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Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen | Menschen mit Behinderungen | bpb.de

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Behinderung und Menschenrechte: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Valentin Aichele

/ 15 Minuten zu lesen

Die UN-Konvention erfordert die Verschiebung des Blickwinkels: Menschen mit Behinderungen sind als Akteure zu begreifen, die fundamentale Rechte haben und diese Rechte auch aktiv einfordern. Der Anspruch der Konvention, ihre Rechte zu gewährleisten, ist der neue Maßstab für das staatliche Handeln in Deutschland.

Einleitung

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK), seit dem 26. März 2009 in Kraft, ist in Deutschland angekommen. Ihre Bedeutung für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen ist kaum zu überschätzen. Die Konvention steht zu Recht für einen Wechsel von einer Politik der Fürsorge hin zu einer Politik der Rechte. Sie ist der neue Rechtsrahmen für die Behindertenpolitik in Deutschland und erhebt die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur Grundlage und zum Maßstab politischen Handelns. In Bezug auf viele Politikfelder macht die UN-BRK konkrete Vorgaben, die bereits heute für eine Umsetzung eine klare Handlungsorientierung bieten.

Der Zuspruch, den dieses Übereinkommen erfährt, ist enorm. Zahlreiche Stimmen aus Staat und Gesellschaft beziehen sich auf sie. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung bekräftigt sie als Maßstab für jedes staatliche Handeln. Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen hat die Konvention zum Schwerpunkt seiner Amtszeit erklärt. Die Bundesregierung und einige Bundesländer arbeiten an Aktionsplänen zur Umsetzung ihrer Vorgaben. Die erforderlichen Veränderungen und Konsequenzen, die aus der Konvention abgeleitet werden können, werden in unzähligen öffentlichen Veranstaltungen, Publikationen, Medienberichten und fachpolitischen Stellungnahmen breit diskutiert.

Entstehungsgeschichte

Die Konvention ist im Rahmen der Vereinten Nationen entwickelt worden. Nach Abschluss der nur vier Jahre dauernden internationalen Vorbereitung nahm die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Konvention im Dezember 2006 an. International ist sie bereits seit 2007 als völkerrechtliches Vertragswerk in Kraft. Ihr erfolgreicher Entstehungsprozess erklärt sich durch die aktive Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen und ihren Verbänden, die ihre Erfahrungen und Perspektiven einbringen konnten. Die seither wachsende internationale Anerkennung der UN-BRK übersteigt gerade in Anbetracht der hohen Anforderungen, die sie an ihre innerstaatliche Umsetzung stellt, alle Erwartungen. So haben sich bereits 85 Staaten an die Konvention gebunden (Stand: Mai 2010). Mehr als 50 Staaten haben das Beschwerdeverfahren nach dem Fakultativprotokoll akzeptiert. Die Zahl der Vorbehalte bleibt erfreulich gering.

Ziel der Konvention

Menschen mit Behinderungen sollen von den Menschenrechten Gebrauch machen können, und zwar gleichberechtigt mit anderen, das heißt in gleichem Maße wie nichtbehinderte Menschen (Art. 1 Unterabs. 1 UN-BRK). Dieses ausdrücklich erklärte Ziel der Konvention fußt auf der Erkenntnis, dass Menschen wegen einer Beeinträchtigung stärker in der Wahrnehmung ihrer Rechte eingeschränkt sein können als Menschen ohne Behinderungen.

Verständnis von Behinderung

Die Konvention nimmt sehr vielfältige Lebenssituationen in den Blick. Sie fokussiert die Lebenslagen der Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben (vgl. Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK). Dazu gehören nicht nur Menschen, die herkömmlich mit einer "Behinderung" assoziiert werden, wie etwa Menschen mit körperlichen Einschränkungen, blinde oder gehörlose Menschen, sondern auch Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung, Menschen mit seelischen Schwierigkeiten oder psychischen Erkrankungen, Menschen mit Autismus oder auch pflegebedürftige alte Menschen.

Als "Behinderung" versteht die Konvention die strukturell bedingte und im Vergleich zu nichtbehinderten Menschen größere Einschränkung der individuellen Rechte von Menschen mit Beeinträchtigungen. Sie erkennt eine Behinderung dort, wo die Wechselwirkung zwischen einer Beeinträchtigung und einer gesellschaftlichen Barriere dazu führt, dass Menschen mit Behinderungen an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft gehindert werden (siehe Art. 1 Unterabs. 2 UN-BRK). Die Konvention verlagert damit das Problem "Behinderung" von der individuellen Sphäre zu den Bereichen der gesellschaftlichen Strukturen und unseres Denkens.

Die Rechte

Spektrum der verankerten Rechte:

Die Konvention deckt das gesamte Spektrum menschenrechtlich geschützter Lebensbereiche ab. Dem Grundsatz der Unteilbarkeit verpflichtet, integriert sie wie kein Übereinkommen vor ihr bürgerliche und politische Rechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Die Konvention listet die Rechte der Menschen mit Behinderungen im Einzelnen auf.

Dazu gehören das Recht auf Leben (Art. 10), das Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht und Schutz der Rechts- und Handlungsfähigkeit (Art. 12), das Recht auf Zugang zur Justiz (Art. 13), das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 14), Freiheit von Folter (Art. 15), Freiheit vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch (Art. 16), das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit (Art. 17), Freizügigkeit (Art. 18), das Recht auf Staatsangehörigkeit (Art. 18), das Recht auf unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gesellschaft (Art. 19), das Recht auf persönliche Mobilität (Art. 20), das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 21), das Recht auf Zugang zu Informationen (Art. 21), Achtung der Privatsphäre (Art. 22), Achtung der Wohnung (Art. 23), Familie und Familiengründung (Art. 23), das Recht auf Bildung (Art. 24) und auf Gesundheit (Art. 25), das Recht auf Arbeit und Beschäftigung (Art. 27), das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard (Art. 28), Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben (Art. 29), Teilhabe am kulturellen Leben sowie auf Erholung, Freizeit und Sport (Art. 30).

Konkretisierung bestehender Menschenrechte:

Es handelt sich bei den "Rechten von Menschen mit Behinderungen" gemäß der Konvention um ein und dieselben Rechte, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 niedergelegt sind. Sie ist keine Spezialkonvention, die Sonderrechte oder Privilegien für Menschen mit Behinderungen formuliert. Die Leistung und der Gewinn der Konvention sind darin zu erkennen, dass sie die universellen Rechte aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen präzisiert und im selben Zuge die staatlichen Verpflichtungen für ihren Schutz konkretisiert.

Zum Beispiel haben die Staaten der Vereinten Nationen im Bereich des Diskriminierungsschutzes seit Gründungszeiten Verbote, etwa in Bezug auf Geschlecht, Sprache und Religion angenommen. "Behinderung" jedoch war weder in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 noch in den beiden Pakten von 1966 ausdrücklich als Verbotsmerkmal anerkannt worden. Die menschenrechtliche Relevanz des Phänomens Behinderung wurde damals schlichtweg verkannt. Aufgrund ihrer prägnanten Ausgestaltung stellt die UN-BRK nunmehr ausdrücklich klar, dass auch "Behinderung" zu den Lebenslagen gehört, die in den Bereich des Diskriminierungsschutzes fallen. Die Konvention konkretisiert damit das bestehende menschenrechtliche Diskriminierungsverbot.

Das bedeutet auch, dass die Bestimmungen der Konvention unter Anwendung bestimmter Methoden und Quellen ausgelegt werden können und sollen, will man ihren Inhalt sinnvoll erschließen. Eine fachgerechte Auslegung muss sich etwa der Interpretationsstandards der Wiener Vertragsrechtskonvention bedienen und immer an den authentischen Sprachfassungen - zu denen die deutsche Fassung nicht gehört - ansetzen. Wesentlich sind Wortlaut, Systematik und Ziel der Konvention. In die Sinndeutung der Rechte einzubeziehen sind auch die sogenannten Allgemeinen Bemerkungen der UN-Fachausschüsse. Auch die Grundsätze, welche die Konvention bestimmt, etwa der Grundsatz der sozialen Inklusion, assistierte Selbstbestimmung oder die Gleichheit von Frau und Mann, sind ebenfalls für die Auslegung der einzelnen Rechte von großer Wichtigkeit (siehe dazu Art. 3 UN-BRK). Ihre Ziele verstärken die Ausrichtung der einzelnen Rechte und erlauben, eine entsprechende Auslegung zu begründen.

Zum Beispiel: Das Recht auf inklusive Bildung.

Die Konkretisierungsleistung der Konvention sei hier anhand des Rechts auf inklusive Bildung im Sinne von Art. 24 UN-BRK kurz dargestellt. Das Recht auf Bildung als Menschenrecht ist bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im UN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte anerkannt worden. 1999 hat der UN-Fachausschuss für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte den Inhalt und die damit verbundene Verpflichtungsstruktur des Rechts auf Bildung dargelegt. Dieser Kommentar ist auch für das Verständnis von Art. 24 UN-BRK leitend. Danach steht das Recht auf Bildung für eine individuelle Rechtsposition. Sie gewährleistet jedem Menschen altersunabhängig die Freiheit auf lebenslanges Lernen. Es gilt als wichtiges Mittel für die Verwirklichung anderer Menschenrechte. Mit dem Recht verbinden sich staatliche Verpflichtungen auf verschiedenen Ebenen (Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungsverpflichtungen). Die Verpflichtungen beziehen sich auf Fragen der Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Angemessenheit und Adaptierbarkeit von Bildungseinrichtungen und Diensten im Bereich Bildung.

Geleitet vom Grundsatz der Inklusion, entwickelt die Konvention das Recht auf Bildung zu einem Recht auf inklusive Bildung fort. Behinderte und nichtbehinderte Menschen haben demnach ein Recht darauf, gemeinsam zu lernen. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen haben das Recht auf einen diskriminierungsfreien Zugang zu einer ortsnahen Regelschule. Die mit dem Recht auf Bildung verbundenen Ziele sind durch die UN-Konvention ebenfalls präzisiert worden, etwa dass Bildung die Achtung vor der menschlichen Vielfalt stärken soll. Außerdem konkretisiert die Konvention die staatlichen Verpflichtungen, indem sie darlegt, wie das Bildungswesen in Bezug auf die Bereiche Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Angemessenheit und Adaptierbarkeit weiter ausgestaltet werden soll. Die Konvention etabliert in diesem Zuge auch die staatliche Verpflichtung, schrittweise ein "inklusives Bildungssystem" (inclusive education system) aufzubauen und zu unterhalten, weil sie davon ausgeht, dass das Recht auf Bildung nur in einem inklusiven System gewährleistet werden kann.

Grundsätze und Querschnittsaufgaben

Die UN-BRK formuliert zu den einzelnen Rechten übergreifende, grundlegende Anliegen, die in Bezug auf die Verwirklichung nahezu aller Rechte von Menschen mit Behinderungen von wesentlicher Bedeutung sind. Das ist nicht nur von theoretischer Bedeutung, sondern hat praktische Konsequenzen: Während sich etwa in der Vergangenheit Behindertenpolitik auf sozialpolitische Fragen konzentriert hat, unterstreicht die Konvention, dass Behinderung in allen Politikbereichen relevant sein kann.

Diskriminierungsschutz:

Relevant für alle Rechte in der Konvention ist der menschenrechtliche Diskriminierungsschutz (siehe dazu die Art. 2, 3 und 5 UN-BRK). Das Nichtdiskriminierungsprinzip dient dazu, den gleichberechtigten Gebrauch der Freiheit von Menschen mit Behinderungen abzusichern. Die Konvention verbietet gleichermaßen direkte und indirekte Diskriminierung. Besondere Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung enthält sie in Bezug auf Frauen und Mädchen (Art. 6 UN-BRK).

Als innovatives Element des Diskriminierungsschutzes führt die UN-BRK das Konzept der angemessenen Vorkehrungen ein (Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK). Darunter sind die individuell erforderlichen Anpassungen von Gegebenheiten zu verstehen, die gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen ihr Recht gleichberechtigt mit anderen wahrnehmen können. Beispielsweise gehören dazu Veränderungen der Schulsituation in der Regelschule, damit ein Kind mit Behinderung dort sinnvoll und individuell - etwa durch zieldifferenten Unterricht - unterrichtet werden kann. Die Konvention macht angemessene Vorkehrungen zum integralen Bestandteil einzelner Rechte, etwa beim Recht auf inklusive Bildung.

Inklusion:

Der Gedanke der sozialen Inklusion ist ein tragender Grundsatz und Leitbegriff der Konvention (Art. 3 UN-BRK). Inklusion steht für die Offenheit eines gesellschaftlichen Systems in Bezug auf soziale Vielfalt, die selbstverständlich Menschen mit Behinderungen einschließt. Der Begriff im Sinne der Konvention geht über das hinaus, was traditionell mit "Integration" gemeint ist. Es geht nicht nur darum, innerhalb bestehender Strukturen auch für Menschen mit Behinderungen Raum zu schaffen, sondern darum, die gesellschaftlichen Strukturen so zu gestalten, dass sie der realen Vielfalt menschlicher Lebenslagen - gerade auch von Menschen mit Behinderungen - von vornherein gerecht werden.

Bewusstseinsbildung:

Große Bedeutung misst die Konvention der allgemeinen und individuellen Bewusstseinsbildung bei (siehe Art. 8 UN-BRK). Die von der UN-Konvention angeleitete Bewusstseinsbildung hat das Ziel, etwa das an "Defiziten" orientierte Denken zu überwinden. Dagegen fördert sie die Wertschätzung von Menschen mit Behinderungen und die Sichtweise, Behinderung als Beitrag zur menschlichen Vielfalt anzuerkennen. Zur Unterstützung eines gesellschaftlichen Bewusstseinswandels verpflichtet die Konvention den Staat, sofortige wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um etwa in der gesamten Gesellschaft, einschließlich der Ebene der Familien, das Bewusstsein für Menschen mit Behinderungen zu schärfen und die Achtung ihrer Rechte und ihrer Würde zu fördern. Zu diesen geeigneten Maßnahmen gehören auch öffentliche Kampagnen.

Barrierefreiheit:

Neben den mentalen Barrieren problematisiert die Konvention die Barrieren aus dem Bereich der Umwelt (etwa in Bezug auf Transportmittel, Information, Kommunikation, Dienste), die Menschen wegen einer Beeinträchtigung am gleichberechtigten Rechtsgebrauch hindern (Art. 9 UN-BRK). Die Konvention verpflichtet dazu, Barrieren systematisch zu identifizieren und schrittweise, aber konsequent abzubauen, die Menschen mit Behinderungen eine selbständige Lebensführung und eine volle Teilhabe versperren.

Partizipation:

Politik für Menschen mit Behinderungen kann nur gelingen, wenn diese selbst mitwirken. Die Konvention verpflichtet daher die Staaten, die unterschiedlichen Perspektiven behinderter Menschen einzubeziehen, indem betroffene Menschen und die sie vertretenden Verbände in politische Prozesse eingebunden sind. Erforderlich ist nach der Konvention die Partizipation vor allem in Bezug auf die Ausarbeitung und Umsetzung von Rechtsvorschriften und politischen Programmen, die zur Umsetzung der UN-BRK beitragen (Art. 4 Abs. 3 UN-BRK).

Ausbau von Kenntnissen:

In einigen Bereichen sind die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen und die damit verbundenen Schwierigkeiten in Bezug auf ihre Rechtsausübung hinreichend bekannt. Das trifft nicht auf alle Lebensbereiche oder auf alle Gruppen von behinderten Menschen zu. Als Grundlage für politische Konzepte und Programme erkennt die Konvention deshalb die Notwendigkeit, dass ein Staat geeignete Informationen einschließlich statistischer Angaben und Forschungsdaten sammelt (Art. 31 UN-BRK).

Umsetzungsverpflichtungen

Mit der Ratifikation hat sich Deutschland gegenüber der internationalen Gemeinschaft, aber auch gegenüber den in Deutschland lebenden Menschen verpflichtet, die Konvention einzuhalten und umzusetzen (siehe Art. 4 Abs. 1 und 2 UN-BRK). Die Verpflichtungen, die aus der UN-BRK erwachsen, richten sich primär an die Träger staatlicher Gewalt. Die Adressaten in Deutschland sind die Parlamente auf der Ebene von Bund und Ländern, welche die Konvention im Rahmen der verfassungsgemäßen Ordnung umzusetzen haben. Neben den Parlamenten sind Behörden und Gerichte sowie die Körperschaften öffentlichen Rechts ebenfalls Adressaten der Normen, da diese an Gesetz und Recht gebunden sind. Die Bundesländer sind im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Umsetzung der Konvention verantwortlich.

"Einhaltung der Konvention" meint, dass der Staat bestimmten Vorgaben ohne jeden Zeitaufschub in Bezug auf bestimmte Bestandteile entsprechen muss. Diese sind vom Gebot zur progressiven Entwicklung ausgenommen. Als hinreichend bestimmt gelten das Diskriminierungsverbot oder auch die Abwehrkomponente der Rechte sowie ihre unverfügbaren Inhalte (die so genannten Kernbereiche). Dazu gehört beispielsweise beim Recht auf Bildung, dass Menschen mit Behinderungen nicht rechtlich wie praktisch gegen ihren Willen vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden. Die Bundesländer müssen jetzt alles daran setzen, um im Einzelfall die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, sodass ein sinnvolles individuelles Bildungsangebot an einer allgemeinen Schule gemacht werden kann. Man würde die Idee der Menschenrechte nicht hinreichend anerkennen und letzten Endes ihre Existenz in Frage stellen, würde man nicht von einem Kernbestand sofort zu realisierender Verpflichtungen ausgehen.

Neben dem Gebot der Einhaltung besteht die Verpflichtung zur schrittweisen Umsetzung. Darunter ist ein zielgerichteter, vom Staat organisierter und angeleiteter Prozess zu verstehen, an den die Konvention ihrerseits bestimmte Anforderungen stellt. Beispielsweise bezieht sich diese Verpflichtung beim Recht auf Bildung darauf, ein inklusives Bildungssystems aufzubauen. Dieses Vorhaben kann zwar nur schrittweise erreicht werden. Nach dem Gebot zur progressiven Realisierung muss der Staat damit kurz nach dem Inkrafttreten beginnen, indem er geeignete, zielführende und wirksame Maßnahmen unter Einbeziehung der vorhandenen Mittel ergreift. Diese Prozesse sollen partizipativ und transparent ablaufen. Die staatlichen Verantwortungsträger sind für ihr Handeln wie für etwaige Versäumnisse rechenschaftspflichtig.

Monitoring

In Abgrenzung zu der Pflicht des Staates, die UN-BRK einzuhalten und umzusetzen, obliegt nichtstaatlichen Akteuren eine andere Aufgabe: das Monitoring (Art. 33 Abs. 2 und 3 UN-BRK, Art. 34ff UN-BRK). Die UN-BRK versteht Monitoring (engl. to monitor - kontrollieren, überwachen) als einen notwendigen und zivilgesellschaftlich organisierten Prozess, der die Einhaltung und Umsetzung der Konvention begleitet und fördert. Menschenrechtliches Monitoring ist darauf ausgerichtet, durch andere als rechtliche Mittel darauf hinzuwirken, dass die staatlichen Verantwortungsträger die UN-BRK einhalten und umsetzen. Monitoring ist Überzeugungsarbeit durch Beteiligung an politischen Diskussionen, am fachwissenschaftlichen Diskurs und an Entscheidungsprozessen. Es bedeutet die genaue sektor- und themenbezogene Beobachtung der rechtlichen und gesellschaftlichen Wirklichkeit sowie das Sammeln von Informationen und Fakten und deren Bewertung im Lichte der UN-BRK. Hierauf aufbauend werden staatliche Aktivitäten konstruktiv und kritisch begleitet oder neue Aktivitäten angestoßen. Der Monitoring-Prozess muss selbst diese Rechte, insbesondere die Partizipationsrechte, beachten.

Die Besonderheit der UN-BRK gegenüber bisherigen menschenrechtlichen Verträgen liegt darin, dass sie den Staat verpflichtet, dieses Monitoring auf innerstaatlicher Ebene durch die Schaffung einer unabhängigen Stelle dauerhaft sicherzustellen und zu gewährleisten (siehe Art. 33 Abs. 2 UN-BRK). In Deutschland heißt diese Monitoring-Stelle und ist Teil des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin.

Bewertung und Ausblick

Die Konvention stärkt die universellen Rechte des Menschen. Zwar waren Menschen mit Behinderungen schon immer in den Schutz menschenrechtlicher Übereinkommen einbezogen. Die Konvention erweitert das Menschenrechtsverständnis auf innovative Weise, weil sie die Perspektiven und vielfältigen Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen systematisch im Menschenrechtsschutz berücksichtigt.

Die Konvention schafft einen Rechtsrahmen für die Behindertenpolitik in Deutschland. Was die Konvention will, ist zwar für die deutsche Rechtsordnung nicht alles neu. Sie stärkt anerkannte Ziele der deutschen Behindertenpolitik und unterstützt bereits eingeleitete Rechtsentwicklungen zu mehr Teilhabe und Selbstbestimmung. Vieles von dem ist auch in der Praxis erreicht. Neu ist aber die zwingende Verschiebung des Blickwinkels: Die Konvention hält dazu an, die Gesellschaft aus den Perspektiven von Menschen mit Behinderungen zu sehen. Geht es mit der Konvention um die volle Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen, sind Menschen mit Behinderungen als Akteure zu begreifen, die Menschenrechte haben und diese Rechte auch aktiv einfordern. Der Anspruch, ihre Rechte zu gewährleisten, ist der neue Maßstab für das staatliche Handeln in Bund, Ländern und Gemeinden. In der vorbehaltlosen Ratifikation der Konvention kommt der politische Wille zum Ausdruck, den Rechten von Menschen mit Behinderungen und ihrer Verwirklichung einen hohen Stellenwert in allen Politikbereichen einzuräumen und deren Einhaltung und Umsetzung als Priorität zu verfolgen. Zudem ist schon jetzt erkennbar, dass es die Konvention in vielen Politikbereichen, etwa dem Bereich Bildung, erforderlich macht, ganz neue Akzente zu setzen.

Auch wenn die UN-BRK immer bekannter wird und das Bewusstsein für die menschenrechtliche Dimension des Anliegens wächst, bleibt es eine Aufgabe, die Bedeutung des Menschenrechtsansatzes weiter bekannt zu machen sowie die staatlichen Handlungsaufträge in Deutschland fortwährend zu entwickeln und nachhaltig umzusetzen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe das Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13.12.2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl. 2008 II, S. 1419ff.

  2. Vgl. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für die 17. Legislaturperiode vom 11.11.2009 "Wachstum, Bildung, Zusammenhalt", S. 83/132.

  3. Vgl. die Pressemitteilung des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen vom 25.3.2010: "Neuer Behindertenbeauftragter zeigt Schwerpunkte seiner Arbeit beim ersten Jahresempfang auf".

  4. Vgl. die Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 22.4.2010: "Umsetzung der Behindertenrechtskonvention. BMAS setzt auf breite Beteiligung"; in Rheinland-Pfalz liegt bereits ein Aktionsplan vor. In anderen Bundesländern sind von den Landtagen Beschlüsse gefasst worden, Maßnahmenpläne zu entwickeln, so etwa in Bayern, Hessen und Thüringen.

  5. Vgl. u.a. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen (Hrsg.), alle inklusive! Die neue UN-Konvention ... und ihre Handlungsaufträge. Ergebnisse der Kampagne alle inklusive!, Berlin 2009; Bezüge zur UN-Behindertenrechtskonvention weisen die Stellungnahmen der Sachverständigen auf, siehe Deutscher Bundestag/Ausschuss für Arbeit und Soziales, Ausschussdrucksache 17(11)128 vom 27.4.2010.

  6. Zur Entstehungshintergrund siehe Don MacKay, The United Nations Convention on the Rights of Persons with Disabilities, in: Syracuse Journal of International Law and Commerce, 34 (2007) 2, S. 323-331; Antje Welke, Das Internationale Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, (2007) 1, S. 60-72; Theresia Degener, Menschenrechtsschutz für behinderte Menschen: Vom Entstehen einer neuen Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen, in: Vereinte Nationen, (2006) 2, S. 104-110.

  7. Vgl. Jochen von Bernstorff, Menschenrechte und Betroffenenrepräsentation: Entstehung und Inhalt eines UN-Antidiskriminierungsübereinkommens über die Rechte von behinderten Menschen, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 67 (2007) 4, S. 1041-1063.

  8. Vgl. zum aktuellen Ratifikationsstand oder Vorbehalten online: http://treaties.un.org (1.5.2010).

  9. Vgl. Valentin Aichele, Die UN-Behindertenrechtskonvention und ihr Zusatzprotokoll. Ein Beitrag zur Ratifikationsdebatte, Berlin 2008, S. 5.

  10. Vgl. Art. 1 Nr. 3 Charta der Vereinten Nationen von 1945.

  11. Vgl. Art. 31-33 der Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge von 1969, BGBl. 1985 II, S. 926.

  12. Siehe hierzu Meinhard Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge. Eine Untersuchung zum Völkerrecht und zum Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1973, S. 187ff., S. 191f.

  13. Vgl. Philip Alston, The historical origins of the concept of "general comments" in human rights law, in: Liber Amicorum Georges Abi-Saab, Den Haag 2001, S. 763-776.

  14. Vgl. Art. 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 13 des UN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und Art. 28 und 29 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes.

  15. Vgl. UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Allgemeine Bemerkung, Nr. 13, UN Doc. E/C.12/1999/10 vom 8.12.1999; vgl. in deutscher Übersetzung Deutsches Institut für Menschenrechte (Hrsg.), Die "General Comments" zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Deutsche Übersetzung und Kurzeinführung, Baden-Baden 2005, S. 263-284.

  16. Vgl. UN Doc. (Anm. 15), Ziffer 4.

  17. Vgl. ebd., Ziffer 43ff.

  18. Vgl. ebd., Ziffer 6ff.

  19. Vgl. OHCHR, Thematic study by the Office of the High Commissioner for Human Rights on enhancing awareness and understanding of the Convention on the Rights of Persons with Disabilities, UN Doc. A/HRC/10/48 vom 26.1.2009, Ziffer 52f.; United Nations, The right to education of persons with disabilities. Report of the Special Rapporteur on the right to education; UN Doc. A/HRC/4/29 vom 19.2.2007.

  20. Vgl. Eibe Riedel, Gutachten zur Wirkung der internationalen Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und ihres Fakultativprotokolls auf das deutsche Schulsystem. Erstattet der Landesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam leben, gemeinsam lernen Nordrhein-Westfalen (LAG GL), Mannheim-Genf 2010.

  21. Vgl. Art. 24 Abs. 1 a) UN-BRK.

  22. Vgl. Art. 24 Abs. 1 a) bis c) UN-BRK.

  23. Vgl. Art. 24 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 UN-BRK.

  24. Vgl. Art. 24 Abs. 2 c) UN-BRK.

  25. Vgl. Heiner Bielefeldt, Zum Innovationspotential der UN-Behindertenrechtskonvention (3. aktualisierte und erweiterte Auflage), Berlin 2009.

  26. Vgl. zur Umsetzung OHCHR, Thematic study by the Office of the High Commissioner for Human Rights on enhancing awareness and understanding of the Convention on the Rights of Persons with Disabilities, UN Doc. A/HRC/10/48 vom 26.1.2009; United Nations, From exclusion to equality. Realizing the rights of persons with disabilities. Handbook for Parliamentarians on the Convention on the Rights of Persons with Disabilities and its Optional Protocol, Geneva 2007, S. 51ff.

  27. Vgl. Art. 24 Abs. 2 a) UN-BRK.

  28. Vgl. Art. 24 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 UN-BRK.

  29. Siehe den Vortrag von Valentin Aichele "Das Innovationspotential der UN-Behindertenrechtskonvention", gehalten am 16. April 2008 auf der Fachtagung "UN-Behindertenrechtskonvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zwischen Alltag und Vision" in Berlin.

  30. Vgl. United Nations, Monitoring the Convention on the Rights of Person with Disabilities. Guidance for Human Rights Monitors, New York-Geneva 2010; Manuel Guzman/Bert Verstappen, What is monitoring?, Versoix 2003.

  31. OHCHR, Thematic study by the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights on the structure and role of national mechanisms for the implementation and monitoring of the Convention on the Rights of Persons with Disabilities, UN Doc. A/HRc/13/29 vom 22.12.2009.

  32. Das Deutsche Institut für Menschenrechte wurde im März 2001 auf Beschluss des Deutschen Bundestages vom Dezember 2000 als unabhängige Nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands gegründet. Als solche ist es - so die Feststellung der Vereinten Nationen - für die Funktion des Monitoring der UN-BRK prädestiniert. Zum Konzept der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen vgl. Valentin Aichele, Die Nationale Menschenrechtsinstitution. Eine Einführung, 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Berlin 2009.

Dr. iur., geb. 1970; Leiter der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, Deutsches Institut für Menschenrechte, Zimmerstraße 26/27, 10969 Berlin. E-Mail Link: aichele@institut-fuer-menschenrechte.de