Korruption und Antikorruption in Politik und Verwaltung
Sebastian Wolf
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Handelt es sich bei politischer Korruption nicht insbesondere um "die Herrschaft der Parteien, ihre unsachliche Personalpolitik, die 'Regierung von Amateuren', fortwährende Regierungskrisen, die Zwecklosigkeit und Banalität der Parlamentsreden, das sinkende Niveau der parlamentarischen Umgangsformen, die auflösenden Methoden parlamentarischer Obstruktion, de[n] Mißbrauch parlamentarischer Immunitäten und Privilegien durch eine radikale, den Parlamentarismus selbst verhöhnende Opposition, die würdelose Diätenpraxis, die schlechte Besetzung des Hauses"? Der Weimarer Staatsrechtler und Parlamentarismusverächter Carl Schmitt plädierte nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser Einschätzung für direktdemokratisch gestützte "diktatorische und zäsaristische Methoden". Doch bereits sein Zeitgenosse Hermann Heller hielt ihm entgegen, dass es zwar richtig sei, dass "man im demokratischen Rechtsstaat viel mehr von Korruption hört, als in der Diktatur, unbestreitbar richtig auch, daß daran die Regierungsform schuld ist. Falsch aber wäre es, zu glauben, die Korruption sei in der Diktatur geringer als in der Demokratie. Genau umgekehrt liegt es. […] Da die Diktaturpartei […] keinen Wächter hat und die Gewaltenteilung ebenso wie Grundrechte beseitigt sind, ist in der Diktatur auch den anständigen Elementen jede Möglichkeit genommen, die Geschäftemacher in der Presse, im Parlament oder auch vor Gericht zur Verantwortung zu ziehen".
Dem ein oder der anderen mag dies als ungewöhnlicher Einstieg in die Thematik erscheinen, jedoch gibt es hierfür mindestens drei gute Gründe: Erstens existieren inzwischen selbst in der Europäischen Union einige mehr oder weniger illiberale Demokratien. Der Kampf gegen Korruption – verstanden in einem eher engeren Sinne oder auch allgemeiner als Sitten- und Werteverfall – gehört (auch) zum Standardrepertoire der Propaganda autoritärer oder semi-autoritärer Regime.Zweitens kann man der leider fast zeitlos anmutenden Kritik Schmitts entnehmen, dass politische Korruption wohl zumindest in gewissem Umfang "ubiquitär" ist. Nach Hellers Plädoyer sollte daraus aber drittens keine Schwächung des demokratischen Rechtsstaats folgen, sondern vielmehr ein Ausbau von checks and balances, liberalen Grundrechten, Partizipationsmöglichkeiten und transparenzfördernden Elementen.
Im Folgenden werden zunächst der Korruptionsbegriff erörtert und verschiedene Korruptionsformen unterschieden. Die darauffolgenden Abschnitte widmen sich dann vor allem Ursachen und Folgen politischer Korruption, bevor bestimmte Aspekte der öffentlichen Verwaltung unter Korruptionsgesichtspunkten betrachtet werden. Der letzte Abschnitt beleuchtet, auch anhand aktueller Beispiele, Instrumente und Politiken der Korruptionsbekämpfung.
Begriff und Formen der Korruption
Der Begriff "Korruption" wird zwar häufig verwendet, es existiert jedoch keine konsensuale Definition. Korruption kann aus sozialwissenschaftlicher Perspektive unter anderem als Technik "gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und staatlicher Selbstorganisation", als eine Form devianten (abweichenden) Handelns oder als komplexitäts- beziehungsweise kontingenzreduzierendes (also unsicherheitsverminderndes) Verhalten bezeichnet werden, das in der Regel stark normativ besetzt ist. Das Wort selbst stammt vom lateinischen corrumpere ab (bestechen, fälschen, verderben, verführen, zerbrechen) und ist grundsätzlich immer negativ konnotiert, denn Korruption verstößt gegen weithin geteilte Prinzipien der Gerechtigkeit. Korruption kann grundsätzlich in allen Gesellschaftsbereichen vorkommen; häufig ist mit dem Begriff aber "politische Korruption" gemeint.
Gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen für Integrität einerseits und Korruption andererseits sind zeitlichen, räumlichen und kulturellen Wandlungen unterworfen. Sie müssen immer wieder neu diskutiert, verhandelt und festgelegt werden, etwa im Kontext (vermeintlicher) Korruptionsfälle. Angesichts verschiedener und sich wandelnder kultureller und sozialer Werte kann man zwar die Auffassung vertreten, dass "die Suche nach einer ein für alle Mal gültigen Definition politischer Korruption nicht sinnvoll" sei. Aus der Perspektive eines höheren Abstraktionsniveaus ist das Kernelement von Korruption jedoch wohl relativ unabhängig von Zeit, Raum und Kultur ein Verstoß gegen kollektive oder universelle Normen zum privaten oder partikularen Vorteil im Zusammenhang mit einer Entscheidungs- oder Machtposition.
Nach einer häufig rezipierten, klassischen Begriffsbestimmung meint Korruption im politisch-administrativen System "the misuse of public power for private profit". Die weit verbreitete Definition der Nichtregierungsorganisation Transparency International lautet ganz ähnlich. Danach ist Korruption der "Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil". Ein derart breiter Ansatz erfasst auch viele (potenziell) korrupte Praktiken jenseits von Politik und öffentlicher Verwaltung. Ihm fehlt aber beispielsweise die vom Rechtsstaatsprinzip geforderte Präzision von Strafrechtsnormen.
Selbst im deutschen Strafgesetzbuch findet sich keine Definition von Korruption. Zu den Korruptionsdelikten im engeren Sinne zählen insbesondere Bestechung und Bestechlichkeit in verschiedenen Konstellationen sowie Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung bei Amtsträgerinnen und Amtsträgern. Korruptionsstraftaten im weiteren Sinne sind beispielsweise amtsmissbräuchliche Handlungen sowie bestimmte Formen von Untreue und Unterschlagung. Delikte wie Geldwäsche und Steuerhinterziehung treten häufig im Zusammenhang mit korruptiven Handlungen auf. Lobbyismus wird manchmal mit Korruption fast gleichgesetzt, ist in pluralistischen Demokratien jedoch grundsätzlich eine erwünschte Form, Ansichten aus der Gesellschaft in die Politik einzubringen. Problematisch wird Lobbyismus dann, wenn Partikularinteressen durch illegitime Mittel privilegierten Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung nehmen.
Die einschlägige Literatur unterscheidet immer wieder typisierend zwischen den Kategorien petty corruption und grand corruption sowie zwischen situativer und struktureller beziehungsweise systemischer Korruption. Es gibt bestimmte Formen von Korruption, wie etwa Ämterpatronage oder ungerechtfertigte Bereicherung im Amt, die nicht die für Bestechung charakteristische Struktur des illegitimen beziehungsweise illegalen Tauschs aufweisen. Korruption stellt ein "Dunkelphänomen" dar, an dessen Aufdeckung oder Thematisierung alle direkt Beteiligten im Unterschied zu anderen Delikten grundsätzlich kein Interesse haben. Dieser Umstand erschwert, neben unterschiedlichen Begriffsverständnissen und Operationalisierungsproblemen, die Erfassung tatsächlicher Korruptionsniveaus. Mit Methoden wie Kriminalstatistiken, Expertenbefragungen und repräsentativen Umfragen – etwa zur Wahrnehmung von Korruption oder der Beteiligung an (versuchten) korruptiven Handlungen – lässt sich Korruption immer nur annäherungsweise messen.
Ursachen von Korruption
Korruption ist ein Phänomen mit vielen möglichen Ursachen. Daher kann es keine einfache Antwort auf die Frage geben, weshalb bestimmte Länder oder Gesellschaftsbereiche offenbar stärker von Korruption betroffen sind als andere: "Eine allgemein anerkannte differenzierte und empirisch fundierte Theorie zur Erklärung korruptiven Verhaltens gibt es nicht." Faktoren, die das Korruptionsniveau beeinflussen können, finden sich auf der Mikroebene (den Merkmalen des Individuums), der Mesoebene (den Eigenschaften von Organisationen) und der Makroebene (den gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen). Aber auch die internationale Ebene (etwa das Weltwirtschaftssystem) oder transnationale Bereiche (zum Beispiel grenzüberschreitende Austauschprozesse) können korruptionsrelevant sein.
Als potenzielle Einflussfaktoren für Korruptionsniveaus werden in der quantitativen Forschung sehr unterschiedliche und nur zum Teil isoliert betrachtbare Faktoren diskutiert, beispielsweise der Demokratisierungsgrad eines Landes, der Typus des Regierungssystems, die politisch-administrative Dezentralisierung, die Regulierungsdichte, der (partei-)politische Wettbewerb, die Größe des öffentlichen Sektors, die Höhe der Gehälter im öffentlichen Dienst, der wirtschaftliche Entwicklungsstand, der Grad der außenwirtschaftlichen Öffnung, der Umfang von Transparenzregelungen und Pressefreiheit sowie Religions- und Geschlechteraspekte. Die jeweiligen Folgerungen sind nicht immer eindeutig und teilweise widersprüchlich. Es scheint wohl jedenfalls keine bestimmten Faktoren oder Merkmalsausprägungen zu geben, die Korruption oder umgekehrt eine korruptionsfreie Gesellschaft zwingend bedingen.
Rational-choice-Ansätze, die theoretisch davon ausgehen, dass Personen oder Organisationen danach streben, ihren eigenen Nutzen unter gegebenen Bedingungen zu maximieren, erweisen sich bei der Erforschung korruptionsbegünstigender Faktoren oft als vorteilhaft. Eine entsprechende Denklogik findet sich bereits in dem berühmten Zitat des britischen Politikers und Publizisten Lord Acton: "Power tends to corrupt and absolute power corrupts absolutely." Der Ökonom Robert Klitgaard prägte die Formel: "Korruption = Entscheidungsmonopol + Ermessensspielraum – Rechenschaftspflicht." In ähnlicher Weise kann man die Entscheidung, korrupt zu handeln, als individuelle Kosten-Nutzen-Analyse, bestehend aus folgenden Elementen, modellieren: vermutete Vorteile (etwa Geld oder immaterieller Nutzen), wahrgenommene Nachteile (zum Beispiel moralische Schuldgefühle oder rechtliche Sanktionen im Falle einer Aufdeckung) sowie empfundene Entdeckungswahrscheinlichkeit. Um etwaige moralische Bedenken zu unterdrücken, rechtfertigen korrupt handelnde Menschen ihr Tun häufig mit Aussagen wie "Aber es steht doch nirgends geschrieben, dass ich das nicht darf", "Das macht doch jeder so!", "Das hat doch niemandem geschadet", "Andere machen da noch ganz andere Sachen" oder "Wieso soll ich die guten Beziehungen, die ich über Jahre hinweg aufgebaut habe, nicht auch nutzen?"
Folgen politischer Korruption
In der Forschung wird Korruption schon seit Längerem als ein Phänomen mit praktisch ausschließlich negativen Folgen für Staat und Gesellschaft angesehen. Lediglich in den 1960er Jahren erlangte die sogenannte funktionalistische Schule eine gewisse Popularität. Sie ging davon aus, dass spezifische Korruptionsformen unter bestimmten, sehr engen Kontextbedingungen – insbesondere in Entwicklungs- und Transformationsprozessen – eine begrenzt positive Wirkung für das Gemeinwesen entfalten könnten. Es wurden aber keine nennenswerten empirischen Belege für diese These vorgelegt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden im Folgenden vier wichtige Bereiche skizziert, in denen sich politische Korruption negativ auswirken kann.
Aufgrund korrupter Handlungen kann es zur Fehlallokation öffentlicher Ressourcen kommen. Der steuerfinanzierte Staat zahlt dann beispielsweise zu viel für bestimmte Güter, erhält schlechtere Leistungen oder investiert in falsche Sektoren. Politische Korruption kann auch zu einer Fehlallokation privater Ressourcen führen, etwa wenn Privatpersonen Bestechungsgelder für öffentliche Dienstleistungen aufwenden (müssen), die eigentlich kostenlos sind.
Eine korruptionsbedingte Verzerrung des politischen Wettbewerbs ist häufig mit der Störung politischer Chancengleichheit verbunden, einem normativen Ideal liberaler Demokratien. Als Folge korruptiver Praktiken treffen Wählerinnen und Wähler möglicherweise Wahlentscheidungen, die sie im Rahmen unverfälschter Abstimmungs- und Wahlkämpfe nicht getroffen hätten; oder Partikularinteressen beeinflussen politische Entscheidungsprozesse durch Vorteilsgewährungen in unangemessener Art und Weise.
Politische Korruption kann eine Schädigung von Demokratie und Rechtsstaat zur Folge haben. Aus einer verfahrensorientierten Perspektive bedeutet Demokratie grundsätzlich, dass Menschen an den sie betreffenden kollektiven Entscheidungen beteiligt sein sollen. Dieses nicht zuletzt auf dem Gleichheitsideal beruhende Prinzip wird verletzt, wenn korrupte Handlungen über politische Ämter und Beschlüsse entscheiden. Der Gleichheitsgrundsatz ist auch ein Eckpfeiler des Rechtsstaatsprinzips. Korruptive Praktiken zielen nicht selten auf eine ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber anderen Rechtssubjekten. Ein hohes (wahrgenommenes) Korruptionsniveau kann zu Politikverdrossenheit und einem Entzug der diffusen Unterstützung führen, auf die demokratische Regierungssysteme angewiesen sind.
Auch politische Steuerungseinbußen sind eine mögliche Folge von Korruption, etwa in Form einer Einengung des politisch-administrativen Handlungsspielraums oder in Gestalt einer illegitimen Lenkung des Entscheidungsprozesses zugunsten bestimmter Partikularinteressen. Auf der Implementationsebene hat Korruption möglicherweise den Effekt, dass demokratisch legitimierte politische Programme nicht wie beschlossen umgesetzt werden.
Korruption und öffentliche Verwaltung
Der moderne Staaten prägende Idealtyp legaler Herrschaft mit rational-bürokratischer Verwaltungsorganisation nach Max Weber zeichnet sich unter anderem durch folgende Merkmale aus: Beamte werden aufgrund von Fachqualifikation angestellt und nach dem Leistungsprinzip befördert; sie gehorchen nur sachlichen Amtspflichten und arbeiten nach rechtlichen Vorgaben im Rahmen geregelter Zuständigkeiten; Beamte behandeln ihr Amt als Hauptberuf und eignen sich die ihnen anvertrauten Verwaltungsmittel nicht persönlich an. All diese Merkmale können durch Korruption unterminiert werden, was zu den oben beschriebenen negativen Folgen führen kann. Zudem besteht immer die Gefahr, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Lauterkeit des öffentlichen Dienstes geschmälert wird. Eine sichere Anstellung und eine gute Entlohnung werden als korruptionspräventive Mittel in der öffentlichen Verwaltung angesehen; sie können Korruption aber freilich nicht völlig verhindern.
Für den öffentlichen Sektor gelten aufgrund seiner Gemeinwohlorientierung teilweise strengere Antikorruptionsregelungen als für den privaten Sektor. (Teil-)Privatisierungen öffentlicher Betriebe, hybride Gebilde wie Public Private Partnerships und die Anwendung privatwirtschaftlicher Elemente in der öffentlichen Verwaltung verwischen mitunter die Trennlinie zwischen öffentlichem und privatem Sektor. Dies kann auch Auswirkungen auf das Korruptionsproblem haben. Besonders korruptionsgefährdet sind in der öffentlichen Verwaltung "alle Aufgaben im Bereich der Vergabe von Aufträgen, Subventionen, Zuwendungen und sonstigen Fördermitteln, der Erteilung von Genehmigungen, Lizenzen und Konzessionen sowie der Erhebung und Festsetzung von Steuern, Abgaben und Gebühren".
Bei der Herstellung kollektiv verbindlicher Entscheidungen wirken Politik und öffentliche Verwaltung nicht immer ganz trennscharf zusammen. Man kann daher die Auffassung vertreten, dass für Politik und Verwaltung gleiche oder ähnliche Antikorruptionsregelungen gelten sollten. Diesen Ansatz verfolgt beispielsweise die Konvention gegen Korruption der Vereinten Nationen. In Deutschland unterscheidet man jedoch traditionell zwischen Abgeordneten und dem Personal im öffentlichen Dienst. Dies wird vor allem damit begründet, dass Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, anders als Beamte, keine Dienstpflichten haben und "nur ihrem Gewissen unterworfen" sind. Für Abgeordnete gelten daher vielfach weniger strenge Antikorruptionsbestimmungen als für Beamte.
Instrumente und Politik der Korruptionsbekämpfung
Das Ziel der Korruptionseindämmung wird meist einhellig befürwortet, bei den zu ergreifenden Maßnahmen gehen die Meinungen allerdings auseinander. Ohnehin kann es aufgrund der Multikausalität und Vielgestaltigkeit von Korruption "keinen Königsweg der Bekämpfung" geben. Keinerlei Korruption in Politik und Verwaltung ist zwar wünschenswert, aber unrealistisch. Aus dem Blickwinkel einer Kosten-Nutzen-Analyse sollte Korruptionsbekämpfung so lange intensiviert werden, bis die damit verbundenen Kosten den mit der Korruptionsreduktion erzielten Nutzen zu übersteigen drohen – dann ist das "optimale" Ausmaß an Korruption beziehungsweise Korruptionsbekämpfung erreicht. Allerdings lassen sich weder die Kosten unterschiedlicher, an sich schon schwer bestimmbarer Korruptionsniveaus noch die Kosteneffizienz verschiedener Antikorruptionsmaßnahmen genau beziffern. Immerhin lenkt diese Sichtweise aber den Blick darauf, dass Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen auch mit Nachteilen verbunden sein können. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden in der Tabelle einige häufig diskutierte Antikorruptionsinstrumente mit Blick auf mögliche Vor- und Nachteile gegenübergestellt.
Zu einem einschlägigen Politikwandel in Bezug auf Antikorruptionsmaßnahmen kommt es dann, wenn spezifische Probleme, Lösungsvorschläge und Akteure aufeinandertreffen, die sich des Problems annehmen wollen. Für bestimmte Reformen braucht es fast "immer einen Skandal", passend erscheinende Regelungsmodelle – die in den vergangenen Jahren häufig von Internationalen Organisationen stammten – und vor allem handlungsbereite politische Mehrheiten. Während in der Vergangenheit vor allem die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke zu Verschärfungen von Antikorruptionsregelungen neigten, waren CDU/CSU und FDP eher am Status quo orientiert.
Ausblick
Dies ändert sich nun zumindest punktuell vor dem Hintergrund verschiedener Skandale und europarechtlicher Umsetzungsverpflichtungen. Der "Aserbaidschan-Komplex" und die "Masken-Affäre" der Unionsparteien haben die Diskussion um strengere Antikorruptionsbestimmungen für Abgeordnete angeheizt und zu einem neuen Reformklima beigetragen. Die "Masken-Affäre", der sogenannte Impfskandal von Halle und der bayrische "Corona-Schnelltestfall" zeigen, dass sich durch die Corona-Pandemie neue Gelegenheitsstrukturen für korruptive Handlungen ergeben haben.
Verschiedene Akteure fordern überdies mehr Transparenz bei der Parteienfinanzierung und der Beteiligung organisierter Interessen in Gesetzgebungsverfahren. Das gerade verabschiedete Lobbyregister kann hier nur ein erster Schritt sein. Darüber hinaus existieren weitere Baustellen. So werden etwa der deutschen Anti-Geldwäschepolitik trotz kürzlich verabschiedeter Reform nach wie vor Mängel attestiert, und die EU-Whistleblower-Richtlinie verlangt einen besseren Schutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern in Deutschland.
Korruptionsbekämpfung ist komplex, stark verrechtlicht, schwer evaluierbar – und eine Daueraufgabe demokratischer Verfassungsstaaten, wie bereits Hermann Heller wusste. Eine angemessene Bewertung aufgedeckter Korruptionsfälle zwischen übermäßiger Skandalisierung einerseits und unangebrachter Verharmlosung andererseits bleibt fortwährend schwierig.
ist Professor für Sozialwissenschaften an der MSB Medical School Berlin und Co-Koordinator des Arbeitskreises Korruptionsforschung von Transparency International Deutschland. E-Mail Link: sebastian.wolf@medicalschool-berlin.de
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