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Kann ein regulierter Organmarkt den Organmangel beheben - und zu welchem Preis? | Organspende und Selbstbestimmung | bpb.de

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Kann ein regulierter Organmarkt den Organmangel beheben - und zu welchem Preis?

Ingrid Schneider

/ 17 Minuten zu lesen

Der Beitrag überprüft Modelle eines staatlich regulierten Organmarktes. Sowohl hinsichtlich der politischen und kulturellen Durchsetzbarkeit als auch der praktischen Regulierbarkeit scheinen solche Ansätze zum Scheitern verurteilt zu sein.

Einleitung

Das Verbot des Organhandels ist in einer Vielzahl von Rechtsordnungen wie im deutschen Transplantationsgesetz von 1997 strafrechtlich kodifiziert. Begründet wird es mit der universalen Norm der Nicht-Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, die auch in der EU-Grundrechtecharta, Resolutionen der Weltgesundheitsorganisation, den Weltgesundheitsversammlungen und der Biomedizinkonvention des Europarats verankert ist. Seit etwa vier Jahrzehnten gibt es aber Vorstöße, die Organabgabe zu kommerzialisieren. Die Initiative ging von Transplantationsmedizinern aus und wird von Juristen, Ökonomen und Philosophen flankiert. Ihnen gemeinsam ist eine utilitaristische Argumentation, die auf den Organmangel fokussiert. Ihre Prämisse ist, dass finanzielle Anreize das Organaufkommen zu steigern vermögen. Postuliert wird zudem eine Win-win-Situation für den bezahlten Organspender und den Empfänger sowie - zumindest im Fall der Nierentransplantation - eine Kostenersparnis für die Gesellschaft, da die Dialysebehandlung kostenintensiver sei als eine Nierentransplantation. Die zentrale Argumentationsfigur bildet die Autonomie des Organverkäufers: Sie wird dabei als umfassendes Selbstverfügungsrecht über den eigenen Körper verstanden, das ein "Recht auf Selbstschädigung" einschließe und Körperteile als "Eigentum" fasse. Ein weiteres Argument entspringt dem Liberalismus: Die Befürworter wenden sich gegen eine staatliche Bevormundung, die sie als überholten Paternalismus und Überregulierung brandmarken und stattdessen eine Art "Freiheit zum Organverkauf" ausrufen.

Allerdings ist solchen Vorschlägen paradoxerweise ein starker Etatismus eigen. Gefordert wird ein "regulierter Organmarkt". Dessen zentrale Elemente sind eine nationale Beschränkung der Organzirkulation, Mindestnormen für Spendewillige wie Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit, aber auch, dass es keine schuldrechtliche Verpflichtung zum Organverkauf geben dürfe. Zudem wird vorgeschlagen, Festpreise für ein Organ festzulegen. Die Organallokation soll von einer zentralen, staatlich überwachten Stelle vorgenommen werden und die Verteilung unabhängig von der Zahlungsfähigkeit erfolgen. Das bedeutet für den hiesigen Kontext, dass die Krankenkasse des Empfängers die Kosten für den Organkauf übernehmen soll. Die Forderung nach einer Liberalisierung wird also mit einer starken Regulierung verbunden: Die Abwehr staatlicher Eingriffe ist an einen ausgeprägten Regulierungsoptimismus gekoppelt, der einen starken Staat und effiziente bürokratische Verfahren voraussetzt, um einen "Missbrauch" abwenden zu können.

Anreizmodelle zur postmortalen Organspende

Die Modelle zur Kommerzialisierung der Organspende setzen entweder bei der Organspende nach Hirntod oder bei der Lebendspende an. Bei ersteren Anreizmodellen muss zwischen verschiedenen Adressaten und damit zusammenhängenden Verfügungsmodalitäten unterschieden werden.

Ex-ante Verfügungen richten sich an den vermutlichen Spender. Durch Rabatte auf die Krankenversicherung oder Steuererleichterungen soll die Organabgabebereitschaft erhöht werden. Die Machbarkeit dieser Modelle scheitert jedoch schon allein unter dem Gesichtspunkt ökonomischer Effizienz. Denn der dissoziierte Hirntod (vollständiger Ausfall der Hirnfunktionen bei künstlicher Aufrechterhaltung der Herz-Kreislauf-Funktionen) ist ein sehr seltenes Ereignis. Angesichts eines durchschnittlichen Spenderpotenzials von 30 bis 60 Personen pro eine Million Einwohner und Jahr lohnt es sich kaum, Menschen für ihre Organspendebereitschaft vorab zu entlohnen. Würde der Rabatt sehr niedrig ausfallen, dürfte dies überdies kaum die Motivation steigern. Außerdem wächst die Bereitschaft zur Organfreigabe wohl in dem Maße, in dem Menschen selbst eher auf ein Organ angewiesen sein dürften, also im fortgeschrittenen Alter und bei Krankheit, womit diese Personen aber tendenziell eher ungeeignete Spender darstellen.

Ex-post Anreizmodelle richten sich an die Angehörigen. Dabei soll die Bereitschaft zur Organfreigabe beispielsweise durch die Übernahme der Bestattungskosten gesteigert werden. Dieses Modell stößt jedoch auf ethische Probleme: Die ohnehin schwierige Situation, bei der Angehörige in unmittelbarer Trauer unter akutem Entscheidungsdruck stehen, würde durch eine solche mit monetären Werten verbundene Anfrage zusätzlich belastet. Eine Zustimmung unter solchen Vorzeichen kann als Verletzung der Pietät und als Verstoß gegen die den Angehörigen obliegende "Totensorgepflicht" empfunden werden. Kritiker betonen, dass sich die intime soziale und moralische Beziehung zur toten Person durch den Einzug pekuniärer Aspekte verändert und der Eindruck entstünde, die Körperteile des Angehörigen würden "wie auf dem Gebrauchtwagenmarkt verschachert". Bisher sind alle Vorstöße, monetäre Anreize zur postmortalen Organspende einzusetzen, politisch gescheitert.

Lebendspende gegen Entgelt

Für die Lebendspende einer Niere oder eines Leberteils wird vorgebracht, dass damit ein potenziell nachfragedeckendes Angebot geschaffen werden könne. Als Vorteil der Lebendspende gilt, dass es sich um einen planbaren Eingriff handelt und beim Empfänger ein besseres medizinisches Ergebnis zu erreichen ist. Umstritten ist allerdings, ob die Risiken für die Spender - die Gefahr von Komplikationen und schweren Schädigungen, Berufsunfähigkeit bis hin zum Tod - vertretbar sind.

Zu den wichtigsten Argumentationsfiguren für die Zulassung des Organverkaufs zählt, dass der Verkauf eines Körperteils mit dem Verkauf der Arbeitskraft analog gesetzt wird. Wer dies intuitiv als etwas Grundverschiedenes ansieht, dem wird entgegengehalten, es handle sich lediglich um einen graduellen Unterschied. Gesundheits- oder gar Lebensgefährdungen könnten schließlich auch in Risikoberufen wie etwa von Feuerwehr- und Bergleuten, Rennfahrern oder Söldnern gegen Lohn eingegangen werden. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Verkauf der Arbeitskraft nur eine begrenzte Zeit des Tages einnimmt, die Person danach "sich selbst" gehört oder auch das Arbeitsverhältnis kündigen kann. Der Verkauf eines nicht-regenerierbaren Organs hingegen ist ein singulärer, unumkehrbarer Akt. Die invasive Verletzung des Körpers ist eine notwendige Voraussetzung für die Organentnahme, nicht lediglich eine in Kauf genommene mittelbare Folge.

Semantische Strategien zur graduellen Enttabuisierung des Organhandels lassen sich unter dem vom indischen Arzt C.T. Patel im Jahr 1987 geprägten Begriff des rewarded gifting (belohntes Geschenk) zusammenfassen. Indem man sich vom "aggressiven" Organhandel distanziert und die Entlohnung als "Aufwandsentschädigung", "Schmerzensgeld" oder "Kompensation" deklariert, wird eine diskursive Verbrämung des Organverkaufs betrieben, welche Akzeptanz für neue Handlungsoptionen schaffen soll. Diese Strategien verkennen jedoch, dass mit der Einführung monetärer Mittel in die Organabgabe ein grundlegender Systemwechsel eingeleitet wird. Bevor ich diesen Wechsel genauer beleuchte, widme ich mich der empirischen Evidenz für die propagierte Win-win-Situation.

Verbesserung der Lebenssituation der Organverkäufer?

Teilweise wird der Organhandel sogar zu einer Form von Existenzförderung oder Entwicklungshilfe stilisiert. Es sei zynisch und heuchlerisch, armen Menschen diese Chance vorzuenthalten, ihre Lebensverhältnisse zu verbessern. Durch ein Verbot des Organverkaufs nötige man Menschen dazu, in Umständen zu leben, die sie selbst als schlechter einschätzen als den Verkauf einer Niere. Demgegenüber ist einzuwenden, dass es keinerlei empirische Belege dafür gibt, dass durch einen Organverkauf Menschen besser gestellt werden, sich aus sozialen Notlagen befreien können oder darüber ein Startkapital für eine nachhaltige Existenzsicherung erhalten. Vielmehr belegen etliche empirische Studien, dass der Organverkauf keineswegs zu einer nachhaltigen Lebensverbesserung für die Verkäufer führt. Eine Studie an 305 Nierenverkäufern in Chennai (Indien), die sechs Jahre nach der Operation befragt wurden, ergab folgende Resultate: 71 Prozent der Nierenverkäufer waren Frauen, teilweise wurden sie vom Ehemann zur Veräußerung gedrängt; fast alle Personen waren durch Überschuldung der Familie in den Verkauf getrieben worden; durchschnittlich erhielt jede Person 1070 US-Dollar für ihr Organ; drei Viertel der Befragten blieben weiterhin verschuldet, die Zahl derer, die unter der Armutsgrenze lebten, nahm zu; 86 Prozent berichteten von einem verschlechterten Gesundheitszustand nach der Nierenentnahme; die meisten (79 Prozent) rieten vom Verkauf einer Niere ab. Diese Zahlen werden durch qualitative Studien bekräftigt: 30 Nierenverkäufer in einem Slum in Madras waren durchgängig binnen weniger Jahre wieder überschuldet. In dem als kidney zone bekannten Gebiet intensivierten Organmakler ihre Suche, während gleichzeitig Gläubiger noch aggressiver Schulden eintrieben. Verwandte von Nierenkranken hingegen zogen sich, unter Verweis auf die Möglichkeit, eine Niere extern zu kaufen, zurück.

Iran ist das einzige Land weltweit, das ein staatlich organisiertes Ankaufsystem für die Nierenabgabe seit Ende der 1980er Jahre institutionalisiert hat. Jährlich werden rund 1500 solcher bezahlten Nierentransplantationen durchgeführt. Neben einer staatlich festgelegten Summe von rund 900 Euro erhalten Nierenverkäufer ein Jahr lang freie Gesundheitsversorgung sowie in der Regel nach der Operation einen verhandelbaren Betrag vom Empfänger. Eine Befragung von 300 Nierenverkäufern dokumentiert, dass zwei Drittel negative Auswirkungen auf ihre Arbeitssituation hinnehmen mussten. Keiner der Befragten entkam Armut und Verschuldung. Vier von fünf konnten keine Nachsorge in Anspruch nehmen. 85 Prozent würden, hätten sie die Chance dazu, ihre Niere nicht noch einmal verkaufen. Auch wenn es Zweifel an der Übertragbarkeit dieser Ergebnisse aus Staaten wie Indien und Iran auf Industrieländer geben mag, so ist doch hierzulande ebenfalls bekannt, dass einmalige Geldzahlungen (wie ein Lottogewinn) in der Regel keineswegs zu nachhaltigen Verbesserungen der Lebenssituation führen, sondern zur Stabilisierung von prekären Lebensverhältnissen andere Faktoren wie eine solide Ausbildung und gesicherte Arbeitsplätze notwendig sind.

Systemwechsel: Vom Gabentausch zum (regulierten) Markt

Nach bisher vorherrschenden sozialen und kulturellen Normen unterliegt die Entäußerung von Organen dem sozialen Modus des Gabentauschs. Organe werden freiwillig gegeben, die Spende erfolgt in der Erwartung, dass sie angenommen und therapeutisch verwendet wird. Die unentgeltliche Gabe beruht auf dem Prinzip einer generalisierten Reziprozität, wonach jede Person prinzipiell sowohl Organspenderin wie auch Empfängerin sein kann. Sie ist mit einer ideellen Vergemeinschaftung verknüpft und impliziert moralische - nicht aber rechtliche - Verpflichtungen von Personen zueinander. Organe zirkulieren in einer "Sphäre" außerhalb von Marktmechanismen.

Im Gegensatz dazu streben Kommerzialisierungsansätze ein Marktmodell an. Organe werden als Eigentum ihres Trägers betrachtet und sind Vertragsmechanismen zugänglich. Allerdings sprechen sich ihre Befürworter niemals für volle Marktmechanismen aus, die etwa volle Vertragsfreiheit zwischen Organverkäufer und Käufer zuließen und die Preisbildung dem Verhältnis von Nachfrage und Angebot freigeben würden. Vielmehr wird für starke Einschränkungen der Vertragsfreiheit und umfassende staatliche Regulation plädiert. So soll für den Organankauf eine zentrale Institution aufgebaut werden. Die Zuteilung der Organe soll nicht nach Zahlungsfähigkeit erfolgen, da sonst ein Organtransfer "von arm zu reich" stattfände, unabhängig vom medizinischen Gebot der Allokation nach medizinischer Bedürftigkeit und Dringlichkeit.

In Bezug auf das Verhältnis dieser beiden sozialen Austauschmodi - Gabentausch versus (regulierter) Markt - stellt sich aber die Frage, ob mittelfristig eine Koexistenz möglich ist. Dieser Disput wurde bereits in den 1970er Jahren ausführlich in der Titmuss-Arrow-Kontroverse geführt. Im Anschluss daran weisen eine Vielzahl von theoretischen und empirischen Forschungsergebnissen darauf hin, dass es zu Verdrängungseffekten (Crowding out) kommen wird, bei denen marktbasierte Anreizsysteme die moralisch motivierte Gabe verdrängen. Im Ergebnis würde dies entweder zu einem ineffektiven Nullsummenspiel führen oder es könnte sogar in der Bilanz das Organaufkommen insgesamt zurückgehen.

Einwände gegen Kommerzialisierung

Mit konsequentialistischen Begründungen lässt sich eine Bezahlung von Organspendern vor allem damit zurückweisen, dass sie eine sozioökonomische Selektivität in der Rekrutierung von Spendewilligen hervorruft: Selbst wenn eine gerechte und gleiche Organallokation durch eine "Poollösung" (staatlich organisierter Organverkauf mit Zuteilung nach Verteilungsregeln wie Dringlichkeit, Wartezeit, Effizienz) sichergestellt würde, ergäbe sich ein sozialer Bias bezüglich der Verkaufswilligkeit: Die Organaufbringung würde einseitig zulasten ökonomisch unterprivilegierter Bevölkerungsschichten erfolgen. Damit würden bestehende soziale Ungleichheiten um eine weitere Dimension verschärft. Ökonomisch Schwachen würde zugemutet, ihr Recht auf körperliche Integrität preiszugeben. Damit würden grundlegende gesellschaftliche Gleichheitsnormen bezüglich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit aufgegeben. Vor diesem Hintergrund reformuliert die Debatte grundlegende politische Fragen nach dem Verhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit: Die Egalitätsnorm wird der Freiheitsnorm geopfert. Es fragt sich aber, wessen Freiheit hier verteidigt wird.

Die Zulassung des Verkaufs von Organen dürfte zu einer sozialen Schieflage auf der Seite der Entnahme führen. Die Proklamation der materiellen Selbstverwertung macht das bisher nicht gegen Geld zu kaufende zugänglich, die Hautgrenzen durchlässig, das Körperinnere finanziell taxierbar und ökonomisch verwertbar. Um es pointiert auszudrücken: Es wäre eine soziale Unterklasse, deren physische Integrität angetastet werden könnte und die zur Organbank für die Gesellschaft erklärt würde. Die Funktion der Debatte liegt darin, Zugriff auf das zu schaffen, was bisher gegen Geld nicht zu kaufen war: vitale Teile des Körpers eines Anderen. Durch die Zulassung eines - wie auch immer regulierten - Organverkaufssystems werden Mitglieder vulnerabler gesellschaftlicher Gruppen dem Druck ausgesetzt, eine monetär vermittelte Entscheidung über ihre Selbstschädigung zu treffen.

Internationale Dimension

Eine nationale Beschränkung, die bei fast allen Modellen eines "regulierten Organmarktes" vorausgesetzt wird, erscheint in der Realität einer globalisierten Welt kaum möglich. Das Transplantationssystem ist bereits jetzt transnational organisiert. Die Lebendspende in Deutschland ist bisher an die enge persönliche Nähe und familiäre Bindungen gekoppelt, nicht aber an die Nationalität des Spenders. Eine Begrenzung von Lebendspenden auf deutsche Staatsangehörige oder Menschen mit festem Wohnsitz in Deutschland wäre rechtlich kaum zulässig (Diskriminierungsverbot). Beschränkungen in Bezug auf eine ökonomische Notlage als Beweggrund für den Organverkauf, indem zum Beispiel Empfänger von Leistungen nach "Hartz IV" oder Hochverschuldete von der Organabgabe gesetzlich ausgeschlossen würden, wären zu anfällig für Manipulationen, als dass sie effektiv durchsetzbar wären. Regulierung schafft neue Kontroll- und Überwachungsprobleme. Paradoxerweise dürften regulative "Hürden" zum Schutz einer vermeintlich "wahren Autonomie" des Organverkäufers die Tendenz befördern, dass Menschen in Drittländer mit niedrigeren regulativen Anforderungen ausweichen. Es würde ein Patiententourismus in Länder mit "günstigerem" Organangebot ausgelöst. Ebenso könnte eine regulierte Zulassung von Organmärkten mit der Absicht, einem "schwarzen" Organhandel Einhalt zu gebieten, den Organtourismus verstärken, wenn Patienten sich transnational auf die Suche nach dem billigsten Organ begeben würden.

Diese Debatten ebnen einer graduellen Enttabuisierung des Organhandels den Weg. Insgesamt würde dies internationale Ungleichheiten noch verschärfen. Ein internationaler regulativer Unterbietungswettlauf könnte sogar die Folge sein. Angesichts dessen, dass nach UN-Schätzungen mehr als eine Milliarde Menschen weltweit mit weniger als einem US-Dollar am Tag auskommen müssen, wäre ein rapider "Preisverfall" im internationalen Organmarkt absehbar. Allein die Tatsache, dass mehr als 1,3 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, wirft aber ebenso dringende Fragen nach gesundheitspolitischen Prioritätensetzungen auf: Wessen Leben wird gerettet? Wer kann sich eine Verbesserung seiner Lebensqualität durch Transplantation leisten? Es sind auch diese internationalen Gerechtigkeitsfragen, innerhalb derer die Organtransplantation diskutiert werden muss.

Folgen des Systemwechsels

Die graduelle Enttabuisierung der Bezahlung einer Organspende führt zu einer qualitativen Verschiebung, nämlich einer Demoralisierung des Selbst- wie auch des Fremdverhältnisses: Wenn über Körperteile wie über Sachen verfügt werden kann, bedeutet dies einerseits ein verändertes Selbstverhältnis: Das Organ wird zu einem von der Körperlichkeit der Person und ihrer Identität abspaltbaren Gegenstand. Auch das Fremdverhältnis verändert sich: Die Körper(teile) der Anderen werden zu einem Gut, auf das Ansprüche erhoben werden können.

Die Steigerung der Lebensqualität von Dialysepflichtigen durch eine Nierentransplantation oder eine lebensrettende Leberteil-Übertragung findet auf Kosten einer sozialen Verrohung statt: Sie verstärkt Tendenzen einer Entsolidarisierung mit gesellschaftlich Unterprivilegierten, die der Unterstützung der Solidargemeinschaft bedürfen. Sozialpolitisch bedeutet dies, dass das Recht auf körperliche Integrität für ökonomisch Schwache im Namen der Autonomie preisgegeben wird. Um es pointiert auszudrücken: Es wird nie der Studienrat sein, der sich über den Nierenverkauf statt einer Reise nach Sylt einen Urlaub auf den Seychellen leistet. Es wären mit hoher Wahrscheinlichkeit arbeitslose und hoch verschuldete Menschen, die ihre Lage als aussichtslos empfinden und den Organverkauf als "letzte finanzielle Reserve" erwägen würden.

Solche Verzweiflungstaten werden mithilfe des Autonomiepostulats zu rationalen Akten in Freiheit und Selbstbestimmung glorifiziert. Bemerkenswert bleibt, dass diese Selbstbestimmungsforderung nicht von armen, entrechteten und benachteiligten Gruppen ausgeht. Nirgendwo auf der Welt haben sich Menschen kollektiv organisiert, um für ihr "Recht auf einen Organverkauf" zu streiten. Diese fehlende "Selbstartikulation" und Selbstorganisation von Organverkaufswilligen ist ein wichtiges Indiz: Sie weist auf die implizite Parteilichkeit der wissenschaftlichen Vorstöße hin, die einen Organmarkt etablieren wollen. Im Namen der "Autonomie" des (entlohnten) Organspenders werden die partikularen Interessen der mutmaßlichen Organempfänger vertreten. Es ist die Identifikation mit dem Organkauf, die entsprechende Legitimationsstrategien vorantreibt. Es sind immer die Körper der Anderen, auf die mittels des Autonomiekonstrukts Ansprüche und Zugriffsrechte erhoben werden - der eigene Körper bleibt ausgespart. Verteidigt wird daher in erster Linie die Freiheit der Organempfänger - zulasten der sozialen Gleichheit bezüglich der Unantastbarkeit der körperlichen Integrität. Die Brüderlichkeit mit "organbedürftigen" Kranken geht zulasten der sozialen Solidarität mit ökonomisch vulnerablen Gesellschaftsgruppen.

Verfassungsrechtliche Argumente

Teilweise wird die Debatte juridisch enggeführt, indem argumentiert wird, der Organverkauf bleibe eine freiwillige Entscheidung in Selbstbestimmung (nach Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz). Selbstschädigung und Selbstinstrumentalisierung seien in einem liberalen Verfassungsstaat hinzunehmen. Der Schutz des Einzelnen "vor sich selbst" sei nicht die Aufgabe des Staates und schon gar nicht mit Mitteln des Strafrechts zu erzwingen. Dagegen ist einzuwenden, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Eingriffe in Freiheitsrechte von Grundrechtsträgern unter bestimmten, engen Voraussetzungen anerkennt, um die Betroffenen daran zu hindern, sich selbst einen größeren Schaden zuzufügen. Auch die Schutzhelm- und Gurtanlegepflicht, das Verbot von Haschischkonsum und das Dopingverbot stellen einen Schutz der Staatsbürger "vor sich selbst" dar und sind verfassungsrechtlich zulässig. Der Gesetzgeber besitzt damit Gestaltungsspielräume. Dabei ist zu reflektieren, dass die Voraussetzungen von Freiheit und Handlungsfähigkeit sowohl leiblich als auch sozial vermittelt sind.

Darüber hinaus ist die Entscheidung eine explizit politische: Regulierter Organhandel bedroht durch ökonomische Mechanismen die Freiheit von Individuen zur Selbstbestimmung. Gesellschaftlich besteht die Pflicht, solche Situationen durch sozialpolitische Maßnahmen abzuwenden. Es ist ein humanitäres und sozialethisches Gebot, Menschen in ökonomischen und gesundheitlichen Notlagen Hilfe zuteil werden zu lassen. Eine Zulassung des Organverkaufs hingegen lässt das Profitieren von der Verzweiflung Anderer zu.

Bisher ist der Körper von Staatsbürgern vom Gebot der Umverteilung zu Gerechtigkeitszwecken ausgenommen. Umverteilt wird beispielsweise durch Steuern. Die Tatsache, zwei gesunde Augen zu haben, verpflichtet aber nicht, Blinden eine Augenhornhaut abzugeben. Paternalismusvorwürfe gegenüber Befürwortern eines Organhandelsverbots verdecken somit, dass Marktbefürworter ihrerseits implizite Solidaritäts- und Sozialpflichtigkeitsgebote bezüglich des menschlichen Körpers vornehmen, ohne diese plausibel zu begründen. Auch dies ließe sich jedoch als Paternalismus oder gar als "Biosozialismus" brandmarken. Ob und inwieweit der Staat über die Körper seiner Bürgerinnen und Bürger verfügen darf, bleibt eine Frage von sozialen und politischen Aushandlungsprozessen. Ein "Recht" auf das Organ eines Anderen kann es aber nicht geben.

Daher erscheint die Frage der Liberalisierungsprotagonisten: "Darf der Staat einen Organverkauf als Eingriff in die individuelle Vertragsfreiheit verbieten?" falsch formuliert. Vielmehr stellt sich die Frage, ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, in der Menschenleben durch Transplantation auf diese Weise gerettet werden, in der die Lebensqualität von Nierenkranken auf diese Weise - nämlich durch Inkaufnahme der Schädigung von Anderen - verbessert wird? Der soziale Preis, der für eine potenzielle Steigerung des Organaufkommens zu zahlen wäre, ist hoch. Und es bleibt sogar dahingestellt, ob die Annahme überhaupt einlösbar ist, dass "netto" eine substanzielle Steigerung der Organfrequenz zu erreichen wäre.

Nebenwirkungen und Folgen für die Transplantationsmedizin

Marktbasierte Ansätze operieren innerhalb einer Logik vermeintlicher ökonomischer Effizienz und Rationalität. Mit der Fixierung auf Anreize, um das Organaufkommen zu erhöhen, werden jedoch nichtintendierte Wirkungen ausgeblendet. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass davon auszugehen ist, dass die Einführung finanzieller Anreize zu Verschiebungseffekten von der Spende nach Hirntod zur Lebendspende sowie zu Verdrängungswirkungen von der unbezahlten Lebendspende im persönlichen Nahbereich zum Organverkauf zwischen einander Fremden führen würde. Bezüglich des zweiten Verdrängungseffekts ist anzumerken, dass die unbezahlte Lebendspende im bisherigen System der Begrenzung auf den persönlichen Nahbereich insofern "egalitär" wirkt, als eine entsprechende Anfrage jedem schicksalhaft - durch Erkrankung eines Elternteils, Geschwisters, Lebenspartners, Kindes - widerfahren kann. Die Sorge für konkrete Andere im sozialen Nahbereich ist allgemein ausgeprgter als die Sorge für abstrakte, ferne Andere. Dies aber ändert sich durch die Einführung von Geld: "Warum sollte ich ein Familienmitglied den Risiken einer Organspende aussetzen, wenn ich eines kaufen kann?" lautet die Devise. Für Begüterte ersetzt Geld dann die Pein, einem nahestehenden Menschen Risiken zuzumuten und sich dessen Narbe vor Augen führen zu müssen. Dies bedeutet in der Praxis aber eine sozial hierarchische Verschiebung von gesundheitlichen Risiken.

Hinsichtlich der erstgenannten Dimension, der Unterminierung der postmortalen Spende, würde ein Trend verstärkt, der ohnehin bereits in vielen westlichen Industriestaaten Fuß gefasst hat: Obwohl im deutschen Transplantationsgesetz die Subsidiarität der Lebendspende vorgeschrieben ist, stagnieren die Zahlen für die postmortale Organspende weitgehend, während die Lebendspende zugenommen hat. Die Zulassung der Organbeschaffung gegen Entgelt dürfte allerdings Konflikte innerhalb der Transplantationsmedizin selbst aufwerfen, denn Herzchirurgen bleiben auf nach Hirntod gespendete Organe angewiesen. Eine Legalisierung des Organkaufs, selbst wenn er national beschränkt bliebe, würde die Glaubwürdigkeit und das soziale Vertrauen in die Transplantationsmedizin irreparabel beschädigen. Damit beweist die Debatte wenig Sensibilität für die sozio-moralische Gratwanderung, auf der sich die Transplantationsmedizin von jeher bewegt.

Die Debatte um eine marktbasierte Regulation der Organabgabe ist von überzogenen Konzeptionen individueller Verfügungsrechte über den eigenen Leib bestimmt. Diese Autonomiepostulate maskieren jedoch einseitig potenziellen Organempfängern verpflichtete Interessen. Gleichzeitig nehmen sie implizite Sozialpflichtigkeits- und Umverteilungsgebote bezüglich der vitalen Körperteile von Menschen vor. In sozialpolitischer Hinsicht liefern sie ökonomisch vulnerable Gruppen der Preisgabe ihrer körperlichen Integrität aus und nehmen so eine weitere Spaltung der Gesellschaft in Kauf. Selbst gemessen an ihren eigenen Ansprüchen einer effizienten Organbeschaffung dürften die Modelle jedoch scheitern. Monetäre "Anreize" und ein "regulierter Organmarkt" sind untaugliche Instrumente zur Verringerung der Organknappheit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Friedrich Breyer et al. (Hrsg.), Organmangel, Berlin 2006, S. 181f.

  2. Vgl. Ingrid Schneider, Ein Markt für Organe?, in: Fuat Oduncu et al. (Hrsg.), Organtransplantation, Organgewinnung und -verteilung, Göttingen 2003, S. 189-208.

  3. Vgl. Stephen Wilkinson, Bodies for Sale, London 2003.

  4. Vgl. Friedrich Breyer, Möglichkeiten und Grenzen des Marktes im Gesundheitswesen, in: Zeitschrift für medizinische Ethik, (2002) 48, S. 111-123.

  5. Vgl. F. Breyer et al. (Anm. 1), S. 42.

  6. Thomas Murray, Organ Vendors, Families and the Gift of Life, in: Stuart Youngner et al. (eds.), Organ Transplantation, Wisconsin 1996, S. 117.

  7. Vgl. Günter Feuerstein, Das Transplantationssystem, Weinheim 1995; Ingrid Schneider, Lebendspende: Kommerzialisierung des Unbezahlbaren?, in: Gen-ethischer Informationsdienst, (2004) 163, S. 33-40.

  8. Vgl. Corinna Schutzeichel, Geschenk oder Ware?, Münster 2002.

  9. Vgl. Zwischenbericht der Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin, Organlebendspende, Deutscher Bundestag, Drucksache 15/5050 vom 17.3.2005, S. 69.

  10. Vgl. Abdullah S. Daarga, Rewarded Gifting and Rampant Commercialism in Perspective, in: Walter Land/John B. Dossetor (eds.), Organ Replacement Therapy, Berlin 1991, S. 182.

  11. Vgl. St. Wilkinson (Anm. 3), S. 120.

  12. Vgl. Madhav Goyal et al., Economic and Health Consequences of Selling a Kidney in India, in: Journal of the American Medical Association, 288 (2002) 13, S. 1589-1593.

  13. Vgl. Lawrence Cohen, Where It Hurts: Indian Material for an Ethics of Organ Transplantation, in: Daedalus, 128 (1999) 4, S. 135-165. Ähnliche Ergebnisse zeitigt eine Studie aus Pakistan: Farhat Moazam/Riffat Moazam Zaman/Aamir M. Jafarey, Conversations with Kidney Donors in Pakistan, in: Hastings Center Report, 39 (2009) 3, S. 29-44.

  14. Vgl. Anne Griffin, Kidneys on Demand, in: British Medical Journal, 334 (2007), S. 502-505.

  15. Vgl. Javaad Zarghooshi, Quality of life of Iranian kidney "donors", in: Journal of Urology, 166 (2001) 5, S. 1790-1799.

  16. Vgl. Vera Kalitzkus, Leben durch den Tod, Frankfurt/M. 2003.

  17. Vgl. Kirsten Reich, Organspendeverträge, Hamburg 2000.

  18. Vgl. Richard Titmuss, The Gift Relationship, New York 1971; Kenneth Arrow, Gifts and Exchanges, in: Philosophy & Public Affairs, 343 (1971), S. 351-355.

  19. Vgl. Yochai Benkler, Peer Production of Survivable Critical Infrastructures, 2004, S. 21ff., online: http://web.si.umich.edu/tprc/papers/2004/
    340/Benkler%20Critical%20Infrastrcutures.pdf (1.4.2011).

  20. Vgl. Peter Oberender/Thomas Rudolf, Das belohnte Geschenk, Universität Bayreuth, Wirtschaftswissenschaftliches Diskussionspapier, (2003) 12, S. 26.

  21. Vgl. Hans Schlitt, Paid non-related living organ donation, in: The Lancet, 359 (2002), S. 906f.

  22. Vgl. Nancy Scheper-Hughes, The Ends of the Body, in: SAIS Review, 22 (2002) 1, S. 61-80.

  23. Vgl. Jochen Taupitz (Hrsg.), Kommerzialisierung des menschlichen Körpers, Berlin 2007; Thomas Potthast/Beate Herrmann/Uta Müller, Ethische, rechtliche und soziale Aspekte der Kommerzialisierung des menschlichen Körpers und seiner Teile, Paderborn 2010.

  24. Vgl. Peter König, Strafbarer Organhandel, Frankfurt/M. 1999.

  25. Vgl. Beate Herrmann, Der menschliche Körper zwischen Vermarktung und Unverfügbarkeit, Freiburg i.Br. 2011.

  26. Vgl. Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, Frankfurt/M. 20062. Neben dem Körper dürfen auch andere "Dinge" nicht gegen Geld zu kaufen sein, wenn nicht die Grundlagen von Pluralismus und Egalität in einem demokratischen Rechtsstaat untergraben werden sollen wie Wahlrecht, Gerichtsurteile, öffentliche Ämter, Polygamie, Bildung und eine gewisse soziale Grundsicherung.

  27. Vgl. L. Cohen (Anm. 13), S. 161.

  28. Die Zahl der postmortal gespendeten Organe steigt erst seit 2005 wieder an. Die Rate der Nierentransplantationen nach einer Lebendspende stieg von 15,6 Prozent im Jahr 2000 auf 21,6 Prozent im Jahr 2009. Vgl. Deutsche Stiftung Organtransplantation, Jahresbericht 2009, Frankfurt/M. 2010, S. 22, S. 34.

PD Dr. phil., geb. 1962; Privatdozentin für Politikwissenschaft; wissenschaftliche Mitarbeiterin des Forschungsschwerpunkts Biotechnologie, Gesellschaft und Umwelt, Universität Hamburg, Lottestraße 55, 22529 Hamburg. E-Mail Link: ingrid.schneider@uni-hamburg.de