Einleitung
"Sak vid pa kanpe" lautet ein bekanntes haitianisches Sprichwort. Übersetzt bedeutet es so viel wie, "ein hungriger Mensch kann nicht arbeiten". Es lässt sich aber auch auf den haitianischen Staat anwenden - eine leere Hülle bar jeglicher Legitimität, die nicht einmal ihre Grundfunktionen gegenüber seiner Bevölkerung erfüllt. Weder versorgt er diese mit einem Minimum an sozialen Leistungen noch bietet er ihr Schutz und Sicherheit vor Bedrohungen von innen wie von außen. Das verheerende Erdbeben vom 12. Januar 2010, das Tod und Zerstörung über ein historisch von Armut, Ausbeutung und Gewalt geplagtes Volk brachte, hat die strukturellen Schwächen des haitianischen Staates einmal mehr offen gelegt. Zur Auflösung der Fußnote[1]
Die Katastrophe bedeutet in jeder Hinsicht einen tragischen Rückschlag zu einem Zeitpunkt, an dem Haiti sich trotz enormer verbleibender Herausforderungen an einem positiven Wendepunkt befand. Dank der seit Juni 2005 präsenten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti (MINUSTAH) Zur Auflösung der Fußnote[2] und Fortschritten bei der Reform der haitianischen Polizei sowie dem Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen war die generelle Sicherheitslage vor dem Erbeben relativ stabil. Allerdings handelte es sich bereits damals um ein fragiles Gleichgewicht, akut bedroht durch Haitis strukturelle politische, wirtschaftliche, soziale und die Umwelt betreffende Defizite. Schon damals galt, dass Stabilität und Sicherheit in Haiti mittel- und langfristig ohne eine spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung nicht zu erreichen sind. Zur Auflösung der Fußnote[3]
Haiti muss Antworten auf viele überlebenswichtige Fragen finden: Worin wurzelt Haitis Fragilität? Wie weit trägt der verfassungsrechtliche und tatsächliche Aufbau des Staatsapparates zu dieser Lage bei? Wie wirken sich die Entwicklung der Sicherheitslage, vor allem während der vergangenen sechs Jahre, sowie das Erdbeben als katastrophale Zäsur auf die Gesamtlage aus, wobei unter Sicherheit nicht ausschließlich die Sicherheit des Staates, sondern mehr noch die Sicherheit der Bevölkerung, der Menschen zu verstehen ist? Wie sehen die kurz- und langfristigen Herausforderungen aus, vor denen nicht nur Staat und Gesellschaft Haitis, sondern die Weltgemeinschaft insgesamt stehen? Und welchen Beitrag leistet in diesem Zusammenhang die Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti?
Die Zerbrechlichkeit des haitianischen Staates offenbart sich in seiner extremen Krisenanfälligkeit in nahezu allen Lebensbereichen: Wirtschaft, Umwelt, staatliche Institutionen und ihr verfassungsrechtlicher Rahmen, Gesundheitswesen, Sicherheit und Justiz. Zur Auflösung der Fußnote[4] Es handelt sich um einen Staat, der weder Belastungen - von innen oder von außen - noch die bestehenden gewaltigen soziopolitischen Spannungen abfedern geschweige denn bewältigen kann. Unfähig, seine Bevölkerung vor Bedrohungen zu schützen und wenigstens mit einem Minimum an sozialen Leistungen zu versorgen, mangelt es ihm eindeutig an Legitimität.
Die spezifische Konstellation von struktureller Gewalt Zur Auflösung der Fußnote[5] und Gewalt, die vom Staat selbst oder von bewaffneten organisierten Gruppen, insbesondere der Banden- und Drogenkriminalität, ausgeht, erfordert einen erweiterten Sicherheitsbegriff für Haiti. Eine Analyse, welche die Sicherheit in Haiti ausschließlich am Besitz und an der Ausübung des eigentlich dem Staat zukommenden Gewaltmonopols Zur Auflösung der Fußnote[6] misst, würde zu kurz greifen und einer verfehlten Politik Vorschub leisten. Der erweiterte Sicherheitsbegriff berücksichtigt sowohl die traditionelle staatszentrierte Definition von Sicherheit als auch die sogenannte menschliche Sicherheit (human security). Eine Ausdehnung des Sicherheitsbegriffs vom Staat auf seine Bürger ist geboten, weil gerade fragile Staaten ihre Sicherheitspflichten oft nicht erfüllen und so zu Bedrohungen für die eigene Bevölkerung werden können. Zur Auflösung der Fußnote[7]
Menschliche Sicherheit in Haiti
Die Idee von der menschlichen Sicherheit ist untrennbar verwoben mit dem Konzept der menschlichen Entwicklung, welches im Jahr 1994 von den Vereinten Nationen erarbeitet wurde. Es beinhaltete ursprünglich die beiden charakteristischen Elemente "Freiheit von Furcht" und "Freiheit von Mangel" (Freedom from Fear und Freedom from Want) und umfasst die Bereiche Wirtschaft, Ernährung, Gesundheit, Umwelt sowie persönliche, gruppenspezifische und politische Sicherheit.
Auf der Skala des Human Development Index (HDI) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) Zur Auflösung der Fußnote[8] belegte Haiti im Jahr 2009 unter 179 Ländern Rang 149 und ist somit das am wenigsten entwickelte Land der westlichen Hemisphäre. Zur Auflösung der Fußnote[9] Schätzungsweise 80 Prozent der Haitianer leben unterhalb der Armutsgrenze, 54 Prozent existieren in extremer Armut. Hinzu kommt eine für Lateinamerika und die Karibik charakteristische, aber gleichwohl überdurchschnittlich ungleiche Vermögensverteilung. Zur Auflösung der Fußnote[10] Die fortschreitende Zerstörung ihres Lebensraumes, insbesondere durch Abholzung - lediglich knapp vier Prozent der Waldfläche sind nach Angaben der Weltbank noch intakt -, stellt eine existenzielle Bedrohung dar. Zur Auflösung der Fußnote[11]
Durch das Erdbeben hat sich die ohnehin dramatische Situation für die haitianische Bevölkerung weiter zugespitzt. Über 1,5 Millionen Menschen leben gegenwärtig in Camps und Zeltlagern, die trotz internationaler Hilfsleistungen nur notdürftig ausgestattet sind. Diese Notunterkünfte bieten weder ausreichenden Schutz vor den starken subtropischen Regenfällen noch vor den saisonalen Tropenstürmen: Die atlantische Hurrikansaison beginnt offiziell Anfang Juni und endet Ende November; in der Vergangenheit wurde Haiti immer wieder von Tropenstürmen mit verheerenden Folgen heimgesucht. Die Lager und Notunterkünfte sind Brutstätten für Krankheiten und Epidemien jeder Art.
Haiti befindet sich in einer Abwärtsspirale von rapide voranschreitendem strukturellem Verfall und einer nicht abreißen wollenden Kette von Krisen und Katastrophen. Zur Auflösung der Fußnote[12] Der unabweisbare Zwang, zunächst einmal akute Krisen und Notsituationen auf Haiti zu bewältigen, steht der Entwicklung und Umsetzung einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Entwicklung im Weg.
Gewalt und Kriminalität im Wandel
Im internationalen politischen Diskurs haben sich in den vergangenen Jahren zwei Argumentationslinien in Bezug auf das Phänomen fragiler Staaten herausgebildet, die sich theoretisch nicht ausschließen, praktisch allerdings unterschiedliche Politikoptionen nach sich ziehen. Während ein entwicklungspolitischer Ansatz die Bedrohung betont, die fragile Staaten für ihre Bevölkerungen und das Erreichen der Millenium-Entwicklungsziele Zur Auflösung der Fußnote[13] darstellen, unterstreicht der sicherheitspolitische Ansatz die Bedrohung, welche fragile Staaten für die regionale und globale Sicherheit bedeuten können. Sie werden als Keimzellen für globale Gefahren wie Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionalen Konflikten und organisierter Kriminalität gesehen. Zur Auflösung der Fußnote[14]
Transnationale organisierte Kriminalität sowie daraus resultierende regionale und globale Sicherheitsimplikationen scheinen die einzigen realen Bedrohungen zu sein, die aus einer konventionellen sicherheitspolitischen Perspektive von Haiti ausgehen könnten. Schwache rechtsstaatliche Strukturen, weit verbreitete Korruption Zur Auflösung der Fußnote[15] und unzulängliche Verbrechensbekämpfung sowie die durchlässigen Luft-, Land- und Wassergrenzen Haitis leisten dieser Tendenz Vorschub. Extreme Armut sowie die herrschende gesellschaftliche und politische Polarisierung liefern den nötigen sozialen Nährboden. Nach Schätzungen des Büros der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfungen (UNODC) Zur Auflösung der Fußnote[16] erreichten im Jahr 2005 etwa 20 Prozent des geschmuggelten Kokains die USA über Haiti und die Dominikanische Republik, mit steigender Tendenz. Zur Auflösung der Fußnote[17] Ohne Zweifel bestehen direkte Verbindungen zwischen transnationaler organisierter Kriminalität und anderen Formen der Gewalt- und Alltagskriminalität. Experten befürchten einen möglichen Wandel von traditionellen Formen innerstaatlicher und territorial begrenzter Gewalt auf Haiti hin zu einer wachsenden Bedeutung transnationaler Bedrohungen. Zur Auflösung der Fußnote[18] Die geplante Einrichtung eines UNODC-Büros auf Haiti trägt diesen Entwicklungen Rechnung, wurde allerdings infolge des Erdbebens vorerst verschoben.
Haiti weist keine typische Post-Konflikt-Situation auf, da der Karibikstaat keinen Bürgerkrieg durchlebt hat. Nichtsdestotrotz ist Haitis Geschichte seit seiner Geburt als erste Sklavenrepublik im Jahr 1804 von internen Konflikten und organisierter Gewalt gekennzeichnet. Das gilt insbesondere für die fast 30 Jahre, bis 1986, währende grausame Diktatur der Duvaliers, Zur Auflösung der Fußnote[19] der mindestens 30.000 Menschen zum Opfer fielen und die Tausende ins Exil trieb.
Aus den ersten demokratischen Wahlen im Jahr 1990 ging der katholische Armenpriester Jean-Bertrand Aristide mit überwältigender Mehrheit als Sieger hervor. Im Zeitraum von 1989 bis 2004, in dem das Regime auf Haiti zwischen Militärherrschaft und Demokratie oszillierte, kam es mehrfach zu internen bewaffneten bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen Zur Auflösung der Fußnote[20] und massiven Menschenrechtsverletzungen. Diese kulminierten Anfang des Jahres 2004 in schweren Unruhen und Zusammenstößen zwischen Regierungsgegnern und Sicherheitskräften und einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung.
Missionen der Vereinten Nationen
Seit 1993 gab es auf Haiti sieben Missionen der Vereinten Nationen, Zur Auflösung der Fußnote[21] internationale Sanktionen eingeschlossen. Dies kommt einem nur sehr bedingt erfolgreichen, geschweige denn nachhaltigen "Start-Stop-Verfahren" der internationalen Gemeinschaft gleich. Zur Auflösung der Fußnote[22] Im Februar 2004 zogen politisch motivierte bewaffnete Auseinandersetzungen und Präsident Aristides umstrittene Ausreise ins Exil eine sofortige Militärintervention unter US-amerikanischem Kommando mit kanadischer, französischer und chilenischer Beteiligung nach sich. Die mit einem Mandat des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ausgestattete sogenannte Multinationale Interimstruppe Zur Auflösung der Fußnote[23] hatte den Auftrag, die Sicherheitslage zu stabilisieren. Die Intervention reflektierte vor allem die Interessen der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich sowie der USA. Letztere fürchteten vor allem massive Ströme von haitianischen Flüchtlingen sowie den illegalen Import von Drogen über den Karibikstaat.
Drei Monate später, am 1. Juni 2004, autorisierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit Resolution 1542 Zur Auflösung der Fußnote[24] die Entsendung der Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Haiti (MINUSTAH). Die MINUSTAH ist eine Friedensmission der Vereinten Nationen, die unter Kapitel VII der UN-Charta Zur Auflösung der Fußnote[25] operiert. Sie wurde als Maßnahme gegen die von Haiti ausgehende Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit in der Region eingesetzt und bestand ursprünglich aus bis zu 6.700 Blauhelmsoldaten und bis zu 1.622 Polizisten. Ihr Mandat besteht im Wesentlichen darin, ein sicheres und stabiles Umfeld zu gewährleisten, den verfassungsmäßigen politischen Prozess zu unterstützen, die Institutionen des haitianischen Staates und rechtsstaatliche Strukturen zu stärken sowie den Schutz der Menschenrechte zu fördern.
Die MINUSTAH steht unter brasilianischer Führung, ein Indiz für den in den vergangenen Jahren deutlich erstarkten Führungsanspruch Brasiliens in der Region. Zur Auflösung der Fußnote[26] Auch was die Bereitstellung von Blauhelmsoldaten und Polizisten anbelangt, ist die MINUSTAH eine vornehmlich lateinamerikanisch geprägte Friedensmission. Das auf ursprünglich sechs Monate festgelegte Mandat wurde seitdem mehrmals verlängert, zuletzt durch die Resolution 1892 Zur Auflösung der Fußnote[27] bis zum 15. Oktober 2010. Angesichts der aktuellen Lage und der im November 2010 anstehenden Präsidentschaftswahl sind erneute Verlängerungen sehr wahrscheinlich.
Durch die Resolution 1908 Zur Auflösung der Fußnote[28] und als Reaktion auf das verheerende Erdbeben vom 12. Januar 2010 wurde die Truppenstärke der MINUSTAH in ihrer militärischen Komponente auf bis 8.940 Soldaten und auf bis zu 3.711 Polizisten aufgestockt. Am 4. Juni desselben Jahres verstärkte der Sicherheitsrat den Polizeianteil zudem erneut um 680 Polizisten auf insgesamt 4.391 UNPOL-Polizisten. Zur Auflösung der Fußnote[29] Diese Entscheidung beruht auf der Einschätzung, dass die haitianische Regierung nicht im Stande ist, die Bevölkerung adäquat zu schützen, und den Bedürfnissen der besonders Schutzbedürftigen wie obdachlosen Erdbebenopfern, Frauen und Kindern gerecht zu werden sowie dem Wiederaufleben von Bandengewalt, organisierter Kriminalität und Kinderhandel entgegenzutreten.
Herausforderungen für den Stabilisierungsprozess
Dem haitianischen Staat gelingt es nur sehr bedingt, sein Gewaltmonopol auf seinem Territorium geltend zu machen und seine Bevölkerung zu schützen. Private Milizen und kriminelle Bewaffnete stehen mit dem Staat in einem ständigen Wettbewerb. Das Vordringen des transnationalen organisierten Verbrechens stellt für den Stabilisierungsprozess auf Haiti eine zentrale Bedrohung dar. Ebenso besteht ein zunehmendes Risiko für Unruhen und bewaffnete Auseinandersetzungen. Der Schutz der Menschenrechte ist äußerst prekär, Straflosigkeit ist die Regel und Gewalt gegen Frauen weit verbreitet. Der Zugang zum Justizsystem ist insbesondere in ländlichen Gegenden kaum möglich, und die Bedingungen in den Gefängnissen sind alarmierend. Zur Auflösung der Fußnote[30] Der Aufbau adäquater Sicherheitsstrukturen und die Beschleunigung der Polizeireform, die Stärkung der Justiz sowie eine effizientere Kontrolle von Haitis Grenzen stellen die größten Herausforderungen für die Herstellung und die Konsolidierung von Stabilität dar.
Laut ihrem ursprünglichen Auftrag soll die MINUSTAH den haitianischen Staat stärken und ihn beim Aufbau nachhaltiger rechtsstaatlicher Strukturen unterstützen. Auch wenn die Mission nicht mit einem formalen Mandat für die Reform des Sicherheitssektors ausgestattet ist, liegt vor allem seit 2006 ein Schwerpunkt auf der Reform und dem Aufbau der haitianischen Nationalpolizei (PNH). Zur Auflösung der Fußnote[31] Die haitianischen Streitkräfte waren im gleichen Jahr von Präsident Aristide aufgelöst worden, um Putschversuchen aus den Reihen des Militärs einen Riegel vorzuschieben: eine politisch motivierte Ad-hoc-Maßnahme, die nicht von professionellen Kompensations- und Entwaffnungsprogrammen begleitet war und dementsprechend dazu führte, dass ehemalige Militärs sich entweder in bestehende kriminelle Strukturen eingliederten oder neue schufen.
Die Folgen des Erbebebens potenzieren die bereits vor der Katastrophe bestehenden Risiken und Herausforderungen. Weitere, erschwerende Faktoren kamen hinzu: aus der zentralen Haftanstalt in Port-au-Prince am 12. Januar entflohene hochgefährliche Kriminelle, sich re- oder neu konstituierende kriminelle Banden in den einschlägigen Elendsvierteln Cité Soleil, Bel-Air und Martissant, eine steigende Anzahl von Fällen von Entführungen, Vergewaltigungen, (Lynch-)Morden sowie eklatante Unsicherheit in den Camps und Zeltlagern, die besonders Frauen und Mädchen in Form von sexueller Gewalt betrifft. Zur Auflösung der Fußnote[32] Zudem wächst der Unmut in der Bevölkerung über die herrschende Misere und die Passivität von Präsident René García Préval. Diese Lage birgt einen explosiven Nährboden für Unruhen sowie politisch motivierte Manipulationsmanöver seitens diverser Akteure im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen.
Nach offiziellen Angaben verlor die haitianische Polizei, die vor dem Erdbeben aus 9.715 Polizisten bestand, durch die Katastrophe mindestens 75 Polizisten. Hunderte wurden verletzt und 40 Kommissariate völlig zerstört oder stark beschädigt. Zur Auflösung der Fußnote[33] Unter den entflohenen Gefängnisinsassen befinden sich bewaffnete Bandenanführer und Mitglieder, die im Jahr 2007 gefasst worden waren, von denen etwa 200 bereits wieder festgesetzt werden konnten. Zur Auflösung der Fußnote[34] Insbesondere im Verlauf des Jahres 2006 sowie Anfang 2007 hatte die MINUSTAH gewaltsam und relativ erfolgreich die bewaffnete Bandenkriminalität in diversen Elendsvierteln von Port-au-Prince eingedämmt.
Perspektiven für die Reform des Sicherheitssektors
Die haitianische Polizei ist zurzeit mehr denn je auf internationale Unterstützung angewiesen, um im Alltag ein Minimum an öffentlicher Ordnung und Stabilität gewährleisten zu können. Dies darf allerdings nicht zu einer dauernden internationalen Abhängigkeit der haitianischen Regierung führen. Das erklärte mittelfristige Ziel, die Stärke der PNH bis zum Jahr 2011 auf 14.000 Mitglieder zu erhöhen und gleichzeitig das Aussieben (vetting) derjenigen Individuen voranzutreiben, die in Menschenrechtsverletzungen oder Kriminalität verwickelt waren oder es noch immer sind, sollte oberste Priorität für die internationale Gemeinschaft bleiben.
Bemühungen zur Reform des Sicherheitssektors in Haiti zeugen von einer klaren Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Akteuren der internationalen Gemeinschaft. Neben der MINUSTAH kooperieren Kanada, Frankreich, die USA und Spanien auf bilateraler Basis mit der haitianischen Regierung. Die EU ist in diesem Bereich nur bedingt aktiv, was zum einen auf ihre traditionelle Rolle als Akteur humanitärer Hilfsleistungen sowie der klassischen Entwicklungszusammenarbeit zurückzuführen ist. Zum anderen spielt Haiti aus geostrategischer Sicht für die EU eine untergeordnete Rolle. Als Reaktion auf das Erdbeben und eine Anfrage der MINUSTAH hat die EU allerdings 323 Polizisten der Europäischen Gendarmerietruppe Zur Auflösung der Fußnote[35] nach Haiti entsandt, um die MINUSTAH und die PNH zu unterstützen. Aus dem Topf des Stabilitätsinstrumentes Zur Auflösung der Fußnote[36] stellte die EU nach dem Erdbeben 20 Millionen Euro bereit. Davon fließen fünf Millionen in das sogenannte Bargeld-für-Arbeit-Programm (cash for work) der Vereinten Nationen. Die Grundidee solcher Programme ist, nach einer Katastrophe rasch Jobs für die lokale Bevölkerung zu schaffen, die so am Wiederaufbau beteiligt werden und über ein minimales Einkommen verfügen. Mit den verbleibenden 15 Millionen Euro soll die Kapazität des haitianischen Staates im Bereich des Katastrophenschutzes ausgebaut werden. Die Entsendung einer Mission der Gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bleibt allerdings unwahrscheinlich. Im Jahr 2008 diskutierte das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) des Rates der EU zwar eine mögliche europäische Operation im Bereich der Rechtsstaatlichkeit oder der Grenzüberwachung. Aufgrund eines Mangels an politischem Interesse sowie Ressourcen kam diese allerdings nie zustande. Jedoch sollte der Beitrag, den die EU als einer der wichtigsten Geldgeber zum Staatsaufbau und der Friedenskonsolidierung in Haiti leisten kann, keinesfalls unterschätzt werden. Zur Auflösung der Fußnote[37]
Neben der Wiederherstellung von Sicherheit verlangt der Aufbau einer stabilen Gesellschaft und eines funktionierenden Staatswesens in Haiti sowohl materielle Aufbauhilfe als auch wirtschaftliches Wachstum. Stabilität und Sicherheit waren und sind mittel- und langfristig ohne eine spürbare Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung nicht zu erreichen. Deshalb bleibt eine der größten Herausforderungen für Haiti ein struktureller Wandel der lokalen Volkswirtschaft, der einen nationalen Pakt für nachhaltige Entwicklung zwischen Staat und Gesellschaft einschließlich der auf Haiti traditionell "parasitären" Privatwirtschaft erfordert und der die Wiederherstellung und den Schutz der Umwelt als Lebensgrundlage in den Mittelpunkt stellt. Inwiefern sich das verheerende Erdbeben unter Umständen als Katalysator eines Prozesses nationaler Einheit für eine nachhaltige Entwicklung erweisen könnte, bleibt abzuwarten.