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Mehr Kohärenz in der Entwicklungspolitik durch Geberkoordination? | Entwicklungspolitik | bpb.de

Entwicklungspolitik Editorial Die Millenniumsentwicklungsziele - eine gemischte Bilanz Nord-Süd-Beziehungen: Globale Ungleichheit im Wandel? Entwicklung durch Handel? Zur Kritik des Entwicklungsdiskurses Aufstrebende Mächte als Akteure der Entwicklungspolitik Mehr Kohärenz in der Entwicklungspolitik durch Geberkoordination? Wirkungsevaluierung in der Entwicklungszusammenarbeit

Mehr Kohärenz in der Entwicklungspolitik durch Geberkoordination?

Günther Maihold

/ 16 Minuten zu lesen

Kohärenz darf nicht auf Änderung der Organisationsstrukturen verkürzt werden. Neue Impulse in der konzeptionellen und strategischen Ausrichtung sind notwendig, um die Leistungsfähigkeit der Entwicklungspolitik zu steigern.

Einleitung

Selbst wenn die internationale Debatte über die Sinnhaftigkeit von Entwicklungszusammenarbeit von vielen vordergründigen Übertreibungen und Verzerrungen gekennzeichnet ist, so sollte sie nicht einfach beiseite gewischt werden. Sie enthält ernst zu nehmende Hinweise auf die Verselbstständigung der "Hilfsmaschinerie" und die Eigenlogik von Durchführungsorganisationen, die eine Überprüfung und Änderung bestehender Verfahren nahe legen. In vielfacher Weise ist das Thema Kohärenz eine zentrale Dimension dieser Überlegungen, wird doch kritisiert, dass zentrale Defizite aus der Vielzahl der Geber, gegenseitigen Blockaden und Konkurrenzen sowie daraus folgenden Wirkungseinschränkungen folgen. Benötigt wird also ein Qualitätsmanagement in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ), das sich nicht nur an den Rechenschaftspflichten der Geber orientiert, sondern auch den Umsetzungsbedingungen in den Empfängerländern gerecht wird.



"Entwicklungspolitik aus einem Guss" ist die politische Forderung, in welche die Frage nach einer größeren Kohärenz in der Entwicklungspolitik gekleidet wird. Wenn aber angesichts der Zunahme entwicklungspolitischer Querschnittsaufgaben (globale Strukturpolitik, global governance, Konfliktprävention, Armutsbekämpfung) die Forderung nach Kohärenz nur schwer zu verwirklichen ist, muss darauf geachtet werden, dass die Suche nach Kohärenz nicht zur Falle in Gestalt einer Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners und die Entwicklungspolitik für andere Interessen instrumentalisiert wird.

Auf der Suche nach den Grundlagen einer Kohäsionspolitik hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) drei Hauptelemente definiert, die auf einzelstaatlicher Ebene für das Erreichen entwicklungspolitischer Kohärenz nötig seien: die Verabschiedung von Grundsatzpapieren und Leitlinien, durch die der Bezugsrahmen für eine entwicklungspolitisch kohärente Gesamtpolitik vorgegeben werde; die Koordinierung dieser Politiken und ihrer Implementierung; die Evaluierung dieser Politiken, um gegebenenfalls Fehlentscheidungen zu korrigieren oder künftig zu vermeiden.

In Deutschland gibt es rund 30 Organisationen, die Maßnahmen der EZ durchführen, das heißt Gelder der Bundesregierung umsetzen. Dazu gehören die verschiedenen Bundesministerien und Behörden der Bundesländer, die anrechnungsfähige Maßnahmen durchführen, was nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass dieser Haushaltstitel in den vergangenen Jahren einer der wenigen war, der deutliche Zuwächse aus dem Bundeshaushalt erhalten konnte.

Kohärenz in der Entwicklungszusammenarbeit

Das breite Spektrum an Aufgaben der Entwicklungspolitik, das von der Armutsbekämpfung über Bildung bis zu Fragen der Waldpolitik reicht, unterliegt einem besonderen Problem der Einbettung in die Zuständigkeitsbereiche der anderen Ressorts. Ihre "Querschnittigkeit" gereicht der Entwicklungspolitik dabei sowohl zum Vorteil (hinsichtlich der Breite ihres Aktionsfeldes) als auch zum Nachteil (bezogen auf die Wirkungserwartung) und präsentiert sich als Problem im Gesamtkontext der Außenpolitik.

Der entwicklungspolitische Kohärenzbegriff ist entsprechend ausgreifend formuliert: "Kohärenz ist die Berücksichtigung entwicklungspolitischer Ziele in anderen Politikbereichen", heißt es kurz und bündig im Journalistenhandbuch Entwicklungspolitik des zuständigen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Damit ist erkennbar, dass hier offensichtlich andere Kohärenzansprüche dominieren als etwa in der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung, die gerade auf das Zusammenwirken verschiedener Teilpolitiken ausgelegt ist.

Die entwicklungspolitische Dimension von Kohärenzpolitik fordert insoweit die Bereitschaft anderer Ressorts ein, Ziele des BMZ zu unterstützen oder sich im Sinne der Querschnittsaufgabe in diese einzuordnen. Es soll verhindert werden, dass Handels-, Landwirtschafts- oder Militärpolitik den Zielen der Entwicklungsanstrengungen entgegenlaufen oder sie sogar aufheben. Die Forderung nach Kohärenz ist inzwischen - nicht zuletzt durch die Arbeit des Entwicklungshilfeausschusses (Development Assistance Committee, DAC) der OECD - zum Mantra der Entwicklungspolitik geworden. Dies aber nicht nur im nationalen Rahmen: Auch auf EU-Ebene nehmen die Verträge von Maastricht im Jahr 1992 und Amsterdam im Jahr 1997 - mit der Verpflichtung zu Kohärenz, Komplementarität und Koordinierung der gemeinschaftlichen und einzelstaatlichen Außen-, Sicherheits-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitiken - das Gebot auf; ähnlich wie zahlreiche OECD-Deklarationen.

Wenn Entwicklungspolitik in Anspruch nimmt, anderen Politikfeldern übergeordnet zu sein, gerät sie leicht in Konflikt mit anderen Ressorts, denn sie muss sich in besonderem Maße um Abstimmung mit anderen Ministerien kümmern, um die eigenen Anstrengungen zum Erfolg zu führen. Deutschland hat sich mit dem "Aktionsprogramm 2015 zur Armutsbekämpfung" zu einer kohärenten Politik gegenüber Entwicklungsländern bekannt, aber auch deutlich gemacht, das Entwicklungspolitik Teil des deutschen Gesamtengagements in der Welt ist und nicht als "Neben-Außenpolitik" zu verstehen ist. Konkret heißt es im Koalitionsvertrag: "Wir wollen die Wirksamkeit der Entwicklungspolitik steigern und sie durch eine Schärfung des Profils, Akzentuierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, klare nationale und internationale Arbeitsteilung nach den Prinzipien der Erklärung von Paris, Steigerung der Kohärenz sowie durch eine effizientere Gestaltung der bilateralen, multilateralen und europäischen Organisationsstrukturen und Instrumente neu ausrichten."

Bei der Bewertung der Kohärenz ihrer Politiken gegenüber Entwicklungsländern von 22 Geberländern liegt Deutschland auf Platz 13. Diesen Defiziten wird im internationalen Rahmen mit der Pariser Erklärung über Wirksamkeit der EZ aus dem Jahr 2005 versucht entgegenzuwirken, die in den OECD-Mitgliedstaaten den Fokus der Debatte um mehr entwicklungspolitische Wirksamkeit auf die Struktur, das heißt die organisatorisch-administrativen Aspekte der Entwicklungspolitik verengt hat. Das Prinzip der Ergebnisorientierung (managing for results) ist mit der Aufnahme in die Pariser Erklärung zu einem Grundpfeiler der künftigen Ausrichtung der internationalen EZ geworden. Dies gilt nicht zuletzt im Kontext der EU, die als entwicklungspolitischer Akteur als zusätzlicher Geber neben die Mitgliedstaaten getreten ist. So formuliert hier der Koalitionsvertrag unter dem Titel "Architektur der internationalen Entwicklungszusammenarbeit" klare Anforderungen an die Kohärenz der EU-Entwicklungspolitik im Sinne ihrer grundlegenden Reform; diese solle nach den Maßgaben von Komplementarität und Subsidiarität untersucht und der EU Verhaltenskodex im Hinblick auf Prinzipien zur schlüssigen Arbeitsteilung überprüft werden.

Reform der Organisationsstrukturen

Harmonisierung und Geberkordination sind die zentralen Schlagworte, die die internationale Debatte um größere Wirksamkeit der EZ charakterisieren. Um das Ziel einer kohärenten Gesamtpolitik zu erreichen, ist es - das beweist der internationale Vergleich - weithin unerheblich, ob die organisatorische Verankerung des Ministeriums als selbstständige Einheit oder als Teil des Außenamtes geregelt ist. Entwicklungspolitik nimmt meist eine geringe Priorität innerhalb des Kabinetts ein, ihre Lobby ist vergleichsweise schwach, und EZ-Minister können aufgrund ihres geringen Gewichts in der regierungsinternen Hierarchie entwicklungspolitisch relevante Positionen nicht durchsetzen.

Wichtiger scheint die Fähigkeit, die gemeinsame Politik der Regierung gegenüber Entwicklungsländern von der Planung bis zur Umsetzung zu steuern und zu koordinieren. Auch die Wirksamkeitsdebatte in Deutschland dreht sich im Kern um die entwicklungspolitische Organisationsstruktur, der grundlegender Reformbedarf attestiert wird. Der letzte DAC-Prüfbericht zur deutschen Entwicklungspolitik im Jahr 2005 äußerte erhebliche Kritik am deutschen EZ-System.

Die in der vergangenen 16. Legislaturperiode vorgesehene Reform der Durchführungsorganisationen mit dem Kernstück einer Zusammenführung der technischen (TZ) in Gestalt der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) mit der finanziellen Zusammenarbeit (FZ) in Form der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ist gescheitert. Zu den Vorwürfen, die in der öffentlichen Debatte erhoben werden, gehören Zweifel an der Führungsstärke des BMZ. Es besteht ein generelles Steuerungsdefizit, das als ein Grundproblem der deutschen EZ zu kritisieren ist und nicht ohne strukturelle Veränderung behoben werden kann. Eine zentrale Dimension besteht darin, die Verselbständigung der Durchführungsorganisationen zu beenden. Koordination und Kohärenz sind insofern zum Standardrepertoire der entwicklungspolitischen Reformdebatte geworden, meist unter dem Gesichtspunkt der Fusion von FZ und TZ zu einer "German Development Agency".

Die hohe Fragmentierung führt auch zu Defiziten bezogen auf die Partner vor Ort. Für diese bedeutet bereits die Vielzahl der internationalen Geber eine Überlastung der eigenen Kapazitäten - die Vielgestaltigkeit der Institutionen in einzelnen Ländern erschwert dies zusätzlich. Abweichende Berichts- und Rechenschaftspflichten und eine Multiplizierung des Koordinierungsbedarfs führen zu einer Überforderung der Empfängerregierungen.

Natürlich ist es nicht verwunderlich, dass die Durchführungsorganisationen um ihre Eigenständigkeit kämpfen. Andererseits muss es darauf ankommen, die Steuerungsfähigkeit des Ministeriums ihnen gegenüber zu erhöhen. Insofern kann die Neuordnung der praktischen Entwicklungspolitik nur ein Teil der Problemlösung sein, hinzu kommen muss eine Aufgabenkritik und eine größere Planungs- und Initiativrolle des Ministeriums.

Dies hat nicht nur mit personellen Kapazitäten zu tun, sondern auch mit einem Denken, das die Entwicklungspolitik zunehmend von den gesamtstaatlichen Interessen abgekoppelt hat. Dies gilt nicht nur für die nationale Ebene, sondern auch im besonderen für die Arbeit des DAC, der sich in einem eigenen Kosmos zu bewegen scheint und wenig an Prioritäten der Mitgliedstaaten gekoppelt ist. Die von ihm entwickelten Kriterien der Geberharmonisierung, der Anpassung an die organisatorischen Gegebenheiten der Partner und die wechselseitige Transparenz von Entscheidungsprozessen, wie sie in der Pariser Erklärung enthalten sind, haben zu endlosen Koordinierungsrunden zwischen Gebern geführt. Nicht ohne Grund ist daher von anderen Nationen wie Großbritannien ein stark dezentralisiertes System aufgebaut worden, das zunehmend Kompetenzen in die Vertretungen vor Ort verschoben hat. So entsendet das BMZ heute mehr EZ-Referenten an Botschaften als früher, insgesamt sind es derzeit aber nur rund 40 weltweit.

Die Ansiedelung von Vor-Ort-Kompetenzen erscheint angemessen, weil in einer Fülle von Ländern deutsche Außenbeziehungen neben konsularischen Angelegenheiten materiell nur Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit enthalten. Wenig sinnvoll erscheint es allerdings, die Vielzahl deutscher Durchführungsorganisationen in den Empfängerländern durch eine entsprechende Zahl an Vertretungen (in einem deutschen Haus) zu replizieren, ohne dass dadurch für die Empfänger größere Transparenz geschaffen würde.

Nachdem die große Koalition an der Fusion von KfW und GTZ gescheitert ist, scheint sich nun eine Tendenz abzuzeichnen, eine kleine Lösung anzustreben, die GTZ, InWEnt (Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH) und DED (Deutscher Entwicklungsdienst) unter einem gemeinsamen Dach vereinen soll. Dies dürfte jedoch die anstehenden Probleme nur in Teilen lösen: Übersehen wird oftmals, dass die Durchführungsorganisationen den gesamten Projektzyklus, von der Projektidee bis zur Evaluierung, selbst gestalten. Hier ist ein neues Verhältnis in der Abgrenzung von politischen und operativen Rollen notwendig.

Gleiches gilt für die Organisationsstrukturen des Ministeriums, das für sich die Entwicklung politischer Vorgaben zurückgewinnen muss. Die Initiative des neuen Ministers Dirk Niebel, einen Planungsstab einzurichten, könnte hier einen ersten wichtigen Schritt darstellen. Hinzu kommen muss aber auch die Entlastung der Arbeitsebene von Aufgaben, die eher bei ausgegliederten Einrichtungen anzusiedeln wären. Dies gilt insbesondere für die zentrale Aufgabe der "Evaluierung", die von einer Evaluierungsagentur wahrgenommen werden sollte und von Ministerium und Durchführungsorganisationen unabhängig einzurichten wäre.

Die zentrale Aufgabe der Verbesserung der Steuerungsfähigkeit der deutschen EZ scheint zumindest erkannt zu sein, insoweit unnötige Doppelstrukturen abgebaut, strategisches Handeln im Ministerium konzentriert und die Durchführungsorganisationen in ihrer Reichweite reduziert werden sollten. Hinzu kommen muss ein Instrumentarium, das eine Verbesserung der Außenstruktur des für die Entwicklungspolitik zuständigen Ressorts erbringt und die Abstimmung deutscher Präsenz in multilateralen und europäischen Strukturen verbessert.

Kohärenz durch Reduzierung der Partnerstrukturen?

Es gilt dementsprechend, bestehende Konkurrenzen insbesondere zwischen Außen- und Entwicklungspolitik aufzulösen. Dabei muss zum einen die Strategieaversion außenpolitischen Handelns überwunden werden, um politische Schwerpunkte inhaltlicher und regionaler Art zu setzen. Zum anderen sind entwicklungspolitische Ansprüche dem Referenzrahmen des internationalen Handelns Deutschlands anzupassen, um das Potenzial unserer Außenpolitik zu stärken. Dies erfordert vor allem politischen Willen und gemeinsames Gestaltungsinteresse, dem sich keine Seite entziehen sollte. Es wird im Bereich der Entwicklungspolitik immer Länder und Regionen geben, die nicht von prioritärer Bedeutung sind, denen weniger politische Aufmerksamkeit und Ressourcen zuteil wird als anderen. Überlegungen, wie eine deutsche Politik gegenüber diesen Regionen schlüssiger konzipiert und effektiver vorgetragen werden könnte, müssen von der bestehenden Ressourcenbasis und dem begrenzten Interesse von Spitzenpolitikern ausgehen. In diesem Rahmen lassen sich drei Ansatzpunkte für Reformen identifizieren: im Kabinett abgestimmte Regionalkonzepte, wie sie jetzt für Afrika und Lateinamerika in Arbeit sind, eine über die bestehenden Ansätze hinausgehende Entwicklungspolitik und die politische Besetzung von Regionalbeauftragten.

Die Regionalkonzepte des BMZ sind bislang ausschließlich auf die Zielsetzungen der Entwicklungspolitik zugeschnitten und nicht mit politischen Prioritäten in der Bundesregierung abgestimmt. Dies gilt für den Vorstoß des BMZ, Kooperationsmodelle für die sogenannten Anker- und Schwellenländer zu definieren. Das Ankerland-Konzept kann als der erste elaborierte Diskussionsbeitrag in der deutschen Debatte über "neue maßgebliche Akteure" gelten. Es wurde seitens des BMZ im Jahr 2003 beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) mit der Erwartung in Auftrag gegeben, Empfehlungen zur Rolle der EZ "im Rahmen umfassender außenpolitischer und wirtschaftlicher Beziehungen mit den Schwellen- und Ankerländern" zu geben.

Damit steht das Konzept zunächst in Zusammenhang mit der Frage, ob Deutschland überhaupt EZ mit wirtschaftlich erfolgreichen Entwicklungsländern wie China, Indien, Brasilien, Mexiko oder Südafrika betreiben sollte, und wenn ja, in welcher Form. Die zentrale These hierzu lautet, dass Ankerländer aufgrund ihrer besonderen politischen und wirtschaftlichen Bedeutung und ihres zunehmend selbstbewussten und aktiven Eingreifens in das internationale Geschehen unverzichtbare Partner für die Lösung globaler strukturpolitischer Fragen sind.

Mit dem Ankerländer-Konzept ist der Bedarf an wachsender Beteiligung neuer Führungsmächte an der Lösung globaler Fragen zutreffend beschrieben worden. Nur erbringen die damit angesprochenen Länder nicht die erwartete Führungsarbeit im regionalen und globalen Rahmen, sondern verfolgen nationale Interessen- und Statuspolitik. Erneut ist entwicklungspolitische Rollenzuweisung an den realen Interessen der betroffenen Länder vorbei gegangen. Hier scheint ein entscheidender Mangel des bislang maßgeblichen Konzepts globaler Strukturpolitik zu liegen, insoweit diese eine umfangreiche input agenda aufweist, der output allerdings schwer messbar ist. Versuche, die EZ in ihrer Relevanz für die Politik durch Annäherung an die neue sicherheitspolitische Agenda besser zu positionieren, waren nur begrenzt erfolgreich. Insoweit ist die inhaltliche Positionierung der EZ kaum erfolgreich verlaufen, dennoch lässt sich die Mitteilung der ehemaligen Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul nicht von der Hand weisen, der EZ stünden heute mehr Mittel zur Verfügung.

Gleichwohl hat das BMZ mit Blick auf die Herstellung größerer Wirksamkeit der eingesetzten Mittel die Liste der Partnerländer stark reduziert: von 119 im Jahr 1998 auf 58 im Jahr 2009. Zugleich sind stärkere regionale Kooperationen in der Länderliste verankert worden. Mit Hilfe von Länder- und Regionalkonzepten wurde versucht, die Entwicklungszusammenarbeit "aus einem Guss" weiter voranzubringen. Die Pariser Erklärung sieht hierzu vor, dass die Geber sich auf deutlich weniger Länder und Sektoren konzentrieren und sich zugunsten einer komplementären Arbeitsteilung fortan besser abstimmen sollen. Mit der Reduzierung der Empfängerländer versuchen die OECD-Regierungen die hohen Reibungsverluste und Duplizierungskosten einzudämmen, die durch die EZ-Bemühungen einer "hochgradig fragmentierten Gebergemeinschaft" entstehen.

Wenn jedoch Regierungen ihr Engagement in Empfängerländern besser abstimmen möchten, so müssen Zielkonflikte zwischen den einzelnen mit Entwicklungspolitik befassten Regierungsstellen offen gelegt und verhandelt werden. Damit ist man wieder bei der Frage der Einordnung der EZ in die Organisation der Bundesregierung, wo sich das BMZ einer systematischen Strategie zur Expansion seiner Präsenz verschrieben hat. Die Grenzen eines solchen auf reine organisatorische Zuordnung abhebenden Ansatzes zeigten sich in der Aufnahme des BMZ in den Bundessicherheitsrat im Jahr 1998, die ohne materielle Folgen blieb.

Dagegen könnte die politische Besetzung der Position der Regionalbeauftragten im Auswärtigen Amt und dem BMZ dazu beitragen, den Weg in die Kohärenzfalle zu vermeiden, da nur durch politische Führung die Durchbrüche erzielt werden können, die eine positive Koordination jenseits des kleinsten gemeinsamen Nenners ermöglichen. Dies wäre zudem ein wichtiger Schritt in Richtung einer Politisierung der EZ, die sich dann nicht mehr in den üblichen Formeln des Partnerschaftsdiskurses verlieren, sondern auf einem offenen politischen Dialog beruhen könnte.

Außenbeziehungen und Entwicklungszusammenarbeit

Es gilt, die Abstimmung zwischen jenen Ministerien zu verbessern, die bei der Gestaltung der deutschen Außenbeziehungen eine wichtige Rolle spielen. Ein vom Kanzleramt geführter Kabinettsausschuss für globale Ordnungspolitik könnte hier Verbesserungen bringen. Primäre Aufgabe eines solchen Ausschusses wäre es, die Ziele und politischen Ansätze zu harmonisieren, die von den Ministerien in bestimmten Politikfeldern und gegenüber einzelnen Staaten oder Regionen verfolgt werden. Harmonisierung bedeutet jedoch nicht, dass alle Ministerien diese Ziele mit den gleichen Instrumenten verfolgen sollten. Die Übertragung von Finanzen der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit, kurz ODA-Mitteln (Official Development Assistance), an andere Ministerien ist eine Fehlentwicklung und beeinträchtigt die Kohärenz des Auftritts Deutschlands in der internationalen Politik. Zwar ist das BMZ der mit Abstand größte Entwicklungshilfeverwalter in Deutschland, aber nicht zwingend auch größter Entwicklungshelfer, da es nur in sehr begrenztem Maße über die Federführung oder Mitzeichnungsrechte für die EZ-relevanten Politiken der anderen Ressorts verfügt. Dies bedeutet angesichts der großen Zahl der EZ-Durchführungsakteure ein Grundproblem des deutschen EZ-Systems.

Die Öffnung bisherig multilateral gebundener Formate im Bereich der Außenbeziehungen zu bilateralen Mustern wird im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung durchgängig erkennbar. Hier dürften neue Herausforderungen in der Abstimmung des auswärtigen Handelns im Verbund mit anderen Akteuren liegen. Am deutlichsten wird dies im Bereich der EZ bei der Vorgabe der aktuellen Bundesregierung im Sinne einer Mittelverteilung von zwei Dritteln zu einem Drittel zugunsten des bilateralen Ansatzes.

Potenziale und Wirksamkeit deutscher Präsenz in der internationalen Politik lassen sich angesichts der Ausdifferenzierung auswärtiger Fachpolitiken in der Bundesregierung nur entfalten, wenn tragfähige und effektivere Formen der Koordination eingeführt werden. Kohärenzpolitik erfordert intra- und interministeriell einen großen Organisationsaufwand und wird daher nur wenig geschätzt. Ein Festhalten am bisherigen Muster von Konkurrenz oder vorgeblicher Komplementarität von Außen- und Entwicklungspolitik würde aber die Wahrnehmung regionaler und globaler Aufgaben erschweren. Fehlt ein operativ wirksamer Handlungsrahmen und unterbleibt eine eindeutige Zuordnung von Kompetenzen, Instrumenten und Ressourcen, werden deutsche Positionen auf internationaler Bühne nicht die nötige Durchschlagskraft haben und wird die Entwicklungspolitik keinen angemessenen Platz in der Gestaltungsagenda der deutschen Außenbeziehungen finden.

Kohärenz durch Vereinheitlichung der Evaluationssysteme

Die Evaluation nimmt in der EZ einen zentralen Stellenwert ein, da sie das andauernde Legitimationsproblem über die Wirkungen in zentraler Weise bearbeitet. Allerdings weichen die Ansätze und Methoden weit voneinander ab, nicht zuletzt in Abhängigkeit von den Trägern der EZ. Eine Systemevaluation der deutschen Entwicklungszusammenarbeit kommt zum Ergebnis, dass das Evaluationssystem unter enormer institutioneller, konzeptioneller, terminologischer und methodischer Heterogenität leidet. Es wird eine "Evaluierung aus einem Guss" gefordert, die in den Leitlinien für finanzielle und technische Zusammenarbeit, in Handlungsanleitungen für die Umsetzung der veränderten Verwaltungsvorschriften zur Bundeshaushaltsordnung und den Zuwendungsregeln für zivilgesellschaftliche Organisationen verankert werden soll.

Auch wenn solche Harmonisierungsbemühungen die Aufgabenfelder der unterschiedlichen EZ-Akteure berücksichtigen müssen, stellt die Bildung von Kohärenz durch Evaluierung seitens einer unabhängigen Evaluationsagentur eine entscheidende Rahmenbedingung dar, um diese Aufgabe organisatorisch getrennt von den operativen Bereichen zu verorten. Besonders relevant scheint in diesem Kontext der Hinweis auf die Neigung großer Durchführungsorganisationen ihre Evaluationspraxis wissenschaftsfern anzusiedeln und damit einer Tendenz zur Bürokratisierung dieser eigentlich auf "Lernen" ausgerichteten Tätigkeit Vorschub zu leisten.

Die fünf innerhalb des DAC vereinbarten Evaluationskriterien - Relevanz, Effektivität, Effizienz, entwicklungspolitische Wirkungen und Nachhaltigkeit - sind jedoch zunächst unzureichend, wenn sie mit Blick auf die Kohärenzfrage nicht auch die Komplementarität zu anderen Entwicklungsanstrengungen in den Blick nehmen. Im Kontext der europäischen EZ durchgeführte "3C-Untersuchungen" (bezogen auf coordination, complementarity, coherence) können beispielgebend sein, insofern sie die Abstimmung von Politiken, Maßnahmen und Verfahren in den Mittelpunkt stellen, um damit Zielerreichung und effektive Verwendung der eingesetzten Mittel in den Vordergrund zu rücken. Die angestrebte Harmonisierung der Praktiken der Geber könnte damit voran getrieben werden. Dafür sind jedoch zentrale Voraussetzungen im nationalen Rahmen zu treffen, die etwa durch eine Vereinheitlichung der Evaluierungsstandards unter Sicherung von Qualitätsstandards geleistet werden könnten.

Entwicklungszusammenarbeit braucht neue Grundlagen

Die Kohärenzfrage, die die EZ nun bereits seit einer Dekade beschäftigt, macht deutlich, dass nicht nur mit Organisationsreformen der gewünschte Effekt erzielt werden kann. Entwicklungspolitik benötigt ein neues Profil in der Gestaltung der Beziehung zu anderen Politikfeldern und kann nicht ohne eine grundlegende Neuverteilung von Kompetenzen und Rollen auskommen. Vor allem muss sie sich im Bewusstsein der "Querschnittigkeit" ihres Ansatzes auf die Verknüpfung von Politikfeldern spezialisieren, statt vordergründige Abgrenzungen zu suchen. Nur so wird sie ihrem eigentlichen Ziel von "Entwicklung" im weitesten Sinne näher kommen können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So Paul Kevenhörster, Kohärenzfalle - die Suche nach einem Ausweg, in: E+Z - Entwicklung und Zusammenarbeit, (2002) 6, S. 185f.

  2. Vgl. Development Assistance Committee (DAC), Synthesis Report on Policy Coherence for Development, Paris 2008, S. 15 - 25; Guido Ashoff, Der entwicklungspolitische Kohärenzanspruch: Begründung, Anerkennung und Wege zu seiner Umsetzung, Bonn 2005, S. 34.

  3. Vgl. DAC, DAC Peer Review. Germany, Paris 2005, S. 12.

  4. Vgl. DAC (Anm. 2), S. 10.

  5. Vgl. DAC, Policy Coherence. Vital for Global Development, Policy Brief, (2003) 7, S. 2.

  6. Vgl. Maurizio Carbone, Mission Impossible: The European Union and Policy Coherence for Development, in: European Integration, 1 (2008) 30, S. 323 - 342, hier S. 330; OECD Ministerial Council, Ministerial Declaration on Policy Coherence for Development 2008, Juni 2008.

  7. Vgl. G. Ashoff (Anm. 2), S. 23ff.

  8. Vgl. BMZ, Aktionsprogramm 2015. Armut bekämpfen, gemeinsam handeln. Der Beitrag zur Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut, April 2001, online: www.bmz.de/de/service/info thek/fach/materialien/ap2015_kurz.pdf (28.7. 2009), S. 2, S. 17.

  9. So Dirk Niebel in seiner Antrittsrede als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am 28.10. 2009, online: www.bmz.de/de/ presse/reden/minister_niebel/2009/
    oktober/20091028 _rede.html (16.1. 2010).

  10. Siehe S. 128/132 des Koalitionsvertrags, online: www.cdu.de/doc/pdfc/091026-koalitionsvertrag-cduc su -fdp.pdf (15.1. 2010).

  11. Vgl. Center for Global Development, Commitment-to-Development-Index 2009, online: www.cgdev. org/section/initiatives/_ active/cdi/ (30.7. 2009).

  12. Die fünf Prinzipien der Pariser Erklärung sind 1) ownership, 2) alignment, 3) harmonisation, (4) managing for results, (5) mutual accountability; vgl. DAC, Better Aid. Managing Aid Practices of DAC Member Countries, Paris 2009, S. 75 - 81.

  13. Vgl. Koalitionsvertrag (Anm. 11), S. 129/132.

  14. Vgl. Daniel Brombacher, Geberstrukturen in der Entwicklungspolitik, Berlin 2009.

  15. Vgl. ebd., S. 6.

  16. Vgl. Axel Borrmann/Reinhard Stockmann, Evaluation in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, Münster 2009, S. 26.

  17. Vgl. Nancy Birdsall, Seven Deadly Sins. Reflections on Donor Failings, Washington D.C. 2004, S. 6.

  18. Vgl. Jörg Faust/Dirk Messner, Organizational Challenges for an Effective Aid Architecture. Traditional Deficits, the Paris Agenda and Beyond, Bonn 2007, S. 2 - 10; Franz Nuscheler, Die umstrittene Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit, Duisburg 2008, S. 14.

  19. Andreas Stamm, Schwellen- und Ankerländer als Akteure einer globalen Partnerschaft. Überlegungen zu einer Positionsbestimmung aus deutscher entwicklungspolitischer Sicht, Bonn 2004, S. 3. Zur Auseinandersetzung mit diesem Konzept vgl. Jörg Husar/Günther Maihold, Neue Führungsmächte - Forschungsansätze und Handlungsfelder, in: dies./Stefan Mair (Hrsg.), Neue Führungsmächte: Partner deutscher Außenpolitik?, Baden-Baden 2009, S. 7 - 30, hier S. 9.

  20. Vgl. A. Stamm (Anm. 19), S. 7 f.

  21. Vgl. Ernst Hillebrand/Günther Maihold, Von der Entwicklungspolitik zur globalen Strukturpolitik. Zur Notwendigkeit der Reform eines Politikfeldes, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 4 (1999), S. 339 - 351.

  22. Vgl. Berthold Kuhn, Wie armutsorientiert sind globale Strukturpolitik und politische EZ?, online: www. euforic.org/docs/
    200503081112472907.pdf?
    &usernam e=guest@euforic.org&password
    =9999&groups=EUF ORI C&workgroup (20.1. 2010).

  23. Kritisch dazu Günther Maihold, Die sicherheitspolitische Wendung der Entwicklungspolitik: Eine Kritik des neuen Profils, in: Internationale Politik und Gesellschaft, 4 (2005), S. 30 - 48.

  24. Vgl. Meldung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Bundestags \"Durchwachsene Bilanz der Entwicklungspolitik der großen Koalition\" vom 17.6. 2009, online: http://209.85.135.132/search?q=cache:p7-GK9HFRr0J:www .bundestag.de/presse/hib/
    2009_06/2009_186/06.html+ entwicklungspolitik+aus+einem+guss
    &cd=8&hl=de& ct=clnk&gl= de (25.1. 2010).

  25. Vgl. Johannes F. Linn, Aid Coordination on the Ground: Are Joint Country Assistance Strategies the Answer?, Washington D.C. 2009.

  26. F. Nuscheler (Anm. 18), S. 5.

  27. Vgl. bezüglich deutscher Afrikapolitik: Stefan Mair/Denis Tull, Deutsche Afrikapolitik. Eckpunkte einer strategischen Neuausrichtung, Berlin 2009, S. 44.

  28. Vgl. A. Borrmann/R. Stockmann (Anm. 16).

  29. Vgl. Evaluation Services of the European Union, Evaluating coordination, complementarity and coherence in EU development policy: a synthesis, Amsterdam 2007.

Prof. Dr. phil., geb. 1957; Stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Ludwigkirchplatz 3 - 4, 10719 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: guenther.maihold@swp-berlin.org