Einleitung
Hunderttausende Liter klebrigen, schwarzen Erdöls ergießen sich täglich ins Meer. Keiner weiß, wie viele Millionen am Ende die Küsten von Louisiana bis Texas verseuchen werden. Über Monate kämpfen die Zauberlehrlinge von BP (British Petroleum) gegen die Geister, die sie verantwortungslos riefen. Immer neue Anläufe enden immer wieder vergeblich - wie bei Goethes Gedicht "Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!" Die Havarie im Golf von Mexiko, die Anfang August dieses Jahres endlich gestoppt werden konnte, erscheint auf den ersten Blick als US-amerikanische Katastrophe. Kein anderes Land der Welt verschlingt schließlich pro Kopf derart große Mengen fossiler Ressourcen; nirgends sonst gilt ein vergleichbar energiehungriger Lebensstil quasi als Menschenrecht. Doch der Ölteppich zeigt noch mehr: die Verwobenheit jeder Ökonomie mit dem Rest der Welt. Er ist ein globales Menetekel. Denn erst die wachsende Nachfrage in den Schwellenländern nach "des Teufels Tränen" und der sich gleichzeitig abzeichnende Beginn ihrer Erschöpfung ließen eine riskante Tiefseeförderung wie im Golf von Mexiko überhaupt rentabel werden; der Untergang der Bohrinsel "Deep Water Horizon" ist insofern ein "Tschernobyl" des Ölfördermaximums, des peak oil. Erst ein völlig unzulängliches internationales Seerecht, das auch dank der Lobby der großen Energiekonzerne Schlupflöcher bei den Sicherheits- und Schadenersatzpflichten offen ließ, senkte die Risikoschwelle, 1500 Meter tief im Meeresgrund nach dem Schmierstoff der industriellen Entwicklung zu bohren. Ähnliche Unglücke könnten daher jederzeit auch vor anderen Küsten passieren, in Angola, Russland oder Brasilien. Bürger in aller Welt empfanden das entfesselte Sprudeln der unterseeischen Quelle deshalb auch als weiteren Ausdruck der Unfähigkeit ihrer Regierungen, wirksame Regeln zum Schutz von Mensch und Natur zu schaffen. Die außer Kontrolle geratene Ölförderung erscheint ihnen nur als weiterer Beleg dafür, dass die politische Kooperation der Länder der wirtschaftlichen Verschmelzung noch immer bedrohlich fußlahm hinterherhinkt.
Der Widerspruch ist tatsächlich groß: Einerseits wird auf allen politischen Gipfeln die "eine Welt" beschworen, ob es um Abrüstung oder Artenvielfalt, Aids oder Arbeitsschutz geht. So gut wie allen Regierungen ist heute klar, dass ihre Ökonomien und Gesellschaften allein auf nationaler Ebene nicht mehr zu steuern sind. Andererseits wächst hinter den diplomatischen Plädoyers für global governance noch längst nicht zusammen, was zusammen gehört, um die großen globalen Herausforderungen zu bewältigen. Die Kooperation ist unzulänglich, fragil und teils auf dem Rückzug bei den drei wichtigsten Krisen, mit denen die aus dem Ruder gelaufene Ölförderung im Golf von Mexiko eng verbunden ist und die mit Bankencrashs und zahlungsunfähigen Staaten, sich häufenden Wirbelstürmen, Fluten und Hungersnöten Vorboten möglicher noch größerer Katastrophen senden.
Die drei großen Krisen: "Die Summe aller Fehler"
Vor der gefährlichen Finanzkrise hatten kritische Ökonomen lange gewarnt. Doch die Staats- und Finanzchefs der wichtigsten Wirtschaftsmächte zeigten sich als Meister der Verdrängung - selbst dann noch, als sie im Jahr 2008 tatsächlich ausbrach. Anders als bei der Großen Depression ab 1929 kamen sie immerhin rasch zusammen und verhinderten mit hohen Staatsausgaben und -garantien die befürchtete Kaskade ökonomischer Zusammenbrüche. Doch schon morgen könnte die Welt erneut am Abgrund stehen. Denn weiter gehende Konsequenzen werden blockiert, ob durchgreifende Transparenzvorschriften, Kontrollinstanzen, Bankabgaben oder die Schließung von Steueroasen. Das Schwächeln der Regierungen gegenüber der Macht der Finanzwelt und die fehlende Vorsorge kommentiert Altbundeskanzler Helmut Schmidt lakonisch: "Von ihren fulminanten Absichtserklärungen zur Regulierung der Finanzmärkte und deren Finanzinstrumenten ist bisher noch nichts verwirklicht worden."
Noch beschämender ist die Kluft zwischen Beteuerungen und Erreichtem bei der globalen Verteilungs- und Armutskrise. Seit Jahrzehnten versprechen die reichen Länder vollmundig, dass sie 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes für Hilfsprogramme und die Entwicklung benachteiligter Ökonomien ausgeben werden. Doch ebenfalls seit Jahrzehnten halten sich nur die wenigsten an ihre Verpflichtungen. Viele Rückschritte müssen bei den acht Millenniumszielen bilanziert werden, welche die Vereinten Nationen (VN) im Jahr 2000 beschlossen haben, um die Situation der Armen zu verbessern. Die Zahl der Hungernden soll bis 2015 von etwa 800 Millionen Menschen um die Hälfte verringert werden? Tatsächlich ist sie sogar wieder auf eine Milliarde gestiegen, als Folge schlichten politischen Desinteresses. Selbst nachdem dieser dramatische Befund im Jahr 2009 veröffentlicht wurde, glänzten die Regierungschefs der reichen Länder beim VN-Gipfel gegen den Hunger in Rom durch Abwesenheit. Ihre Vertreter verwässerten fast alle Bestimmungen der Abschlusserklärung, die wie der Abbau von Exportsubventionen oder Begrenzungen des "Landraubs" eigene Interessen beschnitten hätten. Solcher Hochmut ist potenziell explosiv in einer ungleichen Weltgesellschaft, in der ein Prozent der erwachsenen Weltbevölkerung 40 Prozent der Vermögenswerte besitzt, während die ärmere Hälfte der Menschheit über nicht einmal ein Prozent verfügt. Das extreme Gefälle teile die Welt "in eine Zone des Friedens und eine Zone des Aufruhrs", schreibt der britische Entwicklungsökonom Robert Wade. Dabei richtet sich der Zorn jener, die sich vom Wohlstand abgehängt fühlen, nicht nur gegen die Reichen wie beim Bombenattentat auf das Hotel Taj Mahal Palace in Bombay (Mumbai), eine mondäne Unterkunft für den global traveller. Die wachsende soziale Kluft spaltet viele Gesellschaften auch von innen. In abgelegenen, verelendeten Regionen Indiens etwa flackern zunehmend bürgerkriegsartige Konflikte auf.
Ernüchterung auch bei der Klimakrise: Sie ist ein planetarischer Notfall und die umfassendste Herausforderung, weil sie fast alle Aspekte des Wirtschaftens berührt. Ihre wichtigsten Ursachen - Entwaldung und die übermäßige Verbrennung von Kohle, Öl und Gas - sind die gleichen wie bei den meisten anderen Umwelt- und Ressourcenproblemen wie Knappheit an Wasser oder Boden; diese werden überdies durch die Auswirkungen der Erderwärmung noch weiter verstärkt. Dabei sind ausgerechnet die Bewohner jener Länder, die zur Erwärmung der Erde am wenigsten beigetragen haben, die verletzlichsten potenziellen Opfer, die von Wetterextremen, Flüchtlingsströmen und Ressourcenkriegen bedroht werden. Aufgrund all dieser Zusammenhänge bezeichnet die indische Umweltschützerin Sunita Narain den Klimawandel zu Recht als "Summe aller Fehler" und fordert, dem Grundkonflikt der vernetzten Weltgesellschaft an die Wurzeln zu gehen: Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung. Auch wenn Schwellenländer wie Indien, China oder Brasilien heute Mitverantwortung tragen: Die alten Industrienationen müssen aufgrund ihrer historischen Verantwortung in Vorleistung treten. Sie müssen sich ungleich entschlossener, mit viel größerem Tempo als bisher aus dem fossilen Zeitalter befreien und neue Entwicklungs- und Wohlstandsmodelle demonstrieren. Stattdessen auch bei diesem Thema: permanenter Aufschub. Spätestens im Jahr 2007, als der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) unbequeme Wahrheiten publizierte, konnten die Regierungen der Welt die Dringlichkeit des Problems nicht mehr relativieren. Noch nie war zwar die Weltöffentlichkeit so intensiv um das gleiche Thema versammelt wie in diesem Jahr; noch nie war der Druck auf die Umweltminister und ihre Unterhändler aus 192 Ländern so massiv wie bei der Weltklimakonferenz im Winter 2007 auf Bali. Aber trotz dieser Dramatik entgingen die Verhandlungen in letzter Sekunde nur zufällig dem Kollaps. Erneut konnten sich die Delegierten auf kaum mehr einigen als eine weitere Konferenz. Diese wiederum vermeintlich letzte Gelegenheit scheiterte zwei Jahre später in Kopenhagen am Streit um eine gerechte Verteilung der "Emissionsrechte". Seither herrscht in der globalen Klimapolitik weitgehender Stillstand.
Übersehene Erfolge globalen Regierens
Das neue Jahrzehnt begann also mit einem großen Katzenjammer. "Die Weltgemeinschaft stolpert durch ein Wechselbad der Gefühle", formuliert der Politikwissenschaftler Dirk Messner milder, wie sich Hoffnungen und Enttäuschungen bei der global governance abwechseln. Ist die eine Welt doch nur eine Illusion und trotz drohender Katastrophen unfähig zu kooperieren? Kommt das globale Regieren wegen fehlender Wirksamkeit ausgerechnet aus der Mode, da es immer dringlicher wird? Ja: die Globalisierung überhaupt?
Das Projekt Weltgesellschaft für tot zu erklären, wäre aber noch bedrohlicher als mit seinen Geburtswehen zu ringen, denn bei einem Scheitern würden alle verlieren. Die Geschichte zeigt, dass Ent-Globalisierung schnell in Gewalt münden kann: Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts hatte schon einmal ein rasend voranschreitender Austausch von Gütern und Technologien über die globalen Märkte vielen Ländern und Bevölkerungsgruppen immensen sozialen Fortschritt gebracht. Aber auch damals gab es neben den Gewinnern zahlreiche Verlierer des Wandels. Einige Regionen Europas verloren zum Beispiel durch billige Getreideimporte aus den USA ihre Absatzmärkte. Ihre Verarmung war einer der Gründe für rigorosen Protektionismus und nationalistische Aggression und diese ein Funken an den Pulverfässern, der den grausamen Ersten Weltkrieg mit seinen Abermillionen Opfern entfachte.
Auch heute wäre der Rückzug ins Nationale die Flucht aus einer komplexen Verzahnung der Gesellschaften, von der bei besserer Regulierung alle profitieren könnten. Die positiven Folgen, die der neue Integrationsschub in die Weltmärkte in den 1990er Jahren und die damit verbundene Kommunikationsdichte ausgelöst haben, werden allzu leicht übersehen. So stärkt die ökonomische Vernetzung und die damit einhergehende gegenseitige Abhängigkeit der Nationen ihr Interesse am Frieden, und sie kann allen mehr Wohlstand bringen. Besonders in den großen Schwellenländern hat sie mehreren Millionen Menschen neue Chancen eröffnet, der absoluten Armut zu entkommen. Enormer Reichtum wurde weltweit erwirtschaftet. Jean Ziegler, der engagierte Menschenrechtskämpfer im Auftrag der VN, drückt es so aus: "Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist der objektive Mangel besiegt, und die Utopie des gemeinsamen Glückes wäre materiell möglich."
Überdies gibt es im Schatten des Scheiterns auch Erfolge beim Versuch der Völkergemeinschaft, die globalen politischen Rahmenbedingungen sozial und ökologisch verträglicher zu gestalten. Nicht zuletzt dank des Einsatzes uniformierter Helfer der VN hat sich beispielsweise die Zahl der Bürgerkriege und bewaffneten Konflikte deutlich verringert. Kriegsverbrechen können vor einem internationalen Gerichtshof geahndet werden. Die Bemühungen vieler Länder um eine bessere Grundschulbildung und im Kampf gegen Malaria und Aids kamen auch deshalb voran, weil der internationale Druck des Millenniumsprozesses und die Unterstützung der VN auf manchen Gebieten eben doch Wirkung zeigte. Sie haben Regeln zum Schutz der Biodiversität verabschiedet, indigene Völker können sich auf neue Partizipationsrechte berufen, das Welternährungsprogramm hilft doppelt so vielen Menschen wie zu Beginn der 1990er Jahre. Sonderbeauftragte für Wirtschaft und Menschenrechte oder für das Menschenrecht auf Nahrung dringen mit Nachdruck auf die vernachlässigte praktische Umsetzung großer VN-Konventionen.
Erwartungen an globales Regieren sind oft überfrachtet
Dass die Regierungen bei den drei großen Krisen bisher keine adäquaten Lösungen erzielt haben, liegt an nationalen und ökonomischen Interessen, aber nicht zuletzt auch daran, dass die neoliberalen Blütenträume der 1990er Jahre geistig noch immer nicht überwunden sind. Mit einem neuen Welthandelsregime und dem "Washington-Konsens" des Internationalen Weltwährungsfonds (IWF) und der Weltbank leiteten die Industrienationen seinerzeit die nächste Dimension weltweiter wirtschaftlicher Integration ein. Liberalisierung und Privatisierung galten als Allheilmittel. Der Glaube an eine quasi naturgesetzliche Marktdynamik, die Wohlstand für alle erreichen würde, hatte nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systemblocks die Regierungs- und Chefetagen erfasst; er beherrschte die Gesellschaften der Industrieländer bis hinein in rote und grüne Parteien. Ein regulierender Staat, ja letztlich das Politische, galt als Anachronismus, und das traf auch die globalen Institutionen.
Die Vorherrschaft des Ökonomischen fiel weit zurück hinter die Erkenntnisse, die 1992 bei der großen Konferenz der VN über Umwelt und Entwicklung festgehalten wurden. Seinerzeit waren in Rio de Janeiro Ökologie, wirtschaftliche Entwicklung, Demokratie und soziale Gerechtigkeit erstmals zusammengedacht worden. Dem Treffen in Aufbruchstimmung folgten zwar bis ins neue Jahrtausend hinein eine Vielzahl weiterer VN-Konferenzen zu den großen Zukunftsthemen Klima, Weltbevölkerung, Menschenrechte, Frauen, soziale Entwicklung, Siedlung, Ernährung und Nachhaltigkeit, die bei allen Gegensätzen und Unzulänglichkeiten wichtige globale Normen setzten. Doch wo ihre Beschlüsse wirtschaftliches Handeln beschnitten wie etwa bei Biopatenten, da wurden sie von der ungleich größeren Durchsetzungsmacht der Welthandelsbestimmungen untergraben.
Gewiss, auch die Kritik an der Ineffizienz der VN ist berechtigt. Viele ihrer Organisationen sind gelähmt durch Bürokratie und reflexhafte, anachronistische Nord-Süd-Schlachten. Doch solche Schwächen rühren nicht zuletzt daher, dass die VN trotz wachsender Aufgaben meist über völlig unzulängliche Mittel verfügen, und dringend notwendige innere Reformen vernachlässigt wurden. Überdies haben sich die USA globalem Regieren stets, gelinde gesagt, pragmatisch entzogen, und die veralteten VN-Strukturen spiegeln ähnlich wie beim IWF und der Weltbank noch immer die Welt ihrer Gründung in Zeiten des Kalten Krieges wider. Den "tektonischen Machtverschiebungen", die der neue Globalisierungsschub mit sich gebracht hat, sind sie kaum angepasst, und es untergräbt ihre Autorität, dass sich Entwicklungsländer und besonders Schwellenländer wie China, Indien oder Brasilien mit ihren hohen Bevölkerungszahlen und Wirtschaftsleistungen nicht angemessen repräsentiert fühlen.
Der Club der reichen G8-Staaten konnte sich daher lange Zeit mit Pomp als eigentliche Institution globalen Regierens inszenieren. Zwar ist es ein Fortschritt, dass er unter dem Druck der Krisen die größten Schwellenländer in seine exklusiven Reihen aufnahm - diese neue G20 und ihr regelmäßiger Austausch haben auch eine hohe vertrauensbildende Bedeutung in Zeiten sich verschärfender ökonomischer Konkurrenz - aber die Treffen sind informell, und ihre Beschlüsse bleiben allzu oft Absichtserklärungen, peinlich folgenlos. Die mangelhafte parlamentarische Rückkoppelung der selbsternannten Weltregierung erleichtert eben eine Kultur der Doppelzüngigkeit: PR statt Politik. Es beschließen zum Beispiel alle gemeinsam vollmundig im Jahr 2009 im italienischen L'Aquila, 22 Milliarden US-Dollar gegen den Hunger bereitstellen zu wollen, doch ein Jahr später ist noch immer kein Cent ausgegeben. So wie schon mehrmals, wenn es um Versprechungen für die Armen ging, nur alter Wein, der schon einmal in nationalen Schläuchen abgefüllt war, international noch einmal als neu verkauft wurde. Als Vertretung aller Völker - von Guinea-Bissau bis China - haben daher einzig die VN eine globale Legitimation, und es bleibt die Aufgabe, ihre zähen Diskussionsprozesse und Strukturen mit langem Atem zu verbessern.
Auch manche ihrer Fürsprecher haben zur derzeit herrschenden Global-governance-Müdigkeit beigetragen, indem sie die VN mit allzu hohen Erwartungen überfrachteten. Eine Weltregierung mit ähnlichen Aufgaben wie eine nationale Exekutive kann und soll es in New York nicht geben. Ihr Zentralismus wäre von den unterschiedlichen wirtschaftlichen, ökologischen, kulturellen und sozialen Verhältnissen der einzelnen Länder viel zu weit abgekoppelt, ihre Entscheidungen wären demokratisch kaum kontrollierbar, das heißt: weder innovativ noch fehlerfreundlich. Der Versuch, alle Ökonomien nach dem gleichen Wirtschaftsmodell zu uniformieren, ob Malawi oder Japan, Kenia oder die USA, war auch schon der größte Fehler der Welthandelsverabsolutierer. Auch seinetwegen herrscht in der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf seit langem Stagnation. Ähnlich abgehoben droht auch der Klimaprozess keineswegs nur an egoistischen Emissionsinteressen der mächtigen Wirtschaftsnationen zu scheitern. Auch die tiefgreifenden technokratischen Ansätze einer hermetischen globalen Klimaschutz-Expertenszene stoßen zunehmend auf Widerstände, weil CO2-Vermeidung nach ihren Regeln Menschen ihrer lokalen Ressourcen berauben oder entwicklungspolitische Ziele gefährden kann. Die Vorstellung erweist sich zunehmend als realitätsfremd, 192 Staaten könnten über jedes winzige Detail etwa eines globalen Emissionshandels einen Konsens erzielen.
So ist die Kernfrage der global governance jene nach der richtigen politischen Arbeitsteilung. Im globalen Rahmen gilt es weiterhin, um Normen, Ziele und Sanktionen zu ringen, überdies um gerechte finanzielle Transfers und den Austausch von Wissen. Die praktischen Instrumente aber, um Veränderungen wie den Umbau des Energiesystems zu erreichen, werden schneller, wirksamer und ressourcengerechter regional oder lokal entwickelt. Nur so lässt sich dauerhaft eine politische und wirtschaftliche "Artenvielfalt" und damit ein Wettbewerb der besten Lösungen aufrechterhalten.
Weltmacht Weltbürger
"Global denken, lokal handeln": Der Ansatz der "Agenda 21" erscheint zwanzig Jahre später weitsichtiger denn je. Er verdient auch deshalb als "Rio reloaded" neu bedacht zu werden, weil er die Demokratie belebt. Denn eine Schlüsselrolle spielt dabei die globale Zivilgesellschaft, die weit über professionalisierte Nichtregierungsorganisationen hinaus geht, sich dank des Internets ebenfalls intensiver denn je zusammenschließt und auf die die meisten kreativen Lösungen zurückgehen. Auch Bauern- oder Wirtschaftsverbände, Gewerkschaften, Wissenschaftsorganisationen und unzählige Stiftungen sind längst über die Grenzen der Kontinente hinweg vernetzt und können die Umsetzung von Vereinbarungen der VN vorantreiben. Beispielweise erinnern sie wie das Netzwerk CorA ihre Regierungen an deren Verantwortung dafür, dass transnationale Unternehmen auf die Einhaltung von Menschenrechten wie die Versammlungsfreiheit verpflichtet werden. Oder sie setzen sich wie La Via Campensina weltweit für die Umsetzung des Menschenrechts auf Nahrung ein. Global governance wird auch durch erfolgreiche Modelle auf nationaler Ebene bereichert. Am deutlichsten wird dies beim Einspeisegesetz für erneuerbare Energien. In keinem anderen Land ist die Einführung von Windkraft, Photovoltaik und Biomasse so weit gediehen wie in Deutschland, deshalb wurde das Gesetz bereits in über 50 Staaten in jeweils angepasster Weise zum Vorbild genommen.
Die Verbindung zwischen globaler und lokaler Ebene sieht auch die Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom als Weg, den drohenden Krisen zu begegnen. "Wir brauchen globale Abkommen", sagt sie und fügt hinzu: "Fangt bei Euch selbst an!"