten resultiert hierbei eine braune, äußerst zähflüssige Flüssigkeit, die über den Abfluss entsorgt werden kann. Bis zum Sommer 2007 wurden in den USA angeblich etwa 1000 Menschen auf diese Art bestattet.
Entritualisierung des Umgangs mit den Toten
Jeder zweite Deutsche tritt durch die Wahl individualisierter Bestattungsformen, -orte und -rituale bewusst aus der traditionellen Erinnerungskultur heraus. Eine zunehmende Entritualisierung des Umgangs mit den Toten und eine tendenzielle Abkehr vom Friedhof als traditionellem Ort des Leichnams und der letzten Ruhe gehen damit einher. Der Wandel der Bestattungsriten und der Erinnerungskultur spiegelt damit beispielhaft die gesellschaftlichen Trends zur Säkularisierung, Liberalisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Privatisierung und Technisierung. Der gezielte Zugriff auf die eigene Bestattung lässt sich mit vielfältigen programmatischen Zielen verbinden:
mit dem Ziel, sich durch die Wahl einer speziellen Bestattungsform gegenüber anderen abzugrenzen oder sich selbst zu inszenieren. Bei dieser Ausgestaltung fungiert der Verstorbene (letztmalig) als Dramaturg seiner eigenen Lebensgeschichte: "Wer will, kann seine Asche als Feuerwerk am Himmel explodieren lassen oder aber seine sieben Gramm Totenasche zu einer Weltraumbestattung in den Orbit schießen lassen, um dort mit der Urnenkapsel als Sternschnuppe zu verglühen."
mit dem Ziel, den eigenen Lebensverlauf durch die Wahl der Bestattung in einem gleichsam symbolischen Akt zu "spiegeln". Die Seebestattung von Matrosen und Seeleuten gehörte früher zu den wenigen etablierten alternativen Bestattungsformen. Hintergrund war der Wunsch der Betroffenen, durch diese Form der Beisetzung die "programmatische" Rolle des Meeres in ihrem Leben zu dokumentieren. Ähnliches gilt für eingefleischte Fußballfans, die in Gräberfeldern ihres Vereins ihre letzte Ruhestätte finden wollen. Ein Beispiel hierfür bietet der Hamburger Sportverein (HSV), der auf dem Friedhof Altona in unmittelbarer Nähe des Fußballstadions ein Gräberfeld reservieren ließ.
mit dem Ziel, dem Leben eine besondere (wie gemeinschaftsstiftende) Sinnhaftigkeit zu verleihen. Beispiel hierfür ist die anatomische Körperspende bei Personen, die ihren toten Körper in den Dienst der Allgemeinheit stellen wollen.
mit dem Ziel, eine besondere Naturverbundenheit zu demonstrieren. Die Baumbestattung in Friedwäldern kann als Ausweis besonderer Naturverbundenheit oder einer naturreligiösen Einstellung interpretiert werden. Gleiches gilt für die verschiedenen Formen der Naturverstreuung.
Die beschriebene Herausbildung diverser posttraditionaler Bestattungsformen ist Ausdruck zunehmender Autonomiebestrebungen. Der bewusste Zugriff auf die eigene Bestattung(sform) eröffnet einen persönlichen Aktionsraum. Gleichzeitig zeigt sich ein neuer, stark säkularisierter und technisierter Umgang mit dem Tod: Voraussetzung für den beschriebenen Bestattungspluralismus war eine Schwächung beziehungsweise die Aufhebung des traditionell engen gedanklichen Zusammenhangs zwischen der (kirchlicherseits favorisierten) Erdbestattung und dem Wiederauferstehungsglauben. An seine Stelle treten neue Interpretationsmuster des Todes und neue Versuche einer Relativierung und Überwindung desselben - wiederum auf der Grundlage der Dienstbarmachung des eigenen toten Körpers und unter Zuhilfenahme neuester technischer Methoden.
Zugriff auf den eigenen Leichnam: Diamantierung, Kryonisierung, Plastination
Der beschriebene Bestattungspluralismus ist Zeichen einer individualisierten Gesellschaft, aber auch Ausdruck des individuellen Versuchs, den persönlichen Tod durch einen spezifischen Zugriff auf die Leiche zu relativieren. Liselotte Hermes da Fonseca zufolge stellt der Tod die "größte Kränkung des Menschen" dar.
Diamantierung
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Die Diamantbestattung ist in Deutschland aufgrund des Bestattungszwangs unzulässig, wird aber geduldet, wenn die Asche des Verstorbenen in Länder gebracht wird, in denen die Diamantierung als ordentliche Bestattung akzeptiert wird. Dies ist mittlerweile in vielen Staaten der Fall. Verlässliche Daten zur Zahl der Diamantbestattungen liegen nicht vor; es ist jedoch davon auszugehen, dass die hohen Preise limitierend wirken, zumal die Beisetzung der nicht verbrauchten Asche weitere Kosten verursacht. Dass man mit der Diamantierung der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens entgegenzutreten glaubt, insinuiert bereits die Wortwahl der Unternehmen in ihren Werbekampagnen. So wird die Diamantierung als Prozesskette beschrieben, an dessen Beginn eine "Leiche" und an dessen Ende ein "Lebensjuwel" ("LifeGem") stehe.
Die Diamantierung des Leichnams kann verschiedenen Zielen dienen. Im einfachsten Fall ist sie an die Vorstellung geknüpft, mit dem Schmuckstein eine konkrete Erinnerung an den Verstorbenen zu erhalten. Dass man mit der Diamantierung allerdings nicht vorrangig Hinterbliebene ansprechen möchte, sondern vielmehr den Lebenden und dessen Wunsch nach fortwirkender Selbstbestimmung, zeigt ein Blick auf die Webseiten der Anbieter. Diese werben mit dem Angebot, Diamanten bereits zu Lebzeiten vorzubestellen.
Plastination.
Der Begriff Plastination beschreibt ein vergleichsweise neues Konservierungsverfahren, das bei der anatomischen Präparation von toten Körpern und Körperteilen Verwendung findet. Die durch Gunther von Hagens etablierte Technik wurde bekannt durch die Wanderausstellung "Körperwelten", in der derartige anatomische Präparate sowie vollständige Leichen öffentlich präsentiert werden. Das Verfahren ist dadurch charakterisiert, dass das in den Zellen vorhandene Wasser durch Kunststoff (Polymere) ersetzt wird. Dadurch entstehen Präparate, die den natürlichen Gegebenheiten sehr nahekommen. Plastinate sind dauerhaft haltbar. Anders als die Diamantierung oder die nachfolgend beschriebene Kryonik fallen für die Körperspende mit dem Ziel der Plastination keine Kosten an; sie ist somit der breiten Bevölkerung zugänglich. Tatsächlich erfreut sich die Plastination eines wachsenden Interesses.
Der Wunsch, den eigenen Leichnam posthum in ein Plastinat überführen zu lassen, kann durchaus unterschiedlich motiviert sein: Die Plastinierung kann zum Beispiel - ähnlich wie die Diamantierung - an das Ziel geknüpft sein, post mortem durch die fortdauernde physische Präsenz besser in Erinnerung zu bleiben. In diesem Fall steht der Wunsch, der Verwesung entrissen zu werden - die Sterblichkeit im Sinne von Vergänglichkeit zu überwinden -, im Mittelpunkt des Interesses. Angesprochen ist hiermit letztlich der Denkmalcharakter eines Plastinats. Die eigene Plastinierung kann aber auch an den weitergehenden Wunsch gekoppelt sein, zu "über"leben. In diesem extremen Fall wird der Präparator tatsächlich als "Unsterblichkeitsmakler"
Ob eine solche subjektive Wahrnehmung einer kritisch-objektiven Beurteilung standhält, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden.
Kryonisierung.
Ein dritter Versuch, den Tod gefügig zu machen, stellt die Kryonik oder Kryostase dar. Sie dient dem Ziel, verstorbene Menschen mittels Kältekonservierung für die Zukunft zu erhalten, um sie zu einem geeigneten Zeitpunkt ins Leben zurückzuführen. Anhänger der Kryonik gehen davon aus, dass die Medizin künftig die Krankheit, die zum Tod des Menschen geführt hat, heilen und darüber hinaus Körper, Geist und Intellekt des Verstorbenen wiederbeleben kann. Der Betroffene wird hierbei unmittelbar nach seinem Tod kältekonserviert. Dazu bedient sich die moderne Kryonik der Vitrifizierung: Das Blut wird durch eine Kühlflüssigkeit ersetzt, um damit die Entstehung von Eiskristallen, welche die Zellmembranen zerstören würden, zu verhindern. Zur Lagerung wird der Organismus üblicherweise bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff gekühlt. Zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft soll der kryokonservierte Körper "reanimiert" werden. Die Kosten für eine Ganzkörperkonservierung werden auf etwa 120000 US-Dollar beziffert, der Betrag für eine Neurokonservierung wird mit 50000 US-Dollar angegeben.
Wenngleich die überwältigende Mehrheit der Biowissenschaftler und Mediziner grundsätzlich bezweifelt, dass eine fortgeschrittene Wissenschaft der Zukunft kryokonservierte Körper wiederbeleben kann, gibt es gerade unter den Anhängern der Kryonik auch viele Wissenschaftler.
Inszenierung des Weiter-Lebenden
Der postmoderne Mensch denkt sich seinen Tod und seine postmortale Existenz neu. Damit einher gehen eine Abkehr vom Friedhof als herkömmlichem Ort des Leichnams und der letzten Ruhestätte, aber auch eine (partielle) Abkehr vom (christlichen) Wiederauferstehungsglauben. An dessen Stelle treten neue säkulare Deutungsmuster des Todes, aber auch Versuche einer Relativierung desselben. Der Umgang mit der eigenen Leiche folgt vielfach einer individuellen Programmatik mit dem Ziel, sich durch die Wahl einer speziellen Bestattungsform selbst zu inszenieren und den eigenen Lebensverlauf durch die Wahl der Bestattung zu "spiegeln". Die eigene Leiche dient bei allen genannten Formen als Mittel, um einen Zustand der materiellen Fortexistenz als "Überleben" zu "inszenieren".
Diese Inszenierungen erfolgen auf dreierlei Weise: (1) Bei der Diamantierung stehen Unvergänglichkeit und Ästhetisierung im Mittelpunkt der Programmatik - Eigenschaften, die im vollständigen Gegensatz zum Zerfall und Verwesung konventionell bestatteter Leichname stehen. (2) Die Plastination ist ihrerseits als Inszenierung einer "Verlebendigung" zu interpretieren; hier wird Unvergänglichkeit (verkürzt) mit Unsterblichkeit gleichgesetzt. Am weitreichendsten ist indessen (3) die Kryonik, die als neue, auf Technikgläubigkeit fußende Form des "Wiederauferstehungsglaubens" interpretiert werden kann, und der eine konkrete, am engeren Wortsinn orientierte Definition von Unsterblichkeit zugrunde liegt. In allen Fällen handelt es sich damit um Versuche der Grenzverschiebung zwischen Leben und Tod. Ziel ist die Erreichung eines "Zustands", in dem der Tod nicht mehr Tod im absoluten Sinne bedeutet, und bei dem keiner mehr "vergeht", wenn er stirbt. Der Tote wird zum Weiter-Lebenden umdefiniert.