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Demokratisierung der EU-Agrarpolitik

Ann-Christina L. Knudsen

/ 14 Minuten zu lesen

Der Lissabon-Vertrag hat das Kräftegleichgewicht in der EU-Agrarpolitik verschoben, doch waren auf die Landwirtschaft betreffenden Gebieten schon seit Anfang der 1990er Jahre Veränderungen im Gange.

Einleitung

Das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon könne man mit einer "echten demokratischen Revolution für die gemeinsame Agrarpolitik" gleichsetzen. Diese begeisterten Worte stammen von Paolo de Castro, der seit Juni 2009 den Vorsitz des Ausschusses für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung des Europaparlaments (EP) innehat. Als Mitglied der Demokratischen (Mitte-Links) Partei Italiens und Landwirtschaftsexperte weiß de Castro, was auf dem Spiel steht. Das Neue am Vertrag von Lissabon besteht darin, dass das EP nun erstmals auf derselben Ebene stehen wird wie der Ministerrat, wenn Entscheidungen über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU getroffen werden sollen. Politische Beobachter gehen davon aus, dass mit dem Vertrag die Landwirtschaft zu einem Bereich wird, in dem das EP von seinen erweiterten Befugnissen Gebrauch machen wird.

Ein halbes Jahrhundert lang - seit dem Inkrafttreten der Römischen Verträge 1958 - lag die formale Entscheidungsgewalt ausschließlich beim Ministerrat. Die Europäische Kommission verfügte über das Recht der Gesetzesinitiative, was ihr insbesondere bei der Gestaltung von Reformen der GAP eine Schlüsselstellung verlieh. Dem EP blieb nicht mehr als beratende Funktion, was den Eindruck entstehen ließ, dem in der Geschichte der EU kostenintensivsten Politikbereich fehle es an demokratischer Legitimation; es war sogar die Rede von einem "demokratischen Defizit". Unter diesem Gesichtspunkt überrascht es, wie wenig über die Rolle der Agrarpolitik diskutiert wurde, als der Vertrag ausgearbeitet wurde.

Die GAP ist das Herzstück der EU-Agrarpolitik. Heute beansprucht die GAP etwas mehr als 40 Prozent des EU-Jahresbudgets, das sind rund 55 Milliarden Euro pro Jahr. Das entspricht ungefähr 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU oder, in Zahlen, etwa zwei Euro in der Woche für jeden EU-Bürger. Die GAP umfasst eine Reihe von Subventionen und Hilfsprogrammen für landwirtschaftliche und ländliche Gebiete, wobei EU-Gelder an private wie auch öffentliche Akteure vergeben werden. Insofern unterscheidet sich die GAP von den meisten anderen Politikbereichen, in denen die Märkte im Normalfall durch legislative Maßnahmen reguliert werden sollen. Während die GAP in der Vergangenheit häufig als zu interventionistisch kritisiert wurde, zum Beispiel von externen Partnern in der Welthandelsorganisation (WTO), hat sie sich de facto als äußerst stabile und dauerhafte politische Konstruktion erwiesen, und das schon seit den frühen 1960er Jahren. Der Vertrag von Lissabon fällt in eine Zeit, in der die EU-Agrarpolitik für immer mehr Akteure zum bedeutenden politischen Kampfplatz geworden ist. Themen wie Lebensmittel- und Ernährungssicherheit stehen in engem Zusammenhang mit Problemen wie Klimawandel oder steigenden Nahrungsmittelpreisen und betreffen den Alltag aller EU-Bürger. Das EP hat zum Beispiel seit den 1990er Jahren Mitentscheidungsbefugnisse in Belangen wie Konsumentenschutz oder Lebensmittelsicherheit, und seine Ausschüsse - für Umwelt, Gesundheitswesen und Lebensmittelsicherheit sowie Binnenmarkt und Konsumentenschutz - haben Mandate, die sich mit der Agrarpolitik überschneiden.

Landwirtschaft und Sozialpolitik

Die Reform der GAP soll bis 2013 abgeschlossen sein. Reformbestrebungen sind schon seit rund zwei Jahrzehnten im Gange. Die Europäische Kommission und zahlreiche EU-Mitgliedstaaten stehen auf dem Standpunkt, die GAP solle das Ziel eines "Grundeinkommens-Sicherheitsnetzes" für die EU-Bauern im Auge behalten. Programme zur Einkommenssicherung fallen in der Regel in den Bereich der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten, und die GAP ist praktisch der einzige politische Bereich innerhalb der EU, in dem es auch um Einkommenstransfers an Einzelne geht. Um zu verstehen, warum die EU die Landwirtschaft in diesem Maße priorisiert, muss man einen Blick auf den politischen Grundgedanken werfen, der diesem Konzept zugrunde liegt, das schon auf die Geburtsstunde der GAP in den 1960er Jahren zurückgeht.

Im Gründungsvertrag der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) aus dem Jahr 1957 heißt es, dass die Politik der Gemeinschaft der "besonderen Eigenart der Agrarpolitik" Rechnung tragen solle. Die Landwirtschaft wurde als "spezieller" Sektor der Wirtschaft gesehen. Dafür gab es vielfältige Gründe, angefangen mit der Grundvoraussetzung, dass Nahrungsmittel überlebenswichtig sind und eine konstante und adäquate Versorgung mit Lebensmitteln notwendig ist, um soziale und politische Stabilität zu gewährleisten. Die Landwirtschaft ist jedoch abhängig von Naturgewalten wie wechselnden Wetter- und Bodenverhältnissen, welche die Lebensmittelversorgung unberechenbar machen. Auch weichen soziale und politische Strukturen innerhalb Europas stark voneinander ab, was zum Beispiel den Landbesitz und das Erbrecht oder auch das Ausmaß staatlicher Intervention betrifft. Zwei zerstörerische Weltkriege, in denen aus fruchtbarem Ackerland Schlachtfelder wurden und viele Menschen an Hunger und Unterernährung litten, führten Entscheidungsträgern in ganz Europa die strategische Funktion der Landwirtschaft deutlich vor Augen.

Seit Ende des 19. Jahrhunderts, als die Nationalstaaten ihre Verwaltungen ausbauten, suchen Politiker engere Beziehungen mit Vertretern der Landwirtschaft. Landwirtschaftliche Verbände begannen sich zu organisieren. Als Anfang der 1920er Jahre eine Agrarkrise ausbrach, wurden in vielen europäischen Staaten Einrichtungen zur Stützung wichtiger landwirtschaftlicher Märkte wie für Getreide, Fleisch oder Milchprodukte geschaffen, und der staatliche Protektionismus nahm zu. Politisches Ziel war es, die Lebensmittelpreise stabil zu halten und zugleich sicherzustellen, dass die Landwirte mit relativ gleich bleibenden Erlösen für ihre Erzeugnisse rechnen konnten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Bauernvertreter auf nationaler und lokaler Ebene in den Wiederaufbauprozess einbezogen, da sie über wichtige soziale Netzwerke und die nötige Infrastruktur verfügten, um selbst die entlegensten Ecken des Landes zu erreichen.

Doch während Einkommensniveau und Lebensstandard in Westeuropa stiegen, blieb vielen Beschäftigten der Landwirtschaft ein ähnlicher materieller Aufstieg verwehrt. In einer Zeit, da technologische Innovationen hinter den Wachstumskalkulationen der Industrie standen, wurde es für viele Bauern schwierig, Schritt zu halten. Die Tatsache, dass die Landwirtschaft sehr arbeitsintensiv ist, die Immobilität von Land, komplexe Besitzstrukturen und in vielen Gebieten ein niedriges Bildungsniveau unter den Landwirten - diese grundlegenden Faktoren bedingten eine schlechte Einkommenssituation auf dem landwirtschaftlichen Sektor. Einigen Bauern freilich ging es gut, vor allem jenen, die sich neue und zunehmend billiger werdende technische Errungenschaften wie Traktoren, Mähdrescher und Melkmaschinen zunutze machen konnten. Vielen anderen jedoch fehlten die Mittel, am Modernisierungsprozess teilzuhaben; sie lebten entweder weiterhin von sehr geringen Einkommen oder gaben den Beruf auf.

Bald begannen landwirtschaftliche Interessenverbände in vielen Ländern gegen die sich immer weiter öffnende Einkommensschere zu protestieren. Die Situation in der Landwirtschaft im Zusammenhang mit dem rapiden Wirtschaftswachstum vom Ende der 1940er bis in die 1960er Jahre stand im Widerspruch zu den Zielen einer solidarischen Politik, zu denen sich die Nationalstaaten in der Sozialpolitik bekannten. Die Kampagnen der Landwirtschaftsverbände waren insofern erfolgreich, als die Gesetzgeber in den späten 1940er Jahren damit begannen, Gesetze zu unterstützen, die zum Ziel hatten, die landwirtschaftlichen Einkommen denen anderer Sektoren anzugleichen. Ende der 1950er Jahre zeichnete sich die Landwirtschaftspolitik in den meisten westeuropäischen Ländern durch eine Mischung von sozialer Umverteilung und einer weit reichenden Stützung der heimischen Märkte aus, die sie nach außen schützten. Die Landwirtschaftspolitik der Sozialstaaten war im Wesentlichen darauf ausgerichtet, Ungleichheiten zu berichtigen, die im Sturm komplexer historischer Entwicklungen entstanden oder eine Folge der naturgegebenen Bedingungen waren.

Der auf die Landwirtschaft angewandte sozialpolitische Gedanke stand im Wesentlichen auch hinter der GAP. Wie die Römischen Verträge stipulierten, bestand das Ziel der GAP darin, "einen gerechten Lebensstandard für die landwirtschaftliche Bevölkerung sicherzustellen, insbesondere durch eine Erhöhung der individuellen Einkommen der in der Landwirtschaft Beschäftigten". Obwohl im Vertrag auch andere Ziele formuliert wurden - etwa ausgewogene landwirtschaftliche Märkte und vernünftige Verbraucherpreise -, wurde dieses einkommensbezogene Ziel bald zur vorrangigen politischen Zielsetzung. Im Zuge der turbulenten, aber doch einigermaßen stabilen politischen Entwicklung in der ersten Hälfte der 1960er Jahre versuchten die Entscheidungsträger nach bestem Wissen und Gewissen dieses Einkommensziel durchzusetzen. Das wollte man, so der allgemeine Konsens, mit der gemeinsamen Einigung der sechs wichtigsten nationalen Rohstoffmärkte auf Einfuhrzölle an der gemeinsamen Außengrenze sowie der politischen Festsetzung gemeinsamer Preise für die Erzeuger erreichen. Die GAP sollte solidarisch durch den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds (EAGFL) für die Landwirtschaft finanziert werden, ungeachtet der nationalen Bedürfnisse. Der sozialpolitische Grundsatz wurde nicht infrage gestellt.

GAP im Wandel

Die GAP in ihrer ursprünglichen Form wurde bereits von Ende der 1960er Jahre an umgesetzt und blieb bis Anfang der 1990er Jahre relativ unberührt. Seither war die GAP-Reform ein ständiges Thema. Insbesondere die Lebensbedingungen auf dem Land haben sich drastisch gewandelt. Rund ein Viertel der Bevölkerung der sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten lebte 1958 von der Landwirtschaft. Heute sind, bei 27 EU-Staaten, rund sechs Prozent im Primärsektor beschäftigt, wobei die Spanne von nur einem Prozent in Großbritannien bis zu 30 Prozent in Rumänien reicht. Die Massenmigration aus diesem Sektor wurde durch die Einführung neuer Technologien für die landwirtschaftliche Produktion mehr als ausgeglichen. Schon 1968 erzeugten die Landwirte der Gemeinschaft mehr Getreide, Zucker und Milchprodukte, als konsumiert werden konnte. Von 1973 bis 1988 wuchs die Produktion jährlich um zwei Prozent, während der Binnenkonsum nur um 0,5 Prozent anstieg. Der EU-Binnenmarkt war gesättigt, und die Produktionsüberschüsse gingen entweder auf den Weltmarkt, wo die Preise stürzten, oder wurden in Lagerhallen deponiert, wo sich riesige Butterberge, Wein- und Milchseen aufzutürmen begannen.

Am Beispiel der Milch lässt sich gut erkennen, welche Schwierigkeiten eine Reform der GAP bis heute begleiten. Die Milch wurde 1980 von der Kommission als das "Problemkind der europäischen Landwirtschaft" bezeichnet. Historisch gesehen ist Milch eines der privilegiertesten landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Da sie sowohl auf kleinen als auch auf großen Bauernhöfen erzeugt wird, ist es nicht sinnvoll, die Mitgliedstaaten in reine Befürworter und Gegner zu unterteilen, sind doch Milchbauern in der gesamten EU betroffen. Zu den Reformaussichten auf dem Milchsektor Anfang der 1980er Jahre stellten Beobachter treffend fest, dass "sich die Wirtschaft über die Notwendigkeit einer Reduzierung der Überschüsse in der Milcherzeugung einig ist, die Politik aber vor Maßnahmen zurückscheut, die das Einkommen der Landwirte schmälern könnten". 1988 wurden schließlich Milchproduktionsquoten eingeführt, und obwohl deren Umsetzung schwierig war, konnte man damit die Milchseen zumindest für ein paar Jahrzehnte trockenlegen.

Grundsätzlich steht das bäuerliche Einkommen als politisches Anliegen immer noch auf der EU-Tagesordnung, wie die jüngste Krise auf dem Milchsektor deutlich vor Augen geführt hat. Das komplexe Zusammenspiel von verändertem Verbraucherverhalten während der derzeitigen Wirtschaftskrise und steigenden Energie- und Düngemittelpreisen hatte zur Folge, dass die Preise, welche die Milchbauern für ihre Erzeugnisse erhielten, 2009 ins Bodenlose fielen. Verärgerte Milchbauern protestierten, indem sie vor der EU-Zentrale in Brüssel einen Milchsee inszenierten und Millionen Liter frischer Milch auf die Felder entleerten. Während sich die Kommission zunächst weigerte, weitere unterstützende Maßnahmen für den Milchsektor zu setzen, gingen 16 EU-Regierungen in die entgegengesetzte Richtung, damit die Milchbauern nicht zum Opfer der instabilen Märkte würden.

Die Probleme, mit denen der Milchsektor zu kämpfen hatte, zeigen beispielhaft, wie schwer es ist, die Dynamik der Agrarpolitik vom eingefahrenen interventionistischen Pfad, auf den sie die GAP geführt hat, herauszulenken. Es ist eine wissenschaftliche Binsenwahrheit, dass es sich bei Änderungen in der Sozialpolitik um eine verzwickte Angelegenheit handelt, weil Reformvorschläge von deren Nutznießern oft als Zeichen interpretiert werden, dass sie ihre Privilegien verlieren könnten. Das ist auch bei der GAP der Fall, wo Landwirtschaftsverbände gewöhnlich voraussetzen, dass Veränderungen grundsätzlich zum Schlechteren sein würden und daher bestehende Regelungen unterstützen, auch wenn diese nicht optimal sind.

Die erste durchgreifende Reform der GAP wurde 1992 von Ray MacSharry (Kommissar für Landwirtschaft) in Angriff genommen, wobei es um die wichtigsten Instrumente der GAP ging. Der Durchbruch in der EG kam inmitten festgefahrener Verhandlungen über eine Liberalisierung des Welthandels im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT, Vorläufer der WTO) im Jahre 1990. Das Neue an dieser Reform war, dass man von Preisgarantien zur Einführung direkter Ausgleichszahlungen für die Landwirte überging. Die GAP behielt ihren Umverteilungscharakter und wurde sogar darin bestärkt. Die Reform war insofern erfolgreich, als ein Ende der Überproduktion und eine Reduzierung der Ausgaben für die GAP zu Lasten des EU-Budgets erreicht wurden. In diesem Sinne wurde MacSharrys Reformweg auch von seinen Nachfolgern, Franz Fischler und Mariann Fischer-Boel fortgeführt.

Es muss betont werden, dass die Reformen nicht in einem politischen Vakuum vonstatten gingen, sondern, obgleich es seit Beginn der 1990er Jahre Druck von außen gab, sich auch die Standpunkte hinsichtlich der Rolle und Aufgabe von Agrarpolitik änderten. Waren landwirtschaftliche Verbände bei der Gestaltung der GAP anfangs maßgeblich beteiligt gewesen, begannen sich zahlreiche neue Belange mit der GAP zu überschneiden, angefangen von Handelskonflikten bis zu umweltpolitischen Themen. Es wurden immer weitere Expertengruppen in die Agrarpolitik einbezogen. Daraus folgte eine schrittweise Öffnung der GAP, deren Schwerpunkt sich von den Erzeugern in Richtung einer Bandbreite anderer "Dienstleistungen" verlagerte, die von Landwirten in der europäischen Gesellschaft angeboten werden, wie der Einführung umweltfreundlicher Produktionsmethoden, der Gewährleistung von Tierschutzmaßnahmen oder der Erhaltung landschaftlicher Besonderheiten des ländlichen Erbes. Die GAP begann mit dem Begriff der "multifunktionalen Farm" zu operieren.

"Rinderwahn" und Lebensmittelsicherheit

Über die Aussicht, möglicherweise "Frankenstein-Food" zu sich zu nehmen, wurde in der EU heftig diskutiert, im Speziellen über die Zulassung gentechnisch veränderter Organismen (GVO) oder von "Hormonfleisch" aus den USA. Beide Fälle wurden als "Handelskriege" im Rahmen der WTO ausgefochten, wo die EU bis heute auf das so genannte Vorsorgeprinzip pocht, was in einer eher protektionistischen Politik resultiert. Die Frage, wer bei der Regulierung von Lebensmitteln und Lebensmittelsicherheit das Sagen haben soll - nationale Behörden oder die EU - ist seit dem Vertrag von Maastricht zu einer Kernfrage geworden. Lebensmittelskandale haben die Agrarpolitik daher auf neue Weise geprägt. Es begann mit dem so genannten Rinderwahn (Bovine spongiforme Enzephalopathie/BSE), der die EU in den 1990er Jahren erschütterte. Dabei war nicht die GAP an der Ausbreitung von BSE Schuld, sondern eher die Art, wie die Nationalstaaten die Lebensmittelsicherheit gewährleisteten. Die Medienberichterstattung über den Skandal und der öffentliche Aufschrei hatten Auswirkungen auf das Verbraucherverhalten in allen Mitgliedstaaten. Millionen von Rindern wurden getötet; es starben sogar Menschen als direkte Folge des Konsums von "wahnsinnigen" Rindern. Der Rind- und Kalbfleischkonsum ging rapide zurück, und Exportverträge wurden aufgelöst, was verheerende wirtschaftliche Auswirkungen für alle Rinderbauern sowie für das Vertrauen der Öffentlichkeit in die nationalen Behörden hatte.

Die EU war Teil der Antwort bei der Wiederherstellung des öffentlichen Vertrauens in Lebensmittel. Die Kommission reagierte mit der Einsetzung einer Generaldirektion für Verbraucherpolitik und Gesundheitsschutz im Jahre 1995. Unter dem Schlagwort "From the Farm to the Fork" führte die Kommission eine integrierte Strategie für Lebensmittelsicherheit an, die Agrarpolitik, Verbraucher und die öffentliche Gesundheit vereinte. Landwirtschaftskommissar Fischler wies wiederholt darauf hin, dass eine verbesserte Lebensmittelqualität "oft höhere Kosten oder niedrigere Erträge nach sich zieht. Es ist deshalb richtig, dass nur solche Erzeuger von der öffentlichen Unterstützung profitieren sollen, die bereit sind, Qualitätsvorschriften einzuhalten." Fischler forderte die Lebensmittelsicherheit als landwirtschaftliches Anliegen ein und schaffte es, sie als Rechtfertigung für fortgesetzte Ausgleichszahlungen an die Landwirte zu etablieren, natürlich unter der Voraussetzung, dass die Erzeuger neue Lebensmittelskandale vermieden. Die Sicherstellung eines hohen Qualitätsstandards für Lebensmittel wurde als qualitäts- und wertebezogene Voraussetzung für Unterstützungsmaßnahmen in die GAP aufgenommen.

Als 1993 der Vertrag von Maastricht in Kraft trat, wurden dem EP in bestimmten Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheit und in Verbraucherfragen Mitentscheidungsbefugnisse eingeräumt. Im Vertrag von Amsterdam 1999 wurde die Aufsichtspflicht des EP für den Bereich der Lebensmittelsicherheit und der öffentlichen Gesundheit noch weiter ausgedehnt, da diese Themen nach Ansicht der EU-Staaten nicht mehr rein nationale Anliegen waren. Das EP ist demnach in der Lage, die Lebensmittelgesetzgebung zu beeinflussen, und das schon seit einer Zeit, als es bei der GAP selbst noch wenig mitzureden hatte. Die EP-Ausschüsse für Umwelt, Öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie für Binnenmarkt und Verbraucherschutz haben "schwergewichtige" Mitglieder geworben.

Demokratisierung

Eine der großen Paradoxien der GAP besteht langfristig darin, dass sie auf der einen Seite die Einkommensdifferenz der Landwirte nicht aufheben konnte - landwirtschaftliche Einkommen liegen im Durchschnitt immer noch weit unter dem durchschnittlichen EU-Einkommen - und auf der anderen Seite der soziale Gedanke, der hinter der GAP steht, in den Diskussionen über deren Zukunft weiterhin unangefochten ist. Da die Kommission in ihren Richtlinien für die Zeit bis 2013 bereits von der Beibehaltung eines "Grundeinkommens-Sicherheitsnetzes" spricht, wird die "Chemie" zwischen der Kommission und dem EP entscheidend sein. Die Wahl des neuen Landwirtschaftskommissars, des Rumänen Dacian Ciolos, galt als umstritten, und die allgemeine Skepsis war groß, ob es weise sei, einen Politiker aus einem neuen Mitgliedsland zu wählen. Als seine Kandidatur im Januar 2010 dem EP vorgelegt wurde, erhielt er den größten Beifall von allen designierten Kommissaren für seine Position zur Beibehaltung des größtmöglichen Budgets für die Landwirtschaft. EU-Mitglieder, welche die GAP immer unterstützt haben, etwa Frankreich, haben ihren Wunsch nach einer Fortsetzung der Tradition des Umverteilens durch die GAP signalisiert, was einen radikalen Bruch mit der bisherigen Umverteilungs- und Interventionspolitik auf dem Agrarsektor in der Ära nach Lissabon höchst unwahrscheinlich macht.

Der Vertrag von Lissabon hat das Kräftegleichgewicht in der Landwirtschaftspolitik der EU verschoben, doch waren auf wichtigen, die Landwirtschaft betreffenden Gebieten schon seit Anfang der 1990er Jahre Veränderungen im Gange. Die Anzahl der Akteure in der Agrarpolitik hat sich vergrößert, und in diese Richtung wird es weitergehen. An der Spitze der Agenda stehen globale Themen wie Klimawandel und Lebensmittelsicherheit, ebenso wie Wohlstandskrankheiten und öffentliche Gesundheit. Interessanterweise hat die GAP durch verschiedene Reformen in den vergangenen zwanzig Jahren versucht, die Weichen der landwirtschaftlichen Produktion in Richtung umfassenderer gesellschaftlicher Ziele zu stellen. Dazu wären allerdings noch weitere Interventionen erforderlich. Ein erster Schritt, dies politisch zu ermöglichen, wäre eine vermehrte interne Koordination innerhalb des EP zwischen den Ausschüssen, deren Mitglieder auf ihr Stück vom agrarpolitischen Kuchen nicht verzichten wollen. Die Demokratisierung der Agrarpolitik in der EU hat auch neue Herausforderungen gebracht.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Plenardebatte des EP am 7.10.2009, online: www.europarl.europa.eu (5.3.2010).

  2. Vgl. Julia De Clerck-Sachsse, The New European Parliament: All Change or Business as Usual? CEPS Special report, Brüssel, August 2009.

  3. Vgl. Europäische Kommission/Generaldirektion für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung, The Common Agricultural Policy Explained, Luxemburg 2009.

  4. Europäische Kommission, Diskussionspapier, Dezember 2009, online: www.europa.eu (4.3.2010).

  5. Vgl. Ann-Christina Knudsen, Farmers on Welfare. The Making of Europe's Common Agricultural Policy, Ithaca 2009.

  6. EWG Vertrag, März 1957, Art. 39.2.

  7. Vgl. OECD, Low Incomes in Agriculture: Problems and Policies, Paris 1964.

  8. EWG Vertrag, März 1957, Art. 39.b.

  9. Vgl. Europäische Kommission/Generaldirektion für Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung, Rural Development in the European Union. Statistical and Economic Information, December 2009, S. 9.

  10. Vgl. Europäische Kommission, The development and future of the common agricultural policy. Documents drawn up on the basis of COM(91)100 and COM(91)258, in: Bulletin of the European Communities, Supplement 91/5 (2002), S. 9.

  11. Vgl. Michael Tracy, Government and Agriculture in Western Europe, New York 1989, S. 267.

  12. Europäische Kommission, Milk: Problem Child of European Agriculture, in: Green Europe: Newsletter of the Common Agricultural Policy, 166 (1980).

  13. Vgl. z.B.E. Melanie DuPuis, Nature's Perfect Drink, New York-London 2002.

  14. Ulrich Koester/Malcolm D. Bale, The Common Agricultural Policy of the European Community, in: World Bank Staff Working Papers, 630 (1984), S. 41.

  15. Gemeinsame Erklärung Deutschlands, Österreichs, Belgiens, Bulgariens, Estlands, Finnlands, Frankreichs, Ungarns, Irlands, Lettlands, Litauens, Luxemburgs, Portugals, Rumäniens, der Slowakei und Sloweniens zur Situation des europäischen Milchmarktes, 7.9.2009, online: www.euractiv.com (4.3.2010).

  16. Vgl. Christopher Ansell/David Vogel (eds.), What's Beef? The Contested Governance of European Food Safety, Cambridge, MA 2006.

  17. Franz Fischler, CAP reform: a long-term perspective for sustainable development, Rede in Birmingham, 18.2.2003.

  18. Vgl. Euractiv Policy Guide to the European Parliament 2009-2014, S. 12, online: www.euractiv.com (15.3.2010).

  19. Vgl. FT Rating der neuen designierten Kommissare, in: Financial Times vom 20.1.2010, online: www.ft.com (1.2.2010).

PhD, geb. 1971; ao. Professorin für Europäische Integrationsgeschichte an der Universität von Aarhus, Institut für Geschichte und Regionalstudien, Bartholins Allé 16, 1411/254, 8000 Aarhus/Dänemark. E-Mail Link: alknudsen@hum.au.dk