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Folgen von Korruption für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft | Korruption | bpb.de

Korruption Editorial Kleine Geschichte der Korruption Politik, ein schmutziges Geschäft? Korruption als Gegenstand der politischen Bildung Grauzonen moderner Korruption. Normative und soziale Bedingungen von Handlungen an der Grenze zu korruptem Verhalten Korruption und Antikorruption in Politik und Verwaltung Folgen von Korruption für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft Entwicklung, Wirtschaft(swachstum) und internationale Korruptionsbekämpfung Korruption im Sport – auch eine Gefahr für den Sport

Folgen von Korruption für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft

Dominik H. Enste

/ 15 Minuten zu lesen

Die Folgen von Korruption für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft sind vielen Studien zufolge dramatisch. Korruption behindert (zum Teil indirekt) die wirtschaftliche Entwicklung, sorgt für ein schlechteres Gesundheits- und Bildungssystem, zerstört Sozialkapital und schürt so Misstrauen in der Bevölkerung gegenüber Politik und Verwaltung.

Deutschland gehört seit vielen Jahren zu den Top-10-Ländern weltweit, in denen Korruption vergleichsweise wenig verbreitet ist. Aber wenn Sie in einem Land leben, in dem Hochschulabschlüsse käuflich sind oder an Günstlinge der Hochschulleitung oder in der Politik vergeben werden, vertrauen Sie dann dem Arzt mit Hochschulabschluss, wenn Ihr Kind krank ist, oder suchen Sie lieber nach alternativen Heilern? Vertrauen Sie dem Techniker mit Hochschulabschluss oder schließen Sie den Strom lieber selbst an? Vertrauen Sie dem Wasserwerk oder graben Sie lieber Ihren eigenen Brunnen? Wenn Funktionäre oder Manager in Unternehmen nach Proporz oder Herkunft oder durch Bestechung befördert werden: Vertrauen Sie den Unternehmen dann, dass zum Beispiel die Nahrungsmittel korrekt produziert wurden? Und vertrauen Sie den staatlichen Stellen, die Lebensmittel auf Rückstände kontrollieren sollen, wenn diese eng mit den Unternehmen verbandelt sind? Oder bauen Sie ihr Gemüse lieber selbst an und halten sich eine Kuh auf der Weide? In der Ukraine konnte ich vor einigen Jahren bei einem Forschungsaufenthalt genau das erleben. Diese landete 2020 im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International auf Platz 117 von 180 Ländern.

Die hier anekdotisch skizzierten Folgen eines Vertrauensverlustes in die öffentlichen Institutionen sind aber nur ein Resultat von Korruption. Im Folgenden sollen weitere wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen von Korruption faktenbasiert aufgezeigt werden. Dabei muss man sich bewusst machen, dass die Daten vielfach auf Schätzungen und Befragungen basieren, da Korruption sich meist im Verborgenen abspielt. Auch die Kausalität ist nicht immer empirisch eindeutig zu ermitteln, da viele Ursachen und Wirkungen von Korruption auf verschiedene Art und Weise miteinander zusammenhängen. Gleichwohl ist sich die Wissenschaft in vielem einig – unter anderem darin, dass Korruption ein sehr altes Phänomen und immer noch sehr verbreitet ist.

Korruption ist weit verbreitet

Korruption gibt es schon seit mindestens 3000 Jahren. In unterschiedlichen Formen findet sie sich in Wirtschaft, Staat, Gesellschaft und Kirchen, und auch in allen Volkswirtschaften und Wirtschaftssystemen, unabhängig von der Staats- oder Regierungsform. Allerdings hängen Ausprägung und Ausmaß der Korruption sehr wohl von kulturellen Prägungen, historischen Entwicklungen, demokratischen oder autoritären Institutionen und vom materiellen Wohlstand ab, um nur einige Einflussfaktoren zu nennen. Insofern gibt es auch deutliche Unterschiede zwischen den Ländern hinsichtlich des Auftretens und damit auch der Folgen der Korruption für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft.

Korruption ist zugleich ein hochaktuelles Thema in nahezu allen Gesellschaften. Dies gilt auch für weitentwickelte Industriestaaten wie Deutschland, etwa, wenn es zu Abweichungen bei der geplanten Reihenfolge von Impfungen gegen das Corona-Virus kommt und dabei "zufälligerweise" Bürgermeister oder andere Personengruppen bevorzugt werden. Gerade bei knappen Gütern wie aktuell dem Corona-Impfstoff oder zeitweise den Schutzmasken, aber auch generell in Hinblick auf attraktive Posten in Politik oder Wirtschaft, ist Korruption weit verbreitet. In der Ökonomie spricht man von sogenannten Positionsgütern, die nicht beliebig vermehrt werden können und bei denen es besonders hilfreich ist, wenn man jemanden kennt, der auf die Vergabe oder den Verkauf Einfluss nehmen kann. Ähnliches gilt für Großaufträge oder einmalige Geschäfte sowie generell für bestimmte Branchen wie etwa die Bauwirtschaft, wo es häufig um große Auftragsvolumina und damit um hohe Gewinne bei kriminellem Verhalten geht. Darüber hinaus sind solche Länder besonders korruptionsanfällig, die rohstoffreich sind und einen großen rohstoffgewinnenden Wirtschaftssektor haben.

Korruption hat viele Gesichter

Korruption ist ein schillernder Begriff, der vielfältige Formen und Sachverhalte umfasst, die von unmoralischem, illegitimem Verhalten bis zu strafrechtlichen Tatbeständen wie Bestechung, Erpressung und Betrug reichen. Gemeinsam ist allen Praktiken, dass ein Funktionsträger seine Position und Macht missbraucht, um persönliche Vorteile für sich oder die Familie und Freunde zu erlangen. Die kriminologische Forschung definiert Korruption als Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder in Eigeninitiative. Dabei soll ein Vorteil für sich oder einen Dritten zulasten der Allgemeinheit (bei einem Täter in amtlicher oder politischer Funktion) oder eines Unternehmens (bei einem Täter als Funktionsträger in der Wirtschaft) erzielt werden. Möglich ist Korruption zulasten eines Dritten, weil Verträge immer unvollständig sind und vollständige Transparenz aus Transaktionskostengründen unmöglich herzustellen ist. Dabei handelt es sich um sogenannte Prinzipal-Agenten-Probleme: Der Auftraggeber (Prinzipal) kann den Agenten nicht (vollständig) kontrollieren, und deshalb besteht die Gefahr, dass der Beauftragte (zum Beispiel ein Einkaufsleiter oder der schlechtbezahlte Beamte für Baugenehmigungen) für sich vorteilhafte Geschäfte abschließt oder sich bestechen lässt. Korruption umfasst dabei etwa die Annahme von Geschenken, die über ein übliches, akzeptiertes Maß hinausgehen. Eindeutiger ist es, wenn Beamte bestochen werden, damit Genehmigungen schneller oder überhaupt erteilt werden. Auch Vetternwirtschaft oder das Ausnutzen von Beziehungen ("Vitamin B") bei der Besetzung von wichtigen Stellen, die nicht nach Qualifikation besetzt werden, zählen zur Korruption. Mögen die Folgen im Einzelfall gering erscheinen, weil scheinbar niemand direkt geschädigt wird, summieren sich schon die monetären direkten und indirekten Schäden auf die gesamte Volkswirtschaft gesehen auf viele Milliarden Euro – alleine in Deutschland.

Unternehmen: Monetärer Schaden in Deutschland

Den monetären Schaden der aufgedeckten Fälle von 2015 bis 2019 beziffert das Bundeskriminalamt auf jährlich durchschnittlich 161 Millionen Euro, wobei nur bei rund einem Fünftel der Fälle ein monetärer Schaden ermittelt werden konnte. Das Dunkelfeld – also die nicht aufgedeckte Korruption – ist, basierend auf einer Unternehmensbefragung aus dem Jahr 2018, jedoch sehr viel größer, auch wenn sich die Korruptionsbekämpfung in den vergangenen Jahren verbessert hat. Keine Probleme mit Bestechung der Konkurrenten haben nach eigenen Angaben rund ein Drittel der Unternehmen in Deutschland. Umsatzverluste im Umfang von ein bis zehn Prozent durch Korruption befürchtet knapp die Hälfte der Unternehmen. Weitere 15 Prozent der Betriebe beziffern ihre Umsatzverluste durch unerlaubte Geschenke oder Absprachen sogar auf bis zu 30 Prozent. Im Vergleich zu anderen Bereichen der Wirtschaftskriminalität führt Korruption – nach Schätzungen der Unternehmen selbst – zu einem durchschnittlichen Umsatzverlust von 6,2 Prozent. Kartelle und unerlaubte Absprachen vermindern den Umsatz schätzungsweise um 7,1 Prozent, Schwarzarbeit "nur" um 4,7 Prozent.

Alle 3,3 Millionen Unternehmen in Deutschland erzielten 2017 einen Umsatz von 6,65 Billionen Euro. Der Umsatzverlust durch Korruption von 6,2 Prozent entspricht dann Umsatzeinbußen von rund 412 Milliarden Euro. Diese Einbußen sind nicht gleichbedeutend mit Verlusten für die gesamte deutsche Wirtschaft, da die Erlöse teilweise dennoch erzielt werden – nur eben mit verbotenen Mitteln oder unter Umgehung zum Beispiel von Ausschreibungsregeln. Diese Zahlen verdeutlichen, dass Korruption selbst in hochentwickelten industrialisierten Volkswirtschaften eine Gefahr darstellt. Die Schäden in Schwellen- und Entwicklungsländern, die häufig noch deutlich stärker von Korruption betroffen sind, sind entsprechend höher.

Andere Schätzungen und Analysen zur Korruption basieren unter anderem auf Befragungen von Experten oder der Bevölkerung. Auch dort wird ersichtlich, dass Korruption eine Gefahr für wirtschaftliche Prosperität und gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Für Deutschland berichten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften grundsätzlich, unter anderem wegen der verschärften Compliance-Regelungen, von einem positiven Trend der Verringerung der Korruptionsbetroffenheit. Jedes fünfte Unternehmen hat demnach 2015 noch Geschäfte aufgrund von Korruption verloren. 2017 war dies nur noch bei jedem zehnten der Fall. Zugleich geben gut 36 Prozent der Unternehmen 2020 an, von Korruptionsvorwürfen betroffen, also der Korruption beschuldigt worden zu sein. Insgesamt gehört Korruption zu den fünf kostspieligsten Arten der Wirtschaftskriminalität überhaupt.

Weniger Wohlstand, Wachstum und Wohlbefinden

Zahlreiche empirische Untersuchungen seit den 1990er Jahren zeigen, dass Länder, in denen viel Korruption gemessen wird, einen geringeren materiellen Wohlstand, gemessen am offiziellen BIP, aufweisen. Die These, dass Korruption hilfreich sei, weil dadurch ineffektive Regulierungen umgangen werden können, wird heute kaum noch vertreten. Ihre Richtigkeit konnte nur für wenige Länder empirisch bestätigt werden, in denen Korruption zur Umgehung einer außergewöhnlich ineffizienten öffentlichen Verwaltung genutzt wurde. Die neueste Studie zum Zusammenhang von Korruption und Wachstum bestätigt hingegen eindrucksvoll den negativen Wohlstandseffekt auf Basis von Daten für 175 Länder für die Jahre 2012 bis 2018. Der wachstumshemmende Effekt der Korruption ist dabei in Autokratien besonders ausgeprägt.

Eine der Ursachen für diesen Effekt ist, dass in korrupten Gesellschaften weniger private und öffentliche Investitionen getätigt werden, was wiederum das BIP senkt. Ausländische Investoren werden gegenüber Inländern benachteiligt, weil sie die für Korruption geltenden landesüblichen informellen Regelungen nicht kennen. Korruption bei der Steuererhebung, der Lizenzvergabe für die öffentliche Infrastruktur oder der Kontrolle von Umweltauflagen sorgen zusätzlich für kaum zu kalkulierende Risiken und Kosten, die ausländische Investoren abschrecken. Wenn Investitionen erst einmal getätigt sind, verlieren Unternehmer in einem korrupten Land aufgrund fehlender rechtsstaatlicher Institutionen unter Umständen ihre Eigentumsrechte, weil ihr Unternehmen verstaatlicht wird oder sie gezwungen werden, es an einen Inländer zu verkaufen. Investoren bevorzugen deswegen korruptionsfreie Länder, wie die negative Korrelation von Korruption und Direktinvestitionen auf Basis der 175 Länder belegt.

Durch Korruption entstehen zudem Ineffizienzen, das heißt, Leistungen und Produkte werden teurer erstellt als nötig oder in schlechterer Qualität. Außerdem leidet nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der öffentlichen Investitionen, weil unter anderem die Ausgaben im sozialen Sektor und in die Infrastruktur zurückgehen. Dadurch wird die nachhaltige Entwicklung eines Landes sowie die Fähigkeit einer Regierung, notwendige Reformen durchzuführen, zum Beispiel für eine bessere Regulierung oder eine schnellere Bürokratie, behindert. Grundlegende Bedürfnisse der Bevölkerung, wie der Zugang zu Bildung oder zu Gesundheitsdienstleistungen, können nicht so wie erwartet befriedigt werden. Es fehlt eine funktionierende Infrastruktur, was wiederum ein Nährboden für Korruption ist, um diese notwendigen Güter dennoch zu erhalten – ein Teufelskreis. Die dämpfende Wirkung von Korruption lässt sich auch an alternativen Wohlfahrtsindikatoren erkennen, wie etwa dem allgemeinen Wohlbefinden und der Lebenszufriedenheit. Beides ist in von Korruption betroffenen Ländern deutlich geringer ausgeprägt als in vergleichsweise korruptionsfreien.

Geringere Arbeits- und Kapitalproduktivität

Korruption wirkt sich auch negativ auf Arbeits- und Kapitalproduktivität aus. Die knappen Ressourcen werden durch Korruption in ineffiziente Bereiche, also weniger produktive Tätigkeiten, umgelenkt. Aufträge, die hohe Bestechungshonorare versprechen, werden bevorzugt gegenüber solchen, die für das Unternehmen oder die Gesellschaft wichtiger wären. Nicht mehr der qualifizierteste Unternehmer oder der mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis erhält den Auftrag, sondern der gierigste, dreisteste oder korrupteste. Gleiches gilt für Bewerber, die einen Arbeitsplatz oder eine Führungsposition erhalten: Es kommen diejenigen zum Zuge, die die höchsten Bestechungsgelder bezahlen oder die besten Verbindungen besitzen. Öffentliche Investitionen leiden darunter, dass Kontrollmechanismen zur Qualitätssicherung mithilfe von Bestechung unterlaufen werden. Korrupte Beamte verlangsamen ferner unter Umständen ihr normales Arbeitstempo, damit die Bezahlung von "Beschleunigungsgeldern" umso notwendiger wird.

Weniger Freiheit, weniger Verlässlichkeit

Nicht nur wirtschaftlich leiden die Menschen unter Korruption, sondern sie müssen auch mehr Freiheitseinschränkungen hinnehmen. Länder mit einem hohen Ausmaß an wirtschaftlicher Freiheit weisen eine deutlich geringere Anfälligkeit für Bestechung auf. Diese Länder sind zugleich stärker mit anderen Ländern beim Waren- und Dienstleistungsverkehr vernetzt und profitieren von der Globalisierung. Dadurch steigt der Wettbewerbsdruck, aber zugleich sinkt die Anfälligkeit für Korruption. Zudem gilt: Je besser die Qualität der offiziellen Regulierungen und Vorschriften, desto weniger Korruption lässt sich beobachten. Die Verbesserung der staatlichen Institutionen und Regelungen ist nicht zuletzt deshalb eine zentrale Maßnahme im Kontext der Entwicklungszusammenarbeit, damit die Hilfsgelder nicht in dunklen Kanälen verschwinden. Denn in Ländern mit hoher Korruption finden viele wirtschaftliche Aktivitäten in der Schattenwirtschaft statt.

Mehr Schattenwirtschaft

Die Schattenwirtschaft ist der Bereich einer Volkswirtschaft, in dem wirtschaftliche Aktivitäten ohne staatliche Kontrolle, ohne Steuerzahlungen, ohne Einhaltung der formellen Gesetze und Regelungen erfolgen. Dazu gehören etwa Schwarzarbeit oder illegale Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder auch die nicht angemeldete Haushaltshilfe. Der Umfang dieser Schattenwirtschaft korreliert stark mit dem Ausmaß der Korruption. Die Kausalität ist dabei nicht eindeutig. Einige Studien zeigen, dass korrupte Behörden und ineffiziente staatliche Strukturen die Abwanderung in den Untergrund befördern. Wenn zu den Bestechungsgeldern noch hohe Steuern hinzukommen, ohne dass dafür eine Gegenleistung vonseiten des Staates in Form von verlässlicher Gerichtsbarkeit oder guter Infrastruktur erbracht wird, wird die Schattenwirtschaft mit ihrem Set an informellen Regeln noch attraktiver. Korruption vermindert somit die Aktivitäten im offiziellen Sektor, die dort besteuert werden. Durch die Verlagerung entsteht ein negativer Kreislauf aus geringeren Steuereinnahmen und schlechteren Leistungen des Staates, mit der Folge einer weiteren Zunahme der Schattenwirtschaft. Empirisch lassen sich diese Zusammenhänge sehr klar zeigen, auch wenn die Kausalität nicht eindeutig zu belegen ist. Eindeutig sind hingegen die Empfehlungen für wirtschaftspolitische Maßnahmen: Um Korruption zu bekämpfen und die offizielle Wirtschaft attraktiver zu machen, müssen die öffentlichen Institutionen verbessert und stabilisiert werden ("bessere Regulierung").

Mehr Ungleichheit

Ähnliches gilt für den ebenfalls empirisch gesicherten negativen Zusammenhang zwischen dem Umfang der Korruption und dem Grad der Verteilungsungleichheit: Je größer die Korruption ist, desto größer sind auch die Einkommensunterschiede in einem Staat. Dabei ist auch eine umgekehrte Kausalität plausibel, nach der Ungleichheit Korruption fördert. Beides deutet auf einen Teufelskreis armer Länder hin: Armut, Ungleichheit und Korruption verstärken sich in Form einer Armuts-Korruptions-Spirale gegenseitig. Die multiplen Ursachen hierfür finden sich empirisch in einem korruptionsbedingt geringen Wachstum, ungerechten Steuersystemen, einer ineffizienten Sozialpolitik, geringerer Chancengerechtigkeit und einem schlechten Angebot öffentlicher Güter. Auch die direkte Messung der Ungleichheit mit dem Gini-Koeffizienten korreliert mit dem Ausmaß an Korruption: Je mehr Korruption, desto größer die Ungleichheit. Ein Hauptgrund hierfür ist, dass die vermögenden Schichten über mehr Möglichkeiten verfügen, zu bestechen.

Zu den weiteren negativen ökonomischen Konsequenzen der Korruption gehört deren negative Auswirkung auf die Zusammensetzung und Effizienz staatlicher Ausgaben, die Höhe staatlicher Einnahmen sowie die Qualität zahlreicher öffentlicher Dienstleistungen wie Gesundheitsvorsorge, Sicherung der Umweltqualität und die Qualität der öffentlich bereitgestellten Infrastruktur. Bezüglich der Zusammensetzung öffentlicher Ausgaben konnte nachgewiesen werden, dass Korruption die öffentlichen Ausgaben zulasten von Bildungs- und Gesundheitsausgaben und gleichzeitig systematisch zugunsten von Militär- und Rüstungsausgaben verzerrt. Es gibt zudem empirische Nachweise für einen negativen Zusammenhang zwischen Korruption und der Qualität des öffentlichen Straßennetzes sowie der öffentlichen Elektrizitätsversorgung.

Vertrauensverlust in die Demokratie

Je länger Menschen in einer Demokratie leben, desto zufriedener sind sie normalerweise mit dem System. Gleichzeitig nimmt ihre Vorliebe auch für die Marktwirtschaft zu. Dieser Zusammenhang galt lange Zeit auch in Osteuropa: Nach dem Fall der Mauer haben Staaten wie Polen, Rumänien oder Ungarn stabile Demokratien aufgebaut, marktwirtschaftliche Reformen eingeführt und sich in die EU integriert. Doch seit einigen Jahren ändert sich das Bild. Die Demokratien in einigen mittelosteuropäischen Ländern stehen unter Druck, immer weniger Bürger unterstützen das System, Populisten steigen auf. Einer der Gründe hierfür dürfte die zunehmende Korruption sein. Demokratien funktionieren nur, wenn die Bürger dem System und seinen Institutionen vertrauen. Korruption zerstört dieses Vertrauen. Vor allem Korruptionserfahrungen bei alltäglichen Behördengängen haben Einfluss auf die Zustimmung.

So zahlt zum Beispiel etwa jeder vierte Rumäne regelmäßig Bestechungsgelder auf Ämtern und Behörden. In Bulgarien sind es rund 15 Prozent der Bürger. Ungarn liegt bei rund 13 Prozent, Polen bei 8 Prozent. Zum Vergleich: In Deutschland macht weniger als ein Prozent der Bürger solche Erfahrungen. So ist es nicht überraschend, dass die Zustimmung zur Demokratie in den mittelöstlichen EU-Staaten seit Jahren kontinuierlich abnimmt, um rund einen halben Prozentpunkt jährlich. Während noch rund 95 Prozent der Bundesbürger hinter der Demokratie und ihren Institutionen stehen, sind nur noch 60 Prozent der Ungarn und Litauer vom demokratischen System überzeugt. In Polen und Rumänien ist es nur rund jeder zweite Bürger. In Bulgarien und der Slowakei sind die Werte noch niedriger. Populisten schlagen daraus politisches Kapital.

Erosion des Sozialkapitals

Aber nicht nur die Demokratie leidet. Eine weitere Folge von Korruption ist die Erosion des Sozial- beziehungsweise Vertrauenskapitals. Vertrauen, Bindungen und Normen bilden zusammen das Sozialkapital einer Gesellschaft.

Hierbei sind drei Formen des Sozialkapitals zu unterscheiden: Das "Bonding Sozialkapital" ist eher nach innen gerichtet und vereinfacht das Zusammenleben und die Interaktionen von Personen aus homogenen Gruppen. Beispiele sind hier die Familie, der Freundeskreis, Interessengemeinschaften (auch die Mafia) oder ethnische Organisationen. Innerhalb dieser Gruppen ist das Vertrauen groß; das Vertrauen zu anderen Gruppen im Netzwerk kann jedoch unter dem hohen internen Vertrauen leiden und befördert dann sogar Korruption. "Bridging Sozialkapital" beschreibt die Verbindungen heterogener Gruppen von Menschen. Zwischen den Gruppen werden sozusagen Brücken geschlagen. Dadurch werden Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten zusammengebracht, die andernfalls nie miteinander in Kontakt gekommen wären. So können gesellschaftliche Spaltungen vermieden oder überwunden werden. "Linking Sozialkapital" schließlich stellt die Verbindungen zwischen Individuen oder Gruppen zu Menschen in Positionen mit politischem oder finanziellem Einfluss dar, etwa die Art und Weise, wie Bürger eines Staates mit dessen Institutionen in Kontakt treten, um ihre Interessen zu formulieren. Diese Facette des Sozialkapitals wird als der stärkste Indikator für gesellschaftlichen Zusammenhalt betrachtet. Eine wachstumsfördernde und korruptionsmindernde Funktion wird daher dem "Bridging", vor allem aber dem "Linking Sozialkapital" zugeschrieben. Mithilfe dieser Ausprägungen des Sozialkapitals lassen sich zum einen Kontrollkosten vermindern, ohne dass es zu mehr Korruption kommt. Zum anderen finden auf dieser generalisierten Vertrauensbasis mehr Transaktionen statt, sodass Wirtschaftswachstum und Wohlstand steigen. Die Kausalität kann aber auch in die andere Richtung verlaufen: Viel Vertrauen in die Mitmenschen und ein hohes Sozialkapital führen zu weniger Korruption. Politisch heißt dies, dass Sozialkapital gestärkt und Korruption bekämpft werden muss, um Wohlstand zu schaffen - sonst führt Korruption zur Flucht.

Korruption als Fluchtursache

Wenn die materiellen und immateriellen Bedürfnisse der Bürger nicht befriedigt werden, sinkt die Akzeptanz der Institutionen und der Regierung. Korruption löst Wut, Unruhen und letztendlich Flucht aus. Wenngleich die Gründe für Flucht und Vertreibung vielfältig sind, spielt auch Korruption häufig eine zentrale Rolle. Viele Menschen fliehen aus Ländern, in denen zwar kein Krieg herrscht, aber instabile Strukturen den Alltag prägen und die Zukunftsperspektiven ihrer Bewohner verschlechtern. Dabei sind schwache staatliche Strukturen und korrupte Institutionen oft der Ausgangspunkt für Unruhen. Die Stabilität eines Landes hängt sicher von zahlreichen Faktoren ab, wie etwa verlässlichen Rahmenbedingungen, Gewaltfreiheit oder Rechtsstaatlichkeit. Der Zusammenhang zwischen Flucht und Korruption lässt sich jedoch empirisch zeigen und mit einem Blick auf Fluchtstatistiken veranschaulichen: Vergleicht man die Zahl der vertriebenen Menschen mit den Daten der Korruptionsindizes, lässt sich ein deutlicher Zusammenhang erkennen. Je ausgeprägter die Korruption, desto mehr Menschen flüchten aus diesen Ländern.

Exemplarisch zeigen dies jene Länder, aus denen 2020 die meisten Menschen geflohen sind: Syrien (6,6 Millionen Flüchtlinge; Platz 178 im Korruptionsranking von 180 Ländern), Venezuela (3,7 Millionen; Platz 176), Südsudan (2,3 Millionen; Platz 180). Wenngleich die Fluchtursachen miteinander verknüpft sind, ist Korruption doch eine der zentralen Ursachen. Der Kampf gegen Korruption muss also eine Priorität der internationalen Gemeinschaft sein, wenn es darum geht, Länder zu stabilisieren und Flucht zu vermeiden.

Dafür müssen alle Parteien ihre Rolle in dem Prozess erkennen und entsprechend handeln. Entwicklungsländern fehlt es oft an Wissen, um ihre Strukturen zu reformieren, und so stehen die entwickelten Länder in der Pflicht, sie bei der Korruptionsbekämpfung zu unterstützen, indem beispielsweise Entwicklungszusammenarbeit noch gezielter an der Verbesserung der staatlichen Strukturen orientiert wird. Bisher wird die Auszahlung von Hilfszahlungen häufig nicht an Bedingungen wie die Bekämpfung von Korruption geknüpft. Und auch multinationalen Unternehmen kommt schließlich eine wichtige Aufgabe zu. Diese können durch die Beachtung internationaler Richtlinien die Verbreitung von Korruption verhindern und so zur Stabilisierung der Wirtschaft vor Ort beitragen. Denn bisher schadet Korruption den Eliten nicht: Korrupte Länder sind ähnlich gut in den weltweiten Handel eingebunden wie weniger korrupte Staaten.

ist Leiter des Kompetenzfelds Wirtschaftsethik und Verhaltensökonomik am Institut der deutschen Wirtschaft und Professor für Wirtschaftsethik und Institutionenökonomik an der TH Köln. E-Mail Link: dominik.enste@th-koeln.de