Einleitung
Der 11. September 2001 hat ein Jahrzehnt geprägt. Er beeinflusste die Geopolitik und veränderte auch unsere Sichtweisen: Neben den Kriegen im Irak und in Afghanistan beeinflussten die Angriffe durch Al Qaida sowohl in den USA als auch in europäischen Ländern die öffentlichen Debatten und das politische Klima. Fast zehn Jahre kreisten die von Publizisten und Politikern geführten Diskussionen um ein zentrales Thema: die Vorstellung einer fundamentalen Unvereinbarkeit westlicher Werte mit dem Islam.
Die Idee eines "Kampfes der Kulturen" findet sich in vielen Überlegungen wieder, am deutlichsten jedoch im beispiellosen Aufstieg populistischer Parteien mit explizit anti-islamischer Agenda. Viele dieser Parteien befinden sich in kleineren Ländern Europas (wie die Dänische Volkspartei, die niederländische Partei für die Freiheit, die Schweizerische Volkspartei), doch auch in den USA und in Frankreich verzeichnen sogenannte Islamkritiker großen Zulauf. Sicherlich ist die Entstehung dieser Bewegungen nicht ausschließlich als Reaktion auf den 11. September 2001 zu verstehen, verdanken sie ihren "Erfolg" doch auch einer bereits länger anhaltenden Abneigung gegenüber der Einwanderung aus nichtwestlichen Ländern. Doch verliehen ihnen die Angriffe vom 11. September einen ungeahnten Auftrieb und - was vielleicht noch wesentlicher ist -: Es gelang ihnen, ihre innenpolitischen Anliegen wirksam mit der vermeintlich weltweiten Bedrohung durch den Islam zu verknüpfen. Der niederländische Politiker Geert Wilders hielt Reden am Ground Zero in New York, in denen er vor der "islamischen Gefahr" warnte. Seine Partei für die Freiheit nennt widerspenstige junge Immigranten "Straßenterroristen" und spielt damit auf ihre "großen Brüder" von Al Qaida an.
Doch beschränkte sich die Wirkung des 11. September nicht auf diese Bewegungen und Parteien. Die damit verbundenen Aspekte beeinflussten den gesamten politischen Diskurs. Mein eigenes Land, die Niederlande, ist hierfür ein gutes Beispiel. Einst war das Land (wenn auch nicht immer gerechtfertigt) bekannt für seine Toleranz, nun ist es zur "Brutstätte" für Populismus und Islamfeindlichkeit geworden. Meinungsführer wie Pim Fortuyn, Ayaan Hirsi Ali, Theo van Gogh und Geert Wilders starteten eine "Islam-Debatte", die den niederländischen Äther und die heimischen Zeitungen seit Jahren dominiert. Auch traditionelle Parteien sahen sich gezwungen, darauf zu reagieren, und übernahmen Forderungen der Populisten, um nicht zu viele Wählerstimmen zu verlieren. Dies führte zu einem Gesetzesentwurf zum Verbot von Burkas sowie zu Vorschlägen für ein Verbot muslimischer Parteien und muslimischer Bücher - und für die Einführung einer Kopftuch-Steuer. Eine parlamentarische Abstimmung über das Verbot nach muslimischen Regeln durchgeführter (wie auch koscherer) Schlachtungen steht bevor. Zudem kam es zu Unruhen und politisch motivierter Gewalt - was die Idee nährte, dass sich Muslime und westliche Gesellschaften in der Tat in einem unvermeidlichen Konflikt befänden. Leicht lassen sich Beispiele aus anderen Ländern hinzufügen: Frankreich verbot Frauen in öffentlichen Ämtern das Tragen von Kopftüchern. Die Schweiz befragte ihre Bürgerinnen und Bürger, ob Minarette in ihre Landschaft passen. In den USA meinten einige, dass ihr Präsident Barack Obama heimlich ein Muslim sei. Auch wenn nur wenige diesen Mutmaßungen Glauben schenkten, war doch die dahinter stehende Prämisse, dass er, "wenn er ein Muslim wäre", ungeeignet sei, das Land zu regieren. Selbst in Deutschland, lange ein Vorbild an politischer Korrektheit in den öffentlichen Debatten, wurde kürzlich die Diskussion darüber eröffnet, ob Deutschland sich abschaffe. Auch dem Werk von Thilo Sarrazin liegt die Annahme zugrunde, dass sich westliche Werte dort, wo islamische Werte im Vormarsch seien, im Niedergang befänden.
"Antithese des 11. September"
Omnipräsent war die Antithese "Islam versus Westen" nach dem 11. September 2001 vor allem im Hinblick auf die Diskussionen um den Begriff der "Integration". Ging es bei diesem Begriff lange Zeit um die Frage, auf welche Art sich die sozioökonomische Situation von Einwanderern verbessern ließe, verlagerten sich die Diskussionen in der vergangenen Dekade fast ausschließlich auf die kulturelle Dimension: Fremde Lebensformen müssen denen der Mehrheitsgesellschaft angeglichen werden. Das noch in den 1990er Jahren vorherrschende Ideal der multikulturellen Gesellschaft - das Ideal, dass jede und jeder nach ihrer und seiner Façon glücklich werden solle, solange Verfassungsnormen nicht verletzt würden - machte der Überzeugung Platz, dass sich einige Aspekte von Einwandererkulturen niemals mit westlichen Werten in Übereinstimmung bringen lassen werden. Die Einwanderer, die damit gemeint sind, sind jedoch nicht irgendwelche, sondern fast ausschließlich muslimische. In den Niederlanden wird die größte Gruppe der Einwanderer von zurückkehrenden niederländischen Auswanderern gebildet, gefolgt von polnisch- und chinesischstämmigen (Türkeistämmige nehmen den fünften Platz ein, Marokkanischstämmige den siebten - insgesamt also etwa nur ein Zehntel im Vergleich zu den niederländischen Rückwanderern). Die größeren Gruppen tauchen in den Integrationsdebatten aber kaum auf. Nur wenige Kommentatoren mahnten die eingewanderten Chinesen an, ihre patriarchalen Vorstellungen aufzugeben oder bestanden darauf, dass auch die Polnischstämmigen die Rechte von Homosexuellen zu respektieren hätten. Stattdessen dreht sich die Debatte im Wesentlichen um die Integration von Muslimen, was die von vielen angenommene Spannung zwischen "dem Islam" und "uns" widerspiegelt.
Die andere Seite der Integrationsdebatte ist die stärkere Reflexion über unsere eigene Kultur und dessen, wofür sie eigentlich steht: Was genau sind die Werte, auf deren Übernahme wir die Muslime verpflichten wollen? In vielen Ländern hat diese Frage bereits zu intensiven Auseinandersetzungen mit der eigenen nationalen Identität geführt.
Zu diesen kam es beispielsweise auch im Rahmen der Diskussionen über die "Präambel" der EU-Verfassung in den Jahren bis 2005. In dem kurzen Text sollte die europäische Zivilisation als Ganzes charakterisiert werden, wobei die große Frage die war, was darin alles Erwähnung finden soll: Ist Europa eher im Christentum verwurzelt oder ist es doch die Tradition der Aufklärung, der wir die europäischen Werte verdanken? Im Hinblick auf Letzteres: Wäre es dann eher die Aufklärung der Toleranz und religiösen Liberalität oder die eines strikten Säkularismus? Die Meinungen hierüber gingen weit auseinander, doch Kern der Debatte war die Annahme, dass es Werte gibt, die als typisch europäisch anzusehen sind. Daraus wurde von einigen gefolgert, dass es dann im Umkehrschluss auch Kulturen geben müsse, die eben diese Werte nicht hervorgebracht haben, und deren Angehörigen sie entsprechend "beigebracht" werden müssten.
Der 11. September beeinflusste selbst die akademischen Diskurse: Philosophen verabschiedeten sich vom postmodernen Relativismus und wandten sich der Frage zu, wofür die Moderne und die Modernität eigentlich stehen; Kriminologen fügten den von ihnen untersuchten Variablen nun auch Ethnizität und Religiosität beziehungsweise den religiösen Hintergrund hinzu. Das gesamte Feld der Kulturwissenschaften begann, sein Untersuchungsobjekt in einem neuen Licht zu sehen: Galt Kultur zuvor als Ausdruck von positiver Vielfalt, sah man sie nun als potenzielle Quelle von Konflikten. Vielleicht am deutlichsten änderte sich die Wahrnehmung bei Historikern: Zeigte ihr bedeutendstes Werk der 1990er Jahre noch, in welcher Weise nationale Identitäten - meist aus strategischen Gründen - politisch und kulturell konstruiert werden, sahen sie sich zu Beginn des neuen Jahrhunderts gefordert, zu eben dieser Konstruktion selbst beizutragen, indem auch sie an einer erneuten "Vergegenständlichung" der nationalen Geschichte mitarbeiten sollten.
Botschaft des arabischen Frühlings
Erst jetzt beginnt sich die Situation langsam zu verändern: Die These einer fundamentalen Unvereinbarkeit klingt nicht mehr so selbstverständlich. Recht unerwartet scheint das Mantra der Gegensätzlichkeit von Islam und westlichen Werten seine Magie einzubüßen. Ermöglicht wurde dieser Wandel nicht durch den Tod Osama bin Ladens - sein Führungsanspruch war schon lange vor seiner Erschießung im Abstieg begriffen. Auch lag es nicht an Barack Obama - seine Reden versprachen bessere Beziehungen und eine Versöhnung, doch seine Außenpolitik vermochte diesen Anspruch bislang nicht einzulösen. Was tatsächlich die seit dem 11. September postulierte Antithese unterminierte, sind die Volksaufstände des gegenwärtigen arabischen Frühlings. Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten sowie die anti-autoritären Aufstände in anderen arabischen Staaten sind es, die deutlich machen, dass die Dichotomie zwischen Islam und westlichen Werten nicht stichhaltig ist.
Seit Monaten ist die Welt Zeuge, wie sich einfache arabische Menschen gegen ihre autoritären Regimes auflehnen. Zu ihren wichtigsten Forderungen gehören Freiheit, Demokratie und Menschenrechte: das Recht, offen ihre Meinung zu sagen, ohne damit Gefahr zu laufen, eingesperrt oder gefoltert zu werden; nicht in ständiger Angst vor dem Staat zu leben; eine Regierung, von der sich ihre Bürger tatsächlich vertreten fühlen. Wenn dies nicht nach "westlichen Werten" klingt, was dann? Einige Kommentatoren argumentierten, dass das, was die Demonstranten wirklich im Sinn hätten, Islamismus und die Einführung der Scharia seien. Davon war aber in den Straßen von Tunis nicht viel zu sehen. Andere meinten, dies alles geschehe zu früh, und dass die arabische Kultur noch nicht bereit sei für Freiheit und Demokratie. Das aber ist nur schwer mit der Tatsache in Übereinstimmung zu bringen, dass die Protestierenden ihr Leben für diese Ideale aufs Spiel setzen. Dazu Nicholas Kristof, Reporter der New York Times, der dabei war, als die Menge in Kairo sich gegen einen übermächtig scheinenden Gegner erhob: "Wie können wir behaupten, diese Menschen seien nicht bereit für eine Demokratie, für die sie bereit sind, zu sterben?"
Die meisten der Millionen, die in den Straßen Arabiens marschieren, sind Muslime. Und es scheint nicht so, als handelten sie gegen ihren Glauben, wenn sie Freiheit und Demokratie einfordern. Auch sind es keine islamistischen Regierungen, gegen die sie sich erheben, sondern fast alle der arabischen Autokratien (mit Ausnahme Saudi-Arabiens) sind säkulare Staaten. Nicht der Islam war es, der diese Regimes aufrechterhielt und der es ihnen ermöglichte, die Freiheit zu unterdrücken und die Menschenrechte zu verletzen. Vielmehr half der Westen selbst mit durch seine schon Jahrzehnte währende Unterstützung der autoritären Machthaber: Mubarak erhielt Milliarden US-Dollar aus den USA, Ben Ali unterhielt gute Beziehungen mit Frankreich, in Bahrain liegt die Fünfte Flotte der US Navy und Saudi-Arabien kaufte kürzlich Waffen im Wert von 70 Milliarden US-Dollar (mehr als das Zehnfache des gesamten Militärbudgets des Iran) von seinen amerikanischen Alliierten. Diese Liste ließe sich fortsetzen. So ziemlich der einzige arabische Diktator ohne westliche Unterstützung ist Syriens Präsident Baschar al Assad. Selbst der Außenseiter Gaddafi pflegte vertrauliche Beziehungen zu Staatsmännern (und Intellektuellen) aus Großbritannien, Italien und Frankreich. Sollte der Westen diese Despoten je zu Reformen gedrängt haben, waren seine Forderungen wenig erfolgreich. Niemals aber brachte dies den Westen dazu, seine Unterstützung zurückzuziehen. So scheint die seit dem 11. September postulierte Antithese doppelt widerlegt worden zu sein: Während Muslime für "westliche Werte" kämpfen, versagen westliche Staaten, wenn es darum geht, diese ihrerseits durchzusetzen. Freiheit und Demokratie werden von islamischen Bevölkerungen eingefordert, während eben diese Werte ihnen von Alliierten des Westens vorenthalten wurden.
All dies geschieht vor den Augen der Öffentlichkeit: Ein Millionenpublikum verfolgte die Live-Reportagen von BBC World oder Al Jazeera vom Tahrir-Platz in Kairo. Die Folge ist, dass sich die öffentliche Wahrnehmung wandelt: Im vergangenen Jahrzehnt bestand das Stereotyp des politischen Muslim aus einem bärtigen Mann mit einem Sprengstoffgürtel. Nun sehen wir viel vertrautere Typen - Jugendliche, Geschäftsleute, Hausfrauen -, die Forderungen erheben, mit denen auch wir uns identifizieren können. Zur gleichen Zeit veröffentlicht die Presse Bilder westlicher Staatsmänner in vertrauter Pose mit ihren Diktatorenfreunden: Sarkozy umarmt Ben Ali oder Barroso trifft Gaddafi. Tony Blair verteidigte gar seinen "alten Partner" Mubarak als "sehr mutig und eine Kraft des Guten".
Das vielleicht deutlichste Zeichen für das Aufbrechen der "Antithese des 11. September" ist das Schweigen derer, die zuvor den Gegensatz zwischen Islam und Westen am meisten propagiert hatten. Al Qaida scheint wie vom Donner gerührt angesichts der Rebellion in den arabischen Ländern. Und die westlichen Islamkritiker tun sich mit einer Antwort ebenso schwer. Ihre Argumentation läuft hauptsächlich darauf hinaus, dass dies keine demokratischen Revolutionen seien, sondern letzten Endes die Bildung fundamentalistischer Staaten nach sich ziehen würden. Es mag sein, dass sie damit einen wunden Punkt ansprechen: Noch ist völlig offen, wohin die politischen Veränderungen führen werden, und es ist alles andere als sicher, dass wir schon bald überall im Nahen Osten voll entwickelte liberale Demokratien haben werden. Doch wenn sich die Dinge schlecht entwickeln, werden diese Kritiker keinen Moment zögern, den Islam für das Scheitern verantwortlich zu machen. Nicht erwähnen werden sie dagegen die ökonomische Instabilität und den Analphabetismus der Wahlbürgerinnen und Wahlbürger oder die konter-revolutionären Kräfte der Regimeeliten aus vorrevolutionärer Zeit, die noch immer über beträchtlichen Einfluss verfügen. In den Augen der Islamkritiker gibt es nur eine Gefahr für die Demokratisierung: den muslimischen Glauben. Damit meinen sie möglicherweise, sich die eine Hälfte der beschworenen Antithese bewahren zu können: die Idee, dass sich der Islam nicht mit demokratischen und liberalen Werten verträgt.
Die andere Hälfte jedoch - dass der Westen der natürliche Bewahrer dieser Werte ist - wird von der Politik unserer Regierungen gegenüber dieser Region stetig widerlegt. In ihrem Selbstverständnis als Verteidiger von Freiheit und Demokratie fiel den Islamkritikern bemerkenswert wenig ein zur westlichen Unterstützung der arabischen Diktaturen. Selbst zu dem Fall, in dem diese Unterstützung einer islamisch-fundamentalistischen arabischen Diktatur zukommt, Saudi-Arabien, war von den Islamkritikern nichts zu hören. Die einzig plausible Erklärung hierfür ist, dass diese Beziehungen ignoriert werden, wenn sie sich nicht in den sich ergänzenden Gegensatz "Westen versus Islam" einfügen lassen.
Lektionen für die Zukunft
Ein genauerer Blick auf die Beziehungen zwischen westlichen Staaten und arabischen Diktaturen lohnt sich. Dabei wäre es zu einfach, zu sagen, dass die Welt eben ein schlimmer Ort ist, und dass westliche Regierungen nun mal gezwungen seien, manchmal Geschäfte mit Regimes zu machen, die ihnen nicht gefallen. Diese Ansicht würde die bisherige Intensität und die Auswirkungen dieser Beziehungen unterschätzen.
Ägypten ist hierfür ein gutes Beispiel: Das Mubarak-Regime empfing nicht nur jährliche Zahlungen zwischen einer und zwei Milliarden US-Dollar (hinzu kamen Waffen im etwa gleichen Wert). Die militärischen und politischen Eliten des Landes wurden jahrzehntelang in den USA ausgebildet. Dafür wurde den USA ein privilegierter Zugang zum Suez-Kanal gewährt. Und seine Folterkammern bot Mubarak ihnen zur freien Verfügung freundlicherweise gleich mit an. Die Kooperation der USA mit einigen repressiven arabischen Regimes bei Folterungen von des Terrorismus verdächtigten Menschen - sowohl vor als auch nach dem 11. September 2001 - gelangte allzu lange nicht ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit. Menschen, die in Afghanistan oder auf den Straßen europäischer Städte gefasst wurden, wurden in ägyptische, jordanische, marokkanische und sogar syrische Gefängnisse gebracht, wo sie gefoltert wurden.
Diese Aspekte müssen berücksichtigt werden, wenn wir uns nun der Zukunft zuwenden. Schließlich können wir nicht so tun, als hätte all dies nicht stattgefunden. Westliche Staatsmänner und Staatsfrauen würden ihre früheren Verbindungen zu den ins Schwanken geratenen Diktaturen heute gern vergessen machen. Obama nahm in seiner erst kürzlich gehaltenen Rede zum Nahen Osten jedenfalls keinen Bezug auf die "Schattenseiten" des US-Engagements in der Region, was den Anschein erweckte, als gebe es sie nicht. Nur ein kurzer Hinweis ließ aufhorchen: Als er auf den "Verdacht" der einfachen Leute in Arabien einging, "dass die Vereinigten Staaten ihren Interessen auf Kosten von anderen Gesellschaften" nachgingen. Der Rest seiner Rede war voll von Hoffnungen und Plänen Amerikas in seiner "natürlichen" Rolle als Sachwalter von Freiheit und Demokratie. Auf einmal befanden sich die "ureigenen Interessen" der USA wieder in völliger Übereinstimmung mit diesen erhabenen Zielen.
Es ist eine Sache, wenn Politiker ein selektives Gedächtnis haben, denn schließlich sind ihre Absichten letzten Endes vor allem rhetorischer Natur. Eine ganz andere Sache aber ist es, wenn unabhängige Experten über die bisherige Rolle des Westens im Nahen Osten schweigen. In einem kürzlich in der Zeitschrift "Foreign Policy" erschienenen Artikel wird die These aufgestellt, dass die arabische Demokratisierung lediglich von der Veränderung ihrer eigenen Mentalität abhinge: "Die Araber lassen sich nun begeistert auf eine Kultur des Aktivismus und der Selbstbestimmung ein, im Gegensatz zu der bislang dominanten Passivität und Opferhaltung."
Die Option, die in den vielen Kommentaren und Analysen allerdings nicht erwähnt wurde, ist die, dass wir aufhören müssen, Autokratien zu unterstützen, welche die Demokratisierung zu ersticken versuchen. Den westlichen Regierungen muss sehr viel genauer auf die Finger geschaut werden, so sehr, dass sie sich gezwungen sehen, ihre Außenpolitik nach ethischeren Maßstäben auszurichten.