Beim Erdbeben der Stärke 7,0 im Januar 2010 in Haiti starben etwa 250.000 Menschen, über 300.000 wurden zum Teil schwer verletzt, 1,3 Millionen wurden obdachlos und 600.000 zu Binnenflüchtlingen. Lokale Wirtschaftsstrukturen wurden fast völlig zerstört. Trotz jahrelanger Warnungen vor einem schweren Beben, gab es keine Bauauflagen zur Erdbebensicherheit und keinen funktionierenden Zivilschutz.
Die Folgen des Erdbebens wurden durch strukturelle Defizite wie der eingeschränkten Handlungsfähigkeit der Regierung, einer weit verbreiteten Korruption sowie ineffizienten Verwaltung verschärft. Sie erhöhten die Verwundbarkeit des Karibikstaates, der ohnehin unter großen sozialen Gegensätzen und chronischer Armut leidet: Haiti, das sich nach der Unabhängigkeit von Frankreich 1804 ein Jahrhundert lang von der Kolonialmacht "freizukaufen" hatte, galt bereits vor dem verheerenden Beben als das ärmste Land Amerikas. Den Wiederaufbauprozess weiter erschwerende Strukturmerkmale sind eine Unterentwicklung der Zivilgesellschaft sowie eine starke Neigung der politischen Entscheidungsträger zu autoritärer Politikgestaltung: Im April 2010 verhängte Präsident René Préval den Ausnahmezustand, er kann nun 18 Monate lang per Dekret regieren. Die für dieses Jahr geplanten Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben.
Vor diesem Hintergrund wird der langwierige Wiederaufbau von internationalen Akteuren dominiert. Zwar verpflichtete sich die haitianische Regierung dazu, über die Verwendung der internationalen Hilfsgelder Rechenschaft abzulegen. Doch kritisieren Nichtregierungsorganisationen, nicht in den Wiederaufbauprozess des eigenen Landes eingebunden zu sein. Damit dieser zu einer Chance für einen Neubeginn wird, gilt es, eine dauerhafte Abhängigkeit Haitis von ausländischen Gebern zu vermeiden und stattdessen die Handlungsfähigkeit des Staates sowie der Zivilgesellschaft zu stärken.