Einleitung
Das Recht des Strebens nach Glück, "the pursuit of happiness", ist eines der grundlegendsten Rechte eines jeden Menschen auf dieser Erde. Dass zum Glück eines Menschen auch eine möglichst erfüllte Sexualität gehört, ist unbestreitbar, wobei akzeptiert ist, dass Menschen auch in freiwillig gewählter sexueller Enthaltsamkeit, etwa aus religiösen Gründen, ihr Glück finden können. Menschen jedoch zum Verzicht und zur Ablehnung ihrer eigenen, von der Natur ihnen geschenkten sexuellen Identität zu zwingen, ist nicht akzeptabel.
Für die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung gehört gelebte und erfüllte Sexualität zu einem glücklichen Leben. Doch darauf nimmt die internationale Menschenrechtsdiskussion bis heute nur wenig Rücksicht. Die deutlicher formulierten Rechte in internationalen Konventionen sind Ausformungen und Präzisierungen dessen, was angestrebtes Glück ausmachen sollte. Doch finden wir in diesen konkretisierten Menschenrechten nicht das Recht auf sexuelle Erfüllung, welche die Freiheit und den Schutz sexueller Identität eines jeden Menschen zur Voraussetzung hat.
Im Gegenteil, in derzeit 76 Ländern der Welt wird eine bestimmte sexuelle Identität, die nicht der Mehrheitsidentität entspricht, die Homosexualität, mit strafrechtlichen Sanktionen verfolgt. In sieben Ländern wird die Erfüllung dieser sexuellen Identität, die sich nach gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen niemand aussuchen kann, sogar mit dem Tode, etwa durch Erhängen oder Steinigen, bestraft. Es ist erstaunlich, dass solch einem Verfolgungs- und Diskriminierungstatbestand sowohl von den Akteuren im politischen als auch im wissenschaftlichen Bereich der internationalen Gemeinschaft über Jahrzehnte hinweg kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Bis heute versuchen starke Akteure der Weltgemeinschaft jede Debatte darüber zu verhindern. Anstatt der schon von dem englischen Rechtsphilosophen Jeremy Bentham (1748-1832) formulierte Maxime, nach der politische Akteure "the greatest good for the greatest number of people" anzustreben hätten, zu folgen, stürzen sie unzählige Menschen durch Gesetze, die Homosexualität unter Strafe stellen, ins Unglück.
Es ist höchste Zeit, diese unwürdige Situation zu verändern, dass hunderte Millionen von Menschen ihr Streben nach Glück nur versteckt, stets von Erpressung und Verfolgung bedroht, oft nur unter Gefahr für Leib und Leben wahrnehmen können. Ungezählt sind diejenigen, die sich damit abgefunden haben, ihre Sexualität angesichts der schwerwiegenden strafrechtlichen Sanktionen nicht auszuleben. Ungezählt sind die Menschen, die diesem Druck nicht standhalten, und angesichts der Versagung ihres Rechtes auf sexuelles Glück Selbstmord begehen. Die Menschheit hat es geschafft, die Sklaverei abzuschaffen, die Stellung der Frau und ihre Gleichberechtigung voranzutreiben. Es muss möglich sein, Millionen Menschen - bei einem in der Wissenschaft zugrunde gelegten Prozentsatz homosexueller Menschen von etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung betrifft die Problematik global rund 350 bis 700 Millionen Menschen - aus dem Elend von Angst und Verfolgung zu befreien. Deren Schicksal zu ignorieren und ihnen das Recht des Strebens nach einem glücklichen Leben mit erfüllter Sexualität zu verweigern, ist schändlich.
Zielrichtung aller Bemühungen um universellen Menschenrechtsschutz war und ist es, gerade den Einzelnen dem willkürlichen Zugriff des Staates zu entziehen und den Staaten durch universell gültige Menschenrechte zwingende Grenzen aufzuzeigen - Grenzen, die als Mindeststandards unter keinem Vorwand, insbesondere nicht unter dem Vorwand des Erhalts kultureller Vielfalt, verletzt werden dürfen. Eine Welt, in der Frauen allein auf Grund ihres Geschlechts unter dem Vorwand kulturell-religiöser Identität und Vielfalt etwa durch Beschneidung erniedrigt werden, darf ebenso wenig geduldet werden wie eine, in der Menschen allein aufgrund ihrer homosexuellen Orientierung diskriminiert, verfolgt oder getötet werden.
Erschreckend an der aktuellen Situation ist, dass Verfolgung, Diskriminierung und Ächtung nicht etwa versteckt erfolgen, sondern dass diese von Religionsgemeinschaften, Regierungen und Einzelpersönlichkeiten offen und mehr oder minder aggressiv betrieben werden. Dabei verlassen sich diejenigen, die bis zur Anwendung physischer Gewalt schreiten, häufig auf die stillschweigende Legimitierung durch jene, die homosexuelles Verhalten zwar ächten, aber den Betroffenen mit Mitleid und Verzeihen gegenübertreten. Solange dieser Legitimationshintergrund wirkt, ist es außerordentlich schwer, die aggressive Verfolgungs- und Diskriminierungssituation Homosexueller weltweit zu entspannen. Dass es möglich ist, zeigen Entwicklungen in den stark katholisch geprägten lateinamerikanischen Ländern, in denen sich die Situation für Homosexuelle gegen den Widerstand der Kirche grundlegend verbessert hat. Einige dieser Länder stehen an der Spitze der Bewegung innerhalb der Vereinten Nationen (UNO), die Diskriminierung und Verfolgung Homosexueller weltweit zu ächten.
Verfolgungssituation und einige Lichtblicke
Der zur Verfügung stehende Raum reicht lediglich aus, um auf die außerordentlich schwierige Menschenrechtssituation Homosexueller in vielen Ländern der Welt hinzuweisen. Dabei häufen sich Beispiele verschärfter Verfolgung. So plant das afrikanische Uganda, die Strafen für homosexuelle Handlungen drastisch bis zu lebenslanger Haft und Todesstrafe zu verschärfen. Besonders bemerkenswert erscheint die vorgesehene Bestimmung, wonach jeder Bürger verpflichtet wird, innerhalb von 24 Stunden nach Kenntnis die Identitäten aller ihm bekannten lesbischen, homosexuellen, bi- oder transsexuellen Personen den Behörden zu melden. Desgleichen werden die Bürgerinnen und Bürger verpflichtet, den Behörden diejenigen zu melden, die für die Rechte solcher Personen eintreten. Wer diesen Verpflichtungen nicht nachkommt, muss mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.
Kamerun erregte die Aufmerksamkeit des UNO-Menschenrechtsrats auf seiner Sitzung im Juni 2009 durch die Härte des Paragrafen 347 seines Strafgesetzbuches. Auf die dringende Empfehlung, die Strafbarkeit für einvernehmlich homosexuelle Handlungen abzuschaffen, da diese nicht mit internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar sei, antwortet die Regierung: "This is an extremely sensitive issue in the cultural environment and whereas Cameroon understands the wishes of the international community, it must balance them with this sensitivity." Die Antwort des Menschenrechtsrats ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: Kamerun suche nicht etwa eine Balance, sondern verstoße durch die strafrechtliche Verfolgung Homosexueller gegen die Menschenrechte.
Hinzu kommt die Einschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit, welche die Ängste, Ignoranz und Hilflosigkeit der betreffenden Staaten, mit dem Thema Homosexualität umzugehen, offenbart. Bürgerinnen und Bürger, welche die Verfolgung in ihrem Staat thematisieren wollen, werden oftmals verfolgt, Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Homosexualität befassen, werden zensiert. Glauben die chinesischen Verantwortlichen wirklich, dass der mit Oscars überhäufte Spielfilm "Brokeback Mountain", der eine anrührende, auf Grund gesellschaftlicher Repression unerfüllte Liebesgeschichte zweier Cowboys zeigt, die Jahrtausende alte Kultur Chinas gefährden würde?
Nicht zuletzt durch die staatlicherseits geschaffene und von Religionsgemeinschaften meist ausdrücklich oder stillschweigend unterstützte und legitimierte rechtliche Verfolgungssituation fühlen sich Einzelne, besonders Angehörige bildungsferner Schichten, in ihrem Hass gegen Homosexuelle bestätigt und legitimiert, diesem in gewaltsamen Handlungen Ausdruck zu verleihen. Da Gewalt gegen Homosexuelle in aller Welt zur nahezu unbemerkten Alltäglichkeit gehört, erregen nur besonders spektakuläre Fälle Aufsehen. Etwa der Fall des 22-jährigen Studenten Matthew Shepard in Wyoming/USA: Nachdem er brutal zusammengeschlagen worden war, banden die Angreifer ihn an einen Zaun, wo er qualvoll verdurstete.
Allerdings besteht auch in der Bundesrepublik trotz aller Fortschritte kein Grund zur Zufriedenheit. Nicht nur die unselige Kontinuität nationalsozialistisch verschärfter Verfolgungsgesetzgebung weit hinein in die Geschichte der Bundesrepublik trübt das Bild, sondern auch die Tatsache, dass in unserem Land Gewalt, Mobbing, Verächtlichmachung und Ausgrenzung gegenüber Homosexuellen nach wie vor alltäglich sind. Während die französische Regierung es sogar für angebracht erachtet, eine groß angelegte Kampagne gegen Homophobie an den Universitäten zu starten, nimmt man hierzulande die Leiden homosexueller Schüler und die latente Homophie in den Schulen und Universitäten offenbar als unabänderlich hin. Symptomatisch dafür ist das Beispiel einer Fernsehdokumentation, in der dem malträtierten Jungen, der die Schule wechselte, weil er dem Druck nicht standhielt, von der Schulleitung erklärt wurde, es sei ein Fehler gewesen, seine sexuelle Identität preiszugeben. Nicht hilfreich ist auch die "Spaßkultur", nicht zuletzt öffentlich-rechtlicher Medien, in denen die stereotypen Vorurteile gegenüber Homosexuellen, besonders, wenn sich prominenter Anlass bietet, unter allgemeinem Gelächter schamlos bedient werden.
Angesichts dieser deprimierenden Situation ist es von Bedeutung, dass es sowohl im Rahmen der UNO, aber auch in einzelnen Ländern Entwicklungen gibt, die diesen Zustand verändern könnten. Dabei spielt der Begriff der Menschenwürde und die Erkenntnis, dass zur Persönlichkeit und Würde eines Menschen auch dessen Sexualität gehört, eine entscheidende Rolle. So hob das Oberste Gericht des indischen Bundesstaates New Delhi in einem weltweit beachteten Urteil den aus Kolonialzeiten (1861) stammenden Paragrafen 377 des Strafgesetzbuches zur "unnatürlichen Liebe" auf. Die Bestrafung einvernehmlicher homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen sei mit der indischen Tradition und der Verfassung nicht vereinbar.
Ursachen der Verfolgung
Religiöse Gründe.
Die andauernde Verfolgung Homosexueller in aller Welt findet ihre geistige und geistliche Legitimation in der Haltung der christlichen Kirchen und des Islam. Für männliche und weibliche Homosexuelle hat der Islam die strengsten Strafen vorgeschrieben. Nachdem auf Basis der Scharia der Beweis erbracht wurde, "sollen sie ihn (oder sie) ergreifen, sie sollen dafür sorgen, dass er stehenbleibt, sie sollen ihn mit einem Schwert entzwei spalten, sie sollen seinen Körper von seinem Kopf abtrennen. Oder sie sollen ein Loch graben und ein Feuer in dieser Grube entzünden und ihn bei lebendigem Leibe ins Feuer werfen."
Die Strafen der christlichen Kirche gegen Homosexuelle standen über Jahrhunderte in nichts der Grausamkeit derer im Islam nach. Das "Verbrechen" Homosexualität wurde in der christlichen Jurisdiktion als das abscheulichste, noch verwerflicher als Mord, angesehen. Deshalb genügte nicht die einfache Todesstrafe, sondern sie wurde mit unaussprechlichen, vorhergehenden und begleitenden Qualen verbunden: "Wohnt ein Mann seinesgleichen wie einem Weibe bei, so haben beide Abscheuliches getan. Sie sollen des Todes sterben. Blutschuld belastet sie."
Während in Teilen der islamischen Welt die beschriebene Strafe noch heute Anwendung findet, geht es den christlichen Kirchen in ihrem Kampf gegen Homosexualität nicht mehr um Bestrafung, sondern um Ausgrenzung. Heute kommt diese offene und verdeckte, feindselige Beurteilung Homosexueller in christlichen Kirchen im Gewand der Verteidigungspflicht des Schutzes der Ehe oder des Schutzes jugendlicher Internatsschüler vor homosexuellen Päderasten daher: "Die Ehe ist heilig, während homosexuelle Beziehungen gegen das natürliche Sittengesetz verstoßen."
Bei allen Meinungsunterschieden zwischen Christentum und Islam: In der Beurteilung homosexueller Handlungen besteht zwischen den beiden Weltreligionen grundsätzliche Übereinstimmung, die auf der internationalen Bühne der Menschenrechtsdiskussion zu einer verschworenen Kampfgemeinschaft geführt hat. Obwohl die Auffassungen in islamisch geprägten Ländern durchaus heterogen sind, ist es bemerkenswert, dass die Mehrzahl der Staaten, in denen ein Totalverbot homosexueller Handlungen besteht, und alle Länder, in denen solche Handlungen mit der Todesstrafe bedroht sind, islamisch geprägt sind. Wie in der christlichen Religion kann man durchaus nicht zwangsläufig eine derart rigide Ablehnung homosexueller Handlungen aus den Schriften ableiten. Im Islam wie in der christlichen Lehre gibt es die unterschiedlichsten Auslegungen. Aber selbst wenn die Aussagen zur Homosexualität eindeutig ablehnend wären, stellt sich die Frage, ob Verfolgung und Diskriminierung von Menschen aufgrund religiöser Überzeugung nicht den Mindeststandard internationalen Menschenrechtsschutzes verletzen. Mit anderen Worten: Religiöse Überzeugungen haben hinsichtlich der Erfordernisse universalen Menschenrechtsschutzes zurückzustehen. Ansonsten wäre die Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes der vergangenen Jahrzehnte, die bewusst der Souveränität der Staaten hinsichtlich der Behandlung ihrer Bürger Grenzen aufzeigt, gefährdet.
Historisch-politische Gründe.
Eine Ironie der augenblicklichen Verfolgungssituation in Ländern, die ehemals Kolonien westlicher Staaten waren, ist die Tatsache, dass die Strafbarkeit homosexueller Handlungen einst durch die Kolonialmacht, insbesondere Großbritannien, eingeführt wurde. Heute sehen solche Staaten diese Strafvorschriften nicht etwa als abzuschaffende Relikte kolonialer Geschichte an, sondern nicht selten als authentischen Ausdruck ihrer nationalen Kultur und Werteordnung. Jede Diskussion über die Abschaffung dieser Vorschriften wird als Versuch westlich-dekadenter Kräfte interpretiert, ihre Werte diesen Staaten aufzwingen zu wollen. So erklärte der ugandische Ethikminister: "Wir haben herausgefunden, dass andere Länder uns zu Zugeständnissen in der Frage der Homosexualität zwingen wollen. (...) Es ist Pflicht der Ugander aufzupassen, denn Agenten der Unmoral sind unterwegs und versuchen mit Tricks, unserer Gesellschaft zu schaden."
Es ist unschwer erkennbar, dass solche Argumentation in einer uralten, westlich-christlichen Beurteilung von Homosexualität gründet, etwa der folgenden: "Solche Entartete haben kein Recht und keine Fähigkeit, in der bürgerlichen Gesellschaft zu existieren, sie sind in hohem Grad gemeingefährlich, sie sind es auf Lebensdauer, denn gegenüber ihrer organischen Störung erweist sich die ärztliche Kunst machtlos. Man halte sie hinter Schloss und Riegel auf Lebenszeit, aber man brandmarke sie nicht als Verbrecher, sie sind Unglückliche, die Mitleid verdienen."
Vor der Kolonialzeit und der Ausbreitung des Christentums und westlicher Werte wurde Homosexualität in vielen Ländern oft akzeptiert oder zumindest toleriert, aber mitnichten strafrechtlich sanktioniert. Die Überzeugung, dass die Forderung nach Abschaffung der Sanktionen aus dem dekadenten Westen zurückgewiesen werden müsse, wird finanziell und geistig unterstützt von religiösen Gruppierungen besonders aus den USA, die hier Terrain sichern wollen, das in ihrer Heimat verloren ging.
Auswirkungen von Verfolgung und Diskriminierung
In der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zu den Auswirkungen der Strafnormen auf das Leben von Einzelnen heißt es: "Das Verbot einvernehmlicher homosexueller Handlungen unter Erwachsenen, verbunden meist mit starker gesellschaftlicher Tabuisierung und Ächtung, führt grundsätzlich zu einer Diskriminierung der Angehörigen sexueller Minderheiten in den betroffenen Ländern. Die Bundesregierung hat keine Erkenntnisse darüber, welche Auswirkungen dies im Einzelnen auf das Leben der Angehörigen sexueller Minderheiten hat."
Es gibt für Wissenschaftler, die sich mit den Menschenrechten und ihrem Schutz befassen, wohl kaum eine schmerzlichere Erfahrung, als sich auf die Wirklichkeit unterdrückter und verfolgter Homosexualität einzulassen. Dabei gilt das für die Historie ebenso wie für die Gegenwart. Wie kann man Studierenden etwa erklären, dass noch in der jungen Bundesrepublik aus den Konzentrationslagern befreite, mit dem "Rosa Winkel" stigmatisierte Menschen nicht nur vergebliche Anträge auf Entschädigung wie Angehörige anderer Opfergruppen stellten, sondern als Antwort die Aufforderung bekamen, sich zum Antritt ihrer Reststrafe im Zuchthaus Moabit zu melden, da sie unter dem in der Bundesrepublik mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichts fortgeltenden NS-Recht zur Strafbarkeit der Homosexualität im "Dritten Reich" rechtskräftig verurteilt worden waren?
Wie kann man ertragen, dass die Taliban zwei junge Männer lebendig begruben, aber auch, dass das von der Bundesrepublik unterstützte Afghanistan die Scharia, die drastische Strafen für homosexuelle Handlungen vorsieht, in manchen Landesteilen anwendet? Eine Studie über die Auswirkungen auf das persönliche Leben der Diskriminierungs- und Verfolgungssituation im Mittleren Osten weist nach, dass in Ägypten Söhne der besser gestellten Schichten durch ärztliche Behandlung "geheilt" werden sollen und in den unteren Schichten die Söhne vor die Entscheidung gestellt werden, entgegen ihrer Sexualität zu heiraten oder ohne Diskussion aus der Familie verstoßen zu werden.
Auch in Ländern, die formal strafrechtliche Sanktionen abgeschafft haben, etwa die neuen Mitgliedstaaten im Osten der EU, ist die Situation weit davon entfernt, den Betroffenen ein freies, erfülltes Leben zu ermöglichen. Aber selbst in Ländern wie Deutschland muss man erleben, dass zwar öffentliche Ämter erreicht werden können, dass aber an diese Persönlichkeiten häufig andere Maßstäbe angelegt werden als an Heterosexuelle.
Völkerrecht
Gemessen an der geschichtlichen Entwicklung des Völkerrechts ist der Schutz der Menschenrechte eine eher jüngere Entwicklung. Unter dem Eindruck der Weltkriege und der Barbarei des "Dritten Reichs" schuf die Weltgemeinschaft am 10. Dezember 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ein Dokument, in dem zum ersten Mal der Anspruch auf universale Geltung der grundlegenden Rechte für alle Menschen dieser Erde niedergelegt und definiert wurden. Sie wurden als erstrebenswerte Ziele benannt, die in der Folge durch Verträge und Interpretationen durchgesetzt werden sollten. Der zentrale Satz lautet (Artikel 2): "Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand."
Da Homosexualität zu jener Zeit noch als Krankheit verstanden wurde und das Thema tabuisiert war, dachte 1948 niemand an die Aufnahme dieser Eigenschaft als möglichen Diskriminierungstatbestand. Insofern ist es wichtig, aufgrund der fehlenden ausdrücklichen Erwähnung sicherzustellen, dass die im Völkerrecht gültigen Menschenrechte selbstverständlich auch für Homosexuelle gelten. Zu dieser Entwicklung hat die nationale und internationale Rechtsprechung beigetragen, die vermehrt Sexualität als untrennbaren Bestandteil menschlicher Würde und Privatsphäre ansieht. So entschied das UNO-Menschenrechtskomitee (UNHRC) im Fall "Toonen vs. Australia", dass Gesetze, die einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen unter Strafe stellen, nicht mit dem Menschenrecht auf Schutz der Privatsphäre vereinbar sind.
Seit 2003 tobt weithin sichtbar in der internationalen Menschenrechtsdiskussion auf UN-Ebene ein erbitterter Kampf um die Ächtung der Diskriminierung von Homosexualität und die Beseitigung der Strafvorschriften in zahlreichen Mitgliedstaaten. Eine entsprechende Initiative ging nicht etwa von der fortschrittlichen EU aus, sondern das katholisch geprägte Brasilien legte die Resolution "Human Rights and Sexual Orientation" der damaligen UN-Kommission für Menschenrechte vor. Drei Punkte seien hier zitiert, welche die Menschenrechtskommission betonen sollte: "1. Expresses deep concern at the occurrence of violations of human rights in the world against persons on the grounds of their sexual orientation; 2. Stresses that human rights and fundamental freedoms are the birthright of all human beings, that the universal nature of these rights and freedoms is beyond question and the enjoyment of such rights and freedoms should not be hindered in any way on the grounds of sexual orientation; 3. Calls upon all States to promote and protect the human rights of all persons regardless of their sexual orientation. (...)"
Der Vatikan machte im Zusammenwirken mit der Konferenz Islamischer Staaten und starkem Lobbying amerikanischer, fundamentalistisch-religiöser Gruppen gegen die Resolution mobil. In einer Note des vatikanischen UN-Botschafters hieß es: "Die sexuelle Orientierung eines Menschen ist kein Recht. Zudem kann ein Mensch an der Ausübung seines Rechts gehindert werden, ohne dass dies eine Diskriminierung ist. Ein Rückzug (der Resolution) würde nicht nur viel Zeit sparen, sondern auch eine weitere Vertiefung des Zwistes verhindern zwischen westlichen Ländern und solchen Staaten, die einem anderen Kulturkreis angehören und andere religiöse und gesetzgeberische Traditionen haben." Ein Schreiben des pakistanischen Vertreters der Organisation Islamischer Staaten ging in dieselbe, religiös argumentierende Richtung: "Nach unserer Auffassung ist sexuelle Orientierung kein Menschenrechtsthema. Wir meinen, dass die Annahme einer solchen Resolution eine schwere Beleidigung der religiösen Werte von 1,2 Milliarden Moslems und der Gläubigen anderer Weltreligionen wäre."
Seither steht das Thema Menschenrechte und Homosexualität auf der Tagesordnung der UNO. Erneut wird deutlich, dass die Fortentwicklung von Menschenrechten kein abgeschlossener, statischer, sondern ein zutiefst dynamischer Prozess ist. Dies ist nur denen fremd, die nicht anerkennen, dass Recht weder naturrechtlich unveränderbar ist noch durch göttliche Fügung entsteht, sondern eingebettet in kulturgeschichtliche Tradition und Wertediskurse von Menschen erschaffen und verändert wird. Diese mangelnde Erkenntnis wird insbesondere im Bereich des fundamentalen Menschenrechtsschutzes zu einem Problem, wenn religiöse Vorgaben wenig oder gar keine Spielräume lassen, sich gesellschaftlichen oder, wie bei der Homosexualität, medizinisch neuen Erkenntnissen zu stellen. Wenn erwiesen ist, dass Homosexualität weder eine Krankheit ist noch auf der freien Entscheidung für einen bestimmten Lebensstil beruht, sondern eine Vorgabe der Natur ist, kann man kaum mehr der überlieferten religiösen Ansicht rechtliches Gewicht beimessen, dass homosexuelle Handlungen "Akte wider die Natur" seien oder dass die Betroffenen Menschen aufgrund ihrer freien Entscheidung für einen sündigen Lebensstil geächtet werden müssen.
Eine große Anzahl von Staaten hat sich vom strengen Auftreten der katholischen Kirche und der Konferenz Islamischer Staaten nicht beeindrucken lassen. Unter Führung Frankreichs, unterstützt von der EU, wurde das Thema im Dezember 2008 durch den Entwurf der "UN Declaration on Sexual Orientation and Gender Identity" in die Generalversammlung getragen. Unterstützt von 67 der 192 UN-Mitgliedstaaten, lautet der Kernsatz des "Statements": "We reaffirm the principle of non-discrimination which requires that human rights apply equally to every human being regardless of sexual orientation or gender identity. (...) We are deeply concerned (...) that violence, harassment, discrimination, exclusion, stigmatisation and prejudice are directed against persons in all countries in the world because of sexual orientation or gender identity, and that these practices undermine the integrity and dignity of those subjected to these abuses."
Insgesamt liest sich der Entwurf wie eine Anklageschrift gegen einen Zustand massiver, weltweit verbreiteter Menschenrechtsverletzungen. Wieder war es der ständige Beobachter des Vatikans bei den Vereinten Nationen, Erzbischof Celestino Migliore, der den Widerstand gegen die Resolution anführte.
Menschenrechtspolitik Deutschlands und der EU
Trotz des erheblichen Widerstands sollten die Staaten, die sich bisher dem Resolutionsentwurf angeschlossen haben, nicht das Ziel aus den Augen verlieren, dieses Papier als Grundlage einer völkerrechtlichen Interpretation bestehender Menschenrechtskonventionen zu betrachten. Dieses Ziel ist nicht so utopisch wie es klingt, insbesondere, wenn man bedenkt, welche Veränderung in der Haltung gegenüber dem angeborenen Persönlichkeitsmerkmal Homosexualität in vielen Ländern der Welt und auch ganzen Kulturkreisen im Verlauf der Jahrtausende möglich war. Wenn es den jetzt engagierten Staaten in Zusammenarbeit mit NGOs und unter Umständen auch mit starken, global agierenden Wirtschafts- und Finanzinstitutionen gelingt, andere Staaten zu überzeugen, dann wird die Abwehrfront aufbrechen. Befürchtungen und Ängste etwa vor einer drohenden Ausbreitung von Pädophilie kann man durch die üblichen, auch für Heterosexuelle geltenden Sanktionen und eine Festlegung des Schutzalters ausräumen. Noch wichtiger ist es, die Staaten davon zu überzeugen, dass es in der Regel nicht die freie Wahl eines Lebensstils ist, die hier geschützt werden soll, sondern dass es gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis ist, dass Homosexualität eine Variante des Sexualverhaltens und der Liebe ist, die den Betroffenen als schicksalhaftes, naturhaftes Verhalten und als Persönlichkeitskategorie zuerkannt wurde.
Ferner ist die Beschränkung der Diskussion über Homosexualität allein auf Sexualität zu überwinden und anzuerkennen, dass homosexuelle Liebe ebenso rein und wahrhaftig oder unwahrhaftig sein kann wie heterosexuelle. Liebe zwischen erwachsenen Menschen gehört als Kernbereich des universellen Menschenrechtsschutzes, der die Würde eines Menschen sowie sein Recht auf Streben nach Glück umfasst, nicht in den Einflussbereich staatlichen, gesetzgeberischen Wirkens.
In diesem sicherlich noch lange Zeit benötigendem Überzeugungsprozess ist auch die Tatsache, dass ein wichtiger europäischer Staat von einem homosexuellen Außenminister in der Welt vertreten wird, von großer symbolischer Bedeutung. Es stünde der deutschen Öffentlichkeit gut an, dies als wichtigen Beitrag in der weltweiten Menschenrechtsdiskussion mit Stolz zu unterstützen. Auch die Entwicklungspolitik Deutschlands und der EU müsste sich klarer positionieren. Dort, wo Diskriminierung und Verfolgung stattfindet, die an ein Merkmal anknüpft, auf das die Verfolgten und Geächteten keinen Einfluss haben, kann es auch keine Unterstützung durch den europäischen Steuerzahler geben. Staaten haben völkerrechtlich verbindlich die Pflicht, Menschenrechtsverletzungen auf ihrem Territorium zu verhindern.
Dabei ist auch wichtig, dass die internationale öffentliche Meinung, die zum immer bedeutenderen Faktor bei der Schaffung und Interpretation völkerrechtlicher Normen wird, weiter für Fragen der Verfolgung und Diskriminierung Homosexueller sensibilisiert wird. Nur durch den Druck der internationalen öffentlichen Meinung wird es gelingen, Millionen Menschen in den Genuss ausreichenden Schutzes ihrer Würde und Privatsphäre kommen zu lassen, damit sie frei von Repression, Diskriminierung und Verachtung ihr Streben nach Glück verwirklichen können.