Einleitung
Walter Ulbricht, der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED, war die treibende Kraft hinter der Grenzschließung und dem Mauerbau in Berlin vor fünfzig Jahren. Acht Jahre lang hatte er sich um Zustimmung der Sowjetunion bemüht, die Grenze abzuriegeln, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen, aber die Sowjets hatten sich widersetzt. Die führenden Köpfe im Kreml wussten, dass die Grenzschließung einer Kapitulation gleichkäme und ihnen selbst und der sozialistischen Sache erheblich schaden würde.
Im März 1953, kurz nach Stalins Tod, teilten dessen Nachfolger im Kreml Ulbricht mit, die Abriegelung der Sektorengrenze sei "politisch unannehmbar und allzu einfach". Ein solcher Schritt würde "zur Störung der vorhandenen Ordnung des städtischen Lebens führen, die Wirtschaft der Stadt in Unordnung bringen" und "bei den Berlinern Bitterkeit und Unzufriedenheit hinsichtlich der Regierung der DDR und der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland hervorrufen". Außerdem würde er "die Beziehungen der Sowjetunion zu den USA, England und Frankreich (...) nur komplizieren, was wir vermeiden können und müssen".
Ulbricht und Chruschtschow
Ulbrichts Persönlichkeit und die Beziehungen zwischen ihm und Chruschtschow sind sehr aufschlussreich, wenn man die Entscheidung, die Grenze zu schließen, verstehen will. Bei der Lektüre der Akten in den Archiven von Moskau und Berlin springt Ulbrichts Selbstbewusstsein, seine Arroganz, seine Rechthaberei im Umgang mit Chruschtschow ins Auge. Das läuft der weit verbreiteten Annahme zuwider, Ostdeutschland sei nur ein Satellitenstaat Moskaus gewesen. Ganz sicher verhielt sich Ulbricht nicht so, und er wurde von Chruschtschow auch nicht so behandelt.
Chruschtschow beklagte sich oft über Ulbricht, aber er enthob ihn nicht seines Postens. Überhaupt tangierte die Tatsache der Stationierung von fast 500000 Sowjetsoldaten in der DDR nicht die politischen und persönlichen Beziehungen zwischen Chruschtschow und Ulbricht. Welche Bedeutung Chruschtschow der DDR und der Person Ulbrichts für die Sowjetunion und den gesamten Ostblock beimaß, zeigt sich anschaulich in Bemerkungen von Anastas Mikojan, seines engsten Mitstreiters und stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats, gegenüber ostdeutschen Kadern im Juni 1961. Mikojan erklärte: "In der DDR wird sich unsere Weltanschauung, unsere marxistisch-leninistische Theorie beweisen müssen (...). (G)egenüber Westdeutschland können und dürfen wir uns einen Bankrott nicht leisten. Wenn der Sozialismus in der DDR nicht siegt, wenn der Kommunismus sich nicht als überlegen und lebensfähig erweist, dann haben wir nicht gesiegt. So grundsätzlich steht für uns die Frage. Deshalb können wir auch bei keinem anderen Land so herangehen. Und das ist auch der Grund, dass die DDR bei Verhandlungen oder bei Krediten an erster Stelle kommt."
Ulbricht gelang es, dem Kreml zusätzliche Hilfen abzunötigen und eine Änderung seiner eigenen Politik zu vermeiden. Ulbricht meinte die Bedürfnisse der DDR weitaus besser zu verstehen als die Sowjets. Er war stolz darauf, Lenin noch persönlich kennengelernt zu haben, im Unterschied zu Chruschtschow. Der ostdeutsche Machthaber war davon überzeugt, Lenins und Stalins treuer Gefolgsmann zu sein, nicht aber Chruschtschows, der es in seinen Augen mit der Kritik an Stalin zu weit trieb. Ulbricht schien zu meinen, dass Chruschtschow letztlich ein Bauerntölpel war, der weder eine Ahnung davon hatte, wie man ein sozialistisches Land führen musste, noch davon, was für die DDR das Beste war. Zudem war Chruschtschow in Ulbrichts Augen zu verständnisvoll gegenüber den Westmächten.
In den Beziehungen zwischen den ostdeutschen und den sowjetischen Spitzenfunktionären gibt es viele Beispiele für Ulbrichts selbstsicheres, zuweilen herrisches Verhalten gegenüber Chruschtschow. Als erstes sei genannt, dass Ulbricht im Herbst 1960 im Alleingang die Prozeduren an der Berliner Sektorengrenze änderte. Er setzte durch, dass westliche Amtsträger beim Außenministerium der DDR eine Genehmigung zur Einreise nach Ost-Berlin und in die DDR beantragen mussten, statt sich auf den Vier-Mächte-Status von Berlin verlassen zu können und es dabei nur mit sowjetischen Repräsentanten zu tun zu haben. Die Sowjets waren "erstaunt" über diese ostdeutsche Maßnahme und "sehr besorgt", dass die Westmächte kontern würden, indem sie sowjetischen Amtsträgern den Zugang zu West-Berlin erschweren.
Ein zweites Beispiel. Bei einem Treffen mit Chruschtschow im November 1960 in Moskau geriet Ulbricht mit Außenminister Andrej Gromyko und mit Chruschtschow in Streit darüber, ob die Bundesrepublik ein souveräner Staat sei. Ulbricht sagte, er sehe die Bundesrepublik nicht als einen von Rechts wegen souveränen Staat an; Gromyko beharrte darauf, dass die Sowjets das sehr wohl täten. Schließlich schaltete sich Chruschtschow ein: "Wie die DDR diese Frage intern sieht, ist ihre innere Angelegenheit. Wir werden bei unserer Position zu diesem Thema bleiben. Wir sind nicht verpflichtet, uns Ihrer Position anzuschließen. Wir unterhalten diplomatische Beziehungen zu beiden deutschen Staaten und denken, dass sie beide souverän sind."
Ein fünfzehnseitiger Brief an Chruschtschow im Januar 1961 kann als drittes Beispiel dienen. Darin stellte Ulbricht eine Reihe von Maximalforderungen auf, insbesondere jene nach "Beseitigung des Besatzungsregimes in Westberlin". Der Ton des Schreibens ist sehr beeindruckend.
In einem Gespräch am 1. August 1961, das als letztes Beispiel genannt werden soll, erörterten Ulbricht und Chruschtschow wieder einmal wirtschaftliche Fragen sowie die Abriegelung der Grenze in Berlin. Chruschtschow bedauerte, dass die DDR sich nicht an einen Vertrag hielt, demzufolge sie der UdSSR Schiffe verkaufen sollte: "Im Vertrag wird vereinbart, was Ihr zu machen habt, und was wir. Ihr verpflichtet euch, den Schiffsmotor in England oder der BRD zu kaufen. Aber Ihr tut es nicht." Ulbrichts Antwort: "Dann heißt es, ich sei antisowjetisch."
Ulbrichts Alleingänge
Im Laufe der Jahre wurde Ulbricht wiederholt von den Sowjets gerügt, weil er die "Republikflucht" auf die leichte Schulter nehme und sich allzu sehr auf "administrative und repressive Maßnahmen" stütze, um dem Ausbluten der DDR entgegenzuwirken. Chruschtschow wurde dessen überdrüssig und konzentrierte sich nun darauf, die Westmächte aus West-Berlin hinauszudrängen und/oder einen Friedensvertrag mit beiden Teilen Deutschlands zu unterzeichnen. Mit Chruschtschows Note vom 27. November 1958 begann die Zweite Berlin-Krise (die erste bestand in der Blockade der Westsektoren Berlins 1948/1949 durch Stalin). Darin drohte er den Westmächten, dass, falls diese nicht binnen sechs Monaten mit den Sowjets und den Ostdeutschen in Verhandlung über Berlin als neutrale "Freie Stadt" sowie über einen Friedensvertrag träten, die Sowjetunion einen separaten Friedensvertrag mit der DDR abschließen und der ostdeutschen Führung uneingeschränkte Souveränitt über ihr Territorium garantieren würde.
Während sich Ulbrichts politischer Kurs in der DDR mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft ab 1960 verschärfte und sich die Ost-West-Krise in Berlin zuspitzte, schwoll der Flüchtlingsstrom aus Ost-Berlin weiter an. Im letzten Jahr vor dem Mauerbau legte es Ulbricht zunehmend darauf an, an der Sektorengrenze das Heft selbst in die Hand zu nehmen. Sowjetische Diplomaten in der Botschaft in Ost-Berlin schickten unzählige Warnsignale nach Moskau, Ulbricht habe vor, auf eigene Faust die Grenze zu schließen. Die Ost-West-Krise in Bezug auf Berlin fand ihr Gegenstück in einer Krise zwischen den Verbündeten im Ostblock.
Im Zuge von Ulbrichts Maßnahmen an der Sektorengrenze im September 1960 informierte Michail Perwuchin, der sowjetische Botschafter in Ost-Berlin, die Führung in Moskau in seinem Jahresbericht, dass die Politik der DDR in Bezug auf West-Berlin "in der Regel einseitig" und "in erster Linie administrativer Art" sei und "alle möglichen Beschränkungen des Verkehrs zwischen beiden Teilen der Stadt" zur Folge habe.
Dessen ungeachtet forcierte Ulbricht Pläne, die Abwanderung der ostdeutschen Flüchtlinge über die "offene Grenze" nach West-Berlin zu unterbinden. Im Januar 1961 ernannte er eine Politbüro-Kommission, bestehend aus dem Sicherheitschef der SED Erich Honecker, dem Innenminister Karl Maron und dem Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, "die eine Reihe Vorschläge macht, wie die Republikflucht entschieden eingedämmt wird (...). Sie muss zum großen Teil abgestoppt werden."
Als Chruschtschow auf dem Wiener Gipfel mit Kennedy zusammentraf, stimmte der US-Präsident, ganz wie es Ulbricht vermutet hatte, weder Chruschtschows Forderungen nach einer "Freien Stadt" West-Berlin noch einem Friedensvertrag innerhalb von sechs Monaten zu. Der Gipfel endete damit, dass Chruschtschow seine Forderungen erneuerte.
Ulbrichts Pressekonferenz
In der Folge des Wiener Gipfels wollte sich Ulbricht rückversichern, dass Chruschtschow tatsächlich in Berlin aktiv werden würde. Chruschtschow hatte die Westmächte unter Druck gesetzt und Ulbricht versprochen, dass er einen separaten Friedensvertrag mit der DDR unterzeichnen und ihm die Kontrolle über die Verkehrswege zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin sowie die uneingeschränkte Herrschaft über das Territorium der DDR einschließlich aller Zufahrtswege nach West-Berlin übertragen würde. Doch Ulbricht war noch immer skeptisch. Folglich musste er weiter auf ihn einwirken und die Souveränität der DDR immer wieder auf den Tisch bringen. Zu diesem Zweck startete die SED-Spitze eine groß angelegte Öffentlichkeitskampagne. Kaum war der Gipfel vorüber, legte die Politbürokommission für Agitation am 5. Juni einen Plan "über die Behandlung wichtiger politischer und außenpolitischer Fragen (...) durch die Redaktionen der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens" vor. Die Kampagne zielte auf West-Berlin und die Landeshoheit der DDR. Die internationale Pressekonferenz am 15. Juni gehörte zu Ulbrichts Plan, den Westmächten und der Sowjetunion vorzuführen, dass es sein Recht war, über alle Teile seines Territoriums einschließlich der Grenzen der DDR zu West-Berlin die Herrschaft auszuüben.
Das wird nicht nur deutlich in seiner weithin bekannten Erklärung zu einer "Mauer". Auf die Frage, ob "die Bildung einer Freien Stadt (West Berlin) Ihrer Meinung nach bedeutet, daß die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird", erwiderte Ulbricht: "Ich verstehe Ihre Frage so, daß es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, daß wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR dazu mobilisieren, eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, daß eine solche Absicht besteht (...). Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten."
Seine Entschlossenheit, dem Flüchtlingsstrom einen Riegel vorzuschieben, lässt sich auch aus anderen Äußerungen gegenüber den Journalisten herauslesen. So nannte er die Notwendigkeit, "die sogenannten Flüchtlingslager in Westberlin" zu schließen. Zwingen müsse man auch "die Personen, die sich mit dem Menschenhandel beschäftigen, West Berlin (zu) verlassen". Ferner verteidigte er seinen Anspruch, den "Organen der DDR" die alleinige Befugnis zuzusprechen, "die Erlaubnis (...) die DDR zu verlassen" zu erteilen oder eben zu verweigern.
Aktion "Rose"
Als Chruschtschow drohte, er werde einen separaten Friedensvertrag mit Ulbricht abschließen, falls Kennedy einem Friedensvertrag und der Umwandlung West-Berlins in eine neutrale, "Freie Stadt" nicht zustimmte, erwiderte Kennedy, er werde es nicht zulassen, dass die Three Essentials angetastet würden: die Freiheit der West-Berliner Bürger, das Recht der westlichen Alliierten, sich in West-Berlin aufzuhalten, sowie der freie Zugang der Westmächte nach West-Berlin. Kennedy unterstrich, dass jede Beeinträchtigung dieser drei Grundsätze einer Kriegserklärung gleichkäme. Zu den Bevölkerungsbewegungen zwischen Ost- und West-Berlin äußerte er sich nicht.
Chruschtschow hatte kein Bedürfnis, einen Krieg mit den USA heraufzubeschwören. Also wendete er eine Verzögerungstaktik an und erwog die Optionen. Auch Anfang Juli war sich der sowjetische Machthaber noch nicht sicher, wie er die Flüchtlingskrise in den Griff bekommen sollte. In einem ausführlichen Bericht an Gromyko legte Botschafter Perwuchin die Möglichkeiten dar.
Perwuchin führte an, dass "bei einer Zuspitzung der politischen Lage geschlossene Grenzen notwendig werden könnten. Deshalb ist es notwendig, auch einen Maßnahmeplan für den Fall der Einführung eines Staatsgrenzregimes an der Sektorengrenze auszuarbeiten." Er befürchtete, "dass wir im äußersten Fall die Sektorengrenze in Berlin schließen müssen. Es ist offensichtlich, dass wir (...) politische Schwierigkeiten zu erwarten hätten." Die Schließung der Sektorengrenze würde "alle Berliner und Deutschen gegen die Sowjetunion und das ostdeutsche Regime aufbringen". Perwuchin erwähnte auch die technischen Probleme: "Es wäre erforderlich, auf der gesamten Länge der innerstädtischen Grenze (46km) bauliche Hindernisse zu errichten, eine große Zahl von zusätzlichen Polizeiposten hinzuzufügen und permanente Polizeikontrollen an Stellen einzuführen, wo S-und U-Bahn die Grenze überqueren."
Da Ulbricht nicht locker ließ, die Flüchtlingskrise eskalierte und Chruschtschow keinen Krieg mit den Westmächten vom Zaun brechen wollte, ging er schließlich auf Ulbrichts Appelle ein und befahl, die Grenze zu schließen. Später erklärte Chruschtschow dem westdeutschen Botschafter Hans Kroll in Moskau: "Die Mauer ist auf dringenden Wunsch Ulbrichts von mir angeordnet worden."
Chruschtschow sicherte schon drei Wochen vor dem 13. August die Vorbereitungen der DDR zur Schließung der Grenze rings um West-Berlin militärisch ab. Die sowjetischen und die ostdeutschen Drahtzieher in Militär und Politik arbeiteten eng zusammen, um dafür gewappnet zu sein, die Pläne in der Nacht vom 12. zum 13. August 1961 auszuführen.
Acht Jahre lang hatten sich der sowjetische Staatschef und seine Genossen dieses Vorhabens erwehrt - in der Hoffnung, dass Ulbricht andere Wege finden würde, es den ostdeutschen Bürgern schmackhaft zu machen, in der DDR zu bleiben. In seinen Memoiren schrieb Chruschtschow: "Hätte es die DDR geschafft, das moralische und materielle Potential (ihrer Bürger) zu erschließen, dann wäre der Übergang zwischen Ost- und West-Berlin in beide Richtungen uneingeschränkt durchlässig geblieben."
Krisenszenarien und Reaktionen
Die ostdeutsche wie die sowjetische Führung brüsteten sich damit, dass die Grenzschließung so erfolgreich und ohne nennenswerten Widerstand der Westmächte über die Bühne gegangen war. Ulbricht berichtete im September: "Die Durchführung des Beschlusses über die Schließung der Grenze um Westberlin ist planmäßig erfolgt (...). Man muss sagen, dass der Gegner weniger Gegenmaßnahmen unternommen hat, als zu erwarten war."
Aus diesem Wortwechsel ergibt sich die Frage, welchen Krisenplan Chruschtschow und Ulbricht in der Hinterhand hatten für den Fall, dass die Westmächte eingegriffen hätten, wenn sie zum Beispiel die Stacheldrähte entfernt oder die Mauer in ihrem Anfangsstadium mit Baggern abgetragen hätten, wie es US-General Lucius D. Clay vorhatte.
Im Sommer 1961 äußerte Kennedy vertraulich gegenüber seinen Beratern: "Man kann es Chruschtschow nicht zum Vorwurf machen, dass er aufgebracht ist" über den Flüchtlingsstrom aus Ostdeutschland. "Er wird etwas unternehmen müssen, um den Exodus zu stoppen. Möglicherweise durch eine Mauer. Wir werden es nicht verhindern können."
Kennedy war der tiefen Überzeugung gewesen, dass die Verhinderung der Grenzschließung es nicht wert gewesen wäre, einen Krieg zu riskieren. Bei einer Fernsehansprache am 25. Juli, die als verspätete Erwiderung auf Chruschtschows Wiener Drohgebärden bezüglich West-Berlin gedacht war, fügte er Gedanken zum Krieg im Atomzeitalter an. "Dreimal in meinem bisherigen Leben waren mein Land und Europa in Kriege verwickelt, und jedes Mal wurden auf beiden Seiten schwerwiegende Fehleinschätzungen getroffen, die Zerstörungen zur Folge hatten. Jetzt aber könnte durch irgendeine erneute Fehleinschätzung (...) innerhalb weniger Stunden mehr Vernichtung auf uns niederkommen, als wir es je in unserer Geschichte erlebt haben."
Auch noch nach Schließung der Grenze beklagten sich Funktionäre wie Marschall Iwan S. Konew, Außenminister Gromyko und Verteidigungsminister Rodion J. Malinowski, dass die ostdeutsche Führung zu eilig und zu häufig auf Menschen schießen lasse, die versuchten, illegal die Grenze zu überqueren; außerdem verweigere man in unangemessenem Maße den westlichen Alliierten den Zugang zu Ost-Berlin. Beides, so fürchteten die Sowjets, könne "unerwünschte und gravierende Folgen haben".
Treibende Kraft
Seit dem Mauerfall 1989 ist immer wieder versucht worden, die Verantwortung der ostdeutschen Führung für die Mauer in Frage zu stellen. Egon Krenz, der letzte SED-Chef, gab beim Prozess um die Toten an der Grenze den Sowjets die Schuld an dem tödlichen Grenzregime. Er versicherte, dass die DDR-Führung keinerlei Kontrolle über die Grenze hatte, die seiner Ansicht nach weniger eine ostdeutsche Grenze als vielmehr eine "zwischen zwei Welten" im Kalten Krieg gewesen sei. Zu seiner Verteidigung erinnerte Krenz an die Worte Ronald Reagans, der 1987 vor dem Brandenburger Tor eben "nicht gerufen (hatte), 'Honecker oder Krenz, öffnen Sie die Mauer!' Er hat gesagt: 'Gorbatschow, öffnen Sie die Mauer!'"
Doch selbst wenn der Befehl, die Grenze abzuriegeln, aus Moskau kam, wie Krenz versicherte und einige Wissenschaftler und hohe Militärs der DDR bestätigten, gibt es doch hinreichende Belege in den Archiven, dass nicht die gesamte Verantwortung der ostdeutschen Befehlshaber für den Mauerbau den Moskauer Machthabern zugewiesen werden kann.
Die Ost-West-Krise über Berlin ging mit einer Krise in den Beziehungen zwischen der DDR und der UdSSR im Zusammenhang mit dem Vorgehen in Berlin einher. Die Sowjetunion widersetzte sich lange der Grenzschließung. "Die Mauer ist auf dringenden Wunsch Ulbrichts von mir angeordnet worden": Aus diesen Worten Chruschtschows geht hervor, dass die Politik und Persönlichkeit von Ulbricht von entscheidender Bedeutung bei der Errichtung der Berliner Mauer waren.
Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Juliane Lochner, Leipzig.