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Kooperation oder Konkurrenz? Obamas Russland- und Chinapolitik | USA | bpb.de

USA Editorial Ein ganz normaler Präsident - Essay Obamas Präsidentschaft: Wandel und Kontinuität Kooperation oder Konkurrenz? Obamas Russland- und Chinapolitik Obama und Europa Obama - Architekt einer neuen Finanzordnung? Obamas (versuchte) Gesundheitsreform

Kooperation oder Konkurrenz? Obamas Russland- und Chinapolitik

Christian Hacke

/ 18 Minuten zu lesen

Mit neuer Bescheidenheit passt Obama die USA den multipolaren Entwicklungen in der Welt an. Durch die Kooperation mit den rivalisierenden Großmächten will er Amerikas globale Führungsrolle erneuern.

Einleitung

Waren die USA bis zur Präsidentschaft von George W. Bush der zentrale Problemlöser der internationalen Politik, so mutierten sie im Zuge des Irakkrieges und der Weltwirtschaftskrise zum Problemfall Nummer Eins. Diese völlige Umkehrung verlässlicher weltpolitischer Determinanten bleibt auch nach einem Jahr Präsidentschaft für Barack Obama eine schwere Bürde. Die in den USA ausgelöste Wirtschaftskrise, der Aufstieg rivalisierender Mächte und nicht zuletzt der weltweite "Krieg gegen den Terror" überdehnen weiterhin Amerikas Kräfte, beeinträchtigen die Solidarität vieler Verbündeter und ermutigen Autokraten und Diktatoren. Als Weltordnungsmacht, als Führer der freien Welt, als zivilisatorisches Vorbild, auch beim Wettlauf zwischen Freiheit und Tyrannei, haben die USA an Boden verloren, nicht zuletzt durch eigene Hybris. Nicht mehr selbstherrlicher Demokratie-Export in die islamische Welt, sondern umfassendes nation-building at home ist deshalb für Obama zwingend geworden. So betonte er Anfang Dezember 2009 an der Militärakademie West Point: "Unser militärisches Engagement in Afghanistan kann nicht endlos sein, weil die Nation, deren Aufbau mich am meisten interessiert, unsere eigene ist." Amerika ist gezwungen, die verbliebenen Kräfte einzuteilen.



"Trotzdem" lautet das Schlüsselwort für Obamas außenpolitisches Programm. Trotz der Widrigkeiten ist er gewillt, Amerikas Führung zu erneuern. Wandel bedeutet deshalb für Obama vor allem die Bereitschaft, "to renew American leadership in the world". Er sieht die USA keineswegs im Niedergang, sondern ist überzeugt, dass er das drohende postamerikanische Zeitalter verhindern kann. Im Zuge einer Serie brillanter Reden konnte er einiges an verloren gegangenem Vertrauen in die USA wiedergewinnen. Doch es bleibt fraglich, ob er den Wandel zu einer multipolaren Welt akzeptiert, oder ob er sich nach dem unipolaren Moment amerikanischer Vorherrschaft zurücksehnt.

Einerseits betreibt Obama eine Entmythologisierung der neoimperialen Politik seines Vorgängers, andererseits sucht er den außenpolitischen Führungsanspruch durch altbekannte liberale Prinzipien wiederzubeleben. Dieser Widerspruch löst sich auf, wenn man seine außenpolitische Konzeption in kurz-, mittel-, und langfristige Ziele unterteilt. Der kurzfristig angestrebte Vertrauensgewinn ist ihm weitgehend gelungen. Mittelfristig versucht er nun, Freunde und Gegner für seine neue Architektur globaler Zusammenarbeit zu gewinnen, um dann langfristig im Zuge wirtschaftlicher Erholung und kooperativer Bewältigung der Krisen Amerika wieder als die Weltordnungsmacht zu etablieren. Doch werden die neu erstarkten Großmächte wie Russland und China das schwächelnde Amerika stützen oder subtil versuchen, seine Ambitionen zu untergraben?

Politik gegenüber Russland

Obama wirbt um China und Russland, um mit ihnen gemeinsam die neuen globalen Herausforderungen wie Rüstung, Klimawandel und Terrorismus zu bewältigen. Zudem sucht er die beiden autokratischen Großmächte in sein kooperatives Globalkonzept einzubinden. Schon Präsident Franklin D. Roosevelt ("FDR") setzte während des Zweiten Weltkrieges auf Zusammenarbeit mit den totalitären Weltmächten Sowjetunion und China. Es scheint, als ob Obama an Roosevelts liberalen Weltordnungsentwurf anknüpfen möchte, verweisen doch die politischen Konstellationen auf gewisse Parallelen: Während FDR im Krieg gegen die Achsenmächte auf die Hilfe der Sowjetunion und Chinas angewiesen war, zwingen die Antiterrorkriege im Irak, in Afghanistan und Pakistan und die ohnehin prekäre wirtschaftspolitische Krise Obama zur intensiven Zusammenarbeit mit Russland und China.

Das Gipfeltreffen im Juli 2009 in Moskau, der G-20-Gipfel im September 2009 in Pittsburgh und die Außenministertreffen haben die Schnittmengen der amerikanischen und russischen Interessen wieder vergrößert. Doch die Tücken der Zusammenarbeit mit der antagonistischen autoritären Macht liegen nicht nur im Detail sondern auch in der neuen außenpolitischen Schwäche der USA. Das Machtgefälle zwischen den USA und Russland ist geringer geworden. Deshalb übt sich Obama in Selbstbescheidenheit und suggeriert dem Kreml gegenüber Gleichrangigkeit: "Im Rahmen des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen tragen wir als die beiden führenden Atommächte der Welt Verantwortung." Gleichzeitig sucht er Russland seine Einkreisungsphobien zu nehmen: Weil die Russen die NATO-Friedenssicherung in Afghanistan unterstützen und sich für eine Nichtweiterverbreitung von Nuklearwaffen stark machen, auch den Druck auf Iran mittragen, hat Obama eine weitere Osterweiterung der NATO ausgesetzt. Auch die geschickte Modifizierung der Raketenabwehr in Europa hat Moskau beruhigen können. Die Verhandlungen über ein START-Nachfolgeabkommen stabilisieren ebenfalls die Beziehungen.

Doch trotz der zu erwartenden Einigung über einen neuen Abrüstungsvertrag bis zu Beginn 2010 bleiben die amerikanisch-russischen Beziehungen nicht frei von Friktionen. So ruht die Kooperation beider Länder in Afghanistan auf einem wackeligen Fundament, weil ihre geostrategischen Interessen unterschiedlich sind. Zwar hat der russische Präsident Dmitri Medwedew den USA Überflugrechte eingeräumt, auch ist Moskau kaum an einer Rückkehr der Taliban an die Macht interessiert, aber dem russischen Machtkalkül spielt nicht Erfolg, sondern Schwächung der USA und des Westens in Afghanistan in die Hände. Solange die USA in Afghanistan gebunden und auf Hilfe angewiesen sind, kann Moskau daraus politisch Kapital schlagen. Die Ausweitung des Krieges widerspricht also ganz und gar nicht den langfristigen Interessen Moskaus. Heute ist es nicht Russland, sondern Amerika, das in Afghanistan materiell, finanziell und militärisch auszubluten droht - und Russland könnte gut damit leben.

Auch die Gemeinsamkeit mit Blick auf Iran ist nur vordergründig. Während die USA eine Atommacht Iran als globales Problem ersten Ranges betrachten und gefährliche Dominoeffekte in der Nahostregion befürchten, hält Russland eine solche Entwicklung für weit weniger brisant. Die geostrategischen Sorgen der USA konzentrieren sich auf Iran, Afghanistan/Pakistan ("AfPak"), den Nahostkonflikt und Nordkorea. Dagegen fürchtet Russland vor allem in Zentralasien, in der Kaukasusregion und der Ukraine geostrategische Rivalitäten mit den USA.

Auch die neue energiepolitische Stärke Russlands und die neue ungewohnte Abhängigkeit der Verbündeten Amerikas beunruhigt Washington. Russische Pläne für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa stoßen ebenfalls auf Widerstand. Amerikaner wie Europäer befürchten eine Aushöhlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des NATO-Russland-Rates. Moskau möchte aus den etablierten Strukturen ausbrechen und wünscht mehr Handlungsspielraum und letztlich Anerkennung einer eigenen russischen Einflusszone im post-sowjetischen Raum. Präsident Obama reflektiert diese Ambivalenzen mittels einer differenzierten Einstellung gegenüber der russischen Führung: Mit Präsident Medwedew könne Amerika ein sehr gutes Verhältnis entwickeln, während der russische Ministerpräsident Wladimir Putin hingegen noch im alten Denken verharre, erklärte er im Juli 2009 freimütig in Moskau.

Doch ist der konziliante Ton gegenüber Russland nicht frei von Gefahren. Vor allem Republikaner und Neokonservative wittern ständig Schwäche und Nachgiebigkeit bei Obamas Politik gegenüber Russland. Unter innenpolitischen Gesichtspunkten unterscheidet sie sich daher deutlich von der gegenüber anderen Staaten. In Prag hat Obama im April 2009 die Vision einer atomwaffenfreien Welt entworfen, im Juni in Kairo die Neuorientierung der amerikanischen Politik gegenüber der islamischen Welt skizziert, in Accra einen Monat darauf sein Engagement für Afrika unter Beweis gestellt, und seine Landsleute haben ihm zum Teil mit Begeisterung zugestimmt. Aber gegenüber den konkurrierenden Weltmächten wie zum Beispiel Russland erwarten die Amerikaner, dass er sie in Schach halten kann. Auch die jungen Demokratien in Mittel- und Osteuropa verfolgen misstrauisch, wie etwa bei den Plänen zur Raketenabwehr, ob die Regierung Obama nach wie vor Schutz vor russischem Druck und Erpressungsversuchen garantiert. Eine befriedigende Ordnung der Beziehungen in der traditionellen russischen Einflusssphäre, die russische Sicherheitsinteressen ebenso berücksichtigt wie sie die Souveränität der Staaten in dieser Region sicherstellt, bleibt unabdingbar für alle Staaten, die im Schlagschatten des alten Sowjetimperiums nach Sicherheit und Wohlfahrt streben.

Geostrategische Rivalitäten prägen die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Ressentiments und Misstrauen bleiben - trotz der Charmeoffensive und der substantiellen Gesprächsangebote der Regierung Obama. Nach wie vor fehlt Russland ein ausgeprägtes regionales und globales Verantwortungsbewusstsein. Vielmehr irrt es ohne verlässliche Partner in der Weltpolitik umher und bleibt von der Angst getrieben, die USA würden die Welt dominieren. Deshalb tritt Russland für eine multipolare Weltordnung ein und hat ein ausgesuchtes Interesse an der Schwächung der USA. Weil Obama diese Phobien durch Zusammenarbeit konterkariert, ist er den nationalistischen Kräften in Russland suspekt. Seine ausgestreckte Hand bleibt aber ungenutzt, solange Medwedew sich nicht von seinem antiwestlichen Ziehvater Putin emanzipiert. Bis dahin bleibt Russland für die USA eine unberechenbare und eine unfertige Macht - drei Viertel Gegner und ein Viertel Partner. Man muss viel Optimismus aufbringen für eine Perspektive, in der sich im Zuge von Obamas Initiativen ein neues Russland vom alten löst und in die Rolle einer modernen und postindustriellen Großmacht hineinwächst.

Trotzdem bleibt eine Politik der Einbindung, welche die Kräfte der Vergangenheit schwächt und die liberalen Gruppierungen stärkt, als russlandpolitische Devise richtungsweisend. Selektive Kooperation vor allem in der Nichtweiterverbreitungspolitik und bei der Bekämpfung des Terrors bilden den Schwerpunkt dieser komplexen strategischen Beziehung, die von Misstrauen und Großmachtrivalitäten geprägt bleibt, auch wenn die Regierung Obama diese zu überwinden sucht.

Politik gegenüber China

Nach Jahrzehnten der Konfrontation mit China wurden im Zuge von Präsident Richard Nixons Politik der Öffnung die Beziehungen kooperativ ausgerichtet. Alle US-Präsidenten, auch George W. Bush, haben mehr oder weniger erfolgreich diese Politik der Einbindung fortgesetzt. Auch die Strategie von Obama gleicht einer entsprechenden Einladung an die chinesische Supermacht, im Konzert der Weltmächte eine verantwortungsvolle Rolle mitzuspielen. Analog zu seiner Politik gegenüber Moskau ist Obama auch gegenüber Peking darum bemüht, die hegemoniale Rivalität zu dämpfen. Im Unterschied zur strategischen Kooperation mit Moskau dominiert zwischen den beiden Riesen USA und China wirtschaftliche Integration. Während der Rivale Russland strukturell schwächelt, ist China machtpolitisch aufgeblüht und dadurch zum neuen weltpolitischen Fixpunkt der Regierung Obama geworden.

Nicht nach Europa, wie unter den Vorgängern bislang üblich, sondern nach Asien und China führte deshalb die erste Auslandsreise von Außenministerin Hillary Clinton. Doch das alte Machtgefälle zwischen Washington und Peking hat sich umgekehrt. Während die USA im Zuge der fatalen Außenpolitik von Bush ihre Kräfte überdehnt haben, sind China wirtschaftlich Flügel gewachsen. Nicht mehr die selbstbewusste Forderung nach Einhaltung der Menschenrechte, sondern neue wirtschaftliche Schwäche und finanzpolitische Abhängigkeit von China kennzeichnen die Rolle der USA in Asien. Trotzdem bleibt Obama optimistisch: Er möchte als "erster pazifischer Präsident" der USA die strategische Vernachlässigung Asiens beenden. In Tokio bekräftigte er im November 2009 sogar selbstbewusst den amerikanischen Führungsanspruch: "Seit ich mein Amt angetreten habe, arbeite ich dafür, die amerikanische Führung zu erneuern und eine neue Ära der Verantwortung in der Welt basierend auf gemeinsamen Interessen und gegenseitigen Respekt zu bilden."

Doch die neue machtpolitische Schwäche zwingt Obama zu Bescheidenheit. China lässt sich von den USA nichts mehr vorschreiben, weder bei Menschenrechten, noch in Tibet, noch beim Umwelt- bzw. Klimaschutz und schon gar nicht, wenn es um eigene außen- und sicherheitspolitische Interessen geht. Vor diesem konfliktgeladenen Hintergrund erscheint die wirtschaftspolitische Verknüpfung der beiden Volkswirtschaften sogar als Garant, dass die Großmachtkonkurrenz nicht politisch oder gar militärstrategisch ausufert.

Das Schachtelwort "Chimerika" des britischen Historiker Niall Ferguson umschreibt treffend diese nicht unproblematische Symbiose von wirtschaftspolitischer Verflechtung: China exportiert in großem Umfang in die USA, erwirbt dort Staatsanleihen und stellt entsprechende Liquidität zur Verfügung, während die USA billig aus China importieren. Bislang hat dieses Zusammengehen jedoch wenig Gutes bewirkt. "Chimerika" schuf sogar den Nährboden der Finanzkrise: Die Amerikaner verschuldeten sich bis über die Schmerzgrenze hinaus, China verdiente kräftig daran durch seine Exporte und investierte die verdienten Dollar wieder in US-Staatsanleihen. China leistete also der massiven Verschuldung der USA Vorschub: Ohne diesen fatalen Kapitalimport aus China wäre die Kreditblase auf dem amerikanischen Immobilienmarkt nicht entstanden.

China hat den Großteil seiner Währungsreserven - umgerechnet 2,273 Billionen US-Dollar - in Dollar angelegt. Solange die Zinsen in den USA und der Dollarkurs niedrig bleiben, erleidet Peking finanzielle Einbußen, kann sich aber auch nicht von den Reserven trennen, sofern es nicht hohe Verluste hinnehmen will. Beide Supermächte bleiben also wirtschaftlich aneinandergekettet. Im Zuge der Finanz- und Weltwirtschaftskrise ist Amerika zum größten Schuldner und China zum größten Kreditgeber der Welt geworden. Amerikas Fundament jahrzehntelanger Weltgeltung ist zerronnen, jetzt ist China finanzpolitisch an seine Stelle getreten. Diese eklatante Umkehrung der Beziehungen hat eine Machtasymmetrie entstehen lassen, die nicht nur Washington, sondern die gesamte Weltwirtschaftsordnung verändern könnte. Es beruhigt vorerst, dass die wechselseitigen Abhängigkeiten den machtpolitischen Zweikampf disziplinieren.

Doch reicht dieses ökonomische Zweckbündnis auch für politische Gemeinsamkeit aus? Obama hat, ähnlich wie gegenüber Moskau, bei seinem Besuch in Peking im November 2009 das Interesse an einem starken China artikuliert, das in der Weltpolitik mehr Verantwortung übernimmt und gemeinsam mit den USA die drängenden Probleme und Krisen löst. Doch die diplomatische Rhetorik von umfassender Partnerschaft wird konterkariert durch Pekings geschmeidige Außenpolitik, nicht selten auf Kosten der USA und der anderen westlichen Industrienationen: China bemüht sich weltweit immer rücksichtsloser um Erdöl, Gas und Edelmetalle, schützt aus Eigeninteresse die atomaren Ambitionen von Staaten wie Iran und Nordkorea und missachtet Menschenrechte im eigenen Land und in der internationalen Politik. Noch subtiler und effektiver als Russland widersetzt sich China Obamas Bemühungen, Amerika wieder zu stärken. In Afghanistan, Pakistan, beim Iran- oder Nordkoreakonflikt, beim Klimaschutz oder anderen Schlüsselfragen sucht die Volksrepublik den eigenen Vorteil auf Kosten der USA. Je schwächer die USA werden, um so stärker wird China, das ist das realistische Machtkalkül in Peking, das die Kooperationsangebote überschattet.

Aber auf Grund der eigenen finanz- und wirtschaftspolitischen Schwäche und Abhängigkeit hat die Regierung Obama derzeit keine andere Wahl, als sich mit China selbst unter ungünstigen Bedingungen zu arrangieren. Deshalb wirken Obamas Bemühungen, China wirtschaftlich und politisch stärker in die Weltpolitik einzubinden, hilflos. Zum Glück wird im Zeitalter von Globalisierung Machtrivalität vorerst diskret ausgetragen, auf Wirtschaftskonferenzen, Klimagipfeln und auf Ölfeldern. Aber auch beim Wettbewerb der Ideen und Werte müssen die USA zurückstecken. In den Augen vieler Asiaten vertritt China jetzt Konzepte, die jahrzehntelang die Attraktivität der USA ausgemacht haben: Dank ökonomischer Stärke haben die USA lange Zeit ihre Welthegemonie ausgeübt. Jetzt ist es der chinesische Staatskapitalismus, der über die liberale amerikanische Version zu triumphieren scheint. China hat nicht nur dem Sturm der Finanzkrise besser standgehalten, sondern setzt auch den amerikanischen Verursacher auf die Anklagebank. Kommt da nicht Ratlosigkeit zum Vorschein, wenn Obama in Peking erklärt, dass China sich entscheiden müsse, ob es das bekannte Regelwerk der internationalen Politik akzeptieren oder Schritt für Schritt ein Gegenmodell zum liberalen Weltordnungsmodell verwirklichen wolle?

Die USA und China stehen sich derzeit gegenüber wie zwei sich umklammernde Ringer, aber die USA berühren schon mit einem Knie den Boden. In Wirtschafts- und Währungsfragen sind sie auf Chinas Wohlwollen angewiesen. Beim Klimaschutz diktiert Peking das Tempo und desavouiert die hehren Ziele Obamas, dessen Idealismus angesichts realpolitischer Härte in Peking und Moskau zunehmend zerbröselt. Heute verbittet sich Pekings Führung Belehrungen über Menschenrechte von einem amerikanischen Präsidenten. Hier war das Protokoll von Obamas Besuch in Peking aufschlussreich. Der chinesische Präsident Hu Jintao präsentierte sich selbstbewusst, während Obama sich dem diktatorischen Zeremoniell unterwarf. Im Abschlusskommuniqué setzten allein die Chinesen ihre Interessen durch. War die inszenierte Pressekonferenz, bei der keinerlei Fragen zugelassen waren, eines amerikanischen Präsidenten würdig, oder kam sie einer Machtdemonstration der chinesischen Führung gleich, die subtiler nicht hätte sein können?

Vom Stil kann auf Substanz geschlossen werden. In den bilateralen Beziehungen und mit Blick auf Rang und Rolle in der Weltpolitik erscheinen derzeit die USA in Peking mehr als Bittsteller denn als partnerschaftlicher Konkurrent. China wird seine Interessen mit sublimem Verständnis für Macht regional und global weiter ausbauen. Asien wird deshalb über kurz oder lang vor keinem neuen "Chimerika" stehen, sondern vor der Alternative, ob die bisherige Ordnung durch die pazifische Macht USA wirkungsvoll geschützt werden kann, oder ob sich Amerikas Schwäche fortsetzt und deshalb China zur dominierenden pazifischen Macht aufsteigen wird. Eine Sicherheits- und Wertepartnerschaft mit den USA oder eine Wirtschaftspartnerschaft mit den Chinesen - das ist die langfristige Alternative für die Asiaten.

Japan, Südkorea, Indonesien und Indien werden vermutlich so lange wie möglich auf die USA setzen, doch schon jetzt ist erkennbar, dass China zum attraktivsten Markt- und Produktionsstandort aufsteigt. Wenn Peking dann noch den Druck erhöht, könnte Amerikas Einfluss weiter schwinden. Schon der Asien-Pazifik-Gipfel im November 2009 hatte gezeigt, dass das amerikanische Wachstumsmodell keinerlei Attraktivität mehr besitzt, sondern als gescheitert angesehen wird. Kein Wunder, dass Obama die neue Bescheidenheit in Asien nicht aus freier Wahl, sondern aus zwingender Notwendigkeit an den Tag legt. Der Schlüssel für die Zukunft in Asien liegt in der Frage, welche der beiden Mächte auf mehr partnerschaftliche Unterstützung zählen kann. Solange Peking eigene Großmachtinteressen forciert, anstatt mehr Kooperation und mehr Bereitschaft zu regionaler und internationaler Verantwortung zu zeigen, müssen freiheitsbewusste Nationen auf der Hut vor der autoritären Volksrepublik sein. Nur Furcht oder Schwäche könnte die meisten der asiatischen Staaten an die Seite Chinas zwingen. Für die USA hingegen spricht, dass sie übereinstimmende Interessen, gemeinsame politische Werte, den Glauben an eine liberale Wirtschaftsordnung und eine freiheitlich-optimistische Auffassung vom Leben der Völker in die Waagschale werfen können.

Die bewährten Stärken der USA halten in Asien das Misstrauen gegenüber dem wachsenden Einfluss Chinas wach. Auch deshalb war Obamas Bekräftigung des amerikanischen Führungsanspruchs in Tokio wichtig, denn die Stärkung der Allianz mit Japan hat eine nicht zu unterschätzende Signalwirkung. Der weltpolitische Konkurrenzkampf zwischen freiheitlichen Demokratien und autoritären Regimes kann nur mit verlässlichen Partnern erfolgreich bewältigt werden. Deshalb spielen die USA in Asien nach wie vor nicht nur als politische, sondern auch als militärische Ordnungsmacht und als wirtschaftliches Gegengewicht zu Peking eine Rolle. Dass viele Staaten bessere Beziehungen zu China entwickeln möchten, steht hierzu nicht im Widerspruch.

Unter George W. Bush hatten sich die USA auch in Asien ganz auf den Kampf gegen den Terror konzentriert. Obama trägt mit seiner Entscheidung zur massiven Truppenverstärkung in Afghanistan diese schwere Bürde weiter, ja er hat den Erfolg seiner Präsidentschaft vom Ausgang dieses Krieges abhängig gemacht. Der Ausgang dieses Krieges wird auch für Amerikas Rolle in Asien von entscheidender Bedeutung sein. Peking wünscht kein erfolgreiches Amerika in seiner Einflusssphäre. Schon im Vietnamkrieg mussten die Präsidenten Johnson und Nixon erkennen, dass ihre Hilfegesuche von Peking subtil vereitelt wurden. Heute wartet China in Afghanistan und Pakistan ebenso klug ab.

China ist zudem der Auffassung, dass die Amerikaner durch den Antiterrorkrieg, wenn auch zum Teil indirekt, separatistische und islamische Kräfte wie die Uiguren in ihrem Protest gegen die chinesische Zentralgewalt bestärkt haben. Weil die Russen ebenfalls nicht zimperlich mit muslimischen Ethnien umgehen, suchen beide Mächte im Rahmen der Shanghai-Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) durch Koordination ihrer beider Vorstellungen für den Großraum Afghanistan-Pakistan nach gemeinsamen antiamerikanischen Strategien. Diese laufen auf Schwächung der westlichen bzw. amerikanischen Rolle hinaus. Vor diesem Hintergrund spricht wenig dafür, dass China sich stärker in das asiatische oder auch internationale System wird einbinden lassen.

Die Asienpolitik der Regierung Obama erscheint trotz aller Zweifel mit Blick auf Peking ohne Alternative, solange die USA schwächeln. Doch auch hier gilt die Maxime von Obamas Strategie: Bescheidenheit und Zurückhaltung sind grundsätzlich, aber auch der Situation der derzeitigen Überdehnung der Kräfte geschuldet. Erst wenn die USA wieder erstarkt sind, sie ihre Kriege beendet und die Wirtschaftskrise überwunden haben, werden sie wieder eine Führungsrolle spielen können. Bis dahin muss Präsident Obama auch in Asien eine riskante Zwischenzeit amerikanischer Machteinbußen bewältigen.

Zusammenfassung

Obamas Politik der antagonistischen Kooperation mit den beiden Weltmächten Russland und China ist im Prinzip wegweisend, bedarf aber einer stärkeren Berücksichtigung eigener Interessen und kluger Rückversicherung. Die autoritären Weltmächte hoffen vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise und der anhaltenden strategischen Überdehnung der USA in "AfPak" auf eine weitere weltpolitische Sogwirkung zu ihren Gunsten.

Auch das zurückhaltende Engagement der europäischen Verbündeten vor Ort erschwert die strategische Lage, weil Obamas dringlicher Appell zu mehr Mitverantwortung selektiv, ja schizophren in Europa wahrgenommen wird: Wenn sich der amerikanische Präsident um Lösungen bei den neuen globalen Fragen wie Klima, Armut und Nichweiterverbreitung von Nuklearwaffen bemüht, wird er in Europa bejubelt. Fordert er aber mehr strategische Initiativen und mehr militärisches Engagement, reagieren die Verbündeten ausweichend, halbherzig und nicht selten belehrend. Die ohnehin begrenzte Wirkung von Amerikas hard power wird weiter eingeschränkt, weil die Gegner die umfassende Schwäche des freien Westens erkennen, die hinter dem Schlagwort soft power lauert. Sanfte Machtanwendung spielt Mächten und Gesellschaften in die Hände, die sich selbst nicht sanft benehmen.

Amerikas Fähigkeit zu druckvoller Diplomatie hat seit Obamas Regierungsantritt auch wegen der zögerlichen Hilfsbereitschaft der Verbündeten weiter abgenommen. Zwar haben sich die Machtrelationen gegenüber Russland kaum verändert, aber gegenüber China haben sie sich verschlechtert. Allerdings verfügt Russland nach wie vor über erhebliche Vetomacht, während Chinas aktiver Einfluss weiter zunimmt. Ein kooperatives Engagement mit beiden autoritären Mächten wird für Washington also immer komplizierter. Man wird den Eindruck nicht los, dass Obamas Außenpolitik zunehmend einem perpetuum mobile ähnelt, das nur sich selbst bewegt. Das wäre bedauerlich, denn Obama zeigt außergewöhnliche Führungsqualitäten. Doch fehlen ihm zunehmend Mittel und Gefolgschaft, vor allem "seinen" Krieg in Afghanistan zu gewinnen.

Erfolglosigkeit könnte fatal werden, denn Amerikaner neigen dann zu Isolationismus, wie die erste Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gezeigt hat. Falls Obama im Krieg gegen den Terror in Asien scheitern sollte, droht ihm das gleiche Schicksal wie Präsident Woodrow Wilson. Wie nach dessen erfolglosen Bemühungen um eine gerechte Nachkriegsordnung, könnten die USA in Isolationismus zurückfallen, falls Obama mit seinem ambitionierten außenpolitischen Projekt Schiffbruch erleiden sollte. Schon heute erscheinen die Amerikaner nach bald einem Jahrzehnt Krieg gegen den Terror müde, arm und desillusioniert, von ihren Freunden verlassen und ihren Rivalen ausgespielt. Weil auch deshalb die Sorgen zu Hause zunehmen, sinkt das Interesse am weltpolitischen Engagement zusehends, was Obamas Bemühungen unterminiert, die USA wieder als strahlende Weltordnungsmacht zu etablieren.

Russland und China sind in einer beneidenswerten Position. Sie brauchen kaum selbst zu handeln, sondern müssen nur geschickt abwarten und die eigenen Kräfte stärken, während die USA sich in Krieg und Krise weiter verzehren. Barack Obamas außenpolitisches Schicksal wird sich vermutlich in Afghanistan und China entscheiden.

So könnte am Ende aus dem Scheitern der USA in Asien doch noch ungewollt ein Konzert dreier Weltmächte entstehen, in dem die USA - nicht aus freiem Willen, sondern den Notwendigkeiten geschuldet - eine weitaus bescheidenere Rolle spielen werden. Dieses Jahrhundert wird nicht zwangsläufig ein postamerikanisches werden, aber voraussichtlich eines, in dem die USA mehr zur Ruhe kommen und sich stärker auf sich selbst besinnen. Weitere Mächte wie zum Beispiel Indien und Brasilien werden hinzustoßen und das Konzert erweitern. Welche Wirkungen die Entwicklungen auch auf die Gemeinschaftsinstitutionen wie die UNO haben werden, welche Konsequenzen sich für die Welt ergeben, die sich an die regelnde Hand der Ordnungsmacht USA gewöhnt hat, ist derzeit nicht abzusehen. Es könnte sein, dass man nicht nur in Europa den Zeitpunkt zurücksehnt, an dem der unipolare Moment wirklich schien.

Erst die kommenden Ereignisse werden über Obamas außenpolitischen Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Gefragt, was einen Staatsmann am meinsten herausfordere, antwortete der britische Premierminister Harold Macmillan einst lakonisch: "Events, my dear boy, events."

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Reinhard C. Meier-Walser (Hrsg.), Die Außenpolitik der USA. Präsident Obamas neuer Kurs und die Zukunft der transatlantischen Beziehungen, München 2009.

  2. Vgl. Werner Link, Amerikanische Außenpolitik im Konzert der Mächte statt hegemonial-imperialer Politik, in: ebd., S. 59ff.

  3. Diese Anregung verdanke ich Peter Rudolf. Aus seiner Feder stammt auch die erste Bestandsaufnahme nach einem Jahr von Obamas Außenpolitik: Peter Rudolf, Das "neue" Amerika. Außenpolitik unter Barack Obama, Berlin 2010.

  4. START = Strategic Arms Reduction Treaty; das 1991 unterzeichnete Abrüstungsabkommen galt bis zum 5. Dezember 2009.

  5. Vgl. Moskau verliert gegen Korfu, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 3. 12. 2009.

  6. Vgl. Kai-Olaf Lang, Das Ende des neuen Europa. Ostmitteleuropäische Ungewissheiten nach dem Aus für die Raketenabwehr (SWP-Aktuell 55), Berlin 2009.

  7. Vgl. P. Rudolf (Anm. 3), S. 63.

  8. Vgl. Lothar Rühl, Die Rolle Russlands als Faktor des transatlantischen Beziehungsgefüges in: R. C. Meier-Walser (Anm. 1), S. 211.

  9. Vgl. Christian Hacke, Die Ära Nixon-Kissinger 1969-1974. Konservative Reform der Weltpolitik, Stuttgart 1984, S. 44-78.

  10. Vgl. Niall Ferguson, What "Chimerica" Hath Wrought, in: The American Interest, (2009) 3, S. 38f.

  11. Vgl. Heribert Dieter, Chinas Investitionen im Rohstoffsektor - Segen oder Fluch für Afrika? (SWP Diskussionspapier), Berlin 2008; Harry Broadman, China and India go to Africa, in: Foreign Affairs, (2008) 2, S. 95-109.

  12. Vgl. Siehe Gottfried-Karl Kindermann, Konstellationsanalyse der amerikanischen Außenpolitik im ostasiatisch-pazifischen Raum in: R. C. Meier-Walser (Anm. 1), S. 231ff.

  13. Vgl. Robert B. Goldmann, Der Welt überdrüssig, in: FAZ vom 3. 12. 2009, S. 12.

  14. Vgl. William W. Grimes, Currency and Contest in East Asia. The Great Power Politics of Financial Regionalism, Ithaca, NY 2008.

  15. Vgl. Christian Hacke, Zur Weltmacht verdammt. Die amerikanische Außenpolitik von J. F. Kennedy bis G. W. Bush, Berlin 2005, S. 675ff.

  16. Vgl. Behrooz Abdolvand/Heinrich Schulz, Afghanistan. Die Bedeutung des Landes am Hindukusch für die Weltpolitik, in: www.eurasischesmagazin.de, 12/2009 (4. 12. 2009).

  17. Vgl. Matthias Rüb, Das Wort "Sieg" ist nicht gefallen, in: FAZ vom 3. 12. 2009, S. 3.

  18. Vgl. Klaus-Dieter Frankenberger, Obamas Entscheidung, in: FAZ vom 2. 12. 2009, S. 1.

  19. Vgl David Calleo, Follies of Power. America's Unipolar Fantasy, New York 2009.

Prof. em. Dr. phil., geb. 1943; Seminar für Politische Wissenschaft der Universität Bonn, Lennéstraße 25, 53113 Bonn.
E-Mail: E-Mail Link: christian.hacke@online.de