Seit dem Beitritt von fünf neuen Bundesländern zum Geltungsbereich des Grundgesetzes sind fast zwanzig Jahre vergangen. Jahrzehntelang blieb die Aufforderung in der Präambel, "in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden", eine Utopie, fern wie ein Stück Mondgestein. Als die Macht der SED gebrochen war, wählten die Bürgerinnen und Bürger der DDR den möglichst raschen Beitritt. Der weitgehend gewaltlose Untergang des SED-Staates und die Wiedererlangung der deutschen Einheit im Einklang mit den Siegermächten und allen Nachbarn beendete die Nachkriegszeit.
Die Ostdeutschen haben entschlossen in Angriff genommen, was ihnen die Transformation abverlangte. Und doch scheint die Einheit nicht "vollendet". Den Mühen der Gebirge folgten jene der Ebenen. Die im Grundgesetz formulierte "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" bleibt ein Postulat. In der politischen Kultur und in den Mentalitätshaushalten vieler Bürgerinnen und Bürger leben Ost-West-Unterschiede fort. Der Geschichte der deutschen Zweistaatlichkeit steht ihre Historisierung noch bevor, wie Debatten um die DDR-Vergangenheit immer wieder neu belegen.
Mit der Generationenfolge scheinen die Ost-West-Gegensätze jedoch zu schwinden: Die Schablonen "Ossi" und "Wessi" muten bereits an wie verhallende Echos aus grauer Vorzeit. Wer in diesem Sommer seine Abiturprüfungen ablegt, war im Herbst 1990 noch nicht geboren. In den jüngeren Generationen spielt es keine Rolle mehr, ob jemand im Erzgebirge oder in der Eifel zur Welt gekommen ist. Die Bewältigung der Ost wie West betreffenden Krisen der westlichen Wachstumsgesellschaft und der Folgen des demographischen Wandels wird die gesellschaftliche und kulturelle Konvergenz der beiden Landesteile befördern.