Einleitung
Der Begriff der "Allmenderessource" (common pool resource) beschreibt ein natürliches (Fischgrund, Weideland) oder von Menschen geschaffenes Ressourcensystem (Bewässerung), das von einer Mehrheit von Nutzern in Anspruch genommen wird; dabei ist ein Ausschluss von der Nutzung bzw. deren Begrenzung gegenüber potenziellen Ressourceninteressenten technisch nicht möglich, nicht zu angemessenen Kosten organisierbar oder aber durch kollektive Nutzungsregeln bewusst suspendiert.
Bei reinen öffentlichen Gütern ist nicht die Nutzung problematisch, sondern ihre Bereitstellung: An einer inflationsfreien Wirtschaft, stabilen Finanzmarktsystemen, einem Hochwasserdeich oder einem Schutzschirm äußerer Sicherheit können sich beliebig viele Nutzerinnen und Nutzer gleichzeitig störungsfrei "erfreuen", die Nutzungen sind ja nicht rival. Fraglich ist hingegen, wie ein solches Gut in die Welt kommen kann, das jedenfalls einem privaten Anbieter aufgrund der Freifahrerproblematik keine hinreichenden Erlöse verspricht. Bei Allmendegütern, vor allem den natürlichen Ressourcensystemen, deren Bereitstellung (und Reproduktion) die Natur bereits für uns übernommen hat, sind gerade die Inanspruchnahmen entscheidend, da die einzelnen Nutzungen rival in dem Sinne sind, dass die Verfügungen einzelner zugleich die Nutzungsmöglichkeiten anderer herabsetzen.
Mit Blick auf natürliche Ressourcen wird vielfach der Klimaschutz als Beispiel für ein prominentes Problem öffentlicher Güter in Abgrenzung zum Allmendeproblem bei Meeren, Fischgründen oder Wildtierbeständen angeführt.
Ähnlich verhält es sich mit anderen umweltbezogenen global commons: Die Biodiversität des globalen Genpools ist ein reines öffentliches Gut, die Habitate, die dieses Gut produzieren, etwa die tropischen Regenwälder, müssen rival bewirtschaftet werden. Ein Ressourcensystem (etwa ein Wald) kann daher ein Allmendegut sein, das zugleich private (Holz) wie öffentliche Güter (Ökosystemfunktion) produziert. Ein solches Ressourcensystem kann freilich auch Ergebnis menschlichen Schaffens sein (Brücke, Bewässerungssystem) - hier ergeben sich zusätzlich die freifahrerbedingten Bereitstellungsprobleme für die Systeme selbst.
Tragedy or Comedy: Institutions matter!
Wie lässt sich nun eine effiziente Nutzung von Allmenderessourcen sicherstellen? Will man zur Lösung des Problems nicht allein auf Kant'sche Pflichtethik oder anders motivierte Formen kollektiven Altruismus' vertrauen, wovon nicht zuletzt die experimentelle Forschung zur Durchsetzungsstärke menschlicher Moral unter "Wettbewerbsbedingungen" und hohen "Moralkosten" abrät,
Erkenntnisse lieferte insbesondere die empirische Forschung zu der Frage, inwieweit die zweifellos vorhandenen Freifahreranreize in der Wirtschaftsgeschichte auch tatsächlich zu problematischem Freifahrerverhalten geführt haben oder ob vielmehr erfolgreiche Institutionen die "Tragödie" etwa bei kollektiver Nutzung von Weideland oder Bewässerungssystemen abzuwenden verstanden. Der Befund ist bekanntlich gemischt - es kommt also "darauf" an - darauf nämlich, wie die institutionellen Regelungen des individuellen Ressourcenzugriffs jeweils ausgestaltet sind. Und während die frühe ökonomische Befassung mit Allmendeproblemen Auswege nur in einer Privatisierung der Ressource durch individuelle anstelle kollektiver Verfügungsrechte oder aber einer staatlich, also zentral durchgesetzten Bewirtschaftungsordnung gesehen hatte, lenkten die historischen Forschungen von Ostrom die Aufmerksamkeit auf die spontane Entstehung von durchaus erfolgreichen Ordnungen zur kollektiven Bewirtschaftung (Institutionenemergenz): keine Spur also von der großen, ubiquitären Tragödie, aus der nur Privatisierungen oder ersatzweises Staatshandeln den Ausweg weisen. Stattdessen treffen wir weltweit auf zum Teil hoch entwickelte, wirtschaftlich erfolgreiche kollektive Nutzungssysteme, die einschließlich der Überwachungs- und Sanktionssysteme zu ihrer Durchsetzung dezentral verwaltet werden und so dem Freifahrertum die Stirn bieten und dabei sogar bisweilen effizienter wirtschaften können als die institutionellen Standardantworten der ökonomische Theorie (Privatisierung oder Verstaatlichung).
Diese Ergebnisse sind zwischenzeitlich parallel auch in der Spieltheorie und der experimentellen Wirtschaftsforschung nachvollzogen worden, was wohl allgemein zugunsten der ökonomischen Theorie zu wenig gewürdigt wird. Mit einem Schuss begrenzter Rationalität, die leibhaftigen Menschen ohne weiteres zu eigen ist - etwa als Sanktionsbereitschaft zur Vergeltung von vorher erfahrener Kooperationsverweigerung
Abschied von Markt und Regulierung?
Damit erscheinen kollektive Verfügungsrechte vorläufig rehabilitiert, und der Blick wird frei auf das sich eigentlich stellende Problem der geeigneten sozialen Institutionen einschließlich ihrer technischen, sozialen und ökonomischen Voraussetzungen: Kann eine Stabilisierung der Kooperation durch soziale Kontrolle und glaubwürdige Selbstbindung von Akteuren gelingen? Doch was bedeutet dies genau für die ergrauten Alternativen zu einer kollektiven Institutionenemergenz: Was ist mit "Markt" und "Staat", die beide die vermeintliche Quelle allen Übels, nämlich die kollektiven Verfügungsrechte, zu beseitigen (oder fehlende Verfügungsrechte durch nichtkollektive Allokationsregeln zu substituieren) suchen - entweder zugunsten privater Exklusiv-Entscheidungsbefugnis oder aber zugunsten zentraler, treuhänderischer Ressourcenverfügung?
Der vermeintliche Dualismus von "Staat" und "Markt", der immer noch - und sei es zum Zwecke seiner jubilierenden Verabschiedung - weithin in der Debatte beschworen wird,
Entscheidend zum Verständnis der institutionellen Alternativen ist stattdessen aber die Unterscheidung zwischen dem Ursprung der sozialen Ordnung einerseits (wer gibt die Regeln?) und deren materiellem Gehalt andererseits (wie wird nach diesen Regeln über Ressourcen verfügt?). Betrachten wir dazu das Allmendeproblem noch einmal aus folgender Perspektive: Eine "Privatisierung" von Verfügungsrechten als Lösung des Freifahrerproblems setzt gelingende Exklusion des Ressourcenzugriffs zugunsten des Rechteinhabers voraus: Der Ausschluss anderer muss technisch möglich und zugleich wirtschaftlich umsetzbar sein. Dann kann der Einzelnutzer seiner privaten Bewirtschaftung ungestört von Fremdeinwirkungen nachgehen. Wenn das Ressourcensystem selbst aber aus physikalischen Gründen nicht privatisiert werden kann (etwa die Erdatmosphäre), so könnten doch die einzelnen Aneignungsprozesse über staatlich geschaffene Erlaubnistitel (zum Beispiel Emissionsrechte) privatwirtschaftlich gesteuert werden. Worum handelt es sich hier: Staat, Markt oder etwas anderes? Entscheidend ist offenbar einerseits der Urheber der Regeln und Normen sowie der materielle Gehalt des geschaffenen Reglements, seine Steuerungslogik: Im Falle des Emissionsrechtehandels könnte der Institutionenursprung auf staatliche Regelsetzung, aber auch auf spontane Institutionenemergenz durch einen Gruppenkontrakt zurückgehen. Der Mechanismus selbst, seine Steuerungslogik, ist jedenfalls ein marktlicher: Über die Ressource verfügt, wer bereit ist, den Marktpreis für entsprechende Erlaubnistitel zu entrichten.
Wir unterscheiden also die Quelle der Institutionenentstehung (spontan oder geplant) und den jeweils geformten Institutionengehalt: Schaffung von Märkten mit dezentraler Ressourcendisposition oder andere Allokationsverfahren wie zum Beispiel eine zentrale Bewirtschaftungsordnung, wie sie in Deutschland etwa für die Nutzung von Gewässern durch das Wasserhaushaltsgesetz etabliert wird. Als weitere Alternative bieten sich kollektive Verfügungssysteme an.
"Märkte" als Verfahren einer zahlungsbereitschaftsgestützten dezentralen Ressourcenallokation können also entstehen durch einen geplanten staatlichen Akt der Privatisierung von Verfügungsrechten oder aber als administrierter Ressourcenmarkt um "Erlaubnisscheine" für den privaten Zugriff auf eine weiterhin öffentlich bewirtschaftete Ressource. Beide "Marktsysteme" könnten theoretisch auch auf Vertragsbasis der Ressourceninteressenten "spontan" entstehen. Wer in der Allmendedebatte "Privatisierung" meint, sollte daher nicht vom "Markt" sprechen. Und wer sich gegen geplante Ordnung ausspricht, hat noch nicht die Frage beantwortet, wie denn materiell die Steuerungslogik der spontanen Institutionenemergenz aussieht.
Anstelle der im Kreise herumzureichenden Ideologievorwürfe sollten stattdessen zwei Fragen nüchtern beantwortet werden: Welches institutionelle Arrangement gewährleistet im Ergebnis Nachhaltigkeit? Und: Wie wahrscheinlich sind, angesichts der jeweiligen institutionellen Voraussetzungen und Transaktionskosten, spontan oder durch politische Willensbildungssysteme angetriebene Prozesse einer entsprechenden Institutionenemergenz?
Dabei sollte freilich die jeweilige Problemskala (lokal, regional, national, global) nicht willkürlich verschoben werden: In neuerer Zeit wird aber eine politisch motivierte "Globalisierung" an sich regionaler commons propagiert: regional commons wie Gewässerressourcen werden bewusst auf die globale Ebene skaliert, um neuartige Governance-Zugriffe zu generieren, etwa als Begrenzung virtueller Wasserströme, die gezielt die Industrieländer in die Pflicht nehmen sollen. Das Konzept der "globalen öffentlichen Güter" wird insbesondere vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) propagiert
Commons im Labor
Bislang noch zurückgestellt wurde die Auflösung, welche denn nun die Erfolg versprechenden Bedingungen sind, die eine Allmendebewirtschaftung jenseits von Privatisierung und Regulierung aussichtsreich machen. Hierfür haben aus der historischen Fallanalyse vor allem die Arbeiten von Ostrom und Mitarbeitern umfangreiche Anhaltspunkte geliefert, die theoretisch im "Institutional Analysis and Development Approach" zur Politik- und Institutionenanalyse verallgemeinert wurden.
Werfen wir stattdessen einen Blick auf die öffentlich weniger bekannten Befunde der experimentellen Forschung, die in dieselbe Richtung weisen: Experimentell lassen sich Freifahreranreize erfolgreich vor allem dann bezwingen, wenn der Ressourcenzugriff so organisiert ist, dass die Verhaltensweisen der Akteure erstens wechselseitig beobachtet werden können, diese Verhaltensweisen zweitens signifikante Auswirkungen auf den Gruppenerfolg haben und drittens geeignete Sanktionsmechanismen für den Fall des Freifahrens zur Verfügung stehen.
Die Erfolgsbedingungen laufen im Wesentlichen sämtlich auf die soziale Kontrolle beobacht- und zurechenbaren sowie gruppenseitig relevanten Freifahrertums hinaus. Ferner ist die nur "begrenzt-rationale" Bereitschaft zur sozialen Sanktion früheren Verhaltens anderer nötig, deren Existenz in der Praxis aber allem Anschein nach empirisch gut belegt ist ("Rache ist süß!"). Ändert man das Entscheidungsproblem nun so ab, dass die oben genannten Bedingungen nicht mehr gegeben sind, zum Beispiel durch ein anonymes Spiel oder eine simultane Einmalentscheidung (one-shot game), bei der Kooperationsverweigerung nicht mehr beobachtet und/oder künftig nicht mehr sanktioniert werden kann, so bricht die Kooperation zuverlässig zusammen: Das Freifahrertum triumphiert! Information, Kommunikation und Sanktion sind damit die Schlüsselbegriffe zu erfolgreicher Kooperation - wer hätte das vermutet?
Eine kleine Gruppengröße macht diese Voraussetzungen unter Lebensweltbedingungen zwar wahrscheinlicher (es kann typischerweise leichter beobachtet sowie im Gruppenverband kostenarm kommuniziert und bei vielfältigen, wiederkehrenden Gelegenheiten sanktioniert werden), im Labor zeigt sich aber gerade, dass eine geringe Gruppengröße allein - bei ungünstigen Informations- und Sanktionsbedingungen - zur Lösung nicht hinreichend ist:
Im Ergebnis der Laborbefunde sind damit die Aussichten auf spontane Bereitstellung bzw. nachhaltige Nutzung von Allmenderessourcen noch ungünstiger als bisher in der ökonomischen Theorie angenommen: Auch in Klein(st)gruppen bleibt die Freifahrerfalle bei ungünstigen Voraussetzungen hartnäckig wirksam, und eine große Zahl von Akteuren lässt die jeweils noch verbleibende Chance planmäßig zusammenschmelzen. Dies ist kein Widerspruch zu den Ostrom'schen Befunden, sondern führt vor Augen, wie sensibel der Allmendeerfolg auf zentrale institutionelle Voraussetzungen reagiert.
The Real Tragedy of the Global Commons
Während also für viele local commons wie den "Brunnen vor dem Tore" und das gemeinsame Weideland weitgehend Entwarnung gegeben werden konnte, stellt sich doch die bange Frage, welche Erfolgsaussichten vor diesem Hintergrund für eine nachhaltige Hege der neuzeitlichen global commons wie die Erdatmosphäre bestehen können? Hier übersteigt nicht nur die relevante Gruppengröße jedes sozial handhabbare Maß, sondern umfasst sogar nicht kommunikations- und sanktionsfähige künftige Generationen, hier sind die Einzelbeiträge jedes Individuums zur globalen Schädigung irrelevant und eine individuelle Verursachung ohnehin nicht ermittelbar.
Ja, die globalen Umweltherausforderungen des 21. Jahrhunderts weisen eine nachgerade "pessimale" Problemstruktur auf: Eine klassische Privatisierung des Ressourcensystems "Atmosphäre" ist nicht möglich; ebensowenig kann "von oben" eine regulative Bewirtschaftungsordnung durch eine Weltregierung eingesetzt werden. Und wenn wir deshalb schon auf spontane Ordnung durch die Gruppeninteraktion eigennützig orientierter Staaten angewiesen sind, so sind hier zu allem Überfluss auch noch die institutionellen Erfolgsaussichten für kollektives Handeln denkbar schlecht: Zwar ist auf Länderebene die Kooperationsverweigerung einzelner Staaten gut beobachtbar, aber die Mechanismen der Sanktionierung sind schwach und der "Schatten der Zukunft" durch wiederholtes Spiel ebenfalls eher dürftig. In der internationalen Klimapolitik wird eine wiederholte Spielsituation mit Sanktionspotenzial gleichwohl durch issue linking versucht: Heute sehen wir uns in der Klimakonferenz, kommende Woche aber gewiss auch bei der nächsten Welthandelsrunde! Ob intrinsisch motivierte klimapolitische "Vorreiter" hier den Weg aus der Klimakrise weisen können, ist spieltheoretisch umstritten
Fazit
Um Allmendeprobleme erfolgreich zu bewältigen, müssen kollektive Verfügungsrechte keineswegs zwingend suspendiert werden - etwa durch Privatisierung oder staatliche Bewirtschaftung; dies haben neuere historisch-institutionenökonomische, spieltheoretische und experimentelle Forschungen übereinstimmend bestätigt. Vielmehr kommt es entscheidend auf die institutionellen Bedingungen der Ressourcenverfügung an: Ob ein Regime "erfolgreich" und gegenüber alternativen Reglements möglicherweise überlegen ist, hängt von einem im Einzelfall komplexen Setting an Bedingungen ab. Hierbei spielen Information, Kommunikation und Sanktion eine entscheidende Rolle.
Was bei kleinen Gruppen, die nur im Hier und Jetzt über local commons gebieten, weithin funktionieren kann, erweist sich hingegen bei globalen, hochkomplexen und insbesondere generationenübergreifenden Ressourcennutzungsproblemen als aussichtslos. Besonderes Interesse ziehen daher naturgemäß solche Ressourcensysteme auf sich, die sich technisch weder privatisieren lassen noch eine treuhänderische Bewirtschaftung durch wohlwollende Zentralplaner gestatten - jene global commons, für die keine rettende Weltregierung existiert, die zwingende Nutzungsbeschränkungen durchsetzen könnte, und die - wie die Erdatmosphäre - auch keine Formulierung individualisierter Verfügungsrechte erlauben.
Bei der Frage, ob uns eine nachhaltige Bewirtschaftung des Erdatmosphärensystems in seiner Eigenschaft als Senke für Treibhausgase gelingt, ist daher die "Tragödie 2.0" unversehens wieder auf den Spielplan gesetzt: Kann sich die Staatengemeinschaft auf ein nachhaltiges, aber zwingend kollektives Nutzungsregime der Atmosphäre durch Institutionenbildung verständigen oder werden die Freifahreranreize obsiegen? Wird es gelingen, anstelle der unmöglichen Privatisierung der Atmosphäre selbst ersatzweise private Nutzungsansprüche zu schaffen (Emissionszertifikate), die über marktliche Prozesse eine effiziente Inanspruchnahme der Ressource in einem Umfang ermöglichen, auf die sich die Staaten der Welt freiwillig einigen müssen?
Die Zeichen stehen eher ungünstig: Die "Schatten der Zukunft" durch wiederholtes Spiel sind eher schwach, die Sanktionsmöglichkeiten zwischen souveränen Staaten begrenzt. Der Klimaschutz fällt so einstweilen durch alle Voraussetzungsraster erfolgreicher Institutionenbildung. Und doch wird das vielgeschmähte und im Allmendezusammenhang vorzeitig verabschiedete Marktprinzip zur Lösung dieses Problems - soweit uns dieses überhaupt gelingen wird - unverzichtbare Beiträge leisten: Denn nur wo Klimaschutz effizient organisiert wird, hat er eine Chance. Dafür aber kann gerade ein administrierter Emissionsrechtemarkt sorgen.