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Die Welt als Allmende: marktwirtschaftlicher Wettbewerb und Gemeingüterschutz | Gemeingüter | bpb.de

Gemeingüter Editorial Elinor Ostrom und die Wiederentdeckung der Allmende Was sind Gemeingüter? - Essay Vom eigenen Garten zur weltweiten Ressourcenverteilung - Essay Die Welt als Allmende: marktwirtschaftlicher Wettbewerb und Gemeingüterschutz Die Allmendeklemme und die Rolle der Institutionen. Oder: Wozu Märkte auch bei Tragödien taugen Umweltschutz im Alltag: Probleme im Umgang mit Gemeingütern Auf dem Weg zu einer Wissensallmende?

Die Welt als Allmende: marktwirtschaftlicher Wettbewerb und Gemeingüterschutz

Gerhard Scherhorn

/ 15 Minuten zu lesen

Der Substanzverzehr an den globalen Gemeingütern wird von der Wettbewerbs­ordnung wie eine erwünschte Marktleistung behandelt. Die Erhaltung der Ge­meingüter erfordert deshalb eine staatliche Revision der Wettbewerbsordnung.

Einleitung

Eine Allmende bewirtschaften heißt, aus einer knappen Ressource dauerhaft Ertrag zu ziehen, indem man sie durch Schonung und Reinvestition vor Übernutzung bewahrt. Die Nutzerinnen und Nutzer der Allmende vereinbaren und überwachen die dazu erforderlichen Regeln selbst. Der Staat schafft die Voraussetzungen und garantiert die Sanktionen. Das muss auch für die globalen Gemeingüter gelten. Auch sie müssen vor Übernutzung bewahrt werden, und auch auf sie ist das zentrale Prinzip der Allmende anwendbar, die durch gegenseitige Überwachung gesicherte Mäßigung der Ansprüche.

Das ist die Konsequenz der Nachhaltigen Entwicklung für die Wettbewerbsordnung: Die Unternehmen werden zur Erhaltung der von ihnen als Ressourcen genutzten Gemeingüter verpflichtet, die Einhaltung wird von den Wettbewerbern selbst überwacht. So kann die Welt zur Allmende werden.

Ein Mythos verblasst

Die zentrale Stellung des Privateigentums in unserer Rechtsordnung ist bekanntlich beim "Bauernlegen" am Ende des feudalistischen Mittelalters entstanden. Bauernlegen nannte man die "Einziehung eines dienstpflichtigen Bauerngutes durch die das Obereigentum besitzende Gutsherrschaft", wie es in Meyers Lexikon von 1924 trocken heißt. "Eingezogen" wurden auch die Allmenden, die von den Bauern gemeinsam verwalteten und genutzten Gemeindewiesen und Gemeindewälder. Auch sie wurden usurpiert, weil die lehnsrechtlichen Obereigentümer sich nicht mehr an den feudalistischen Gesellschaftsvertrag hielten, der ein Verhältnis gegenseitiger Solidarität begründet hatte: Die Bauern waren dem Grundherrn zinspflichtig und wurden von diesem vertreten und geschützt; auch er "besaß" das Land nur; er hatte es seinerseits vom König zu Lehen; im Prinzip war der Boden Gemeineigentum, dessen Nutzung auf Zeit zugeteilt wurde.

Dieser Gesellschaftsvertrag wurde in einem mehrere Jahrhunderte dauernden Prozess des Landraubs und der Landflucht aufgelöst; aus der lehnsrechtlich gestuften Verantwortung ebenso wie aus der gemeinsamen Bewirtschaftung von Allmenden wurde das alleinige Verfügungsrecht, das absolute Privateigentum (von lat. privare: "aneignen, rauben"); dieses wurde nachträglich mit dem Mythos gerechtfertigt, der Einzelne sorge besser für eine Sache, wenn sie ihm privat gehöre und er sie vererben könne. Der Mythos wurde geglaubt, obwohl er sachlich nicht zutraf. Denn die meisten Lehnspflichtigen waren vorher sorgsam mit dem Land umgegangen, und auch das gemeinsame Nutzen hat in der Regel keineswegs zur Übernutzung der Allmenden geführt. In Nischen hat es sogar bis heute überlebt, auf Schweizer Almen beispielsweise; doch das hat den Mythos vom Privateigentum nicht relativiert.

Immerhin konnte der 2010 an Elinor Ostrom verliehene Nobelpreis eine Bresche in den Herrschaftsanspruch dieses Mythos schlagen, zumal selbst in der Wirtschaftswissenschaft die Doktrin nicht mehr unumstritten ist, dass für die Lösung wirtschaftlicher Probleme nur zwei Prinzipien in Frage kämen, Markt und Staat. Die Verknappung der naturgegebenen Ressourcen macht es zu einer Überlebensfrage, dass Verfahren erprobt und gefördert werden, die bessere Lösungen für die Erhaltung der allgemeinen Lebens- und Produktionsgrundlagen versprechen als jene beiden Prinzipien.

Denn auf der einen Seite ist der Markt - der Wettbewerb zwischen Privateigentümern - nach bisheriger Auffassung allein dazu bestimmt, Produktion und Kauf privater Güter zu vermitteln. Sind diese knapp, so erhöht er die Preise. Sind sie knapp und vermehrbar, so schafft die Preiserhöhung einen Anreiz dafür, dass mehr von den Gütern produziert wird und verkauft werden kann, worauf die Preise wieder sinken. Unproblematisch ist das jedoch nur, wenn auch die Gemeingüter vermehrbar sind, die für Produktion und Entsorgung gebraucht werden wie Energiequellen, Rohstoffe oder Depotflächen. Wo diese erschöpflich sind, da versagt der Markt heute vor der Aufgabe, sie schonend zu rationieren, das heißt begrenzte Teilmengen zuzuteilen, sie in Stoffkreisläufen wiederzugewinnen und wiederzuverwenden oder rechtzeitig durch erneuerbare zu ersetzen; denn auf die Erhaltung von Gemeingütern ist er - zur Zeit! - nicht eingerichtet.

Der Staat auf der anderen Seite ist zwar für die Produktion und Verwaltung kollektiver Güter geschaffen, aber bisher so organisiert, dass er das mit Anordnungen und bürokratischer Kontrolle von oben nach unten besorgt. Deren Erfolg ist zweifelhaft, wenn es um die genannten Gemeingüter geht, die schließlich jedermann zugänglich sind. Die Kontrolle zu erhalten gelingt am besten, wenn sie aus einem Bewusstsein der gemeinsamen Verantwortung für das jeweilige Gemeingut erwächst. Dafür sind staatliche Rahmenrichtlinien und Sanktionen nötig, doch sollten sie die individuelle Entscheidung zu verantwortlichem Handeln nicht durch Befehl ersetzen, sondern sie ermöglichen und fördern. Das ist der Fall, wenn der Staat die Nutzer des Gemeinguts bei der Festlegung der Regeln des sorglichen Umgangs unterstützt, sie veranlasst, deren Einhaltung selbst zu überwachen, und gegen die Nichteinhaltung Sanktionen verhängt.

Übernutzung der Gemeingüter

Das bisherige Wirtschaftswachstum ist seit einem halben Jahrhundert in solchem Maße auf die Übernutzung der Gemeingüter gestützt, dass wir heute vor einer katastrophalen Erderwärmung, einer bedrohlichen Verknappung der naturgegebenen Rohstoffe, einer fortschreitenden Zerstörung des fruchtbaren Bodens und einer Dezimierung der Fischvorkommen in den Weltmeeren stehen. Wir verzehren die Ressourcen, die Produktionsgrundlagen, die Gemeingüter, weil wir sie übernutzen. Übernutzung heißt, dass regenerierbare Ressourcen schneller aufgezehrt werden als sie nachwachsen, und dass nichtregenerierbare Ressourcen schneller verbraucht als wiedergewonnen bzw. durch die Entwicklung von erneuerbaren Ressourcen ersetzt werden. Übernutzung geschieht, weil Unternehmen, Behörden und private Haushalte Aufwendungen unterlassen, die nötig wären, um die von ihnen genutzten Ressourcen zu erhalten - genauer: sie zu schonen, wiederzugewinnen oder zu ersetzen. Das Unterlassen erspart ihnen Kosten, aber zu Lasten der Gemeingüter. In diesem Sinn werden die unterlassenen Aufwendungen "externalisiert".

Im Oktober 2010 hat die britische Firma Trucost in einer Auftragsstudie für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) allein die auf das Naturkapital abgewälzten "environmental costs from global human activity" für 2008 auf rund elf Prozent des Weltsozialprodukts geschätzt; bei Fortsetzung des "business as usual" sieht Trucost die auf die Natur externalisierten Kosten bis 2050 auf 18 Prozent ansteigen. In mindestens solchen Größenordnungen werden Kosten auf Gemeingüter externalisiert, werden Investitionen zur Erhaltung der naturgegebenen Gemeingüter (des Naturkapitals) also unterlassen, die bei der Erstellung des Sozialprodukts abgenutzt worden sind, wie zum Beispiel der verschmutzte Boden über den Erdölquellen, die durch das Abklappen von Altöl und durch die Ölverluste der Bohrinseln geschädigte Meerflora, die Schädigung der Wälder und Bauten durch den "sauren Regen", die Umweltverschmutzung durch weggeworfene Kunststoffverpackungen, die Verknappung naturgegebener Rohstoffe, weil sie nicht wiederaufbereitet, sondern zu Abfall werden.

In der Trucost-Schätzung sind die auf das Sozialkapital abgewälzten Kosten noch gar nicht enthalten, weder die Ausbeutung von Arbeitskräften noch die Schädigung der menschlichen Gesundheit, noch die Marginalisierung der durch Produktivitätssteigerung "überflüssig" gewordenen Arbeitskräfte, die bei flexibler Arbeitszeitverkürzung weiterbeschäftigt werden könnten, oder der jungen Menschen, die keine Bildungs- und Beschäftigungschancen bekommen. Vermutlich ginge man nicht fehl, wenn man für all das die Größenordnung von wenigstens neun Prozent des Weltsozialprodukts ansetzte, so dass die unterlassenen Gemeingüter-Ersatzinvestitionen heute insgesamt einem Fünftel des Sozialprodukts entsprächen.

Diese Größenordnung - rund 20 Prozent des Sozialprodukts - führt uns vor Augen, in welchem Ausmaß die Ausbeutung der allen gemeinsamen Lebens- und Produktionsgrundlagen des Natur- und Sozialkapitals einen Substanzverzehr bewirkt, der die Gemeingüter entwertet und ihre künftigen Erträge vermindert, aber den Absatz der Produkte sowie die Gewinne der Unternehmen überhöht, verglichen mit dem, was bei nachhaltiger Entwicklung erzielt würde. Der Mythos des Privateigentums hat verhindert, dass die Gemeingüter vor Übernutzung geschützt werden. Laut Paragraf 903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) können Eigentümer mit ihren Sachen "nach Belieben verfahren". Sie können aus ihrem Eigentum heraus auf Gemeingüter zugreifen: aus ihren Gärten auf den Boden und das Grundwasser darunter, die Vegetation darauf und den Luftraum darüber, aus ihren Schiffen auf die Flora und Fauna der Meere, aus ihren Produktionsanlagen auf die Atemluft, das Klimasystem, die Gesundheit und anderes mehr. Und von einigen Ausnahmen abgesehen hindert sie niemand an der Übernutzung. Dies betrifft nicht nur einige Gemeingüter, sondern alle. Sie werden überstrapaziert, weil sie auf Märkten verwertet werden, vor allem den Märkten des Fernhandels, in die aber heute auch die allermeisten Binnenmärkte einbezogen sind. Es gilt also, die Marktteilnehmer von der Übernutzung abzubringen.

Allmendeprinzip und globale Gemeingüter

Die Gemeingüter, die von Märkten übernutzt werden, gehören meist zur Kategorie der noch im vorigen Jahrhundert als "freie Güter" betrachteten open access resources oder global commons (im Folgenden "globale Gemeingüter"), die wie die Atmosphäre, das Klimasystem, die Weltmeere oder das Internet einer unbegrenzten Anzahl von Nutzerinnen und Nutzern zugänglich sind. Die Bezeichnung "Allmende" dagegen wird bisher eher mit der Bewirtschaftung von common pool resources oder local commons ("lokalen Gemeingütern") verbunden, also mit der Wahrnehmung des gemeinsamen Nutzungsrechts einer meist lokal begrenzten Anzahl von Nutzern zum Beispiel an einem Stück Land oder Wald, an einer Bewässerungsanlage oder einem Fischteich.

"Allmende" war ursprünglich auf die Selbstverwaltung solch lokaler Gemeingüter begrenzt, auf die Einigung der Nutzer auf Regeln maßvoller Inanspruchnahme, auf gegenseitige Überwachung und auf Sanktionen gegen Übertretung. Diese Begrenzung des Geltungsbereichs lag im Grunde daran, dass es eine erhaltende Bewirtschaftung von globalen Gemeingütern noch gar nicht gab, von einer Regelung des Fernhandels ganz zu schweigen. Hätte es sie gegeben, so wäre manche Umweltzerstörung unterblieben, wie man sie etwa an den verkarsteten Flächen um das Mittelmeer ablesen kann. Heute wird das Wort "Allmende" auch auf eine Selbstverwaltung globaler Gemeingüter - im Gegensatz etwa zum staatlich verordneten Gemeingüterschutz durch Reservate oder Zwangsabgaben - angewendet, und das hat seine Berechtigung. Warum sollte das Prinzip der Mäßigung der Ansprüche durch gegenseitige Überwachung nicht auch globale Gemeingüter effektiver vor Übernutzung schützen als das Befehlsprinzip?

Gewiss kann für globale Gemeingüter nur der Staat, ein Staatenbund wie die Europäische Union (EU) oder eine internationale Organisation wie die Welthandelsorganisation (WTO) die Regeln festlegen und Sanktionen gegen Regelverstöße verhängen, wogegen die Regeln für lokale Gemeingüter auch durch Vertrag zwischen den Nutzern fixiert werden können. Doch hier endet der Unterschied bereits. Denn die Überwachung, ob die Regeln eingehalten werden, ist auch in Bezug auf globale Gemeingüter von den Nutzern selbst zu leisten. Staatliche Bürokratien können diese Aufgabe meist weder effizient noch effektiv erledigen. Das monitoring durch Nutzer jedoch erfolgt dezentral und beiläufig, als Nebeneffekt der laufenden Geschäfte; auf Märkten durch Konkurrenten und Abnehmer, die das gleiche Gemeingut unmittelbar oder mittelbar auch selbst nutzen, außerdem durch Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich dafür verantwortlich fühlen. In allen hält diese Aufgabe das Gefühl wach "Dies ist meine bzw. unsere eigene Angelegenheit"; und sie gibt niemandem Anlass, sich innerlich gegen eine fremdbestimmende Autorität aufzulehnen.

So kann die Überwachung durch die Nutzer selbst in die Bewirtschaftung landes- oder weltweiter globaler Gemeingüter ein Allmende-Element der Selbstverwaltung hineintragen, und das umso besser, je mehr sich unter Marktteilnehmern und Marktbeobachtern lokale und regionale Netzwerke bilden: Verbände, Kammern, Ausschüsse, Initiativen. Die Existenz solcher Netzwerke kann sowohl die Effizienz als auch die Effektivität der Überwachung erhöhen, denn diese bilden Elinor Ostrom zufolge ganz von selbst ein potenzielles Instrument des monitoring. Die Nutzer brauchen es nur zu aktivieren, sobald sie ein Motiv dazu haben. Und das haben sie, wenn sie ihr Eigeninteresse oder das Allgemeininteresse durch die Übernutzung benachteiligt fühlen und wenn es eine wirksame Möglichkeit gibt, Sanktionen gegen Übernutzung zu verhängen oder bei Behörden oder Gerichten einzuklagen. Was sich dann an dezentraler Überwachung des Gemeinguts herausbildet, hat ein Element von Selbstverwaltung. Und deshalb erscheint es sinnvoll, in solchen Fällen auch für globale Gemeingüter den Allmende-Begriff zu verwenden.

Gemeingüter und Wettbewerbsrecht

Wie die Nutzer der Gemeindewiese ihre privaten Schafe auf die Weide schicken und gemeinsam darauf achten, dass es nicht zu viele werden, so können auch die Zugriffe aus dem Privateigentum auf ein globales Gemeingut durch die Pflicht eingeschränkt sein, das Gut nur im Rahmen seiner Regenerationsfähigkeit zu nutzen (also seine Nutzung zu rationieren) oder es im Maß der Abnutzung wiederherzustellen oder zu ersetzen. Diese Pflichten - nennen wir sie Rationierungs- und Reinvestitionspflichten - fehlen in der Wettbewerbsordnung. Deshalb zwingt der Wettbewerb die Unternehmen überall dort, wo keine spezielle Vorschrift zum Beispiel des Umwelt- oder Mieterschutzes existiert, Kosten auf Gemeingüter abzuwälzen, weil das ja im Wettbewerbsrecht nicht untersagt ist und sie sonst von den anderen auskonkurriert werden, die die Erhaltungsaufwendungen unterlassen.

Um das zu ändern, ist eine Häufung von Spezialvorschriften für jedes Gemeingut und jeden Wirtschaftsbereich schwerlich geeignet. Der hohe bürokratische Aufwand und die permanente staatliche Kontrolle, soweit überhaupt finanzierbar, dürfte bei den Marktteilnehmern keine Begeisterung für nachhaltiges Wirtschaften wecken. Anders sähe es aus, wenn diese generell auf Rationierung und Reinvestition verpflichtet würden und wenn sie selbst, die Unternehmen und womöglich auch die Konsumenten, den Anlass und die Chance bekämen, die Einhaltung dieser Pflichten zu überwachen. Dann gäbe es ein Grundprinzip für die Behandlung der Gemeingüter, diese würden im Ganzen als Allmende behandelt, und daraus folgend auch jedes einzelne.

Das ist möglich: Externalisierung von Kosten braucht nur in die durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verbotenen Handlungen aufgenommen zu werden. Ein neuer Absatz 12 in Paragraf 4 UWG muss bestimmen, dass derjenige unlauter handelt (und deshalb auch von einem Wettbewerber auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann), der sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil verschafft, dass er Maßnahmen unterlässt, die zur Erhaltung eines von ihm genutzten Gemeingutes notwendig sind. Das Recht des lauteren Wettbewerbs soll ja verhindern, dass Unternehmen die Nachfrager durch bloß vorgespiegelte eigene Leistungen für sich gewinnen. Ein durch Schädigung von Gemeingütern erreichter Preis- oder Qualitätsvorsprung ist in diesem Sinn nicht weniger unlauter als beispielsweise eine Täuschung der Abnehmer durch irreführende Werbung. Die Wettbewerbsordnung diskreditiert sich selbst, wenn sie weiterhin zulässt, dass Substanzverzehr an Gemeingütern wie eine erwünschte Marktleistung behandelt wird.

Gilt aber Externalisierung im Sinn der Übernutzung eines Gemeinguts als unlauter, so können externalisierende Unternehmen - auch Importeure - verklagt werden, weil sie den Nachfragern vorspiegeln, dass der durch Abwälzung von Kosten erlangte Vorsprung (niedrigere Preise oder aufwendigere Ausstattung) auf besserer Marktleistung beruht. Das UWG ermöglicht solche Klagen sehr effektiv: Über die Zentralstelle zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs (die sogenannte Wettbewerbszentrale) werden die benachteiligten Konkurrenten (hier: Unternehmen, die sich daran gehindert fühlen, die Kosten zu internalisieren) an den Verfahren beteiligt. Diese können besser als jede Behörde beurteilen, wieweit die beanstandeten Wettbewerbsvorteile auf Externalisierung beruhen. So übernehmen die Marktteilnehmer die Überwachung des Gemeingüterschutzes selbst. Sie sind damit indirekt auch an der Festlegung der Allmende-Regeln beteiligt. Denn der unlautere Tatbestand "Externalisierung bzw. "Unterlassen Gemeingut erhaltender Maßnahmen" kann im Gesetz nur als unbestimmter Rechtsbegriff formuliert werden, ähnlich wie auch der Eigentumsbegriff im BGB unbestimmt geblieben ist. Was alles darunter subsumiert wird, wird nach und nach durch Gerichtsurteile, Verordnungen, Gesetzeskommentare festgelegt, und zu diesem sozialen Prozess tragen auch die klagenden Unternehmen bei.

Damit nicht in jedem Fall auf ein Gerichtsverfahren gewartet wird, sondern Unternehmen sich freiwillig zur Internalisierung von bisher abgewälzten Kosten entschließen und auch ihre unmittelbaren Konkurrenten dafür gewinnen können, ist eine flankierende Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) erforderlich. Denn das GWB verbietet solche Vereinbarungen bisher, weil sie Kartellcharakter haben. Immerhin lässt es Verabredungen zur Rationalisierung bereits zu, also kann auch für Internalisierungsabsprachen eine Ausnahme vom Kartellverbot gelten.

Durch diese Gesetzesänderungen würden Elemente der Allmende in die marktwirtschaftliche Ordnung eingefügt, die den Wettbewerb im Sinn des Grundgesetz-Artikels 14, 2 ("Eigentum verpflichtet") dazu bringen, die jeweils weniger nachhaltigen, weil externalisierenden Produktionsverfahren und Produkte auszuschalten und so auf der einen Seite die im Wirtschaftsprozess genutzten Ressourcen vor Übernutzung und auf der anderen Seite die Gesellschaft vor Überkonsum zu bewahren. Ein Prozess der nachhaltigen Entwicklung würde in Gang gesetzt, wie er annähernd effektiv weder von behördlichen Verfügungen erwartet werden kann noch von der Einsicht einzelner Konsumenten bzw. Produzenten. Solche gesetzliche Verankerung des freien und nachhaltigen Wettbewerbs kultiviert das Privateigentum, denn sie befähigt den Markt, die Endlichkeit der wirtschaftlich genutzten globalen Gemeingüter zu respektieren und diese nach dem Vorbild der Allmende in ihrem Potenzial zu erhalten.

Integration des Allmendeprinzips

Im Idealfall wird so der Markt zu einer Verbindung des Privateigentums mit dem Gemeingüterschutz vervollkommnet. Das Wort "Idealfall" wäre einem Ökonomen noch vor 50 Jahren nicht in den Sinn gekommen, denn dass der Markt auch eine Rationierungsfunktion hat, war in Vergessenheit geraten, und dass zur Erhaltung der Gemeingüter auch Reinvestition geboten ist, war noch gar nicht im Bewusstsein. Viele haben die Gemeingüter für grenzenlos gehalten, haben mit zunehmender Intensität an die "Entknappung" der Güter durch den wirtschaftlich-technischen Fortschritt geglaubt, und waren überzeugt, das werde immer so weitergehen. So wurde der Markt allein als Instrument für das Wachstum von Produktion und Konsum gesehen; niemand hätte der Idee etwas abgewonnen, dessen Fähigkeit zur Rationierung knapper Ressourcen könnte wieder aktuell werden; die Reinvestition in Gemeingüter war einfach nicht im Blick.

Inzwischen kehrt die Knappheit der irdischen Materie in unser Bewusstsein zurück, und damit auch die Rationierungsfunktion des Marktes. Deshalb kann es uns heute nützlich erscheinen, den Markt wieder mehr als Rationierungsinstrument zu sehen und ihm die Pflicht zur Reinvestition neu hinzuzufügen, was ja seiner Fähigkeit zur Entknappung nicht widerspricht, sondern sie lediglich auf ein nachhaltiges Maß begrenzt.

Die Summe der eingestrahlten Sonnenenergie übersteigt rechnerisch den Energiebedarf der Welt um ein Vielfaches, ihre Erschließung und Umsetzung in Arbeitsenergie (also Entknappung) wird noch große Fortschritte machen, erfordert aber so viel an knapper und teurer werdenden Rohstoffen, dass sie zwar den Energiebedarf von heute decken können wird, nicht aber den Energiebedarf einer weltweiten Konsumgesellschaft, der bei Fortschreibung der bisherigen Entwicklung zustande käme. So hat die Erschließung erneuerbarer Energie sicher ein partielles Wachstumspotenzial, zugleich aber darf die Energienachfrage weltweit nicht mehr nennenswert steigen, und deshalb muss die der Industrieländer schrumpfen. Deshalb müssen Markt und Wettbewerb in Zukunft drei Dinge zugleich leisten: die Entwicklung von Produkten und Verfahren 1) zur effizienteren Ressourcennutzung, 2) zur Wiedergewinnung und Wiederverwendung der genutzten Ressourcen und 3) zur Schonung und Rationierung dessen, was auf beiden Wegen an aktuell nutzbaren Ressourcen gewonnen wird, die auch bei Nutzung der Potenziale für Effizienz und Recycling knapp bleiben werden.

Für die dritte Aufgabe ist die Allmende erfunden worden. Und auch die ursprüngliche Form der Allmende als Selbstverwaltung eines lokalen Gemeinguts ist noch immer brauchbar und vorteilhaft, wo immer sich das Gemeingut und der Kreis seiner Nutzerinnen und Nutzer lokal begrenzen lassen. Elinor Ostrom hat gezeigt, dass diese Bedingung nicht selten gegeben ist, und eine Vielzahl von genossenschaftlichen und anderen Formen der Schaffung und Bewirtschaftung lokaler Gemeingüter legt Zeugnis davon ab. Eine große Schwierigkeit besteht freilich darin, dass das gesellschaftliche Umfeld bisher keinen fruchtbaren Boden für lokale Allmenden bietet. Allzu oft sind weder die Nutzer noch die umgebenden staatlichen Institutionen in der basisdemokratischen Einigung auf Regeln der Selbstbegrenzung und in der sachbezogenen gegenseitigen Überwachung und gegebenenfalls Sanktionierung geübt. Staatliche und kommunale Beschlussgremien und Behörden müssen erst noch lernen, den Entscheidungen bürgerschaftlicher Initiativen angemessenen Spielraum zu geben, statt auf ihrer eigenen, ungeteilten Entscheidungsbefugnis zu bestehen.

Dann wird die bottom-up-Lösung vieler lokaler und auch regionaler Probleme einfacher, teils im Rahmen der urbanen Subsistenz, etwa wenn sich Bürger ehrenamtlich um die Bewirtschaftung städtischer Brachflächen kümmern, wozu sie naturgemäß Entscheidungsspielräume brauchen, teils im Rahmen der lokalen oder regionalen Wirtschaft. Die Überfischung der Ostseeheringe zum Beispiel könnte am ehesten reduziert werden, wenn eine europäische Instanz mit Sinn für Selbstverwaltung die Heringsfischer der Ostseeländer mit den dortigen Meeresökologen an einen Tisch brächte, damit sie sich auf eine gemeinsame Interpretation der Tatsachen einigen, einvernehmlich Schonzeiten und Fangquoten festlegen und die Einzelheiten der gegenseitigen Überwachung und Sanktionierung regeln, die dann von der EU im Benehmen mit den Anrainerstaaten garantiert wird.

Jede Initiative zur Erhaltung eines lokalen oder regionalen Gemeinguts ist wichtig und verdient Unterstützung, doch wie viele es auch heute schon sind und wie viele sich auch künftig noch bilden werden, sie können den Markt nicht ersetzen. Im Gegenteil muss auch dieser selbst zur Allmende weiterentwickelt werden. Dazu braucht es die im vorigen Abschnitt skizzierte Erweiterung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Das ist eine Aufgabe des Sozialstaats. Die Erhaltung der globalen Gemeingüter erfordert eine staatliche Revision der Wettbewerbsordnung und eine gesetzliche Ermächtigung der Netzwerke zur Überwachung des Wettbewerbs; beides wird sich auch auf die lokalen und regionalen Allmenden stützend und fördernd auswirken. So spricht alles dafür, "die Bewegung für die Gemeingüter als Kampagne für die Inkraftsetzung des Artikels 14, 2 zu führen".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die ursprüngliche Bedeutung von Allmende war (nach Jakob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 237, Nachdruck von 1854, München 1999) "der verein, die gemeinschaft freier männer, die sich in wald und weide zulängst erhielt".

  2. Vgl. Principles for Responsible Investment/UNEP Finance Initiative, Universal Ownership. Why Environmental Externalities Matter to Institutional Investors, October 2010, S. 3, online: www.unepfi.org/fileadmin/documents/
    universal_ownership_full.pdf (17.6.2011).

  3. Vgl. Karl-Wilhelm Weeber, Smog über Attika. Umweltverhalten im Altertum, Zürich 1990.

  4. So Silke Helfrich im Vorwort in: Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen. Vom gesellschaftlichen Wert der Gemeingüter, München 2009, S. 9.

  5. Näheres bald unter www.allmende.EU.com; dort ist ausführlicher erläutert und begründet, wie die Wettbewerbsordnung geändert werden muss, damit der Wettbewerb nicht nur für den individuellen Wohlstand, sondern auch für die Erhaltung der Gemeingüter sorgt.

  6. Eine entsprechende Formulierung müsste auch in die "Schwarze Liste" der EU-Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken im Binnenmarktverkehr aufgenommen werden.

  7. Analog dazu wäre auch Art. 101, 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Lissabon-Vertrag) zu ändern.

  8. Das Grundgesetz bindet nicht unmittelbar den einzelnen Bürger, sondern den Gesetzgeber. Der Aufforderung des Art. 14, 2 ist dieser bisher nur punktuell nachgekommen.

  9. Vgl. Ted Trainer, Renewable Energy Cannot Sustain a Consumer Society, Dordrecht 2007.

  10. Vgl. Elinor Ostrom, Die Verfassung der Allmende, Tübingen 1999.

  11. Vgl. J. Daniel Dahm/Gerhard Scherhorn, Urbane Subsistenz. Die zweite Quelle des Wohlstands, München 2008; Christa Müller (Hrsg.), Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt, München 20112.

  12. Mathias Greffrath, Lob des Staates, in: Die Tageszeitung (taz) vom 3.3.2010.

Dr. rer. pol., geb. 1930; Professor emeritus für Konsumökonomik an der Universität Hohenheim, Stuttgart; Senior Consultant im Wuppertal Institut für Klima Umwelt Energie, Döppersberg 19, 42103 Wuppertal. E-Mail Link: gerhard.scherhorn@wupperinst.org