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Editorial | Gewerkschaften | bpb.de

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Editorial

Asiye Öztürk

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Mit dem Übergang vom wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus zum Finanzmarkt-Kapitalismus setzte ein Einflussverlust der Gewerkschaften ein. Es gilt, die Rolle der Gewerkschaften, ihr Selbstverständnis und ihre Organisationsprozesse neu zu denken.

Das Unwort des Jahres 2009 lautet "betriebsratsverseucht". Die Gesellschaft für Deutsche Sprache begründete ihre Wahl damit, dass es ein "sprachlicher Tiefpunkt im Umgang mit Lohnabhängigen" sei, die Wahrnehmung von Arbeitnehmerinteressen als Seuche zu bezeichnen. Gewerkschaftliche Tarifpolitik und betriebliche Mitbestimmung gelten nach wie vor als wichtige Pfeiler der industriellen Beziehungen in Deutschland. So gehört der Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit und für einen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu den tragenden Säulen jeder demokratischen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Mit dieser Funktion und in diesem Selbstverständnis haben freie Gewerkschaften maßgeblich zur Herausbildung des Sozialstaats und zur Stabilisierung der Nachkriegsdemokratie beigetragen.

Mit dem Übergang vom wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus zum Finanzmarkt-Kapitalismus setzte ein Einflussverlust der Gewerkschaften ein. Die Auflösung der Industriearbeiterschaft wie auch die Globalisierung und Differenzierung der Arbeitswelten führten zur Erosion der personellen, politischen und sozioökonomischen Grundlagen gewerkschaftlichen Handelns. Die Folge war nicht nur eine Abnahme ihrer Organisationsmacht und ein Bedeutungsverlust des Flächentarifvertrags. Auch die Stellung der Gewerkschaften als korporatistische Funktionseliten und damit als Teil des Elitekanons der Industriegesellschaft erfuhr eine Schwächung.

Es gilt, die Rolle der Gewerkschaften, ihr Selbstverständnis und ihre Organisationsprozesse neu zu denken. Die Dynamik in den innergewerkschaftlichen Diskussionen um eine Revitalisierung deutet an, dass sie sich dieser gesellschaftlichen Herausforderung stellen und die Debatten um eine Demokratisierung der Wirtschaft und damit der Gesellschaft insgesamt wieder mitbestimmen wollen.