Einleitung
Das Grundproblem der Präsidentschaft Barack Obamas besteht darin, dass er zu viele politische Großprojekte gleichzeitig anschieben will - mit dem Ergebnis, dass ihm für jedes einzelne die Kraft, Konzentration und Konsistenz fehlen, die es zu einem erfolgreichen Abschluss braucht. Allein in der Außenpolitik reicht die Liste der "Prioritäten" vom Krieg in Afghanistan über die Neugestaltung des amerikanisch-russischen Verhältnisses bis zum Streit um das iranische Atomprogramm. Hinzu tritt die ambitionierte innenpolitische Agenda.
Schon heute verfestigt sich daher das Narrativ vom begnadeten Redner und Versöhner, der das größte politische Talent seiner Generation war, aber zu früh in höchste Verantwortung geriet und es trotz großem Initiativreichtum nicht vermochte, konkrete Ergebnisse und nachhaltige Vorteile für sein Volk zu erzielen. Allerdings ist ihm zugutezuhalten, dass er tief verwurzelte Probleme zeitig in Angriff genommen hat; ob er sie langfristig lösen kann, bleibt noch abzuwarten.
Grundlagen der Nahost-Politik Obamas
Für die USA ist der Nahe Osten traditionell von herausgehobener strategischer Bedeutung.
Der zweite Faktor, Israel, beruht auf der historischen Rolle, welche die USA als Schutzmacht der Juden gespielt haben - als Heimstätte für Flüchtlinge aus Europa, Führungsmacht der Anti-Hitler-Koalition, treibende Kraft bei der Unterstützung Israels im Kalten Krieg. Weiterhin ist Israel nach wie vor die einzige Demokratie im Nahen Osten und weiß allein deswegen schon die Sympathie der Mehrheit der Amerikaner auf seiner Seite. Hinzu tritt der außergewöhnliche Einfluss der hervorragend organisierten proisraelischen Lobby auf den amerikanischen Kongress, der aber erst vor dem Hintergrund der ohnehin bestehenden historisch-politisch-kulturellen Nähe beider Staaten möglich und verständlich wird.
Der dritte Faktor, "globale Stabilität", ist im Zuge des 11. Septembers 2001 in die erste Reihe der amerikanischen Motivationen gerückt. Für Präsident George W. Bush bestimmte er sogar den Blickwinkel, aus dem die Region wahrgenommen wurde. Die Kombination aus autokratischen Regimen, internationalem Terrorismus und Massenvernichtungswaffen wurde als die größte potenzielle Bedrohung der globalen Stabilität im 21. Jahrhundert gesehen. Auch heute noch besorgt diese Mischung westliche Sicherheitspolitiker in großem Maße. Sie ist nirgendwo so virulent wie im Nahen Osten, wie sich gerade um den Jahreswechsel wieder zeigte: Der tyrannische Charakter des iranischen Regimes ist angesichts der Protestbewegung besonders offenkundig, aber auch Ägypten, Syrien oder Saudi-Arabien sind kaum freiheitlicher. Der internationale Terrorismus wird von autoritären Machthabern mehr oder weniger offen gefördert, und es ist kein Zufall, dass der verhinderte Flugzeug-Attentäter vom ersten Weihnachtsfeiertag 2009 im Jemen ausgebildet wurde. Zugleich balanciert diese hochexplosive Region am Rande einer Rüstungsspirale mit Massenvernichtungswaffen - die Konsequenzen des iranischen Nuklearprogramms sind unabsehbar, und Syrien ist vermutlich erst 2007 durch einen israelischen Präventivschlag auf seinem eigenen Pfad zur Bombe zurückgeworfen worden. Unter den Bedingungen der Globalisierung sind diese Entwicklungen kein Regionalproblem mehr, sondern betreffen den gesamten Erdball. Daher sind die USA, die auch unter Obama Weltordnungsmacht sein wollen - um nicht zu sagen: müssen -, besonders gefordert.
Welche Maßnahmen Obama ergreifen würde, um diese drei genannten grundlegenden Ziele in Nahost umzusetzen, blieb im Wahlkampf unklar. Aus seiner politischen Vita ließ sich wenig ableiten, weil Obama zu wenig Erfahrung auf der internationalen Bühne hatte. Allerdings leisteten einige konfuse Bemerkungen zum Status Jerusalems und seine Assoziation mit antisemitischen Aktivisten wie Reverend Jeremiah Wright Bedenken Vorschub, Obama könnte eine härtere Gangart gegenüber Israel einschlagen, als seine beiden Vorgänger dies getan hatten.
Woran es bis heute allerdings sowohl im Hinblick auf den Nahen Osten als auch auf die Rolle der USA in der internationalen Politik insgesamt noch fehlt, ist eine Konzeption der außenpolitischen Vorstellungen Obamas. Bislang hat seine Regierung noch keine National Security Strategy vorgelegt, und auch in vielen einzelnen Bereichen (Nuklearstrategie, Verteidigungspolitik) mangelt es an richtungweisenden Dokumenten. Daher lässt sich Obamas Nahost-Politik nur aus den Reden und dem zuweilen widersprüchlichen Handeln seiner Regierung ableiten. Das in seiner Amtseinführungsrede angekündigte außenpolitische Leitmotiv seiner Präsidentschaft, die ausgestreckte Hand, gibt dabei auch seiner Nahost-Politik das Maß vor. Am deutlichsten wurde dies in seiner Grundsatzrede in Kairo am 4. Juni 2009, in der er einen "Neubeginn" im Verhältnis zwischen den USA und den Muslimen in aller Welt ausrief. Obama sprach ausführlich von seiner persönlichen Erfahrung mit dem Islam (er verbrachte einen Teil seiner Kindheit in Indonesien), von der muslimischen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten und der Kompatibilität liberal-amerikanischer Werte mit denen des Islam. Er betonte, dass Amerika und der Westen mit der muslimischen Welt gemeinsam gegen diejenigen kämpfen wollen, die den Islam missbrauchen, um verächtliche politische Ziele zu erreichen. Obamas Appell zur Zusammenarbeit und Völkerverständigung erstreckte sich nicht nur auf den Kampf gegen den Extremismus, sondern bezog sich auch auf wirtschaftliche Entwicklung, die Förderung der Demokratie und die Eindämmung der Verbreitung von Atomwaffen. Im Gegenzug offerierte er respektvolle Freundlichkeiten gegenüber der muslimischen Welt, deren kulturhistorische Leistungen er pries, und schärfere Töne gegenüber der israelischen Siedlungspolitik.
Israelisch-palästinensischer Konflikt
Als Obama zum Präsidenten vereidigt wurde, waren die Hoffnungen auf rasche Fortschritte im sogenannten Friedensprozess gering: Israel hatte erst an diesem Tag seine umstrittene Intervention in Gaza beendet und zwischen Israelis und Palästinensern bestanden keine zielführenden Verhandlungen. Ohnehin mangelte es beiden Seiten an starker Führung für solche Verhandlungen - Präsident Mahmud Abbas konnte kaum noch beanspruchen, für die Mehrheit der Palästinenser zu sprechen, und der israelische Ministerpräsident Olmert sah seiner Abberufung Ende Februar entgegen. Sein Nachfolger, Benjamin Netanjahu, verfolgte eine harte Linie gegenüber den Palästinensern und saß zudem einer instabilen Koalition vor. Auch von amerikanischer Seite waren aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise zunächst keine neuen Impulse zu erwarten, wie Thomas Friedman in der New York Times erklärte: "Obama has three immediate priorities: banks, banks, banks - and none of them are the West Bank."
Nichtsdestotrotz engagierte sich Obama schon früh im Nahost-Konflikt: Mitchell war einer der ersten ernannten Sondergesandten und absolvierte seine erste Dienstreise nach Israel noch vor der Wahl Netanjahus. Er war im Jahr 2001 mit einem Report hervorgetreten, der eine wesentliche Grundlage der Road Map werden sollte. Dementsprechend wurde dieser "Wegweiser" des Nahost-Quartetts (USA, Russland, EU, UN) auch unter Obama zum Leitfaden des Friedensprozesses. Dem stimmten sowohl die Palästinenser als auch der israelische Premier bei seinem Besuch in Washington im Juni 2009 prinzipiell zu. Obama drängte darauf, die Verhandlungen wieder in Gang zu setzen. Er war der Ansicht, dass es nicht genügt, wenn sich der amerikanische Präsident erst im letzten Jahr seiner Amtszeit mit ganzer Kraft für den Friedensprozess einsetzt, wie es Clinton in Camp David und Bush in Annapolis getan hatten. Insbesondere bemühte sich Obama, das Vertrauen der Palästinenser zu gewinnen und die USA als einen "ehrlichen Makler" darzustellen. Dazu übernahm er nicht nur George W. Bushs Bekenntnis zu einer Zwei-Staaten-Lösung, sondern forderte den völligen Stopp des israelischen Siedlungsbaus sowohl im Westjordanland als auch in Ost-Jerusalem. Dies bedeutete eine Neujustierung der amerikanischen Politik, die bislang zumindest das "natürliche Wachstum", den Ausbau bestehender Siedlungen aufgrund der Geburtenentwicklung, stillschweigend geduldet hatte.
Diese Fokussierung auf die israelische Siedlungspolitik sollte sich für Obama als Fehlkalkulation erweisen. Denn Netanjahu erklärte sich nicht bereit, die Siedlungsaktivitäten einzustellen. Er verwies darauf, dass die Rücknahme israelischer Siedlungen in Gaza keine Friedensdividende, sondern weitere palästinensische Gewalt gebracht habe. Zudem konnte er sich rühmen, einen großen Schritt auf die Palästinenser zugegangen zu sein, als er in Reaktion auf Obamas Rede in Kairo erstmals einer Zwei-Staaten-Lösung zugestimmt hatte (wenn auch unter erheblichen Auflagen, wie der Demilitarisierung des entstehenden palästinensischen Staates). Für ihn sollte die Siedlungsfrage Gegenstand israelisch-palästinensischer Verhandlungen sein - gemäß des etablierten Prinzips "Land für Frieden". Abbas hingegen, ermutigt von den starken Worten Obamas und unter Druck der populären Hamas, machte den israelischen Siedlungsstopp nunmehr zur Vorbedingung für seine Rückkehr an den Verhandlungstisch.
Konfrontiert mit der harten Haltung Netanjahus, knickte die Regierung Obama ein: Außenministerin Clinton stellte klar, dass der Siedlungsstopp keine Vorbedingung für Verhandlungen sein dürfe, sondern Teil einer Gesamtlösung für den Konflikt sein müsse. Daraufhin erklärte Netanjahu im November ein zehnmonatiges Moratorium zum Siedlungsbau, das sich allerdings nicht auf ungefähr 3000 bereits genehmigte Siedlungsbauten erstreckte. So gelang es ihm auf politisch elegante Weise, ohne signifikante Zugeständnisse in dieser für Israel grundlegenden Frage, Entgegenkommen gegenüber Amerikanern und Palästinensern zu signalisieren und zugleich Abbas die Verantwortung für das Ausbleiben von ernsthaften Verhandlungen zuzuschieben.
Dass die Uneindeutigkeit der amerikanischen Politik zu solch einer verfahrenen Situation beigetragen hat, ist besonders bedauerlich, wenn man bedenkt, dass die Regierung Netanjahu - im Gegensatz zu ihren Vorgängern - ohnehin keine neuen Siedlungsaktivitäten genehmigt hatte. Zudem ist Netanjahu auf rechte Koalitionspartner angewiesen, mit denen ein offiziell erklärter, umfassender Siedlungsstopp sowieso nicht zu erreichen gewesen wäre. Die Fokussierung auf die Siedlungspolitik war ein strategischer Fehler, der dazu geführt hat, dass die Palästinenser nun dem Verhandlungsweg den Rücken zukehren und immer stärker mit der einseitigen Ausrufung eines palästinensischen Staates liebäugeln. Solch ein Schritt würde auf erbitterten israelischen Widerstand stoßen und in letzter Konsequenz nicht nur die Road Map, sondern sogar die Vereinbarungen von Oslo unterminieren. Daher resümiert Lars Hänsel in seiner Analyse der Nahost-Politik Obamas ebenso zutreffend wie düster: "Nach zehn Monaten intensiver Bemühungen Obamas im Nahen Osten sind noch keine positiven Ergebnisse der neuen Politik erkennbar. Im Gegenteil: Die gegenwärtige Situation, in der substanzielle Verhandlungen in weite Ferne gerückt sind, führt nicht nur zurück zur Situation vor der Konferenz in Annapolis, sondern hinterfragt selbst die Ergebnisse des Oslo-Prozesses. Damit ist die Situation im Nahen Osten so schwierig wie seit Jahrzehnten nicht mehr."
In Washington mehren sich deshalb die Stimmen, die eine Reduzierung des amerikanischen Engagements im Nahost-Konflikt fordern. Das Argument ist nicht neu: Solange die Kontrahenten in der Region nicht bereit sind für Verhandlungen und Kompromisse, kann auch ein starkes Amerika keinen Frieden erzwingen, zumal die üblichen Ideen - etwa die Aushandlung eines separaten israelisch-syrischen Friedens - derzeit nicht aussichtsreicher sind als in den vergangenen Jahren. Obamas verstolperte erste Initiative hat ihn zudem auf beiden Seiten Vertrauen und Respekt gekostet. Außerdem lässt die Vielfalt der drängenden außen- und innenpolitischen Herausforderungen keine Konzentration auf den Friedensprozess zu. Obama wäre daher gut beraten, sich zunächst mit der Vermeidung weiterer Eskalation zu begnügen, anstatt sich in vergeblichen - oder gar kontraproduktiven - Initiativen zu verausgaben.
Das Ringen um Irans nukleare Option
Auch in der amerikanischen Politik gegenüber dem Iran hat Obama einen Wandel vollzogen, ohne bislang das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Schon in seiner ersten Pressekonferenz als Präsident machte sich Obama die Sprachregelung der Regierung Bush zu eigen, indem er eine nukleare Bewaffnung des Iran "inakzeptabel" nannte.
Die iranische Seite reagierte mit der bekannten Taktik aus Schuldzuweisungen, scheinbarem Entgegenkommen und tatsächlicher Verschleppung der Verhandlungen - und arbeitete weiter an ihrem Nuklearprogramm. Neue Raketen wurden getestet, und nahe der heiligen Stadt Ghom wurde eine weitere Anlage zur Urananreicherung publik. Unter Experten besteht kein Zweifel mehr, dass der Iran nach einer militärischen Nuklearoption strebt und diese vielleicht schon dieses Jahr in Reichweite sein wird.
Die Regierung Obama reagiert darauf mit Ratlosigkeit. Ähnlich wie in der israelischen Siedlungsfrage scheint es keinen feststehenden alternativen Plan zu geben, wenn die erste Initiative scheitert. Dies liegt zum einen an den zahlreichen parallelen Großprojekten, die keine Konzentration auf ein Problem erlauben; zum anderen stellt das iranische Nuklearprogramm eine besonders vertrackte Herausforderung dar. Denn eine Verhandlungslösung wird immer unwahrscheinlicher. Das iranische Regime - und das gilt auch für "Oppositionelle" wie Ahmadinejads betrogenen Gegenspieler Hussein Moussawi - strebt nach einer (Über-)Lebensversicherung sowie nach einer regionalen Vormachtstellung. Beides ist durch nichts so zuverlässig zu erreichen wie durch die Atomwaffe. Es ist unklar, was die Vereinigten Staaten und die internationale Gemeinschaft überhaupt in Verhandlungen anbieten könnten, um die Attraktivität der Bombe aufzuwiegen.
Der andere Weg wäre, den Iran davon zu überzeugen, dass die nukleare Bewaffnung eben nicht attraktiv ist, sondern kostenträchtig. Dem Iran muss verdeutlicht werden, dass der angestrebte Sicherheits- und Prestigegewinn wesentlich kleiner ausfallen würde als erwartet, da andere regionale Akteure (Saudi-Arabien, Ägypten, Türkei) wahrscheinlich mit eigenen Rüstungsprogrammen reagieren würden. Zudem wäre die amerikanische Sicherheitsgarantie, die für einen nichtnuklearen Iran schon jetzt zu greifen ist, dann in weiter Ferne. Das würde auch schärfere internationale Sanktionen gegenüber dem Iran bedeuten - so politisch unwahrscheinlich und unwirksam sie derzeit auch erscheinen mögen, weil sie von verschiedenen Akteuren (China, Russland, aber auch manchen EU-Staaten) unterlaufen werden. Nicht zuletzt bleibt die Drohung eines Militärschlags: Eine mehrjährige Verzögerung des iranischen Nuklearprogramms durch einen präventiven Angriff halten viele Militärstrategen für möglich.
Dieses Dilemma kreist um eine grundsätzliche Frage: Wird das iranische Regime die Atombombe einsetzen oder kann es davon zuverlässig abgeschreckt werden? Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die iranischen Machthaber rationale Akteure und werden das eigene Land nicht der Vernichtung preisgeben, um Israel auszulöschen. Aber davon kann nicht mit absoluter Sicherheit ausgegangen werden - und wie will Obama die Israelis dazu bringen, sich auf diese existenzielle Wette einzulassen anstatt den Präventivschlag zu riskieren? Und selbst wenn Frieden in Abschreckung zwischen Israel und dem Iran möglich ist, hätte die Nuklearisierung des Irans Folgen für das Machtgleichgewicht in der Region. Wie kann dann eine destabilisierende Rüstungsspirale verhindert werden? Und welche Zukunft bliebe dem Atomwaffensperrvertrag und der internationalen Norm der Nichtverbreitung? Die Regierung Obama hat bislang - ebenso wie ihre europäischen Verbündeten - auf keine dieser Fragen praktikable Antworten gegeben. Die Zeit des Status quo läuft unterdessen ab.
Schwäche der Ordnungsmacht
Die frustrierenden Beispiele des Friedensprozesses und des iranischen Nuklearprogramms zeigen, dass der Einfluss Amerikas in Nahost schwindet. Zumindest fällt es den USA noch schwerer als früher, Ergebnisse zu erreichen, die in ihrem Sinne sind. Ein Grund für die Schwäche der Ordnungsmacht sind die gewaltigen Belastungen, die mit dem Irakkrieg einhergingen. Insofern ist es nicht ohne Ironie, dass Obama gerade in der Irak-Politik einen seiner bislang größten Erfolge feiern konnte. Denn aufgrund des Strategiewechsels und der Truppenverstärkung, die Präsident Bush gegen den Widerstand der Demokraten durchgesetzt hatte, sind in den vergangenen beiden Jahren die Verluste amerikanischer Truppen um über 80 Prozent gesunken. Das korrespondiert mit einem Rückgang der Anschläge und zivilen Opfer. Das erlaubte es Obama, in einer seiner ersten Amtshandlungen sein Wahlversprechen einzulösen und den schrittweisen Abzug aus dem Irak einzuleiten. In diesem Jahr soll er abgeschlossen sein, wobei aber rund 50 000 US-Soldaten zum Schutz der demokratischen Verfassung in dem politisch immer noch fragilen Staat bleiben sollen. Zurecht unterstützt Obama auf diese Weise die Entwicklung des Irak zu einer stabilen Demokratie - denn solch ein islamischer Verbündeter wäre für die USA und den Westen insgesamt ein erheblicher strategischer Zugewinn.
Gegenwärtig jedoch ist die strategische Situation ernüchternd. Iran ist als eigentlicher Sieger aus den Kriegen Bushs hervorgegangen: Befreit von den Gegnern im Irak und in Afghanistan ist der Weg zur regionalen Vormacht geebnet. Israelis und Palästinenser haben sich von Obama abgewendet und sind in ihren Positionen verhärtet. Andere regionale Akteure halten sich zurück, solange die USA so unbestimmt auftreten. Insgesamt wirkt die amerikanische Nahost-Politik ideenlos, das Land machtpolitisch geschwächt und der Präsident durch die Vielzahl der internationalen und heimischen Herausforderungen abgelenkt. Zugleich wirkt der Einfluss anderer großer Mächte wie China und Russland auf die Region eher kontraproduktiv. Es ist Zeit für Europa, sich stärker in Nahost zu engagieren.
Ich danke Daniel Schaffer für seine Unterstützung bei der Recherche für diesen Beitrag.