Einleitung
Disability History erforscht, wie und in welchen sozialen und kulturellen Kontexten Menschen auf der Basis bestimmter körperlicher, psychischer oder mentaler Merkmale den Kategorien "behindert" und "normal" zugeordnet werden.
In der bundesdeutschen Behindertenpolitik, um die es im Folgenden geht, wurde Behinderung bis in die 1970er Jahre hinein vor allem als individuelles, funktionales Defizit in Bezug auf die Erwerbsfähigkeit und Produktivität einer Person verstanden.
Behinderung als Objekt der Forschung und sozial(politisch)es "Problem"
Dieses individuelle, medizinische Defizitmodell hat eine lange Geschichte. Es entstand im 19. Jahrhundert im medizinischen Fachdiskurs. Behinderung wurde biologistisch und gänzlich unabhängig von Kultur und Gesellschaft definiert. Medizinisch konstatierte "Andersheiten" wurden als Defekt oder Störung gedeutet.
Verkörperte "Andersheiten" waren im 19. Jahrhundert nicht nur Objekte der Forschung, sondern vor allem auch Zielobjekte von Therapie und Präventionsversuchen - dies gebot die im Zuge der Aufklärung formulierte bürgerliche Sozialethik. Behinderte Menschen - in der Diktion der Zeit als "verkrüppelt", "missgebildet" oder "idiotisch" bezeichnet - galten als soziales Problem. Es sollte mit den Mitteln des entstehenden Sozialstaats und der privaten Wohltätigkeit gelöst werden - zum Nutzen der Gesellschaft und des Individuums. Das Ziel war die weitgehende Anpassung der als abweichend und defizitär klassifizierten Menschen an die funktionalen Erwartungen der bürgerlichen, kapitalistisch verfassten Gesellschaft.
Dort bildeten Leistungsfähigkeit und Produktivität entscheidende soziale Bewertungskriterien. Nutzbringende Erwerbsarbeit galt als Produktionsfaktor, Ausdruck menschlichen Seins und Integrationsinstrument zugleich. Medizinische, pädagogische und berufliche Maßnahmenkataloge wurden entwickelt, um der Gesellschaft die ihr vermeintlich fern stehenden Menschen mit Behinderungen zuzuführen. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg wurde dieser Rehabilitationsansatz institutionalisiert und in der gesetzlichen Unfallversicherung auch erstmals sozialgesetzlich verankert. Auch die zumeist konfessionellen Einrichtungen der sogenannten Krüppelfürsorge begannen um 1900, ihre traditionellen Kernaufgaben der Seelsorge, Erziehung und Dauerpflege von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen um medizinische Therapie und berufsvorbereitende Maßnahmen zu ergänzen. Im Ersten Weltkrieg schließlich hielt das Rehabilitationsparadigma aufgrund des Massenphänomens der Kriegsbeschädigung auch im staatlichen Versorgungswesen Einzug. Somit war lange vor 1949 das Prinzip Rehabilitation in den drei Säulen des sogenannten Gegliederten Systems deutscher Sozialstaatlichkeit - Fürsorge, Sozialversicherung und Versorgungswesen - zumindest vorgezeichnet.
Sozialleistungspolitik und Erwerbsarbeitsparadigma
Den konzeptionellen Kern der bundesdeutschen Behindertenpolitik bildeten weiterhin medizinisches Defizitmodell, Normalisierungsziel und Rehabilitationsparadigma. Behindertenpolitik blieb zunächst eine Politik der sozialen Sicherung. Bis zur Gleichstellungspolitik war es ein sehr weiter Weg. Unter Rehabilitation verstanden Expertenschaft, Politik und Verwaltung zunächst eine funktionale "Wiederherstellung" durch medizinische Eingriffe einschließlich der Prothetik sowie die Befähigung zur Erwerbsarbeit in beruflichen Rehabilitationseinrichtungen. Erwerbsarbeit als ideales Kompensations- und Eingliederungsinstrument sollte behinderten Menschen helfen, über ihr "Schicksal" hinwegzukommen. Behinderung wurde mit Leid gleichgesetzt, das kaum Raum für ein erfülltes Leben zu lassen schien, wenn nicht zumindest die Möglichkeit zur produktiven Tätigkeit bestand.
Menschen, die selbst mit Behinderungen lebten, konnten in den öffentlichen und politischen Arenen kaum Einfluss auf diese Fremdzuschreibungen nehmen. Dies galt selbst für die Organisationen der Kriegsbeschädigten, die in den 1950er und 1960er Jahren eine vergleichsweise stimmkräftige und lobbystarke Gruppe unter den behinderten Menschen darstellten. Viele litten darunter, dass ihr Leben als kaum lebenswert bezeichnet wurde. Zudem verknüpften sie ihre Beschädigung oft mit einem heroischen Aufopferungstopos, der sich schlecht mit der ihnen bisweilen unterstellten Hilflosigkeit verbinden ließ. Sie seien keine "armseligen Kreaturen", protestierte ein Redner des Verbands der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands e.V. (VdK) im Jahr 1963. Das Leben sei sehr wohl lebenswert, und mit einer Behinderung könne man sich durchaus aussöhnen.
Den Agenturen der sozialen Sicherung schien das soziale "Problem" Behinderung durch funktionale Normalisierung überwindbar, wenn nur ausreichende Sozialleistungen entwickelt, Therapie- und Umschulungsinfrastrukturen geschaffen und technische Hilfsmittel zur Verfügung gestellt wurden. An der Grundgesamtheit der sozialstaatlichen Hilfen fällt dreierlei besonders auf: Behindertenpolitik und Rehabilitation waren erstens auf einen Idealklienten hin zugeschnitten: den erwachsenen Mann, der bereits einmal erwerbstätig gewesen war und mit einer körperlichen Behinderung lebte. Erst im Lauf der 1960er und 1970er Jahre "entdeckten" Expertenschaft und Politik Behinderungen anderer Art und Ursache. Menschen mit intellektuellen und seelischen Beeinträchtigungen beispielsweise rückten sehr langsam ins Bewusstsein der Akteure. Je weiter dieser Prozess fortschritt, desto mehr Behinderungen wurden jedoch "produziert". Im Zuge des Ausbaus des Sonderschulwesens wurde beispielsweise die Kategorie "lernbehindert" erst entwickelt.
Zweitens wurden angesichts der wirtschaftlichen Erholung seit dem letzten Drittel der 1950er Jahre und des expandierenden Sozialstaats gerade die Hilfen bei Behinderung, ihre Infrastrukturen und Klientelkreise, Aktionsradien und Maßnahmenkataloge systematisch erweitert. Dort, wo der Rehabilitationsgedanke noch nicht vorgesehen war, wurde er gesetzlich verankert, so etwa 1959 in der Rentenversicherung und 1974 in der Krankenversicherung. Der bereits 1957 eingeführte Rehabilitationsauftrag der Bundesanstalt für Arbeit (bis 1969 Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung) wurde 1969 durch das Arbeitsförderungsgesetz erweitert und machte die Bundesanstalt zu einem der wichtigsten Rehabilitationsträger. Die Aufnahme von Studierenden, Schülern und Kindergartenkindern in den Geltungsbereich der Unfallversicherung 1970 verdeutlicht die Ausweitung der Adressatenkreise.
Drittens: Das sogenannte Gegliederte System betraf alle sozialstaatlichen Hilfen bei Behinderung. Es umfasste die Leistungsbereiche Sozialversicherung, Versorgungswesen und öffentliche Fürsorge/Sozialhilfe. Diese hatten jeweils unterschiedliche gesetzliche Grundlagen, Kompetenzen, finanzielle und infrastrukturelle Möglichkeiten. Behinderte Menschen wurden ihnen je nach Ursache der Behinderung und ihrem Erwerbsstatus zugeordnet. Diese als Kausales Prinzip bezeichnete Vorgehensweise erwies sich in der Praxis als problematisch: Das System war unübersichtlich, Umfang und Qualität der Sozialleistungen divergierten. Erhebliche soziale Ungleichheiten waren die Folge. Ab Mitte der 1960er Jahre schlugen deshalb Kritiker vor, die Hilfen bei Behinderung am sogenannten Finalen Prinzip auszurichten: Im Mittelpunkt sollte das jeweilige Rehabilitationsziel stehen, Behinderungsursache und Erwerbsstatus hingegen sollten keinen Unterschied mehr machen.
Die seit 1969 amtierende sozialliberale Bundesregierung setzte hier einen Reformprozess in Gang. Sie war mit großen Zielen an die Behindertenpolitik herangetreten, hatte ein "Jahrzehnt der Rehabilitation" angekündigt.
Reformbedürftig erschien auch die behindertenpolitische Beschränkung auf Wiederherstellung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Immer mehr Vertreterinnen und Vertreter der Ministerialbürokratie, Politik und der Expertenschaft forderten nun beispielsweise den Abbau von Hindernissen in der gebauten Umwelt als eigenes Aufgabengebiet der Rehabilitation. Behindertenpolitik sollte nicht mehr nur am Individuum, sondern gezielt an der Gesellschaft und ihren Bedingungen ansetzen. Zwar wurde das eigentliche Problem weiterhin in den "nicht normalen" Körpern verortet, die Lösung schien nun jedoch darin zu bestehen, die Umwelt umzugestalten. Bislang hatte die Ansicht geherrscht, dass manche Menschen aufgrund ihres "Andersseins" naturgemäß an den "normalen" Bedingungen der Umwelt scheitern mussten. Demgegenüber klang nun in den 1970er Jahren - oftmals in gedanklicher Verbindung zur Stadtkritik - vor allem in der Expertenschaft Kritik an dem an, was in der Gesellschaft als "normal" galt. Alltägliche urbane Mobilitäts- und Flexibilitätsanforderungen wurden beispielsweise dafür kritisiert, dass sie weitgehend auf die begrenzte Gruppe von Menschen hin ausgerichtet seien, die beweglich, motorisiert und finanziell gut gestellt seien. Die Bundesregierung wollte Diversitätsfolgen kompensieren, indem sie den Hindernisabbau ideell und materiell förderte. Aufgrund beschränkter Kompetenzspielräume konzentrierte sie sich vor allem darauf, zwei DIN-Normen
Anfänge des kategorialen Wandels in den 1970er Jahren
Dennoch - und trotz aller Divergenzen zwischen Theorie und Praxis dieser Reformphase - lässt sich der Beginn eines Politik- und Denkwandels ausmachen. Impulse kamen aus dem in den 1960er Jahren einsetzenden allgemeinen Wandel von Werten und der wachsenden politischen und sozialen Sensibilisierung der Gesellschaft. Verschiedene gesellschaftliche Akteure, erstmals verstärkt auch die Medien, stellten sich die Frage, welchen Platz und welche Rollen Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft einnehmen sollten. Bisher schien dieser Platz qua Biologie und Schicksal vorgezeichnet zu sein. Nun wurde er verhandelbar. Bemerkbar machte sich dies zum Beispiel in den Sprachregelungen der Politik: Bei Bundespräsident Gustav Heinemann (SPD), Bundesarbeitsminister Arendt und anderen gerieten um 1970 Menschen mit Behinderungen zu "behinderten Mit-Bürgern".
Feststellen lässt sich zudem, dass Sprecherpositionen im politischen Diskurs neu verteilt wurden. Wenngleich noch immer nicht behinderte Funktionäre und Funktionärinnen das Feld dominierten, begannen allmählich Menschen, die mit Behinderungen lebten, für sich selbst zu sprechen. Über unterschiedlichste Selbsthilfe- und Aktionsbündnisse und die entstehende Emanzipationsbewegung steigerten sie ihre politische Sichtbarkeit. Noch kaum jedoch erhielten sie Zugang zu den wissenschaftlichen Diskussionsarenen: Behinderten Menschen, die dort auftraten, gehörten meist selbst den Rehabilitationsprofessionen an und verfügten so bereits über den Status und die Glaubwürdigkeit von Experten. Als "Experten ihrer selbst" erreichten behinderte Menschen die wissenschaftlichen Foren selten.
Dennoch wurde im wissenschaftlichen Behinderungsdiskurs die hegemoniale Stellung der Ärzte durchbrochen: Vor allem Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler, die Behinderung als Forschungsgegenstand für sich entdeckten, schufen Gegengewichte zur individuell-medizinischen Erklärung von Behinderung. Schritt für Schritt speisten sie ein Moment der sozialen Bedingtheit in die Erklärungsmodelle von Behinderung ein.
Doch fällt die Bilanz des Umdenkens ambivalent aus. Erstens machte sich deutlich eine Kluft zwischen Theorie und Praxis bemerkbar. Zweitens wurden Menschen, die mit Behinderungen lebten, wiederum gedanklich zu Opfern - nun der Gesellschaft - degradiert. Sie waren erneut Gegenstand von Narrativen des Scheiterns und der Unterdrückung, allerdings mit dem Unterschied, dass sie nun nicht mehr primär Schicksal und Biologie ausgeliefert zu sein schienen, sondern der Brutalität und Ignoranz einer Gesellschaft, die sich nicht nur in Ausgrenzung und Diskriminierung, sondern auch in Bevormundung und Abhängigkeit manifestierte.
Protest und Selbstbestimmung: Emanzipationsbestrebungen behinderter Menschen seit den 1980er Jahren
Bilder von unterdrückten und bevormundeten Opfern produzierte auch die seit dem Ende der 1970er Jahre entstehende Emanzipationsbewegung.
1980 gelang es einer gemeinsamen Protestveranstaltung von Krüppelgruppen, Clubs Behinderter und ihrer Freunde e.V. und anderen Organisationen, größeres mediales Echo hervorzurufen, ja mit ihrem Anliegen sogar die "Tagesschau" der ARD zu erreichen: Sie fanden sich in Frankfurt zusammen, um gegen das Urteil des dortigen Landgerichts zu demonstrieren, das einer Urlauberin die Minderung des Reisepreises mit der Begründung zugestanden hatte, ihr Urlaubsgenuss sei durch die Anwesenheit von behinderten Jugendlichen maßgeblich beeinträchtigt worden.
In der Folge des Protestjahres differenzierte sich die Emanzipationsbewegung aus. Auf lokaler Ebene engagierten sich viele im Abbau von Alltagshindernissen und verschafften sich schrittweise Zugang zur Kommunalpolitik. Andere Gruppen kämpften, zunächst unter dem Dach der politischen Partei Die Grünen, später überparteilich, für die Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetzgebung und griffen aktiv in Eugenik- und Bioethikdiskurse ein. Wichtige Impulse gingen dabei vom 1990 in den USA verabschiedeten Antidiskriminierungsgesetz (Americans with Disabilities Act) und den 1993 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Rahmenbestimmungen über die Chancengleichheit für Menschen mit Behinderungen aus. Letztere verpflichteten die Staaten, Diskriminierungen auf gesetzlichem Weg zu beseitigen und einen rechtlichen Rahmen für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen zu schaffen.
In der Bundesrepublik drängte der sogenannte Initiativkreis Gleichstellung Behinderter erfolgreich darauf, das Grundgesetz entsprechend zu ändern und Gleichstellungsgesetze auf Bundes- und Länderebene zu verabschieden. 1994 wurde der Satz "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden" in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen. Behinderte Menschen sind seither explizit als Trägerinnen und Träger von Grundrechten beschrieben. Damit dieses Benachteiligungsverbot im Alltag Wirkung zeigen konnte, bedurfte es gesetzlicher Konkretisierungen. Eine Allianz zwischen Interessenverbänden und Aktion Sorgenkind e.V. (heute Aktion Mensch e.V.) weckte 1997 mediale Aufmerksamkeit für das Thema und erreichte, dass die Verabschiedung eines Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes 1998 in die Koalitionsvereinbarung einging. Das 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen gibt den Dienststellen des Bundes Rahmenbedingungen vor, die vor Benachteiligungen schützen sollen. Kernanliegen ist eine umfassend verstandene Barrierefreiheit, die sich nicht auf die Beseitigung baulich-technischer Barrieren beschränkt. Menschen mit Behinderungen sollen vielmehr alle Lebensbereiche in allgemein üblicher Weise, ohne besondere Erschwernisse und ohne fremde Hilfe zugänglich gemacht werden. Erstmals in der Geschichte der bundesdeutschen Behindertenpolitik waren über das Forum behinderter Juristinnen und Juristen behinderte Menschen direkt und ohne die Vorschaltung von Verbänden in die für den Gesetzentwurf zuständige Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung integriert worden. Nötig war aber auch ein Antidiskriminierungsgesetz für den zivilrechtlichen Geltungsbereich. Erst 2006 konnte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft treten.
In dem skizzierten Ausdifferenzierungsprozess seit den 1980er Jahren nahm, nach angelsächsischem Vorbild, auch die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung ihren Ausgang. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf der autonomen Gestaltung von Leben und Wohnen bei weitgehender Unabhängigkeit von fremder Hilfe bzw. auf der selbstbestimmten Wahl und Gestaltung der Hilfen.
Inklusion und Normalitätserwartungen seit den 1990er Jahren
Inklusion ersetzte als Ziel und Methode nun zunehmend Integration: Statt Menschen einer Gesellschaft zuzuführen, der sie vermeintlich nicht angehören, bedeutet Inklusion, eine von Geburt an bestehende Zugehörigkeit aufrecht zu erhalten. An die Stelle von Defizitorientierung sollte die Förderung von Fähigkeiten rücken. Propagiert wurde ein Normalisierungsverständnis, demzufolge die Lebens-, Wohn- und Konsumformen in der Gesellschaft so zu verändern sind, dass sie Menschen mit und ohne Behinderungen gleichermaßen in Anspruch nehmen können. Barrierefreie Technologien galten nun als Garanten von Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Dahinter verbarg sich die Vorstellung, dass die Umwelt durch technische Maßnahmen universell zugänglich und nutzbar gemacht werden könnte. Gelänge dies, gäbe es, so die Erwartung, keine Benachteiligungen mehr, weil behinderte Menschen nicht mehr ausgeschlossen oder auf diskriminierende Weise auf Sondernutzungen und Sonderwege verwiesen würden.
Selten wurde dabei darauf aufmerksam gemacht, dass dies mit einer neuen Angewiesenheit auf Technologien einhergeht und Behinderung dadurch tendenziell weiterhin individualisiert, statt sie zu vergemeinschaften.
Schlussbemerkungen
Mit derlei Fragen beschäftigt sich gegenwärtig Disability History. Sie ist Teil des emanzipatorischen Projekts der Disability Studies. Im Gegensatz zur "klassischen" Behinderungsforschung in Medizin oder Rehabilitationswissenschaft haben die Disability Studies keine interventionistische oder praxisorientierte Motivation. Sie wollen vielmehr traditionelle Sicht- und Denkweisen über Menschen mit Behinderungen überwinden. Einerseits soll eine Forschungscommunity von Menschen mit Behinderungen entstehen, andererseits sollen die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften für eine konstruktivistische Sicht auf Behinderung interessiert werden. Aus kulturalistischer Perspektive lassen sich - unter anderem am Beispiel der Behindertenpolitik - die hinter Behinderung stehenden Prozesse der Benennung und Kategorisierung und ihre soziokulturellen Wurzeln aufzeigen.
Ich danke Anne Waldschmidt und Alexander Gall für Kritik und konstruktive Anregungen.