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Umweltschutz im Alltag: Probleme im Umgang mit Gemeingütern

Werner Meinefeld

/ 18 Minuten zu lesen

Die natürliche Umwelt ist ein gefährdetes Kollektivgut. Am Beispiel alltäglichen Verhaltens werden die Probleme diskutiert, die einer Veränderung dieses Verhal­tens trotz bestehender Einsicht in seine destruktive Wirkung entgegenstehen.

Einleitung

Die natürliche Umwelt zählt zu den "öffentlichen Gütern", das heißt, grundsätzlich ist sie für jedermann zugänglich, niemand ist von der Nutzung dieses Gutes auszuschließen. Allerdings besteht durchaus Konkurrenz in der Nutzung: Gewässerverschmutzungen aus der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion belasten zum Beispiel die Trinkwassergewinnung und vermindern die Freizeitnutzung, und verschmutzte Luft gefährdet die Gesundheit aller. Insofern besteht ein öffentliches Interesse an der Kontrolle der Erhaltung dieses Gemeingutes, und in der Umweltbewegung der 1970er Jahre ist dieses Interesse seitens engagierter Bürgerinnen und Bürger nachdrücklich zum Ausdruck gebracht worden. Zumindest für die westlichen Industrieländer ist festzustellen, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung sich dieser Gefährdung der natürlichen Lebensbedingungen bewusst ist, und in entsprechenden Umfragen wird die grundsätzliche Bereitschaft zur Änderung eines umweltgefährdenden Verhaltens mehrheitlich bekundet.

Verhaltensbeobachtungen zeigen dagegen, dass trotz dieser Einsicht und Absicht grundlegende Verhaltensänderungen auf große Widerstände stoßen. Sind also die Umfrage-Antworten nicht ernst gemeint? Oder können die Menschen nicht anders handeln? Welche Gründe sind dafür verantwortlich, dass die Diskrepanz von Sprechen und Handeln gerade auf dem Gebiet des Umweltschutzes so groß ist?

Mensch-Umwelt-Beziehung

Im Vergleich zu früheren Zeiten kommen im 20. und 21. Jahrhundert drei Faktoren zusammen, die dem Handeln des Menschen eine wesentlich größere Brisanz für die Umwelt verleihen. Dank einer hoch entwickelten Technologie sind wir erstens unermesslich viel effizienter in unserem Einwirken auf die Umwelt, was uns zweitens in die Lage versetzte, die Zahl der lebenden Menschen gegenüber der früher möglichen Bevölkerungsdichte ungeheuer zu steigern. Dies aber hatte drittens Konsequenzen für die Entwicklung des Zusammenlebens der Menschen.

Die veränderte soziale Organisation wiederum ermöglichte weitere Fortschritte in der Beherrschung der Natur. Im Zusammenwirken der drei Faktoren Technik, Bevölkerungszahl und Sozialorganisation schloss sich der Kreis zu einem sich wechselseitig verstärkenden Prozess, der die große Zivilisationsleistung des Menschen erst ermöglichte, zugleich aber auch die Fähigkeit zur Gefährdung der gegebenen Umwelt in einem zuvor nicht vorstellbaren Ausmaß erhöhte. Die sozialen Veränderungen wirkten dabei als Beschleunigungsfaktor in den Umweltauswirkungen: Die Bevölkerungszahl nahm dramatisch zu; immer mehr Menschen erhielten Zugang zu Konsumgütern, die nicht überlebensnotwendig sind; strukturelle Veränderungen im Zusammenleben (Zunahme der Einpersonenhaushalte, Vergrößerung des individuellen Raumbedarfs, Trennung von Wohnung und Arbeitsplatz) führten zu einer zusätzlichen Erhöhung von Ressourcenverbrauch, Abfallproduktion und Umweltverschmutzung. Die Umweltgefhrdung durch menschliches Handeln ist somit kein Unfall; sie ist keine Fehlentwicklung in der Herausbildung unserer Zivilisation, sondern sie ergab sich folgerichtig aus den Merkmalen eines Prozesses, der zum Zweck der Verbesserung der Lebensverhältnisse von den Menschen selbst betrieben worden ist, nun aber Effekte zeitigt, die nicht beabsichtigt waren und nicht erwartet wurden.

Umwelterziehung

Charakteristisch für die frühe deutsche Umweltdiskussion wurde - in guter aufklärerischer Tradition - das Bemühen, durch Umwelterziehung Einfluss auf das Handeln der Menschen zu nehmen. Man setzte darauf, bei den Bürgern Einsicht in die ursächlichen Zusammenhänge der Umweltkrise zu wecken und dadurch die Bereitschaft des Einzelnen zur Veränderung seiner umweltschädlichen Verhaltensweisen zu erreichen. Rückblickend ist festzustellen, dass dieses Ziel der Auslösung eines kollektiven Lernprozesses sowohl erreicht als auch verfehlt worden ist: Es ist gelungen, ein hohes Bewusstsein von der Umweltgefährdung durch menschliches Handeln zu vermitteln, doch ist nicht in demselben Ausmaß eine Veränderung eben dieses Handelns eingetreten.

Die Bewusstseinsveränderung verlief schnell und radikal und zeigt anhaltende Wirkung. Waren ökologische Argumentationen zu Beginn der 1970er Jahre das Markenzeichen gesellschaftlicher Außenseiter, so ist ein kritisches Umweltbewusstsein heute zum Charakteristikum des staatstragenden Bürgers geworden, und folgerichtig findet sich seit Jahren kein Parteiprogramm mehr, das nicht ein ausdrückliches Bekenntnis zur "Bewahrung der natürlichen Umwelt" enthielte. Zwar lassen sich auch auf der Seite des Handelns deutliche Veränderungen ausmachen, doch sind die in empirischen Studien nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen Umweltbewusstsein und umweltschonendem Handeln relativ gering. Dies heißt: Personen mit einem hohen Umweltbewusstsein verhalten sich nicht durchgängig umweltschonender als solche mit einem weniger ausgeprägten Bekenntnis zur Erhaltung der Umwelt. Es zeigte sich somit sehr schnell, dass dieses Konzept einer Veränderung des Handelns zugunsten des Umweltschutzes allein durch Aufklärung dem komplexen Bedingungsnetz menschlichen Handelns nicht gerecht wird: Dieses Konzept schafft Akzeptanz und ist somit unverzichtbar, es ist aber für sich genommen zu einfach, zu optimistisch, zu wenig soziologisch. Es beruht auf einem idealistischen Menschenbild, das eine Übereinstimmung von Wissen, Wollen und Handeln postuliert, das den informierten, engagierten, verantwortungsbewussten, handlungskompetenten, rationalen Bürger voraussetzt.

Grenzen der Aufklärung

Es gibt vermutlich nur wenige Menschen, die wissentlich und willentlich umweltgefährdend handeln - wenn es denn anders geht! Angesichts einer weit verbreiteten Akzeptanz der These von der Gefährdung unserer natürlichen Umwelt darf bei der Mehrheit der Bevölkerung die grundsätzliche Bereitschaft zur Umweltschonung unterstellt werden. Was also hindert uns daran, uns entsprechend zu verhalten? Dieser Frage soll in neun Thesen und einer Zwischenbilanz nachgegangen werden.

1. Eingeschliffene Verhaltensroutinen stehen einer ökologischen Umorientierung entgegen. Der Mensch ist ein "Gewohnheitstier" - und dies aus gutem Grund. Im Unterschied zu den Tieren ist der Mensch durch Instinktarmut gekennzeichnet: Der größte Teil seines Verhaltens ist nicht durch ererbte Verhaltensmuster gesteuert, sondern in einem langen Lernprozess in Auseinandersetzung mit seiner sozialen und materiellen Umgebung erworben worden. Soziale Regeln und Routinen helfen ihm, ohne störend lange Entscheidungsprozesse in einer gegebenen Situation angemessen zu handeln. Diese Routinen zu ändern kostet Kraft und Aufmerksamkeit, die im Alltag nur bei großem Problemdruck aufgebracht werden.

2. Das Wissen um ökologische Zusammenhänge ist punktuell, unsicher und vorläufig. Die Forderung nach Verhaltensänderung baut auf neuem Wissen auf, das die Umweltgefährdung des alten Verhaltens ebenso aufzeigen muss wie die mögliche Alternative und deren Gewinn für die Umwelt. Dieses neue Wissen wurde und wird aber nicht systematisch vermittelt und erworben, sondern von verschiedensten Quellen (Medien, Organisationen, Einzelpersonen) verbreitet und damit unsystematisch und zufällig aufgenommen. Viele Lücken bleiben, auch Widersprüche, und nicht selten erweist sich das, was gestern richtig erschien, heute als umweltpolitisch nicht unbedenklich.

3. Es muss die Gelegenheit bestehen, umweltschonendes Verhalten umzusetzen. Diese Erkenntnis ist banal und dennoch von zentraler Bedeutung. Jede kollektive Verhaltensumstellung bedarf institutioneller Möglichkeiten, um überhaupt umgesetzt werden zu können. Solange es (z.B. in manchen Großstädten) an der dritten Mülltonne fehlt, werden biologische Abfälle nicht vom Restmüll getrennt werden können, und solange es keine ausreichenden Angebote für den öffentlichen Nahverkehr in ländlichen Regionen gibt, ist der Einzelne auf das private Auto angewiesen.

4. Die Umweltgefährdung ist eine (zumindest hier und jetzt noch) abstrakte Bedrohung, die zudem nur begrenzt direkte persönliche Betroffenheit begründet. Die Umweltgefährdung ist schleichend gekommen, oft nicht einmal direkt beobachtbar, und sie zeigt für den Einzelnen hier und heute nur sehr begrenzt unmittelbare negative Auswirkungen, die ihr eindeutig zugeschrieben werden können. Daher sind nur wenige bereit, aufgrund abstrakter (und zudem von Interessengruppen immer wieder in Frage gestellter) Bedrohungsszenarien persönliche Konsequenzen zu ziehen.

5. Umweltschutz steht in Konkurrenz zu anderen Zielen. Fast immer müssen wir bei unseren Handlungsentscheidungen verschiedene Bedürfnisse und Anforderungen gegeneinander abwägen, und kein einzelnes Ziel kann dauerhaft alle anderen dominieren. In dieser Konkurrenz der Bedürfnisse und Anforderungen liegt eine wesentliche Erklärung für das so oft zu beobachtende Nebeneinander umweltbewusster Einstellungen und umweltschädigenden Verhaltens bei ein- und derselben Person.

6. "Mechanismen der Neutralisierung" erleichtern das Ignorieren umweltbezogener Verhaltensanforderungen. Dies betrifft nicht nur die Tatsache, dass man ja "nicht genau weiß, was man denn nun eigentlich tun soll" - oft genug weiß man es durchaus, kann sich der grundsätzlich als legitim anerkannten Forderung aber dadurch entziehen, dass man (vor sich selbst wie auch vor anderen) auf Umstände verweist, die es im konkreten Fall für zulässig erscheinen lassen, anders zu handeln. An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang der ja auch tatsächlich äußerst geringe Beitrag zu nennen, den das Handeln des Einzelnen für die Umweltgefährdung der ganzen Welt darstellt. Hierher gehört auch der allgemeine Verweis auf "die Anderen", die sich ja auch nicht daran halten: Schlechte Vorbilder mindern den Druck auf normkonformes Handeln - und dies insbesondere dann, wenn diese "Anderen" Akteure des Staates oder der Wirtschaft sind, die von den "kleinen Leuten" das fordern, was sie selbst nicht einlösen: Tempolimit einhalten, Energie sparen etc. Solche Vorbilder begründen eine Glaubwürdigkeits- und Gerechtigkeitslücke, die zur Außerkraftsetzung normativer Erwartungen geradezu einlädt.

7. Um eine Frage der Gerechtigkeit handelt es sich auch beim "Problem der Allmende". Manche Umweltressourcen stellen ein gemeinsames Gut dar, das von vielen Beteiligten benötigt und benutzt wird, und der freie Zugang zu diesem Gut liegt im allgemeinen Interesse. Dies betrifft zum Beispiel den Zugang zu sauberer Luft, sauberem Wasser, billiger Energie oder Wäldern und Wiesen als Erholungsraum. Probleme treten auf, wenn einzelne Beteiligte dieses Gut zu ihrem individuellen Vorteil übermäßig in Anspruch nehmen, damit seinen Wert für alle anderen senken, ohne aber die Kosten dafür tragen zu müssen. Eine Anwendung dieser Beobachtung auf die Umweltproblematik hat der amerikanische Biologe Garrett Hardin vorgenommen, als er 1968 die "Tragik der Allmende" analysierte. Mit "Allmende" bezeichnete man im Mittelalter die Viehweide, die nicht einzelnen Personen, sondern der Dorfgemeinschaft insgesamt gehörte und auf die alle ihr Vieh treiben konnten. Deren Tragik resultiert aus dem Grundproblem aller Kollektivgüter: dem Spannungsverhältnis zwischen kollektiver Nutzung und individuellem Gewinn. Wenn Einzelne versuchen, ihren Gewinn aus diesem Kollektivgut durch eine Steigerung der Nutzung zu maximieren (also statt der üblichen zwei Kühe vier Kühe auf diese Weide treiben), so wird von einer bestimmten Nutzungsdichte an die Regenerationsfähigkeit dieses Gutes nicht mehr ausreichen, den von Einzelnen übermäßig entnommenen Nutzen auszugleichen: Die Ressource ist erschöpft, der Ertrag aller sinkt. Damit hat die Maximierung des individuellen Vorteils zu einem kollektiven Verlust geführt. Es ist dieses Bedingungsverhältnis von individueller Bereicherung und kollektivem Verlust, das einen politischen Eingriff in die Handlungsfreiheit des Einzelnen erfordert und rechtfertigt. Kommt die Politik der Erwartung auf eine gerechte Verteilung von Privilegien und Belastungen nicht nach, so verliert sie in den Augen der Bürger an Legitimität und kann nicht mehr auf die Akzeptanz ihrer Maßnahmen setzen.

Ziehen wir nach diesen das Handeln aus der Sicht des Individuums in den Blick nehmenden Thesen eine kurze Zwischenbilanz. Schon angesichts der bisher beschriebenen Faktoren dürfte es nicht überraschen, dass eine stringente Umsetzung umweltbewahrender Ziele und Einstellungen in das alltägliche Handeln nicht erfolgt. Maßnahmen der Umwelterziehung wurden daher schon bald durch gesetzliche Veränderungen der Handlungsbedingungen ergänzt: Industriebetriebe mussten höhere Schornsteine bauen und Schadstofffilter installieren, für Kraftfahrzeuge wurde ein Katalysator vorgeschrieben, Energiesparmaßnahmen wurden finanziell gefördert und anderes mehr. Das Bemühen um Umwelterziehung wurde durch ein System finanzieller Anreize und Sanktionen ergänzt.

Dies spiegelt die Einsicht wider, dass man unter Nutzung der oben beschriebenen Mechanismen die Handlungsbedingungen zugunsten eines ökologischen Handelns auch "umpolen" kann. Umweltschonendes Handeln soll damit finanziell belohnt und die Beibehaltung umweltbelastenden Handelns sanktioniert werden. Die bisher die Allmende zerstörende Logik der Maximierung individuellen Vorteils wird nun genutzt, um sie zu schützen. Wurde diese Strategie seitens der deutschen Wirtschaft ursprünglich als eine radikale, den Erfolg wirtschaftlichen Handelns in Deutschland gefährdende Forderung erbittert bekämpft (man denke nur an den anhaltenden Widerstand der Autoindustrie gegen die Einführung des Katalysators), so scheint sie mittlerweile grundsätzlich akzeptiert zu sein - wenn auch im konkreten Fall jede Interessengruppe reflexartig die Bedrohung ihrer Existenzgrundlagen beschwört, wenn sie selbst von neuen Überlegungen dieser Art betroffen wird.

Nicht nur ist jedoch die Umweltpolitik noch weit von einer konsequenten Anwendung dieser Handlungslogik entfernt, wirken zu viele Einzelinteressen dagegen - so erfolgversprechend diese Strategie auf den ersten Blick auch scheinen mag, so weist sie doch zwei Schwächen auf: Indem sie umweltbezogenes Handeln nur als wirtschaftliches Handeln begreift und es über den Preis zu beeinflussen versucht, beschränkt sich ihre Einwirkung auf diese eine Handlungsdimension, und sie unterstellt zugleich, dass diese Dimension für sich allein veränderbar wäre. Dies aber ist nicht der Fall. Zu den wesentlichen das Handeln beeinflussenden Bedingungen zählen auch die sozialstrukturelle und die kulturelle Einbettung des Handelns.

8. Bestimmte soziale Strukturen begünstigen, ja: sie bedingen umweltgefährdendes Verhalten. Als Teil einer sozialen Gruppe ist der Einzelne eingebunden in ein komplexes Netz vorgegebener Werte, Normen und institutionalisierter, also auf Dauer gestellter und durch Regeln abgesicherter Handlungsmuster. Sie legen ihm mögliche Ziele und Handlungsweisen nahe, sie eröffnen ihm bestimmte Handlungsmöglichkeiten und verstellen andere, und er kann sie nicht nach Belieben außer Kraft setzen. So mag der Einzelne grundsätzlich bereit sein, weniger mit dem Auto zu fahren und damit zum Schutz der Umwelt beizutragen. Aber: Berufliche Zwänge, familiäre Verpflichtungen, die Aufrechterhaltung von Freundschaften, aber auch lieb gewonnene Möglichkeiten der Freizeit- und Urlaubsgestaltung stehen diesem Verzicht entgegen. So scheint heute nicht mehr verzichtbar, was vor 50 Jahren noch gar nicht denkbar - aber oft auch gar nicht erforderlich war. Zu benennen wären - neben der Mobilitätsfrage - auch die Zersiedelung der Landschaft, die Anhebung des Lebensstandards mit entsprechenden Anforderungen an den Verbrauch von Energie, Wohnraum oder Konsumgütern sowie die schon erwähnte Veränderung der Familienstrukturen. In unserer heutigen Lebensweise sind all diese Prozesse fast untrennbar miteinander verwoben, so dass Veränderungen in einer Dimension (z.B. in der Mobilität) Auswirkungen auf alle anderen Dimensionen (Beruf, Familie, Freizeit) hätten. In dieser wechselseitigen Bedingtheit liegt ein struktureller Konservatismus des Handelns begründet, der nicht nur punktuelle Veränderungen verhindert, sondern der bereits die Vorstellung einer solchen Veränderung als abwegig und unzumutbar erscheinen lässt.

9. Aber nicht nur sozialstrukturelle Faktoren behindern und verhindern eine Umorientierung im umweltrelevanten Verhalten, auch kulturelle Überzeugungen und Selbstverständlichkeiten stehen einer Neuausrichtung des Handelns entgegen. Wie grundlegend kulturelle Aspekte mit unserem Verhalten verwoben sind und wie sperrig sie sich daher gegenüber Veränderungen jedweder Art auswirken, wird einsichtig, wenn wir uns vergegenwärtigen, in welcher Weise all unsere Handlungsweisen kulturell geformt und abgesichert sind.

Am Beispiel religiöser Überzeugungen ist dies besonders gut zu sehen: Sie reichen tief in unser Wertesystem hinein, sie sind in besonderer Weise in ihrer Autorität legitimiert und leiten daraus auch einen besonderen Anspruch auf Befolgung ab. Zugleich ist an ihnen aber auch die Ambivalenz kultureller Werte für eine ökologische Umorientierung gut zu erkennen. Religiöse Überzeugungen waren für nicht wenige Menschen ein starkes Motiv für ihr Engagement für den Erhalt der Umwelt: Sie ergriffen aus "Achtung vor der Schöpfung" Partei für den Umweltschutz. Andererseits aber lehnt die katholische Kirche - und mit ihr viele Gläubige - aus demselben Grund eine Geburtenkontrolle strikt ab. Die gestiegene Bevölkerungszahl ist aber einer der entscheidenden Faktoren für die gestiegene Umweltbelastung. Das Festhalten an einem religiösen Dogma führt somit zu einer Verschärfung der Umweltkrise. Andere Beispiele umweltgefährdender kultureller Orientierungsmuster sind etwa die fleischfixierte Ernährungsweise oder die Zuerkennung sozialen Ansehens in Abhängigkeit von Hubraum und PS-Zahl des gefahrenen Autos in den Industrieländern - auch darin haben diese eine fatale Vorbildfunktion für die aufstrebenden Schwellenländer.

Wenn wir also der Zerstörung unserer Umwelt erfolgreich entgegenwirken wollen, dann wird es nicht genügen, die Bequemlichkeit des Einzelnen in den Blick zu nehmen oder die Unersättlichkeit der Wirtschaft anzuprangern. Wir werden uns auch mit dem weniger Offensichtlichen auseinander setzen müssen. Die Abwehrreaktionen, mit denen hier zu rechnen ist, werden stärker sein als das, was wir im Zusammenhang mit bisherigen Veränderungen (wie Mülltrennung, Katalysatorpflicht, Wärmedämmung) erlebt haben, weil Sozialstruktur und Kultur das Fundament unseres Handelns darstellen. Werden Teile dieses Fundaments in Frage gestellt, so resultiert daraus eine Verunsicherung und Desorientierung, die das Selbstverständnis einer Gesellschaft betrifft.

Vom Umgang mit Umweltkatastrophen

Umweltkatastrophen begleiten die Geschichte des Menschen von allem Anfang an: von der Versteppung des "Fruchtbaren Halbmondes" im Norden des heutigen Syrien und Irak (mit der anschließenden "Vertreibung aus dem Paradies") über die Veränderung des Klimas im gesamten Mittelmeerraum durch die Abholzung der Wälder für den Schiffsbau oder die Verpestung der Luft und die Vergiftung der Flüsse während der Industrialisierung in ganz Westeuropa; China durchläuft diesen Prozess gerade im Zeitraffer. Solchen lokal begrenzten Katastrophen begegnete der Mensch in der Regel damit, dass er in andere Gegenden der Welt auswich oder dass er die Art und Intensität der Naturnutzung veränderte. Letzteres allerdings vorzugsweise erst dann, wenn die erste Möglichkeit, nämlich weiterzuwandern, nicht oder nur unter Risiken zur Verfügung stand. Zur zweiten Strategie zählen in erster Linie die Entwicklung von Ackerbau und Viehzucht (einschließlich aller nachträglichen Verfeinerungen wie Düngung oder züchterische Auslese) bzw. die Erfindung technischer Hilfsmittel für die Naturbeherrschung - also eine Erfolgsgeschichte, auf die die Menschheit zurückblicken kann. Auf den Fortschritt der technologischen Möglichkeiten setzen denn auch heute sehr viele, wenn es um die Sicherung unserer gewohnten Lebensweise auf diesem Planeten geht. Ob der technologische Fortschritt aber tatsächlich mit den die Umweltschädigung heute vorantreibenden Faktoren wird Schritt halten können, ist völlig offen.

In Problemsituationen wie diesen tendiert der Mensch dazu, durch Verdoppelung seiner Anstrengungen in der einmal eingeschlagenen Richtung weiterzumachen und eine Lösung mit den gewohnten Mitteln herbeizwingen zu wollen. Nicht nur hatte sich der bisherige Lösungsweg ja bewährt - mindestens ebenso wichtig dürfte sein, dass sich auf der Basis des bisherigen Verhaltens soziale Strukturen gebildet haben, an die Machtverhältnisse und Besitzstände, aber auch allgemein Verhaltenssicherheiten und Handlungskompetenzen gekoppelt sind, die zur Stabilisierung und Beibehaltung des eingeschlagenen Weges beitragen. Historische Beispiele (wie der Untergang der Wikinger-Kultur auf Grönland oder das fast vollständige Verschwinden der früheren Hochkultur auf der Osterinsel) lassen es allerdings fraglich erscheinen, ob diese Strategie des "Immer-mehr-von-demselben" als Königsweg einer Lösung wirklich taugt.

"Natürliche Umwelt" vs. "andere gesellschaftliche Güter"

Die Umweltkrise ist untrennbar mit anderen gesellschaftlichen Prozessen verbunden und kann nicht unabhängig von diesen betrachtet (und schon gar nicht "bewältigt") werden. Eingangs wurde bereits erwähnt, dass das stetige Ansteigen der Weltbevölkerung wesentlich zur Umweltgefährdung beiträgt - eine Bewältigung der Umweltkrise setzt damit notwendig voraus, dass dieser Prozess gestoppt wird. Seltener als diese Verbindung werden dagegen Gefahren thematisiert, die im Gefolge politischer Maßnahmen zum Schutz der Umwelt in unserer Gesellschaft ausgelöst werden können.

Dazu gehört zum Beispiel die Gefahr einer Wiederkehr der in den vergangenen Jahrzehnten erfolgreich entschärften sozialen Frage (also der Frage nach der gerechten Verteilung der Güter und Lebenschancen innerhalb einer Gesellschaft). In den Industriegesellschaften war die soziale Frage nicht zuletzt dadurch neutralisiert worden, dass ein "Mehr" an Gütern und Sicherheiten neu verteilt werden konnte und dass sich für die Mehrheit der Bevölkerung auf breiter Basis neue Handlungsoptionen eröffneten - der Fortbestand der Ungleichheiten zwischen den gesellschaftlichen Schichten konnte auf diese Weise "eingeklammert" werden. Sollte nun aber im Gefolge einer ökologischen Krise ein "Weniger" neu verteilt werden müssen und sollten die Handlungsmöglichkeiten im Alltag einschneidende Einschränkungen erfahren, so wird sich die Ungleichheitsfrage neu stellen und politische Brisanz entfalten. Woher werden wir übermorgen die 5 bis 20 Prozent des Bruttosozialproduktes nehmen, die wir nach den Berechnungen des Stern-Reports für die Bewältigung der Umweltschäden aufwenden müssen, denen wir gestern und heute nicht vorgebeugt haben? Welche soziale Gruppe wird dann wie viel von ihrem Besitzstand (! - nicht von einem etwaigen Zuwachs) hergeben müssen?

Zu den möglichen Folgen im politischen Prozess der Auseinandersetzung mit der Umweltkrise gehört auch die Gefährdung demokratischer Grundsätze unserer Gesellschaft. Dabei denke ich nicht an die früher gelegentlich beschworene "Ökodiktatur", sondern an eine schwindende Akzeptanz der demokratischen Regierungsform in der Bevölkerung, wenn es um Einschränkungen bei unseren gewohnten Verhaltensweisen und um die Verteilung des Mangels geht. Wer wird angesichts ökonomischer Verschlechterungen und zunehmender Verhaltensregulierungen nüchtern die Ursache in den ökologischen Versäumnissen vergangener Jahrzehnte suchen und nicht politischen Vereinfachern auf den Leim gehen? Wie wird sich die politische Einstellung verändern, wenn die Industriegesellschaft aufgrund der ökologischen Folgen ihres ökonomischen Erfolges ihr Versprechen einer ständig zunehmenden (!) Befreiung des Menschen von Zwängen nicht mehr halten kann? Die heutige Umweltkrise bedroht nicht nur unsere gewohnten natürlichen Lebensbedingungen, sondern auch unsere gewohnte Lebensweise - dies ohne soziale und politische Verwerfungen zu bewältigen, wird eine große gesellschaftliche Herausforderung darstellen.

Bürger in der Verantwortung

Wie sollen wir als Bürgerinnen und Bürger mit diesem Szenario umgehen? In neun Thesen habe ich versucht, die Probleme aufzuzeigen, die einer Verhaltensänderung entgegenstehen. Diese Überlegungen sollten nicht von individueller Verantwortung entlasten, die eigene Lebensführung auf ihre Umweltverträglichkeit hin zu überprüfen und gegebenenfalls Veränderungen vorzunehmen - sie sollten lediglich kurzschlüssigen, das eigentliche Problem verdeckenden Schuldzuschreibungen in der öffentlichen Diskussion ("individuelle Gier", "Rücksichtslosigkeit der Industrie", "menschliche Natur") vorbeugen. Trotz dieser "Entschuldigungen" gilt: Veränderungen im Alltagshandeln des Einzelnen sind für eine Entschärfung des Umweltproblems unabdingbar. Zugleich gilt aber auch: Individueller Verzicht reicht nicht aus. Es müssen Entscheidungen getroffen werden, welche die Bedingungen des Handelns des Einzelnen so verändern, dass die Lebenschancen für alle nachhaltig gesichert werden.

In diesen Entscheidungsprozessen müssen wir als Bürger Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen - über unsere Einzelinteressen hinaus für das, was altmodisch "Gemeinwohl" genannt wird. Wir leben in einer repräsentativen Demokratie, in der Zukunftsentscheidungen im Wesentlichen von den gewählten Repräsentanten getroffen werden. Unsere Wahlentscheidung für die eine oder den anderen dieser Repräsentanten sollten wir aber nicht (mehr) nur davon abhängig machen, dass sie unsere Interessen als Steuerzahler oder als Transferempfänger, als Arbeitnehmer oder als Arbeitgeber, als Familie mit Kindern oder als Senioren durchsetzen, sondern wir müssen diejenigen Kandidaten unterstützen, welche die übergreifende Perspektiven im Blick haben und dahinter auch einmal die Interessen ihrer Stammklientel zurückstehen lassen.

Politikerschelte ist wohlfeil, auch wenn gar nicht in Frage zu stellen ist, dass es dafür genügend Anlass gab und gibt. Wir sollten uns aber klar vor Augen führen, dass die Volksvertreter in einer Demokratie immer nur so gut sein können, wie es das Volk zulässt. "Agenda 2010" oder die "Rente mit 67" sind Beispiele dafür, wie eine Partei (in diesem Beispiel die SPD) Probleme des Arbeitsmarktes und der Bevölkerungsentwicklung, die in Wissenschaft und Gesellschaft als drängend und bedrohlich diskutiert wurden, aufgegriffen hat und gegen die spezifischen Interessen eines großen Teils der eigenen Wählerschaft Reformen durchgesetzt hat. In nachfolgenden Wahlen ist diese Partei gründlich abgestraft worden und hat sich davon bis heute nicht wieder erholt. Die aufmerksamen Beobachter der anderen Parteien haben aus dieser Erfahrung die Lehre gezogen, dass es für eine Partei existenzbedrohend sein kann, als richtig erkannte Einsichten, die aber "ans Eingemachte" gehen, die also zentrale Aspekte der bisherigen Lebensführung in Frage stellen, in politisches Handeln umzusetzen.

Wenn wir als Wähler demokratische Reife beweisen und eine rationale Politik der Veränderung befördern wollen, dann haben wir keine andere Wahl, als uns auch bei komplexen Sachverhalten kundig zu machen, die Politiker kritisch zu begleiten und uns einzumischen, ihnen aber die Unterstützung nicht zu entziehen, wenn sie unpopuläre Maßnahmen treffen und Partialinteressen einschränken, um langfristige allgemeine Interessen zu sichern (erinnert sei an das Schicksal der Allmende). Auf Dauer können sich Politiker nicht stärker für das Gemeinwohl engagieren, als es ihre Wähler zulassen - das vielbeklagte Versagen der Politiker ist auch ein Versagen der Bürger. Von den Bürgern ist also zu fordern, eine Politik zu honorieren, die nicht (nur) auf die Wahrung von Einzelinteressen zielt, sondern die langfristig tragfähig ist und die Lösung von Problemen nicht auf spätere Generationen verschiebt, sondern sie selbst zu lösen beginnt. An die Adresse der Politiker sei aber auch der Hinweis erlaubt, dass sie das für ihre Arbeit erforderliche Vertrauen der Wähler nur erhalten werden, wenn diese das Gefühl haben, ihre Entscheidungen seien fair und sachgerecht. Leider hat sich dieses Gefühl in den vergangenen Jahren nicht im erforderlichen Umfang einstellen wollen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.), Umweltbewusstsein in Deutschland 2008. Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage, Berlin 2008, online: www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3678.pdf (16.5.2011).

  2. Vgl. Garrett Hardin, Die Tragik der Allmende, in: Michael Lohmann (Hrsg.), Gefährdete Zukunft. Prognosen angloamerikanischer Wissenschaftler, München 1970, S. 30-48.

  3. Vgl. Mancur Olson Jr., Die Logik des kollektiven Handelns. Kollektivgüter und die Theorie der Gruppen, Tübingen 1968 (amerikanische Originalausgabe: 1965).

  4. "Kultur" in diesem Sinne meint nicht das, was oft als "Hochkultur" bezeichnet wird: also Kunst, Literatur, Musik, sondern ganz grundlegend unsere Vorstellungen von der Welt, unsere Wünsche, Ziele, Werte und Normen.

  5. Vgl. Hermann Remmert, Ökologie. Ein Lehrbuch, Berlin 1989, S. 19f. Siehe auch die ausführlichen Überlegungen in Claus Leggewie/Harald Welzer, Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie, Frankfurt/M. 2009, S. 84-87, sowie Ronald Wright, Eine kurze Geschichte des Fortschritts, Reinbek 2006, S. 63ff.

  6. Vgl. Stern Review on the Economics of Climate Change, 2006, online: http://webarchive.nationalarchives.gov.uk/
    +/http://www.hm-treasury.gov.uk/media/A/A/stern_longsummary
    _german.pdf, S. XI (16.5.2011).

  7. Vgl. hierzu auch C. Leggewie/H. Welzer (Anm. 5).

Dr. soz. wiss., geb. 1948; apl. Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung, Institut für Soziologie, FAU Erlangen-Nürnberg, Kochstraße 4, 91054 Erlangen. E-Mail Link: werner.meinefeld@soziol.phil.uni-erlangen.de