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Die gescheiterte Wirtschaftsreform in der DDR 1989/1990 | DDR 1990 | bpb.de

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Die gescheiterte Wirtschaftsreform in der DDR 1989/1990

Wolfgang Seibel

/ 17 Minuten zu lesen

Die in der SED/PDS wie in der Bürgerbewegung entstandenen Vorstellungen zu einer Wirtschaftsreform scheiterten daran, dass die Bürger der DDR ihrem Staat die Unterstützung entzogen.

Einleitung

Die Ereignisse in der DDR vom Herbst 1989 bis zum Sommer 1990 waren geprägt durch eine innen- und außenpolitische Dynamik und die Festlegung von Pfadabhängigkeiten, die, auch in der historischen Rückschau, Ansätze zu einer Wirtschaftsreform überlagerten, welche in der DDR selbst entstanden waren und dort intensive Diskussionen ausgelöst hatten. Welcher Art waren diese Reformvorstellungen? Wie realistisch waren sie? Was waren die Umstände ihres Scheiterns?

DDR-loyale Reformer

Mit dem Amtsantritt des Ministerpräsidenten Hans Modrow am 17. November 1989 gelangte eine neue Teilelite zu Einfluss, die in der Vergangenheit innerhalb der SED systemimmanente Kritik an der Wirtschaftspraxis des Honecker-Regimes geübt hatte. Dazu zählte vor allem die Wirtschaftsministerin und stellvertretende Ministerpräsidentin Christa Luft und der vormalige stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Plankommission, Wolfram Krause, der aus dieser Funktion 1978 wegen kritischer Äußerungen zur DDR-Ökonomie entfernt und in die Bezirksleitung der Berliner SED abgeschoben worden war.

Luft hatte im Oktober 1988 in ihrer Antrittsrede als Rektorin der Hochschule für Ökonomie vorsichtige Vorschläge für eine Reform der Wirtschaft unterbreitet, die mit dem Plädoyer für "sozialismustypische Innovationsstimuli" unter anderem an Gedanken des "Neuen Ökonomischen Systems" (NÖS) aus den 1960er Jahren anknüpfte. Krause hatte seine Vorstellungen zur Wirtschaftsreform während der hoch dramatischen Übergangsphase von Honecker über Egon Krenz zu Modrow zusammengefasst und gemeinsam mit Wolfgang Heinrichs, dem Direktor des Zentralinstituts für Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR, in der Ausgabe des "Neuen Deutschland" (ND) vom 3. November 1989, einen Tag vor der Großdemonstration von DDR-loyalen und reformwilligen Kräften auf dem Berliner Alexanderplatz, veröffentlicht. Auch hier gab es Anklänge an das Gedankengut des NÖS, etwa wenn es hieß, dass "ein funktionierender Marktmechanismus unverzichtbar" sei und "Berührungsängste (...) auf ökonomischem Gebiet", also zwischen sozialistischen und kapitalistischen Marktordnungen, fehl am Platze seien. Es konnte nicht erstaunen, dass diejenigen Wirtschaftsexperten in der SED, die man in der Honecker-Ära kaltgestellt hatte, nun an Vorstellungen anzuknüpfen suchten, die mit dem Machtantritt Honeckers und dem wirtschaftlichen Kurswechsel auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 abgewürgt worden waren. Der Artikel von Heinrichs und Krause im ND trug den Titel "Wirtschaftsreform - Element der Erneuerung des Sozialismus".

Unmittelbar nach seiner Nominierung für das Amt des Ministerpräsidenten der DDR durch das Zentralkomitee (ZK) der SED am 8. November 1989 (also noch vor seiner formellen Wahl durch die Volkskammer, die am 17. November erfolgte) traf Modrow Absprachen mit seiner designierten Stellvertreterin Luft über die Bildung einer "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform beim Ministerrat der DDR". Zum Leiter dieser Arbeitsgruppe wurde Krause bestellt. Die bei Amtsantritt der Regierung Modrow innerhalb der SED noch vorherrschende Vorstellung einer systemimmanenten Reform der Wirtschaft unter Beibehaltung des "Volkseigenen Vermögens" in staatlicher Regie stieß nicht allein auf konkurrierende Vorstellungen, sondern insbesondere auch auf völlig veränderte Machtverhältnisse.

In der zweiten Novemberhälfte 1989 zerbrach das Machtmonopol der SED. Am 24. November kündigte Krenz als Generalsekretär des ZK und Vorsitzender des Staatsrates und damit als Staatsoberhaupt der DDR an, dass die SED auf ihren in der Verfassung verbrieften Führungsanspruch verzichten wolle. Dies beschloss die Volkskammer am 1. Dezember. Am 6. Dezember trat Krenz als Staatsratsvorsitzender und als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates zurück, am 9. Dezember wurde er an der Spitze der SED durch Gregor Gysi abgelöst.

Am 7. Dezember wurde der "Runde Tisch" gegründet (später zur Abgrenzung gegenüber ähnlichen Einrichtungen in der Provinz als "Zentraler Runder Tisch der DDR" bezeichnet), der zu gleichen Teilen aus Angehörigen der Parteien der Nationalen Front und Vertretern der Bürgerbewegung zusammengesetzt war. Von den Vertretern der Bürgerbewegung am Runden Tisch traten die meisten für einen "Dritten Weg" jenseits von Plan- und Marktwirtschaft ein. Neben den SED-Vertretern hatten die Repräsentanten von Demokratie Jetzt (DJ) die profiliertesten wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Der DJ-Vertreter Wolfgang Ullmann, Theologe, hatte seit Mitte 1989 mit dem Ingenieur Matthias Artzt und dem Physiker Gerd Gebhardt Gespräche über wirtschafts- und gesellschaftspolitische Fragen geführt, die in der ersten Novemberhälfte zur Erarbeitung eines Papiers mit dem Titel "Zukunft durch Selbstorganisation" führten. Darin wurde für Privateigentum an Produktionsmitteln mit sozialer Bindung und eine grundsätzlich marktwirtschaftliche Ordnung plädiert, allerdings mit dem "strategischen Ziel", "von dem vorhandenen Volkseigentum soviel wie möglich direkt den Bürgern der DDR zukommen zu lassen".

Wirtschaftsreformen und "Volkseigenes Vermögen"

Die Gruppe um Ullmann konstituierte sich am 6. Dezember 1989 als "Freie Forschungsgemeinschaft Selbstorganisation". Aus dem Ziel einer Marktwirtschaft mit sozialer Bindung bei möglichst umfassender Zuteilung von "Volkseigenem Vermögen" an die Bürger der DDR resultierten Überlegungen zur Institutionalisierung einer Art treuhänderischen Funktion, mittels derer das vom Staat gehaltene Volkseigentum in eine Rechtsform überführt werden sollte, die auch im Fall der Auflösung der DDR und ihres Beitritts zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Bestand haben könnte. Diese Überlegungen mündeten in eine Vorlage der Gruppe um Ullmann, die inzwischen als "Freies Forschungskollegium Selbstorganisation für Wissenskatalyse an Knotenpunkten" firmierte, für die Sitzung des Runden Tisches am 12. Februar 1990. Die Vorlage enthielt einen "Vorschlag zur umgehenden Bildung einer Treuhandgesellschaft (Holding) zur Wahrung der Anteilsrechte der Bürger mit DDR-Staatsbürgerschaft am Volkseigentum der DDR". Hier tauchte zum ersten Mal der Gedanke einer institutionellen Zwischenlösung zur Sicherung des "Volkseigenen Vermögens" auf, eine Rechtsform, die in der Bundesrepublik kein Gegenstück hatte.

Forciert wurde der Gedanke einer Zwischenlösung - nämlich zwischen einer schrittweisen "Wirtschaftsreform" unter den Bedingungen einer staatlich intakten und politisch stabilen DDR einerseits und der Alternative einer kurzfristigen Übertragung der westdeutschen Wirtschafts- und Rechtsordnung auf die DDR -, als sich in der ersten Februarhälfte 1990 die Anzeichen für einen schnellen Zusammenschluss beider deutscher Staaten, mindestens auf wirtschaftlichem Gebiet, verdichteten. Im Januar hatte die "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" um Krause ein Papier erarbeitet, das unter dem Titel "Zielstellung, Grundrichtungen, Etappen und unmittelbare Maßnahmen der Wirtschaftsreform in weiterer Verwirklichung der Regierungserklärung vom 17.11. 1989" in einer Beilage zur Zeitschrift "Die Wirtschaft" am 1. Februar 1990 veröffentlicht wurde. Dieses Papier ist aufschlussreich, weil es die Reformüberlegungen der Planungselite der DDR unter den angenommenen Rahmenbedingungen stabiler staatlicher Strukturen wiedergibt. So hieß es unter anderem: "Die Wirtschaftsreform zielt darauf, eine leistungsfähige Marktwirtschaft in der DDR herauszubilden, die der demokratische Rechtsstaat mittels Rahmenbedingungen in Form strukturpolitischer Orientierungen, ökonomischer Methoden und rechtlicher Regelungen im Interesse wachsender gesellschaftlicher Effektivität, gemeinnütziger Zwecke und sozialer Sicherheit für alle Bürger reguliert."

Nach den Vorstellungen der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" sollten "neben dem Volkseigentum (...) im Interesse der Entwicklung einer marktwirtschaftlichen Produktionsweise eine Vielfalt weiterer Eigentumsformen entstehen", nämlich "gesellschaftliches Gemeineigentum an Produktionsmitteln". Genannt wurden unter anderem "Gemeineigentum der volkseigenen Betriebe, Kombinate und Wirtschaftsverbände", "privates Eigentum", "Umwandlung volkseigener Betriebe, die bis 1972 halbstaatliche oder private Betriebe waren, in Betriebe mit inländischer Beteiligung bzw. in Privatbetriebe" sowie "Gründung von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung". Weiter hieß es: "Der regulierende Einfluß des Staates ist auf die Gestaltung von Rahmenbedingungen für volkswirtschaftliches Wachstum, Stabilität und Proportionalität sowie soziale und ökologische Ausrichtung der Wirtschaftsentwicklung zu konzentrieren." Der Hauptweg staatlicher Regulierung bestehe im "Wirksammachen ökonomischer Methoden", für die beispielhaft aufgezählt wurden: eine Preisreform, eine Steuerreform, eine "auf die Verwirklichung des Leistungsprinzips gerichtete Einkommenspolitik", die Einleitung von "Schritten für die Konvertierbarkeit der Mark der DDR", die Entwicklung der "Staatsbank der DDR (...) zu einem von der Regierung unabhängigen Organ" und der Aufbau eines Systems "selbständiger Geschäftsbanken".

Wie immer man die Ernsthaftigkeit solcher Reformabsichten einschätzen mochte - unter den Bedingungen einer weiterhin in das Imperium der Sowjetunion eingefügten, politisch stabilen und staatlich eigenständigen DDR hätten sie als revolutionär gelten müssen. Es handelte es sich um ein plausibles und konsequentes Konzept zur schrittweisen Herausbildung einer Marktwirtschaft und der grundlegenden Steigerung der volkswirtschaftlichen Effektivität, bei dem Alternativen zum "Volkseigentum" - sprich: Staatseigentum - an Produktionsmitteln ausdrücklich zugelassen, wenn auch nicht als wirtschaftspolitisches Primärziel benannt wurden. Tatsächlich leitete die Regierung der DDR selbst unter den turbulenten Verhältnissen bis zur Volkskammerwahl am 18. März 1990 eine Reihe von Gesetzesvorhaben ein, die auf der Linie des Reformkonzepts der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" lagen.

Für solche "Reformen von oben" gab es in der deutschen Geschichte zwar Vorläufer, jedoch nur unter Umständen, bei denen Staat und Gesellschaft aufeinander angewiesen waren. Beispiele sind die Niederlage Preußens gegenüber dem Napoleonischen Frankreich 1806 oder die Bismarck'schen Reformen der Wirtschaftsverfassung. Solche Voraussetzungen waren in der DDR indes nicht mehr gegeben. Der Staat, der um seiner Reformfähigkeit willen auf die Unterstützung seiner Bürger angewiesen war, wurde von diesen abgelehnt. Dies war nicht nur der Preis von 40 Jahren SED-Diktatur. Es war vor allem auch die Existenz einer realen Alternative, für die sich bereits Hunderttausende von DDR-Bürgern mit der sprichwörtlichen "Abstimmung mit den Füßen" entschieden hatten: die Bundesrepublik und deren politische und wirtschaftliche Ordnung.

Am 12. Februar 1990 befasste sich der Runde Tisch mit der Vorlage Nr. 12/29, die den Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums" zur "umgehenden Bildung einer Treuhandgesellschaft (Holding)" enthielt. Die Vorlage reagierte auf jene Rahmenbedingungen, die im Papier der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" ausgeklammert waren, nämlich die absehbare "Angliederung der DDR an die Bundesrepublik Deutschland". Durch die Errichtung einer "Treuhandgesellschaft" als Kapital-Holding sollte die Rechtslücke ausgefüllt werden, die - jedenfalls für das "Volkseigene Vermögen" als einheitliche Vermögensmasse - bei einer "Angliederung der DDR an die Bundesrepublik Deutschland" befürchtet wurde, weil die Rechtsordnung der Bundesrepublik das Institut des "Volkseigentums" nicht kannte. "Als erste Handlung", hieß es in der Vorlage, "müsste diese Holding-Gesellschaft gleichwertige Anteilsscheine im Sinne von Kapitalteilhaber-Urkunden an alle DDR-Bürger emittieren. (...) Das heißt, das die Kompetenzen und Aufgaben definierende Statut dieser Treuhandgesellschaft müsste durch die neu gewählte Volkskammer (solange es diese gibt) oder später durch Volksentscheide der Bürger in den Ländern der ehemaligen DDR definiert werden."

Die Vorlage wurde an die "Arbeitsgruppe Wirtschaft" des Runden Tisches sowie an die Arbeitsgruppen "Recht" und "Verfassung" überwiesen und auch an Modrow geleitet. Der Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums", vorgelegt von Gerd Gebhardt, in der Öffentlichkeit aber vor allem mit dem Mitglied des Forschungskollegiums und Minister ohne Geschäftsbereich Wolfgang Ullmann in Verbindung gebracht - fand ein breites Medienecho, das sich vor allem auf die Ausgabe verbriefter Anteile am "Volkseigenen Vermögen" an alle DDR-Bürger bezog. Die Rechtslücke, auf die sich der Vorschlag zur Bildung einer "Treuhandgesellschaft" als Kapitalgesellschaft nach bundesdeutschem Recht bezog, war im Papier der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" unter Krause offen gelassen worden. Wenn man, im Unterschied zur "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform", die Auflösung der DDR antizipierte, konnte man dem Rechtsinstitut des "Volkseigenen Vermögens" keine Bindungskraft mehr zuerkennen.

Schon seit Dezember 1989 hatte sich nicht nur eine - weitgehend illusionäre - "Joint-Venture"-Euphorie in vielen Volkseigenen Betrieben (VEB) und Kombinaten abgezeichnet, sondern auch die Tendenz vieler Betriebe und ihrer Direktoren, sich, im doppelten Wortsinn, selbständig zu machen und den nominellen Eigentümer, das Volk der DDR, seines Eigentums und dessen politischen Repräsentanten der tatsächlichen Kontrolle über die Unternehmen zu berauben. Es gab daher in der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" schon im Dezember 1989 oder Anfang Januar 1990 Überlegungen, die VEB und Kombinate kurzerhand in Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften umzuwandeln. Marc Kemmler hat darauf hingewiesen, dass in der DDR das GmbH-Gesetz von 1892 und das Aktiengesetz von 1937 nie außer Kraft gesetzt worden waren, so dass eine Grundlage für solche Umwandlungen sogar in der DDR-Rechtsordnung vorhanden war. Die Geschäftsanteile der so geschaffenen GmbHs und AGs sollten nach den Überlegungen in der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" von einem "Schatzamt" gehalten werden. Dieser Vorschlag war im Papier vom 1. Februar 1990 nicht enthalten. Trotzdem gab es mit der Idee eines "Schatzamtes" und dem Vorschlag zur Gründung einer "Treuhandgesellschaft" in der Vorlage des "Freien Forschungskollegiums" für die Sitzung des Runden Tisches am 12. Februar 1990 einen Konvergenzpunkt.

Geburt der "Treuhandanstalt"

Der Ministerrat der DDR, dem der Vorschlag zur Schaffung einer "Treuhandgesellschaft" des "Freien Forschungskollegiums" durch Wolfgang Ullmann vorgelegt worden war, beauftragte am 22. Februar 1990 den mittlerweile als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und als "Regierungsbeauftragter für die Wirtschaftsreform" fungierenden Wolfram Krause mit der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs. Dieser wurde von Krause bereits am 26. Februar vorgelegt. Er enthielt einen Beschlussentwurf zur Gründung einer "Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt)" und den Entwurf zu einer "Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Betrieben, Einrichtungen, Kombinaten sowie wirtschaftsleitenden Organen in Kapitalgesellschaften".

Die Vorschläge Krauses und der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" nahmen die Idee einer "Treuhandstelle" aus dem Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums" bzw. des "Schatzamtes" aus den internen Überlegungen auf, nicht aber den Vorschlag für eine Anteilsscheinregelung zugunsten der DDR-Bürger. Dies wurde in einer Stellungnahme des "Freien Forschungskollegiums" vom 28. Februar kritisiert. Außerdem sei das Modell einer "Treuhandanstalt" Ausdruck "bürokratisch-zentralistisch verwalteter Strukturen, die ihren historischen Bankrott erwiesen haben". Die parlamentarische Kontrolle der "Treuhandgesellschaft" sei nicht gewährleistet. Ein Mangel sei ferner, "daß eine Bewertung des Volkseigentums nicht frei über konkurrierende Anfragen nach Kapitalbeteiligung auf dem internationalen Markt erfolgen soll, sondern daß die Hilfskonstruktion einer Gebrauchswertermittlung benutzt wird, die als bisheriger volkswirtschaftlicher Bewertungsmechanismus versagt hat". Schließlich könne sich "wegen der letztlich ungeklärten Eigentümerrolle (...) kein Anreiz zur Übernahme des unternehmerischen Risikos in Form internationaler Kapitalbeteiligungen" ergeben.

Etliche der Kritikpunkte spielten bei der Diskussion um die Neufassung des Treuhand-Gesetzes (das am 17. Juni 1990 von der Volkskammer verabschiedet wurde) eine Rolle, und einige, wie der Hinweis auf "bürokratisch-zentralistische Strukturen" oder auf die fehlende parlamentarische Kontrolle, sollten sich als geradezu prophetisch erweisen. Zum anderen schlugen sich in der Stellungnahme des "Freien Forschungskollegiums" nicht weniger Ungereimtheiten nieder, als die Autoren ihrerseits im Beschlussentwurf der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" meinten entdecken zu können. Einerseits wurde richtigerweise auf die notwendige Mobilisierung von Kapital und unternehmerischem Know-how für die angestrebte Überführung der Zentralverwaltungswirtschaft in marktwirtschaftliche Strukturen hingewiesen. Andererseits wurde unterstellt, dass sich Manager und Kapitalgeber durch parlamentarische Politisierung der anvisierten Treuhandanstalt und ihrer Unternehmen weniger schrecken ließen als durch "bürokratisch-zentralistische Strukturen".

Aus der Gesamtschau der Vorschläge lassen sich Problembeschreibungen und vage Institutionalisierungsvorstellungen ablesen, die unter den großen politischen und wirtschaftlichen Unsicherheiten im Frühjahr 1990 kaum präziser hätten sein können. Sowohl die Konzeption des "Freien Forschungskollegiums" als auch die der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" beschrieben zentrale Probleme des Umgangs mit dem "Volkseigenen Vermögen" unter - von beiden Seiten unterstellten - künftigen marktwirtschaftlichen Bedingungen. Das Konzept der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" war eher minimalistisch und daher unter den obwaltenden Umständen nicht unrealistisch. Als Hauptaufgabe wurde die Herstellung eindeutiger und marktwirtschaftskonformer Rechtsverhältnisse betrachtet. Hier war also eine nach westdeutschem Rechtsverständnis "hoheitliche" Aufgabe zu erledigen, und es war nicht nur plausibel, sondern geradezu unausweichlich, dafür eine staatliche Zentralbehörde vorzusehen. Es war - immer unter der Annahme stabiler politischer und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen - auch plausibel, die entstehenden Kapitalgesellschaften als die eigentlichen dezentralen Einheiten zu betrachten, die sich auf der Grundlage klar definierter Rechtsbeziehungen künftig am Markt zu bewähren hatten.

In die Vorstellungen des "Freien Forschungskollegiums" mischten sich dagegen Problemdefinitionen, die eher der staatlichen Letztverantwortung auch für das operative Geschäft der unternehmerischen Einheiten Rechnung trugen, ein Umstand, der in der Vorlage der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform" zur "Gründung einer Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" ausgeklammert blieb. Wie, mit welchen Organisationsstrukturen und mit welchen Personalressourcen sollte der Staat dieser quasi-unternehmerischen Verantwortung unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gerecht werden? Was sollte im Vordergrund stehen, die verlässliche Direktionsgewalt gegenüber den Betreibern im Interesse der Letzteigentümer - das Schlagwort shareholder war damals noch nicht im Umlauf -, also der Bürger der DDR, oder die Handlungsfreiheit und Flexibilität der Einzelunternehmen? Wie wollte man Kapitalressourcen und Managementkapazitäten mobilisieren, wenn man einerseits einen "Ausverkauf" des "Volkseigenen Vermögens" verhindern, andererseits, wie das "Freie Forschungskollegium" forderte, Eigentumsstrukturen mit dem "Anreiz zur Übernahme des unternehmerischen Risikos in Form internationaler Kapitalbeteiligungen" erreichen wollte, in der richtigen Einschätzung, dass "eine Verantwortungsbereitschaft (...) ausschließlich durch das Risiko des persönlichen Besitzverlustes und die Erwartung von Besitzvermehrung (Gewinn) genährt" würde?

Die in aller Eile ausgearbeiteten Änderungsvorschläge und eine Intervention Ullmanns und weiterer Mitglieder des "Freien Forschungskollegiums" (Artzt, Gebhardt, Schönfelder) bei Wirtschaftsministerin Luft bewirkten keine Änderung mehr an der Vorlage der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform". Am 1. März 1990 fasste der Ministerrat den "Beschluss zur Gründung der Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums (Treuhandanstalt)" und verabschiedete die "Verordnung zur Umwandlung von volkseigenen Kombinaten, Betrieben und Einrichtungen in Kapitalgesellschaften".

Volkskammerwahl, Staatsvertrag und Währungsunion

Die Wahl zur Volkskammer am 18. März 1990 brachte eine Klärung und auch die erhoffte Stabilisierung der politischen Verhältnisse in der DDR, die von diesem Zeitpunkt an noch sechseinhalb Monate existieren sollte. Die von der CDU geführte "Allianz für Deutschland" errang über 48 Prozent der Stimmen, die SPD landete weit abgeschlagen bei knapp 22 Prozent. Damit war eine quasi-plebiszitäre Entscheidung zugunsten einer möglichst schnellen Vereinigung beider deutscher Staaten gefallen, und zwar nach dem von der CDU im Westen wie im Osten favorisierten Modell eines "Beitritts" der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Art. 23 GG. Neuer Ministerpräsident wurde der Vorsitzende der ostdeutschen CDU, Lothar de Maizière, der eine Koalitionsregierung aus CDU, DSU, Demokratischem Aufbruch, den Liberalen und der SPD bildete. In der Koalitionsvereinbarung vom 12. April 1990 legten sich die Parteien auf den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes fest. Der Weg dazu sollte über eine Währungs- und Wirtschaftsunion mit der Bundesrepublik führen. Die Umstellung von Mark der DDR in D-Mark müsse im Verhältnis 1:1 erfolgen.

Tatsächlich bedeutete diese wirtschaftliche Radikalmaßnahme tiefgreifende wirtschaftliche Unsicherheit und für viele Ostdeutsche (wie sich herausstellen sollte: für ungefähr ein Drittel der Beschäftigten vom Frühjahr 1990) den Verlust des Arbeitsplatzes. Man kann den Schluss von Jonathan Zatlin nachvollziehen, dass die Währungsunion von der DDR-Bevölkerung im Zerrspiegel jener planwirtschaftlichen Ideologie wahrgenommen wurde, die im Zeichen von D-Mark und Marktwirtschaft gerade überwunden werden sollte. Die D-Mark wurde in der Wahrnehmung der ostdeutschen Bevölkerung auf das Symbol westlichen Wohlstandes reduziert und damit auf ein Mittel, mit dessen Hilfe die westdeutsche Regierung die ostdeutsche Bevölkerung gleichsam im Handumdrehen mit jener Warenfülle segnen könne, wie man sie in Ostdeutschland nur aus der westdeutschen Fernsehwerbung oder den Intershops kannte.

Die wochenlangen öffentlichen Diskussionen und Verunsicherungen über die Umstellungskurse wurden am 23. April 1990 durch eine Entscheidung der Bonner Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP beendet: Umstellung 1:1 für Löhne und Gehälter und 2:1 für Betriebsschulden sowie Spar- und Bargeld, ausgenommen 4000 Mark der DDR pro Person, die 1:1 getauscht werden sollten. Außerdem sollte der DDR eine schrittweise Anpassung des Rentensystems an das der Bundesrepublik bis zu einer vorläufigen Höhe von 70 Prozent des durchschnittlichen Nettoverdienstes aus 45 Versicherungsjahren angeboten werden. Als Zeitpunkt des Inkrafttretens der Wirtschafts- und Währungsunion, für die ein Staatsvertrag auszuhandeln sei, wurde der 1. Juli 1990 ins Auge gefasst. Am 18. Mai 1990 unterzeichneten die Finanzminister Theo Waigel und Walter Romberg in Bonn den Staatsvertrag zur Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.

Fazit

Das Schicksal der DDR-Wirtschaft war mit der Vereinbarung beider deutscher Regierungen über die Umstellungskurse besiegelt. Es erledigten sich damit auch alle wirtschaftlichen Reformvorstellungen, die auf einen "Dritten Weg" auf der Basis reformierter Wirtschaftsstrukturen einer fortexistierenden DDR gesetzt hatten. Niemand konnte sagen, wie die DDR-Betriebe ab dem 1. Juli 1990 mit ihren Produkten auf dem Markt Erlöse erzielen sollten, die zur Bezahlung der Vorprodukte und der Löhne in D-Mark ausreichen würden. Es waren tragischerweise die DDR-Bürger selbst, die mit ihren Demonstrationen gegen eine Währungsumstellung unterhalb der Parität bei den Löhnen eine flüchtige Wohlstandsillusion gegen eine nachhaltige Depression tauschten. Die Bundesregierung saß hier nicht am längeren, sondern am kürzeren Hebel: Sie hatte keine andere Wahl, als den Primat der Politik - die friedliche Wiederherstellung der nationalen Einheit - auf Kosten langfristiger ökonomischer und sozialer Verwerfungen durchzusetzen.

Die Vorstellungen zu einer Wirtschaftsreform wären unter den Bedingungen staatlicher Stabilität der DDR und damit der Fortdauer der deutschen Teilung ernstzunehmende Strategien der schrittweisen Umgestaltung der staatlichen Planwirtschaft zu einer staatlich verantworteten Marktwirtschaft gewesen. Damit ist aber bereits der Grund ihres Scheiterns benannt. Die DDR brach zusammen, weil ihre Bürger ihr die Loyalität entzogen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die Abhandlung stützt sich in ihrem empirischen Teilen auf mein Buch "Verwaltete Illusionen. Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger 1990 - 2000", Frankfurt/M.-New York 2005 (unter Mitarbeit von Hartmut Maaßen, Jörg Raab und Arndt Oschmann), S. 35 - 118 (Teil I, Nationale Integration und "Volkseigenes Vermögen").

  2. Vgl. Wolfram Fischer/Harm Schröter, Die Entstehung der Treuhandanstalt, in: Wolfram Fischer/Herbert Hax/Hans Karl Schneider (Hrsg.), Treuhandanstalt - Das Unmögliche wagen. Forschungsberichte, Berlin 1993, S. 20 - 25.

  3. Vgl. ebd., S. 20.

  4. Der Mythos des NÖS war auch bei den später in der Treuhandanstalt tätigen Angehörigen der damals jungen Reformgeneration aus den 1960er Jahren noch zu spüren; Interview des Verf. mit Rolf Goldschmidt, 21.3. 1995.

  5. Vgl. W. Fischer/H. Schröter (Anm. 2), S. 22; Christa Luft, Treuhand-Report, Berlin 1992, S. 18.

  6. Vgl. Hannes Bahrmann/Christoph Links, Chronik der Wende, Berlin 1994, S. 132, S. 153, S. 178.

  7. Vgl. Uwe Thaysen, Der Zentrale Runde Tisch der DDR. Wortprotokoll und Dokumente, Wiesbaden 2000, S. XII-XIII.

  8. Vgl. ebd., S. XV.

  9. Zit. nach: W. Fischer/H. Schröter (Anm. 2), S. 18.

  10. Vgl. Runder Tisch, 12.2. 1990, Vorlage Nr. 12/29, in: Treuhandanstalt. Dokumentation 1990 - 1994. Bd. 1, Berlin 1994, S. 24ff. Vgl. die ausführliche Darstellung der Entstehung der Vorlage bei Marc Kemmler, Die Entstehung der Treuhandanstalt, Frankfurt/M. 1994, S. 69 - 82.

  11. Im ersten Absatz der Vorlage hieß es: "Offenbar ist statt einer deutschen Fusionslösung eine baldige Angliederung der DDR an die Bundesrepublik Deutschland wahrscheinlich geworden. Damit 40 so schrecklich fehlgeleitete Lebensjahre voller Arbeit und Mühen für die Bürger der DDR nicht gänzlich ergebnislos bleiben, wird der o. g. Vorschlag unterbreitet. Durch die sofortige Schaffung der o. g. Kapital-Holding-Treuhandgesellschaft als neues Rechts-Subjekt würde dafür Sorge getragen werden, daß das im Volksbesitz befindliche Eigentum (...) in der DDR nicht herrenlos wird und einfach verloren geht (an wen mit welcher Berechtigung?)."

  12. "Zielstellung, Grundrichtungen, Etappen und unmittelbare Maßnahmen der Wirtschaftsreform" vom 1.2. 1990, in: Treuhandanstalt (Anm. 10), S. 7 - 14.

  13. "Hier liegt der Schwerpunkt auf der Förderung unternehmerischer und handwerklicher Initiativen, wobei Gewerbefreiheit bei gleichzeitigem Schutz des Handwerks und seiner Traditionen zu garantieren ist." Papier "Zielstellung, Grundrichtungen, Etappen und unmittelbare Maßnahmen der Wirtschaftsreform" der "Arbeitsgruppe Wirtschaftsreform beim Ministerrat der DDR" vom 1.2. 1990, Nr. II A, in: ebd., S. 8.

  14. Ebd., Nr. II C.

  15. Vgl. M. Kemmler (Anm. 10), S. 65f. Zu diesen Maßnahmen zählte das Gewerbegesetz vom 6. 3. 1990 (Gesetzblatt der DDR/GBl I 1990, Nr. 17, S. 138), das Gesetz zur Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen vom 7. 3. 1990 (dieses Gesetz regelte die Reprivatisierung der 1972 enteigneten Unternehmen; GBl I 1990, Nr. 17, S. 141), das Steueränderungsgesetz vom 6. 3. 1990 (GBl I 1990, Nr. 17, S. 136), das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Staatsbank vom 6. 3. 1990 (mit der Zulassung selbständiger Geschäftsbanken; GBl I 1990, Nr. 16, S. 125) und die vom Ministerrat der DDR am 25. 1. 1990 erlassene "Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung in der DDR" (auch als "Joint-Venture-Verordnung" geläufig; GBl I 1990, Nr. 4, S. 16).

  16. Vorlage des "Freien Forschungskollegiums" für die Sitzung des Runden Tisches am 12.2. 1990, in: Treuhandanstalt (Anm. 10), S. 24ff.

  17. Ebd.

  18. Vgl. Der Zentrale Runde Tisch der DDR - Wortprotokolle und Dokumente, Bd. III, S. 761

  19. Vgl. M. Kemmler (Anm. 10), S. 76.

  20. Vgl. ebd., S. 78, mit Bezug auf ein Interview mit Krause vom 6.10. 1992.

  21. Vgl. ebd., S. 98.

  22. Vgl. C. Luft (Anm. 5), S. 28.

  23. Vgl. Treuhandanstalt (Anm. 10), S. 18.

  24. Ebd., S. 18 - 23.

  25. Vgl. ebd., S. 15ff.

  26. Vgl. ebd., S. 1 - 26; C. Luft (Anm. 5), S. 20 - 31, M. Kemmler (Anm. 10), S. 69-82; W. Fischer/H. Schröter (Anm. 2), S. 20 - 30; Interviews des Verf. mit Wolfram Krause vom 19.3. und 24.4. 1993.

  27. Freies Forschungskollegium, Kritik zur Vorlage "Gründung einer Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums" von W. Krause, Berlin, 28.2. 1990, in: Treuhandanstalt (Anm. 10), S. 15ff.

  28. Dass die Anteilsscheinregelung aus dem Vorschlag des "Freien Forschungskollegiums" vom Ministerrat nicht übernommen wurde, führte Krause später auf die erheblichen organisatorischen Probleme zurück, welche die Umsetzung dieses Vorschlags mit sich gebracht hätte (im Interview des Verf. vom 24.2. 1993).

  29. GBl. DDR I 1990, Nr. 14, S. 107f.

  30. Vgl. Jonathan R. Zatlin, The Currency of Socialism, Cambridge-New York 2007.

  31. Vgl. Georg A. Akerlof u.a., In From the Cold: The Economic Aftermath of Currency Union. Brookings Papers for Economic Activity, Vol. 1, Washington 1991; Gerlinde Sinn/Hans-Werner Sinn, Kaltstart. Volkswirtschaftliche Aspekte der Wiedervereinigung, München 1993, S. 77 - 86.

Dr. rer. pol., geb. 1953; Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften, Lehrstuhl für Innenpolitik und öffentliche Verwaltung, Universität Konstanz, Universitätsstraße 10, 78457 Konstanz.
E-Mail: E-Mail Link: wolfgang.seibel@uni-konstanz.de