Einleitung
Lobbyismus ist kein neues Phänomen. Industrie, Unternehmen und Verbände erkannten schon früh die strategischen Vorteile der geschickten Platzierung ihres Personals in Spitzenfunktionen der Ministerien. Von einer ganz besonderen Lobbykarriere berichtet der legendäre Politikwissenschaftler Theodor Eschenburg in seinen Memoiren: Die exemplarische Geschichte hat sich vor fast fünfzig Jahren in der Bonner Republik zugetragen. Als Ludwig Erhard 1963 ins Palais Schaumburg einzog, suchte er einen tüchtigen Chef für sein Kanzleramt. Seine Wahl fiel auf Ludger Westrick, der ihm zuvor bereits als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium gedient hatte. Der Amtschef und Erhard-Vertraute stieg schon nach einem halben Jahr zum Minister auf. Eschenburg erinnerte sich, dass Westrick vor seiner politischen Karriere als Staatssekretär im Wirtschaftministerium Generaldirektor der VIAG war. Mit einer einfachen Recherche fand er heraus, dass die VIAG ihren Generaldirektor bei vollen Bezügen beurlaubt hatte und Westrick sein Staatssekretärssalär zusätzlich von der Bundeskasse bekam.
In seinen Erinnerungen erklärte Eschenburg sein leider nicht sehr verbreitetes Recherchehandwerk. Er schaute in den Haushalt und ließ sich die registrierten Angaben telefonisch vom Finanzministerium bestätigen. "Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass man nur die Dinge lesen muss, die viele für unbedeutend halten, um zu Erkenntnissen zu kommen, von denen jeder annimmt, man könne sie nur auf geheimen Kanälen erlangen." Sein schlichter Rat: Haushalt lesen - Presse verfolgen und ein "wenig herumtelefonieren". "Wer denken und lesen kann, braucht keine Informanten."
Die "Methode Eschenburg" hat sich später weder in der Politikwissenschaft noch in den Medien durchgesetzt. Die Fachliteratur über Lobbyismus folgt bis heute dem Klischee der unbelasteten Normalität, der sinnvollen Kooperation und der tradierten Routine im Parlamentsbetrieb. Das wohl komponierte Bild der Partnerschaft in Harmonie, der pragmatischen Zweckgemeinschaft und Zusammenarbeit, wurde jahrzehntelang von beiden Seiten - Politikern und Lobbyisten - gepflegt. Dieses Bild bekommt aber immer mehr Risse. Denn im Schatten der Finanz- und Wirtschaftskrise wird immer mehr Politikern die Macht der Lobbyisten unheimlich. Ihr Einfluss über zahlreiche Kanäle und auf vielen parlamentarischen Spielflächen wirft für interessierte Bürgerinnen und Bürger die Frage auf: In welchem Maße gibt die etablierte Politik freiwillig ihre Autonomie auf und umgeht damit klassische parlamentarische Spielregeln?
"Latente Gefahr für den Rechtsstaat"
Diese Entwicklung wird schon seit längerem auch vom Bundesverfassungsgericht registriert. "Verfassungsrichter Papier warnt vor Lobbyismus" titelte die "Börsen-Zeitung" am 2. März 2010. Diese brisante politische Bilanz des gerade ausgeschiedenen Präsidenten des Verfassungsgerichts mit der Kernthese "Lobbyismus ist eine latente Gefahr für den Rechtsstaat" hätte die politische Klasse in Berlin alarmieren müssen. Aber das Interview schaffte es nicht einmal in die Pressespiegel der Parteien. Die Politik könne sich natürlich den Lobbyisten zu "Informationszwecken" bedienen, räumte Papier ein. "Übertreibungen sollte man allerdings Einhalt gebieten und insbesondere die inhaltliche Formulierung der Gesetze in der Hand der Politik und vor allem des Parlaments und der Regierung belassen. Bürger wählen ja ein Parlament, damit dieses Gemeinwohlinteressen und nicht Partikularinteressen vertritt."
Der Eindruck der Dominanz von lobbyistisch geprägten Partikularinteressen hat sich nicht nur unter Verfassungsrichtern verdichtet. Sechs grundlegende, sich wechselseitig verstärkende Tendenzen und Vorkommnisse haben in den vergangenen Jahren das unkontrollierte Macht- und Gefahrenpotenzial des Lobbyismus öffentlich sichtbarer gemacht und eine spürbare Nervosität unter führenden Politikern erzeugt:
Erstens.
Die Formulierung von Gesetzen, Verordnungen oder Textbausteinen für Gesetze durch externe Anwaltskanzleien stellen die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments in Frage. Teilweise wurden Kanzleien beauftragt, die gleichzeitig von diesen Gesetzen direkt betroffene Mandanten vertreten, etwa aus dem Bankensektor. In der vergangenen Legislaturperiode waren Großkanzleien an mindestens 17 Gesetzes- und Verordnungsentwürfen beteiligt.
Zweitens.
Die Platzierung von sogenannten "Leihbeamten" in den Ministerien. Dieser von der Industrie und dem damaligen Innenminister Otto Schily eingefädelte "Seitenwechsel" wurde im April 2008 in einem Bericht des Bundesrechungshofs akribisch dokumentiert und das entsprechende "Risikopotenzial" für die Unabhängigkeit der staatlichen Verwaltung taxiert.
Drittens.
Der Wechsel von mehreren Spitzenlobbyisten aus der Atomindustrie, der privaten Krankenversicherungen und der Finanzwirtschaft in Leitungsebenen verschiedener Ministerien der neu gewählten christlich-liberalen Koalition nährte den Verdacht der offenen Klientelpolitik und der Verlagerung von Lobbymacht in die politische Administration.
Viertens.
Fragwürdige Praktiken der Politikfinanzierung über Sponsoring, Spenden, bezahlte Reden - verbunden mit tatsächlichen oder unterstellten direkten Gegenleistungen - führte zum weit verbreiteten Eindruck, dass Lobbyisten sich den Zugang zur Politik über eine "gezielte Landschaftspflege" kaufen können. Die Ausdehnung dieser Grauzone in Verbindung mit der Praxis der Politikfinanzierung katalysiert die auf anderen Feldern wahrgenommene Ausdehnung des Lobbyeinflusses.
Fünftens.
Der direkte Wechsel von Ministerpräsidenten, Ministern, Staatssekretären und Spitzenpolitikern als Berater und Lobbyisten in die Industrie hat in den vergangenen Jahren massiv zugenommen. In Einzelfällen wollten sie dabei sogar noch ihr politisches Mandat behalten, wie etwa der ehemalige hessische Minister für den Bundesrat und Europa, Volker Hoff, der als Cheflobbyist zu Opel wechseln und trotzdem Mitglied des Landtags bleiben wollte.
Sechstens.
Die offensiv von den Banken geforderten und von der Politik eingelösten "Rettungsaktivitäten" im Zuge der Finanzkrise, eine verstärkte Finanzierung des "unterfinanzierten Gesundheitssystems" aus Steuermitteln oder die orchestrierten Forderungen der Wirtschaftslobby gegenüber der Kanzlerin und anderen politischen Akteuren vermitteln zunehmend den Eindruck, dass die "Lobby als fünfte Gewalt" Spitzenpolitiker und Parlamentarier in der Wirtschaftskrise massiv "bearbeitet" und zu günstigen Entscheidungen für einzelne Interessengruppen bewegt.
Die Bündelung dieser Tendenzen in jüngster Zeit, die Zweifel an der Autonomie politischer Entscheidungen nähren, veranlassen zu eindeutigen Mahnungen. Auch im Parlament sind diese Signale angekommen. Mehrere Initiativen, die auf die Stärkung der parlamentarischen Autonomie und die Abwehr nicht legitimierter Einflussfaktoren abzielten, blieben bislang jedoch ohne Erfolg.
Das skizzierte Klima der Kooperation hat sich über Jahre entwickelt. Im Gegensatz zur häufig vorgetragenen These des "Gegensatzes von Lobbyisten und Politikern" ist die Praxis eher von einem "konstruktiven Einvernehmen von Lobbyisten und Politikern" geprägt.
"Parlamentsfolklore"
Täglich lernen Schülerinnen und Schüler, dass Gesetze und Verordnungen im Wesentlichen von den dafür gewählten und vom Volk legitimierten Abgeordneten entworfen, beraten und bestimmt werden. Tatsächlich schwindet der ungefilterte parlamentarische Einfluss auf die Gesetzgebung seit Jahren. Immer häufiger segnen die Fraktionen im Deutschen Bundestag das ab, was über die starken Lobbyorganisationen frühzeitig in den parlamentarischen Prozess eingespeist wurde. Was viele Abgeordnete gelegentlich hinter vorgehaltener Hand zugeben, verschweigt die zunehmend mächtigere und selbstbewusster auftretende Lobby. "Unsere Arbeit ist prinzipiell nicht öffentlichkeitsfähig", bekennt ein führender Lobbyist des Chemie-Riesen Altana. Die 2177 beim Bundestag eingetragenen Lobbyorganisationen (Stand: 12.3.2010) mit mehr als 4500 Ausweisen, die ihnen den freien Zugang im Bundestag ermöglichen, haben sich in den vergangenen Jahren weiter professionalisiert. Die eingespielte Kooperation und selbstverständliche Dienstleistungserwartung vieler Politiker sowie der meist überhöhte Respekt durch Ministerialbürokratie und Abgeordnete haben in den vergangenen Jahren den Gestaltungs- und Blockadespielraum der Lobbyisten weit ausgedehnt. Die reibungslose Zusammenarbeit wurde auch durch eine schleichende Veränderung des politischen Klimas unter Rot-Grün forciert. Wer in den Fraktionen gute Kontakte zu Top-Lobbyisten unterhielt und über einen Direktzugang verfügte, stieg in der Fraktionshierarchie auf.
Zwar gibt es immer wieder rhetorisch scharf formulierte Warnzeichen, wie vom ehemaligen SPD-Vorsitzenden Kurt Beck auf dem Arbeitgebertag 2008 in Berlin: "Wir werden vor dem Lobbyismus in Deutschland nicht einknicken", formulierte er in ungewöhnlicher Klarheit. Doch spürbare Konsequenzen sind kaum erkennbar. Auch die scharfe Abgrenzung gegenüber den offensiv vorgetragenen Lobbyinteressen der Banken von Becks Nachfolger Sigmar Gabriel klingen ungewöhnlich: "Wir müssen das Kasino schließen und aufhören, Klientelpolitik zu machen und den Lobbyinteressen nachzugeben."
Die Debatte um den Lobbyismus wird in der politischen Klasse zwiespältig geführt. Einerseits klagen fast alle Politiker in vertraulichen Hintergrundgesprächen über den zunehmenden Einfluss des Lobbyismus. Andererseits agieren die Mitglieder des Deutschen Bundestages in den parlamentarischen Gremien recht zurückhaltend, wenn es um die wirksame Begrenzung der weitverzweigten Lobbyaktivitäten geht. Diesen fundamentalen Widerspruch hat der junge Dortmunder SPD-Abgeordnete Marco Bülow aufgegriffen. Er beschreibt den Prozess der "Selbstentmachtung" der Abgeordneten und führt aus: "[Ich kritisiere] in erster Linie die Abgeordneten, die in diesem Lobbytheater mitspielen. Am Ende werden wir Parlamentarier und alle anderen Politiker die Dummen sein. Wir geben unseren Einfluss auf und werden von der Bevölkerung zu Recht zur Verantwortung gezogen, wenn wir außer Versprechungen nichts mehr zu bieten haben. (...) Verhaltensregeln, die den Lobbyismus beschränken, sind überfällig. Wer das nicht verstehen will und weiterhin seine Augen verschließt, wird seinem Auftrag als Volksvertreter nicht gerecht."
BRH: Effektiver Kontrolleur
Dass wirksame Veränderungen im derzeit weitgehend ungeregelten Kooperationsprozess zwischen Lobbyisten und Politikern durch außerparlamentarische Impulse möglich sind, belegen die Aktivitäten des Bundesrechnungshofes (BRH). Am 1. April 2008 sendete er seinen 57-seitigen Bericht mit dem nüchternen Titel "Über die Mitarbeit von Beschäftigten aus Verbänden und Unternehmen in obersten Bundesbehörden" an den Haushaltsausschuss des Bundestages. In der Medienberichterstattung über den BRH-Bericht wurde ein alarmierender Tenor vorgegeben, den er in dieser dramatisierten Form jedoch nicht hergibt. Den Politikern wurde mit dem Bericht die Möglichkeit zur Gesichtswahrung gegeben. So heißt der Leitsatz: "Der Bundesrechnungshof ist bei seiner Untersuchung nicht auf Sachverhalte gestoßen, die einen konkreten Verdacht auf vorsätzlichen Missbrauch des Einsatzes externer Beschäftigter in den Bundesministerien oder einen spürbaren Schaden für den Bund und das von ihm zu vertretende Gemeinwohl begründen würden." Diese Passage klingt nach Entlastung, doch direkt anschließend heißt es: "Gleichwohl belegen seine Prüfungserkenntnisse, dass in einigen Bereichen erhöhte Risiken von Interessenkonflikten bestehen."
Zwar "sieht der Bundesrechnungshof aufgrund seiner Prüfungsergebnisse keine Notwendigkeit, den personellen Austausch zwischen Verwaltung und Unternehmen grundsätzlich in Frage zu stellen", aber um die dennoch "bestehenden Risiken" auf ein Mindestmaß zurückzuführen, werden den Parlamentariern zehn Handlungsempfehlungen präsentiert. "Leihbeamte" sollten - so die Vorschläge des BRH - keine "federführende Formulierung von Gesetzesentwürfen und anderen Rechtsakten" vornehmen dürfen (bisher hatten 20 Prozent der externen Mitarbeiter Gelegenheit dazu). Mehr als 25 Prozent der jährlich rund 100 "Lobbyisten", die in den Jahren 2004 bis 2006 in obersten Bundesbehörden tätig waren, waren an Vergabeverfahren öffentlicher Aufträge beteiligt. Über 60 Prozent der "Leihbeamten" erstellten Leitungsvorlagen und vertraten die Bundesregierung sogar nach außen. All diese Platzierungen sollten - so der BRH - künftig nicht mehr möglich sein.
Mit seinen Empfehlungen hatte der BRH nachhaltigen Erfolg. Denn schon 15 Monate später - am 13. Juni 2009 - legte das Bundesministerium des Innern (BMI) den "Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Einsatz von außerhalb des öffentlichen Dienstes Beschäftigten (externen Personen) in der Bundesregierung" vor. Die "Kabinettsache!" bündelte die Beschlüsse des Haushaltsausschusses vom 9. April und 4. Juni 2008 "im Interesse der Integrität und der Funktionsfähigkeit der Bundesverwaltung." Die siebenseitige "Allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung" samt des dreiseitigen "Verhaltenskodex für in der Bundesverwaltung tätige externe Personen" wurde entlang der Empfehlungen des Bundesrechnungshofes formuliert. Zudem muss das BMI nun halbjährlich über den jeweiligen Personalstand der "externen Positionen" schriftlich dem Haushalts- und Innenausschuss berichten. Zwar waren die Berichte bislang auf Grund von "Büroversehen" noch lückenhaft; auch der angekündigte "Evaluationsbericht" zum kritisierten "Seitenwechsel" liegt immer noch nicht vor. Aber allein die jüngste Dokumentation zur Einsatzdauer, der Vergütung, dem Einsatzbereich und der entsendenden Stelle produziert genau die Transparenz, die Lobbyisten fürchten.
Die "Methode Bundesrechnungshof" und die zwar langatmigen, am Ende aber wirksamen Kontrollmechanismen des Haushaltsausschusses könnten Vorbild für die Lösung aller weiteren "parlamentarischen Brandherde im Zusammenhang mit Lobbyismus" sein. Diese wirksame Blaupause einer Selbstbehauptung des Parlaments wurde aber in den anderen Fällen (bislang) selten genutzt.
"Drehtür-Politiker"
Laut einer Studie der Organisation Lobby Control arbeiten 15 von 63 Ministern und Staatssekretären aus der früheren rot-grünen Koalition heute in Positionen mit "starkem Lobbybezug".
Die Drehtüren von der Politik zur Wirtschaft schaden dem Ansehen der Politik, weil so sichtbar belegt wird, dass persönliche Interessen offenbar politische Motive überlagern. Auch diese Haltung fördert das Misstrauen in die Integrität und Unabhängigkeit der Politik. Ohne eine gesetzlich geregelte "Abkühlungsphase" von mindestens drei Jahren nach dem Ausscheiden aus der Politik wird man die parlamentarische Imageverletzung durch solche Wechsel nicht reduzieren können.
Eine Initiative des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion, Christian Lange,
Diese ausweichende Antwort der Bundesregierung illustriert einen Grundkonflikt. Regelungen, die den Lobbyeinfluss begrenzen oder einhegen könnten, werden strikt abgelehnt. Im Bundestag interessieren sich nur wenige SPD-Abgeordnete für dieses Thema. Mit ihren nicht sichtbar koordinierten Einzelaktivitäten scheitern sie aber immer wieder an den "Juristen in der SPD-Fraktionsspitze".
Renaissance des Parlaments
Meine Ausführungen zum weitgehend unbedenklich wahrgenommenen Einfluss von Lobbyisten haben gezeigt, dass in Deutschland erhebliche Transparenz- und Informationsdefizite in diesem Feld festzustellen sind. Auch scheint die Sensibilität der politischen Klasse bezogen auf den Einfluss nicht legitimierter Interessengruppen auf den Gesetzgebungsprozess insgesamt noch unterentwickelt zu sein. Die diagnostizierten Gefahren für die Demokratie durch einen ungezügelten Lobbyismus werden von vielen politischen Akteuren nicht wahrgenommen. Deshalb könnten folgende praktische Vorschläge geeignet sein, um die "Privatisierung der Demokratie"
Erstens.
Der Bundestag sollte einen "Lobbybeauftragten" bestellen, der - analog zu den Rechten des Wehrbeauftragten - alle hier skizzierten, für den parlamentarischen Prozess gefährlichen Tendenzen beobachtet, sichtet, analysiert und in einem Jahresbericht bewertet. Diese Funktion könnte beispielsweise ein erfahrener Parlamentarier übernehmen, der zudem wirksame Transparenzregeln vorschlägt und als Ombudsmann seiner Kollegen hohe Reputation genießt. Die Etablierung eines umfangreichen und genauen Lobbyregisters
Zweitens.
Gesetze müssen künftig ausschließlich von den Parlamentariern geschrieben und verantwortet werden. Gesammelten "Sachverstand von außen" und unabhängige "Expertise" der Fachkreise müssen sie selbst anfordern, fachlich prüfen und gewichten. Die Ressourcen dafür stehen ihnen über die Fachausschüsse und den wissenschaftlichen Dienst zur Verfügung. Ergänzend müssen die Mittel für ein verbessertes Wissensmanagement bereit gestellt werden. Die Beschlüsse zur Eindämmung externer Lobbymitarbeit in den Ministerien könnten die pragmatische Richtschnur für entsprechende Regelungen sein. Allen Gesetzen sollte ein Deckblatt beigefügt werden, das die "legislativen Fußspuren" dokumentiert, die Lobbyisten mit ihren Formulierungen hinterlassen haben. Dieser wirksame Selbstschutz wird auch von führenden Lobbyisten als sehr sinnvoll erachtet. Die Regelung des "Drehtür-Mechanismus", dem Wechsel von Regierungsämtern in den Lobbyismus, kann ebenfalls nicht unreguliert bleiben, da sonst das Vertrauen in die Integrität des Regierungshandelns schwindet. Schließlich muss auch der Umgang der Ministerialbürokratie mit Lobbyisten normiert werden. Da einige Ministerien hier bereits Regelungen normiert haben (etwa das Verteidigungsministerium), ist kein Grund ersichtlich, warum diese wichtige Klärung von anderen Ministerien weiter ignoriert werden kann.
Drittens.
Die Lobbyisten müssen ihre Hinterzimmerpolitik und ihre Kultur der Intransparenz aufgeben. Sie müssen die Grenzen ihrer Arbeit in einem eigenen Kodex oder einer Charta definieren. Sie sollten darin verbindlich auf illegale Einflussnahme, auf politischen Druck auf Abgeordnete und politische Akteure oder frisierte Studien oder gar die Gewährung von Privilegien und Spenden an potenzielle Partner in der Politik verzichten. Über ihre Arbeit und ihre Spuren im Politikbeeinflussungsprozess sollten sie öffentlich berichten, damit die Macht der "fünften Gewalt" wenigstens in Ansätzen überprüfbar wird. Die Entwicklung selbst weicher Regelungen ist intern in den Berliner Lobbykreisen - vom "Collegium" über den "Adler-Kreis" bis zur "Jungen Lobby" - höchst umstritten.
Viertens.
Bürgerinnen und Bürger müssen auf allen denkbaren Dialogforen den Einflussverlust des Parlaments bei gleichzeitigem Machtzuwachs der Lobby gegenüber "ihren" Abgeordneten konkret ansprechen, etwa im Wahlkreis oder auf öffentlichen Veranstaltungen. Allen Verantwortlichen sollte klar werden: Die auf Zeit ausgeübte Funktion des Abgeordneten ist eine Ehre in der Demokratie und kein Anker zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Die Demokratie lebt vom Mitmachen und Einmischen. Die von Demoskopen und Wahlforschern hinreichend dokumentierte Politikverachtung und Kritik am eingespielten Politikprozess muss die Abgeordnetenbüros und Parteizentralen erreichen.
Dies sind nur vier bescheidene, gleichwohl aber schwer durchsetzbare Schritte. Sinnvolle Veränderungen sind möglich, wie die Aktivitäten des Bundesrechnungshofs bewiesen haben. Reformen würden den Parlamentarismus vitalisieren, das Primat der Politik wieder zu einer Renaissance führen und Sauerstoff in die Demokratie pumpen. Die Kritik am Lobbyismus ist zumindest bei einigen führenden Köpfen angekommen. Aber auch für sie gilt: Politik zu betreiben, ist das Bohren dicker Bretter. Wer den Lobbyismus kontrollieren will, hat es aber nicht mit Holz, sondern mit Stahlbeton zu tun.