Terrorismus: Eine Herausforderung für Strategie und Legitimität
Seit nunmehr zehn Jahren wird die Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terrorismus unter Kampfbegriffen wie "Krieg gegen den Terror" geführt. Trotz des übergeordneten Erfolgs, dass ein weiterer Anschlag von den Ausmaßen des 11. September 2001 bisher nicht stattgefunden hat, besteht nach wie vor die Herausforderung durch den jihadistischen Terrorismus. Die Anschläge in Washington und New York machten nicht nur die dramatisch gesteigerte Handlungsreichweite nichtstaatlicher (Gewalt-)Akteure deutlich, sondern sind auch ein Beispiel für die Globalisierung von Sicherheitsherausforderungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Zudem beförderten diese Ereignisse die islamistisch-terroristische Gewalt an die Spitze der internationalen Sicherheitsagenda.
Was die Effizienz und Effektivität von Abwehr- und Gegenmaßnahmen betrifft, so spricht vieles dafür, den Terrorismus in erster Linie in seiner kriminellen Dimension zu begreifen, auf welche vornehmlich mit polizeilichen und nachrichtendienstlichen Mitteln zu reagieren ist. Eine Kriminalisierung kann zu einer Delegitimierung der Akteure beitragen und gleichzeitig dem Risiko einer indirekten Selbstdelegitimierung durch Überreaktionen in der Auseinandersetzung mit jenen vorbeugen.
In diesem Kontext ist die unter US-Präsident Barack Obama erfolgte Abkehr vom Global War on Terror hin zum "Kampf gegen Al Qaida" von großer Bedeutung.
Eine Flankierung dieser Maßnahmen mit militärischen Mitteln wird insbesondere dort erforderlich, wo nicht auf eigenem Boden agiert werden kann, polizeiliche Mittel nicht greifen oder der bewaffnete Widerstand zu groß ist. So wäre beispielsweise ein Sturz des mit Al Qaida verbundenen Taliban-Regimes in Afghanistan ohne militärische Mittel kaum möglich gewesen. Der Logik folgend, dass durch das eigene Handeln eine indirekte Selbstdelegitimierung unter allen Umständen zu vermeiden ist, sollte es sich bei militärischen Maßnahmen vornehmlich um punktuelle und präzise Eingriffe unter Vermeidung von zivilen Opfern handeln. Aber auch ein derart "chirurgisches Vorgehen" ist in ethisch-moralischer und völkerrechtlicher Hinsicht sowie im Hinblick auf die parlamentarische Kontrolle der handelnden Akteure nicht unproblematisch.
Die Sinnhaftigkeit von Aufstandsbekämpfung, Stabilisierung und Staatsaufbau als Beitrag zum Kampf gegen Terrorakteure ist hinsichtlich Effizienz und Effektivität eine schwer zu beantwortende Frage, da die Kosten für derartige Engagements enorm hoch sind.
Wirkung von delegitimierenden Maßnahmen
Verstoßen Maßnahmen zur Abwehr von Terror gegen Menschenrechte oder ethisch-moralische Grundsätze demokratischer Gesellschaften, werden ideologischen "Argumentationen" der Terrorakteure in die Hände gespielt sowie das eigene Handeln delegitimiert. Deutlich wurde dies beispielsweise an den weltweit wütenden Reaktionen auf den Abu Ghraib-Folterskandal im Jahr 2004.
Dabei darf man nicht der Argumentation erliegen, dass die unter folterähnlichen Verhörmethoden gewonnenen Informationen derartige Methoden nachträglich legitimieren. Denn mitunter wird als Rechtfertigung ins Feld geführt, dass Deutschland unter dem Eindruck eines schweren Anschlags mit vielen Opfern auf dem eigenen Territorium seine Bewertung darüber, was freiheitseinschränkende und menschenrechtsverletzende Maßnahmen sind, ändern würde. Die in Geheimgefängnissen und in Guantanamo verwendeten Praktiken wie die häufig zitierte Schändung des Korans und körperliche Entblößungen, die darauf abzielen, durch Erniedrigung und Verletzung der religiösen Integrität den Widerstand zu brechen, mögen zwar keine Folter im klassischen, physischen Sinne sein, diskreditieren aber die "Verhörspezialisten", selbst wenn sich die Maßnahmen als "effizient" erweisen sollten. Die Auseinandersetzung mit Terrorakteuren darf auch von westlich-demokratischer Seite nicht entgrenzt werden und muss normativen Grundsätzen unterliegen.
Dazu gehört auch die Problematik von Militärprozessen ohne rechtsstaatlich faires Verfahren. US-Präsident Obama konnte zwar sein Anliegen, Guantanamo zu schließen, innenpolitisch nicht durchsetzen, hat aber eine erneute Überprüfung aller Fälle angeordnet. Von anfangs fast 800 Personen sind noch 172 in Haft, viele von ihnen seit fast zehn Jahren, ohne dass Anklage erhoben wurde. Bei 48 Personen wird erwartet, dass sie auf unbegrenzte Zeit in Haft bleiben werden.
Deutschland hat zwar die Schließung der Einrichtung gefordert und zwei frühere Insassen aufgenommen. Die Aufnahme weiterer ehemals Inhaftierter bleibt mit dem Verweis auf Sicherheitsbedenken weiter politisch umstritten, auch wenn eine Studie zeigte, dass nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der 600 Freigelassenen den bewaffneten Kampf wieder aufgenommen hat.
Zu den delegitimierenden Maßnahmen zur Abwehr von Terror gehört auch der Transfer von Terrorverdächtigen seitens des US-Auslandsgeheimdienstes CIA über Länder, in denen Folter praktiziert wird. Der Europarat warf in einer Studie von 2007 14 europäischen Regierungen vor, zwischen 2002 und 2005 der CIA illegale Gefängnisse auf oder Entführungsflüge über ihr Staatsgebiet erlaubt zu haben. Aktuell klagt beispielsweise einer der mutmaßlichen Verantwortlichen für den Bombenanschlag auf das US-Kriegsschiff USS Cole im Jahr 2000 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Polen. Er sei dort in einem geheimen CIA-Lager gefangen gehalten und später nach Guantanamo überstellt worden.
Handlungsreichweite islamistischer Terrorakteure
Selbstdelegitimierung findet auch auf Seiten der Terrorakteure statt. So hat sich die "Attraktivität" des jihadistischen Terrorismus seit den Anschlägen von 2001 nachhaltig verringert. Die Ursache hierfür liegt zum einen in der indirekten Selbstdelegitimierung Al Qaidas durch ihre exzessive terroristische Gewaltanwendung mit vielen zivilen Opfern gerade unter der muslimischen Bevölkerung, was auch innerhalb des Terrornetzwerkes zu schweren Auseinandersetzungen führte.
Zum anderen ist es der mangelnde Erfolg im Sinne positiv-konstruktiver Gestaltungskraft: Die von Al Qaida angebotenen Ordnungs- und Gesellschaftskonzepte entsprechen nicht den Bedürfnissen einer sich modernisierenden und nach Freiheit strebenden Gesellschaft. Anfangs war die Taktik Al Qaidas insofern erfolgreich, als dass sie Sympathien wecken und Unterstützung generieren konnte.
Ihr Vorgehen bestand darin, die Kritik an subjektiv wahrgenommenen Missständen in demokratischen und kapitalistischen Gesellschaften zu instrumentalisieren, indem sie diese Kritik verknüpfte mit (religiöser) Identität, Demütigungs- und Opfererfahrungen, die westlichen Staaten angelastet wurden: Gegen den "imperialistischen Feldzug der Ungläubigen gegen die muslimische Welt", den "fernen Feind", will man sich verteidigen.
Die gegenwärtigen revolutionären Umbrüche in der arabischen Welt verdeutlichen auch das Scheitern Al Qaidas hinsichtlich ihres Ziels, die autoritären arabischen Regime stürzen zu wollen: Während Al Qaida mit seinen terroristischen Methoden diese Regime eher stärkte und deren Bindungen an den Westen indirekt vertiefte, gelang es den arabischen Massen durch (weitgehend) friedliche Massenproteste in verhältnismäßig kurzer Zeit, einen Teil dieser Regime (Tunesien und Ägypten) zu stürzen. Dass Al Qaida von dieser Entwicklung genauso überrascht wurde wie die westliche Staatengemeinschaft, verdeutlicht deren mangelnden Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in der arabischen Welt. Zudem vermittelten die US-geführten Interventionen in Afghanistan und im Irak die Botschaft, dass die Folge jihadistischer Terroraktivitäten nicht ein Weniger, sondern ein Mehr an "westlicher Präsenz" in der islamischen Welt ist: War es ein erklärtes Ziel Al Qaidas, die westliche Präsenz (die Präsenz "der Kreuzritter") in der islamischen Welt zu verringern oder zu beseitigen, so wurde das Gegenteil erreicht.
Nichtmilitärische Präventivmaßnahmen
Unter dem Motto Countering Violent Extremism soll seit 2010 die neue Strategie des US-Präsidenten Obama präventiv gegen drohende Radikalisierungsprozesse wirken.
Dafür wurden neue Einrichtungen geschaffen wie das Center for Strategic Counter Terrorism Communications. Dieses soll die Brutalität der Anschläge gegen Zivilisten vor Augen führen und darüber hinaus verdeutlichen, dass Al Qaida gleich zwei Rückschläge hinnehmen musste: die Forderung nach demokratischem Wandel in der arabischen Welt und die Wahl friedlicher Mittel, obwohl Al Qaida behauptet hatte, dass friedlicher Wandel autoritärer Regime nicht möglich sei. Diese Informationsoffensiven finden in den Medien unter anderem auf Arabisch, Persisch und Urdu statt, Texte und Videomaterial werden produziert und auch in sozialen Netzwerken eingestellt.
Ausblick
Mit dem Tod Osama Bin Ladens hat der internationale Jihadismus seine wichtigste Symbol- und Integrationsfigur verloren. Trotzdem ist eine endgültige "Lösung" des Problems des jihadistischen Terrorismus in naher Zukunft nicht zu erwarten, da sich weder die zugrundeliegende Ideologie noch die damit verbundene Methode der Gewaltanwendung in Form von Terrorismus auflösen lassen. Die Bedrohung durch islamistische Terrorakteure ist räumlich wie auch von Art und Umfang her entgrenzt, zielt potenziell auf Großschadensereignisse mit hohen Opferzahlen und kann zu jeder Zeit und an nahezu jedem Ort der Welt zuschlagen.
Daher wird sie für die internationale Staatengemeinschaft weiterhin eine wichtige Sicherheitsherausforderung bleiben. Das heißt, dass Abwehr und Gegenmaßnahmen auch künftig erforderlich sein werden. Dabei geht es in erster Linie darum, die Bewegungsfreiheit der Täter einzuschränken, Anschläge im Vorfeld aufzudecken, den Finanzfluss zu unterbrechen sowie Führungspersonen zu stellen.
Die Auseinandersetzung mit islamistischen Terrorakteuren kann insbesondere in instabilen Regionen eine Flankierung mit militärischen Mitteln erforderlich machen, um damit Regierungen vor Ort zu stärken, Unruheregionen zu stabilisieren und so das Entstehen von machtfreien Räumen als Rückzugsraum für Terroristen zu verhindern. Hierbei ist ein ausgewogener Mix an offensiven und defensiven Maßnahmen anzustreben. Jedoch gilt es, die Legitimität des eigenen Handelns nicht durch überzogene Maßnahmen zu gefährden. Insgesamt empfiehlt es sich, Terrorismus als ein andauerndes Risiko zu betrachten, das beständige Aufmerksamkeit und Vorsorge erfordert. Trotz seiner Brisanz und seiner anhaltenden Aktualität sollte dieses jedoch nicht zulasten eines ausgewogenen Ressourceneinsatzes zur Wahrung von Freiheit, Bildung, Wohlstand und nachhaltiger Entwicklung überbewertet werden.
Gefordert ist eine langfristige Strategie zur systematischen Delegitimierung radikaler Gewaltakteure und ihrer terroristischen Methoden. Die dem Terrorismus innewohnende Tendenz zur Selbstdelegitimierung kommt dem zugute. Den Gewaltakteuren muss das unterstützende Umfeld entzogen und ihr Regenerations- und Rekrutierungskreislauf nachhaltig unterbrochen werden. Dazu sollte die Delegitimierung von extremistischen Gewaltakteuren auf drei Ebenen stattfinden:
Erstens sollte den Sympathisanten durch text- und bildgestütztes Material und Diskursen in unterschiedlichsten Foren die Grausamkeit der Gewaltakte vor Augen geführt werden.
Zweitens sollte der friedliche Wandel hin zu Gesellschaften, die Teilhabe und Lebenschancen bieten, unterstützt werden.
Drittens sollten Staaten Menschenrechtsschutz als Eigeninteresse begreifen,
indem sie keine zweifelhaften Methoden anwenden und Respekt vor der Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellen. Dies dient auch dazu, sich nicht von den eigenen Gesellschaften und Werten zu entfremden.
Die revolutionären Umbrüche in der arabischen Welt verdeutlichen anschaulich die mangelnde positive Gestaltungskraft und Aktualität von Terrorakteuren wie Al Qaida. Entscheidend ist hierbei die Tatsache, dass mit (weitgehend) friedlichen Mitteln mehr zu erreichen ist, als mit dem Gewaltmittel Terrorismus. Daher sind diese Ereignisse geeignet, Terrorakteure auch in den Kreisen zu delegitimieren, in denen sie bisher auf Sympathie oder duldende Unterstützung zählen konnten.
Die Militärstrategie der USA nach dem 11. September
Bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 haben Militäroperationen der USA gegen den Terrorismus keine bedeutsame Rolle gespielt. Sie fanden nur vereinzelt statt etwa als Strafaktionen wie die Luftangriffe auf Tripolis im Jahr 1986 nach dem Anschlag auf die Diskothek La Belle in Berlin. Dagegen sind Militäreinsätze gegen Terrororganisationen und sie vermeintlich unterstützende Staaten infolge der Ereignisse im September 2001 zu einem von den USA intensiv genutzten Instrument geworden.
Zwei Entwicklungen trafen im Herbst 2001 aufeinander: zum einen die bereits zuvor eingeleitete Revolution in Military Affairs (RMA),
Die militärische Auseinandersetzung mit Al Qaida hat zwar zu Veränderungen bei der amerikanischen Militärstrategie geführt, sie blieben jedoch in übergreifende strategische und technologische Entwicklungstrends eingebettet. Es kam zu situativ bedingten "Verfeinerungen" von Einsatzkonzepten am oberen und unteren Ende des Gewaltspektrums und zu spezifischen Weiterentwicklungen bereits vorhandener Streitkräfte, nicht aber zu einer grundsätzlichen militärstrategischen Neuausrichtung.
Grand Strategy nach dem 11. September?
Die militärische Reaktion der USA auf die Anschläge im Herbst 2001 lässt sich nicht trennen von einer spezifischen Wahrnehmung der terroristischen Bedrohung durch die US-Regierung unter George W. Bush; das heißt der Auslegung der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus als "Krieg". Sie lässt sich auch nicht von der Art und Weise trennen, wie die Bush-Regierung das Verhältnis zwischen den USA feindlich gesonnenen Regierungen ("Schurkenstaaten") und terroristischen Gruppen interpretiert hat. Unmittelbar nach den Anschlägen hat die US-Regierung ihre Außen- und Sicherheitspolitik auf die Bekämpfung von Al Qaida und das Taliban-Regime in Afghanistan ausgerichtet. In den folgenden Monaten dehnte sie ihren Ordnungsanspruch aus: Nicht nur Terrororganisationen, sondern auch autoritäre Staaten, die Terroristen unterstützten oder Zugang zu Massenvernichtungswaffen hatten oder sich solche zu beschaffen versuchten, konnten das Ziel amerikanischer Militäraktionen werden. Mit der Nationalen Sicherheitsstrategie wurde im Jahr 2002 schließlich eine Weltordnungskonzeption vorgelegt, die eine mit politischen, ökonomischen und militärischen Mitteln herzustellende, auf liberalen Werten basierende Weltordnung deklarierte, und die in ihrer Ambition weit über eine reine Strategie zur Terrorismusbekämpfung hinausging.
Die Nationale Sicherheitsstrategie enthielt drei zentrale Aspekte: (1) Der 11. September darf sich auf keinen Fall wiederholen, deshalb müssen Terroristen an weiteren Taten gehindert werden, selbst wenn dazu von internationalen Rechtsnormen nicht gedeckte Maßnahmen notwendig werden sollten. Gegen Terroristen und ihre Unterstützer muss unter Umständen auch präventiv Gewalt angewendet werden. (2) Ein großes Risiko stellen autoritäre Staaten dar, die wissentlich Terroristen beherbergen, Massenvernichtungswaffen besitzen oder sich zu beschaffen versuchen, und diese Waffen oder Grundstoffe für ihren Bau an Terroristen weitergeben könnten. Auch gegen sie muss deshalb rechtzeitig und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln, unter Umständen auch mit Nuklearwaffen, vorgegangen werden.
Die übergeordnete ordnungspolitische Herausforderung bestand aus der Warte der Bush-Regierung deshalb darin, eine auf konsolidierten Demokratien beruhende Weltordnung zu etablieren. Diese Konzeption verband "rationale" sicherheitspolitische Erwägungen mit normativen: Die Bekämpfung des Terrorismus wurde als globale Norm propagiert, und sämtliche Regierungen der Welt wurden dazu aufgerufen, ihrer "souveränen Verantwortung" nachzukommen und sich dem Kampf gegen den Terrorismus anzuschließen. Die Entscheidung, ob Regierungen sich verantwortlich verhielten, würden die Vereinigten Staaten im Notfall allein treffen - in dieser Hinsicht wollten sie eine "Weltinnenpolitik" nach von ihnen gesetzten Regeln generieren.
Ausstattung der amerikanischen Streitkräfte
Die in der Sicherheitsstrategie von 2002 enthaltenen Vorgaben machten keine grundsätzlichen Veränderungen bei den amerikanischen Streitkräften erforderlich. Die USA besaßen bereits einen effizienten, schnell einsetzbaren Militärapparat, der so ausdifferenziert war, dass er der politischen Führung eine breite Palette von Einsatzoptionen im "Krieg gegen den Terror" ermöglichte - von größeren Interventionen zum Sturz von missliebigen Regierungen bis hin zu "Spezialaufgaben" wie der Liquidierung einzelner Personen. Dennoch versuchte die Bush-Regierung durch die Ausweitung von konventionellen Rüstungsprogrammen quer durch nahezu alle Waffensysteme eine zusätzliche Sicherheitsmarge zu schaffen. Sie zielte dabei im Allgemeinen nicht auf die Verbesserung spezifischer Fähigkeiten zur Terrorismusbekämpfung, sondern auf die Verstärkung der weltweiten militärischen Präsenz der USA und den Ausbau des amerikanischen Technologievorsprungs im Rüstungssektor.
Bereits vor den Anschlägen vom 11. September strebte das Pentagon unter der Leitung des damaligen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld eine Beschleunigung der Transformation des amerikanischen Militärapparates in Richtung einer auf modernste Militärtechnologie bauende, interventionsgeeignete Stand-Off Precision-Strike Force an. Der Quadrennial Defense Review, eine vom US-Verteidigungsministerium in Auftrag gegebene Studie zur Verteidigungsplanung, die alle vier Jahre erscheint, hatte im September 2001 deutlich gemacht, dass es das Ziel amerikanischer militärbezogener Technologieentwicklung sein musste, in allen Bereichen die Überlegenheit über mögliche Gegner bis hin zu einer vollständigen militärischen Dominanz auszubauen.
Die Erfahrungen der Interventionen während des Zweiten Golfkrieges 1991 und der Balkan-Kriege in den 1990er Jahren sowie die an der RMA ausgerichteten militärstrategischen Grundannahmen haben auch den Planungsprozess für das militärische Vorgehen in Afghanistan bestimmt: Das Operationskonzept basierte auf den Vorgaben des damaligen Verteidigungsministers, auf modernste Technologie und Präzisionswaffen zu setzen und weniger Gewicht auf konventionelle Bodentruppen zu legen.
Der rasche militärische Erfolg in Afghanistan war für viele Militärexperten eine Überraschung, da der an herkömmlichen konventionellen Kriegen orientierte amerikanische Militärapparat für eine Bekämpfung transnationaler Akteure wie terroristischer Gruppen nicht speziell ausgerüstet war. Sein Umfang, seine technische Ausstattung, interne Differenzierung und Adaptionsfähigkeit haben es jedoch möglich gemacht, mit den vorhandenen Mitteln gezielt auch gegen die Taliban vorzugehen.
Tatsächlich konnte auch im Irak die eigentliche Kriegsphase schnell beendet werden: Den USA gelang es, aufgrund des Zusammenwirkens aller Truppenteile auf Basis moderner Kommunikations- und Führungssysteme und des Einsatzes von Präzisionswaffen mit einer relativ geringen Anzahl von Truppen überlegene militärische Macht zu entfalten.
Vom Hightech-Krieg zur Aufstandsbekämpfung
Es zeigte sich jedoch bald, dass rasche militärische "Siege" keineswegs mit einer umfassenden Befriedung und einem demokratischen Aufbau der betroffenen Staaten einhergehen müssen. Im Irak formierte sich nach der eigentlichen Kriegsphase eine Aufstandsbewegung (und später ein Al Qaida-Ableger), die Selbstmordattentate gegen die stationierten ausländischen Truppen und schließlich auch gegen Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte und die Zivilbevölkerung verübte. Die Art und Weise wie Landstreitkräfte (US-Army) und Marinekorps (US-Marine Corps) im Verbund mit schlecht ausgebildeten irakischen Sicherheitskräften hunt and kill-Operationen zur Aufstandsbekämpfung betrieben, verstärkte das Problem.
Konfrontiert mit dem Aufstand mussten US-Army und US-Marine Corps ihre Strategie zur Aufstandsbekämpfung überdenken. Die Neufassung des Field Manual 3-24 Counterinsurgency (Feldhandbuch der US-Armee, das die Strategie zur Aufstandsbekämpfung vorgibt) vom Dezember 2006 kann als deutliche Kritik an dem Vorgehen der USA im Irak bis zu diesem Zeitpunkt gelesen werden.
2007 schließlich veranlasste die Bush-Regierung die Entsendung von zusätzlichen 30000 Soldaten in den Irak. Das amerikanische Militär verlegte in der Folgezeit seinen Fokus von der Verfügung über Feuerkraft und häufige Patrouillen mit gepanzerten Fahrzeugen auf "Fußtruppen" und intensivere Kontakte mit der lokalen Bevölkerung.
Counterinsurgency wurde bald zum vielgebrauchten Schlagwort und in der für den Irak entwickelten konzeptionellen Form als "Idealstrategie" auch für Afghanistan angesehen. Die Entscheidung der US-Regierung unter Barack Obama, auch hier die Anzahl der Truppen zu erhöhen und die Bereitschaft, mit "moderaten" Taliban in einen Dialog einzutreten, folgte fraglos dem im Irak angewandten Modell.
Aufstandsbekämpfung versus Bekämpfung terroristischer Gruppen
Die Situation in Afghanistan hatte sich nicht zuletzt deshalb besonders schwierig gestaltet, weil es niemals allein um Aufstandsbekämpfung mit dem anschließenden Aufbau eines funktionierenden Staates ging, sondern immer auch um die Bekämpfung von Al Qaida. Aufstandsbekämpfung und die Bekämpfung terroristischer Gruppen sind aber nicht notwendig funktional äquivalent,
Angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage forderten die Vereinigten Staaten ihre Verbündeten auf, ihre Aufgaben - wozu immer häufiger die Aufstandsbekämpfung zählte - auf die gefährlichen Gebiete im Süden und Osten Afghanistans auszuweiten; eine Aufforderung, die nicht bei allen angesprochenen Staaten auf Gegenliebe stieß. Nicht nur mangelnder politischer Wille angesichts skeptischer Bevölkerungen in den NATO-Staaten spielte hier eine Rolle, sondern auch die mangelnde Fähigkeit, Counterinsurgency-Missionen in größerem Umfang durchzuführen.
Ein grundsätzliches Problem blieb aber, dass trotz dieser Einsichten weiter Luftschläge und Kommandooperationen mit Spezialeinheiten durchgeführt wurden, um Taliban- und Al Qaida-Mitglieder zu töten oder gefangen zu nehmen - mit der Folge, dass nach wie vor erhebliche Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen waren. Dies war jedoch mit den neu deklarierten Zielen der Counterinsurgency von ISAF nicht zu vereinbaren.
Mit Drohnen gegen Al Qaida und Aufständische
Die Problematik gilt auch für den Einsatz von Drohnen, der unter der Obama-Regierung noch einmal deutlich ausgeweitet worden ist. Hierin spiegelt sich der gegenwärtige militärtechnische Trend am deutlichsten wider: Drohnen sind flexibler einsetzbar als Flugzeuge, liefern verlässliche Aufklärungsdaten, sind fern- oder selbstgesteuert und unbemannt; das heißt, dass bei ihrem Einsatz keine eigenen Soldaten gefährdet werden.
Bereits im November 2001 ist in Afghanistan von der CIA eine Predator-Drohne eingesetzt worden, durch welche ein militärischer Kommandeur von Al Qaida getötet wurde. Im November 2002 wurde im Jemen eine weitere Predator eingesetzt, um eine Gruppe von Verdächtigen zu töten. In der Folgezeit wurden die Drohnen-Einsätze auf Pakistan ausgeweitet, insbesondere auf die unwegsamen paschtunischen Stammesgebiete im Nordwesten Pakistans. Im Juni 2004 wurde hier ein Taliban-Führer durch einen Drohnen-Einsatz getötet, im Mai und Dezember 2005 zwei hochrangige Mitglieder von Al Qaida.
Die Einsätze hatten jedoch einen hohen Preis: Allein in Pakistan wurden dabei hunderte Zivilisten getötet. Nachdem bei einem Einsatz, welcher dem damaligen "Stellvertreter" Osama bin Ladens Aiman al Zawahiri galt, im Januar 2006 eine größere Anzahl Unbeteiligter ums Leben gekommen ist, darunter auch mehrere Kinder, hat die CIA bis Ende 2006 auf weitere Einsätze verzichtet, um die gegen die USA gerichtete Stimmung in Pakistan nicht noch weiter anzuheizen. 2007 wurden die Einsätze wieder aufgenommen.
Drohnen-Einsätze sind also auch unter Barack Obama im militärischen Handlungsrepertoire geblieben, mehr noch, sie sind mangels Alternativen zum militärischen Mittel erster Wahl geworden. Zusätzlich hat eine Ausweitung der Drohnen-Missionen im Hinblick auf die "Zielgruppen" stattgefunden: Nur noch ein geringer Teil der Drohnen-Einsätze in Pakistan richtete sich gegen Mitglieder von Al Qaida. Auf der Liste von Zielpersonen in Afghanistan sollen sich nun auch Drogenbarone befinden, die verdächtigt werden, Al Qaida mit Geld zu versorgen.
Künftige Entwicklungen
Die Bush-Regierung hat die Bekämpfung des Terrorismus als "Krieg" interpretiert, die Obama-Regierung benutzt diesen Begriff zwar zurückhaltender, wendet aber insbesondere gegen Al Qaida und Aufständische in Afghanistan und Pakistan weiter militärische Mittel an. Zwei zwischenstaatliche Kriege haben die USA unter dem Banner der Terrorismusbekämpfung geführt und dabei Konzepte und Waffen angewandt, die zuvor im Rahmen der RMA entwickelt worden sind. Die Kriege in Afghanistan und im Irak sind mit solchen Waffen geführt worden und haben rasch zur Entmachtung der jeweiligen Regierungen beigetragen. Für die Aufstandsbekämpfung waren sie jedoch nur bedingt geeignet.
Waffensysteme, die zwar mit Blick auf konventionelle Szenarien entwickelt worden sind, aber dem Langzeittrend Präzision, Selektivität und Miniaturisierung entsprachen, sind auch bei Luftschlägen und Kommando- und Geheimdienstoperationen zur Beschaffung von Informationen und zur Tötung von Al Qaida-Mitgliedern und -Unterstützern verwendet worden. Die USA und ihre Alliierten haben sich so immer mehr auf die "irreguläre" Kriegsführung konzentriert.
Geheimdienst- und Militäroperationen wurden zudem nicht nur in Afghanistan und im Irak durchgeführt, sondern auch in weiteren Staaten, oftmals ohne die Einwilligung der dortigen Regierung einzuholen oder diese auch nur zu informieren - so jüngst bei der Operation zur Tötung Osama bin Ladens in Pakistan oder einem Drohnen-Einsatz im Jemen im Mai 2011.
Auch in Zukunft werden "Großwaffensysteme" zur konventionellen Kriegführung beschafft werden, ebenso wie für den Einsatz am unteren Ende des Gewaltspektrums Systeme, die den Erfordernissen der "irregulären" Kriegsführung entsprechen. Mit der Erstellung des Quadrennial Defense Review 2010 wird die Diskussion über den richtigen "Mix" aus Waffen für die konventionelle Kriegsführung, Stabilisierungseinsätze, Aufstandsbekämpfung und irreguläre Operationen zur Terrorismusbekämpfung weitergeführt.
Einstweilen sind im Quadrennial Defense Review 2010 die Ziele der Zerschlagung von Al Qaida und der Abwehr von Angriffen durch feindliche Staaten gleichrangig nebeneinander gestellt worden. Unstrittig ist für das Pentagon jedoch, dass die Bedeutung nichtstaatlicher (Gewalt-)Akteure als Gefährdungspotenzial und damit auch die Zahl möglicher Einsatzszenarien und -orte zunehmen werden, was bei der Weiterentwicklung der Doktrin, der Ausbildung, der Waffenbeschaffung und der operativen Planung berücksichtigt werden muss.