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Die spanische EU-Ratspräsidentschaft 2010 - eine Bilanz | Spanien | bpb.de

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Die spanische EU-Ratspräsidentschaft 2010 - eine Bilanz

Deniz Devrim

/ 15 Minuten zu lesen

Als erster rotierender EU-Vorsitz nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags stand Spanien vor der Herausforderung, die neue Rolle der Ratspräsidentschaften mitzugestalten. Dies wurde erschwert durch die weltweite Wirtschaftskrise.

Einleitung

Vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon waren die halbjährlich rotierenden Ratspräsidentschaften der Europäischen Union (EU) eine gute Gelegenheit für das jeweils präsidierende Land, nationale Prioritäten auf die europäische Tagesordnung zu setzen. Erfolg oder Misserfolg wurde dabei an der Umsetzung der vorgegebenen Ziele gemessen. Eine besondere Rolle spielten hier Initiativen im Bereich der EU-Außenpolitik. Die Analyse der spanischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2010 macht deutlich, dass zukünftige EU-Vorsitze nach neuen Kriterien bewertet werden müssen. Durch den am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Lissabonner Reformvertrag ist erstmals ein ständiger Präsident des Europäischen Rats sowie eine Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik eingeführt und somit der rotierenden Ratspräsidentschaft eine neue Rolle gegeben worden, die ihre Gestaltungsmöglichkeiten einschränkt.

Zwar übernahm Spanien am 1. Januar 2010 bereits zum vierten Mal seit seiner 25-jährigen EG/EU-Mitgliedschaft den Ratsvorsitz, aber diesmal mit einem entscheidenden Unterschied: Als erstes Land, das den rotierenden EU-Vorsitz nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags inne hat, stand Spanien vor der Herausforderung, in einem Übergangsprozess die neue Funktion der EU-Ratspräsidentschaften mitzugestalten und einen modus vivendi mit den neuen Führungsämtern einzuleiten. Erschwert wurde diese Aufgabe durch die anhaltende internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Bewältigung zur mit Abstand wichtigsten Priorität geworden war. Als eines der von der Krise am stärksten betroffenen EU-Mitgliedsländer war es Spanien jedoch nicht möglich, eine führende Rolle bei der Suche nach Auswegen aus den wirtschaftlichen Verwerfungen einzunehmen.

Neue Rolle der rotierenden EU-Vorsitze

Die neue EU-Führungsstruktur sieht wie folgt aus: Der Belgier Herman van Rompuy, der erste ständige Präsident des Europäischen Rats, steht dem Lissabonner Vertrag zufolge über der rotierenden Ratspräsidentschaft. Er soll in den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit für Kontinuität in der Arbeit des Europäischen Rats sorgen. Die bis dahin von der rotierenden Präsidentschaft geleiteten Gipfeltreffen werden in Abstimmung mit dem Kommissionspräsidenten von ihm vorbereitet und geleitet. Außer dem Europäischen Rat und dem Außenministerrat - dem die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik, Catherine Ashton, vorsitzt - werden die Fachräte und der Rat für Allgemeine Angelegenheiten weiterhin vom rotierenden Vorsitz geleitet. Dem ständigen Präsidenten fällt ferner die Aufgabe zu, Konsens zwischen den 27 Staats- und Regierungschefs herzustellen. Er vertritt den Rat gegenüber dem Europäischen Parlament und erstattet diesem nach den Gipfeltreffen Bericht. Schließlich repräsentiert er die EU in Fragen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.

In dieser neuen Ordnung teilen sich die neuen ständigen Organe und die rotierende Präsidentschaft die Kompetenzen des Europäischen Rats. Obwohl der ständige Präsident und die Hohe Vertreterin bei Antritt der spanischen Präsidentschaft bereits einen Monat im Amt waren, musste die Position der spanischen Regierung neben diesen in der Praxis erst noch definiert werden. Präsident van Rompuy setzte gleich zu Anfang des spanischen Vorsitzes sein Recht auf Federführung der Gipfeltreffen durch. Der ursprünglichen Protagonistenrolle beraubt, wollte Spanien dennoch einen wichtigen Part spielen, betonte aber gleichzeitig, die neuen Führungspositionen unterstützen zu wollen und versuchte so, dem Verdacht auf einen Wettbewerb um das EU-Rampenlicht vorzubeugen.

Ambitionierte Ziele

Trotz dieser zurückhaltenden Position war die Agenda Spaniens für den sechsmonatigen Vorsitz ambitioniert. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass Spanien die Ausrichtung seiner Ratspräsidentschaft zu einem Zeitpunkt definierte, an dem noch nicht klar war, ob es den EU-Vorsitz bereits auf Grundlage des Lissabonner Vertrags führen würde. Dies stellte sich erst kurz vor Beginn seiner Präsidentschaft heraus, nachdem der Vertrag durch alle Mitgliedstaaten ratifiziert worden war.

Die drei bisherigen EU-Ratspräsidentschaften (1989, 1995, 2002) hatte Spanien dazu genutzt, seine europäische Gesinnung unter Beweis zu stellen und gleichzeitig nationale Prioritäten auf die europäische Tagesordnung zu setzen. Auch die Vorbereitungen der vierten Präsidentschaft waren durch diese Ziele geprägt. Folgende vier Themen sollten die Agenda bestimmen: die Umsetzung des Lissabonner Vertrags, die Bekämpfung der Folgen der Wirtschaftskrise, die Stärkung der Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger unter besonderer Berücksichtigung von Gleichberechtigungsfragen sowie die Stärkung der Rolle der EU in der Welt als global player. Spanien wurde wiederholt vorgeworfen, dass diese sehr allgemein gehaltenen Ziele zu ambitioniert seien für ein Land, das in den Augen seiner europäischen Partner durch die Wirtschaftskrise zu geschwächt war. Auch wurde bemängelt, dass das Ziel der spanischen Präsidentschaft, "mit neun oder zehn Gipfeln ins Guinness-Buch der Rekorde einzutreten", wie es der Staatssekretär für EU-Angelegenheiten Diego Lopez Garrido formulierte, nicht im Einklang mit den neuen Zuständigkeiten nach dem Vertrag von Lissabon stünde.

Übergangsregeln

Obwohl die spanische Regierung betonte, dass sie in der Außenpolitik im Sinne des Reformvertrags die zweitrangige Rolle hinter der Hohen Vertreterin akzeptierte, handelte sie vor Beginn ihres Vorsitzes verschiedene Übergangsregeln aus, durch die bestimmte Kompetenzen beim spanischen diplomatischen Dienst verblieben. So wurden die Außenvertretungen in den südamerikanischen Ländern vorerst nicht von "Delegation der Europäischen Kommission" in "Delegation der Europäischen Union" umgetauft, so wie es der Lissabonner Vertrag eigentlich für alle Auslandsvertretungen vorsieht. Dadurch konnte sich Spanien Kompetenzen im Bereich seiner außenpolitischen Prioritäten sichern, die dem rotierenden Vorsitz eigentlich nicht mehr zustanden. Gleichzeitig konnte es dadurch einer noch nicht richtig eingespielten neuen "EU-Maschinerie" unter die Arme greifen.

Auch handelte die spanische Regierung aus, einige der Gipfel mit anderen Regionen und Drittstaaten, die laut Lissabonner Vertrag nur noch in Brüssel stattfinden sollten, in Spanien abzuhalten und hoffte dadurch, sich ein gewisses Prestige in der internationalen Arena zu sichern. So war vorgesehen, dass Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero mit dem ständigen Präsidenten gemeinsam die Schirmherrschaft - nicht jedoch den Vorsitz - des EU-Lateinamerika/Karibik-Gipfels, des letztendlich vertagten Gipfels zur Union für das Mittelmeer (UfM) und des von den USA abgesagten EU-USA-Gipfels einnehmen sollte.

Innenpolitischer Kontext und Wirtschaftskrise

Nicht nur die Neuerungen des Lissabonner Vertrags schwächten Spaniens Führungskraft, sondern vor allem die Wirtschaftskrise. Die Krise in Griechenland und die weit verbreitete Annahme, dass diese auch auf Spanien übergreifen könne, bestimmten die politische Agenda maßgeblich und stellten viele Vorhaben in den Schatten. Mit einem Haushaltsdefizit, das 2009 elf Prozent überstieg, und einer Arbeitslosigkeit, die noch heute bei über 20 Prozent liegt, war Spanien während seines EU-Vorsitzes breiter Kritik ausgesetzt. Ministerpräsident Zapatero wurde von seinen europäischen Kollegen, den EU-Finanzministern und auch von US-Präsident Barack Obama dazu aufgefordert, drastische Einsparungen einzuleiten, was Spaniens Position auf der europäischen Bühne zusätzlich schwächte. Auch in der internationalen Presse hagelte es Kritik. Derartig angeschlagen, war Spanien nicht in der Lage, auf der EU-Ebene in den Debatten um Lösungsansätze aus der Krise eine führende Rolle einzunehmen. Vielmehr sah es sich gezwungen, auf die Forderungen der EU-Partner hinsichtlich der in Spanien einzuleitenden Maßnahmen zu reagieren und die Führung der Debatte anderen Staaten wie Frankreich oder Deutschland zu überlassen.

Die Wirtschaftskrise trug auch dazu bei, dass sich der seit Jahrzehnten gepflegte Konflikt zwischen den beiden spanischen Volksparteien, der derzeit regierenden sozialistischen PSOE und der konservativen Partido Popular (PP) erheblich verschärfte. So ließen etwa die PP und andere Oppositionsparteien jegliche Kompromissbereitschaft vermissen.

Um das Budgetdefizit bis 2013 wieder auf bzw. unter die im Maastrichter Vertrag vereinbarte Drei-Prozent-Grenze zu senken, kündigte Zapatero im Mai 2010 drastische Einsparungen an. Das Sparprogramm - ein 15-Milliarden-Euro-Paket, das eine fünfprozentige Kürzung des Gehalts öffentlich Bediensteter sowie ein Einfrieren der Renten im Jahr 2011 beinhaltet - isolierte die Regierung und ließ Aufforderungen zum sofortigen Rücktritt aus Oppositionskreisen laut werden. Außer der PSOE war keine der im Parlament vertretenen Parteien bereit, für die unpopulären Maßnahmen der Regierung zu stimmen - letztlich fand sich eine Mehrheit von nur einer Stimme. Der Mangel an Zusammenarbeit in einer so ernsten Wirtschaftskrise ist jedoch zum großen Teil auf wahltaktische Gründe zurückzuführen. So hofft die PP, dass die sozialistische Regierung spätestens bei der Debatte um den Staatshaushalt im Herbst 2010 scheitern und dies zu Neuwahlen führen wird. Obwohl die EU-Partner, der Internationale Währungsfonds und US-Präsident Obama die wirtschafts- und sozialpolitische Kehrtwende Zapateros begrüßten, blieb dieser innenpolitisch geschwächt.

Spaniens außenpolitische Agenda

Die Ausrichtung der spanischen Außenpolitik und seine Rolle in der erweiterten EU waren bereits vor Beginn der Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte 2009 Teil einer öffentlichen Debatte, an der sich auch Außenminister Miguel Ángel Moratinos aktiv beteiligte. Politische Analysten machten den mangelnden Einfluss Spaniens in der EU, das undeutliche Profil in der Außenpolitik sowie die fehlende Teilnahme an wichtigen Debatten auf EU-Ebene Ministerpräsident Zapatero zum Vorwurf. Daraufhin formulierte Außenminister Moratinos im Herbst 2009 detailliert die Ziele und den Entscheidungsrahmen der spanischen Außenpolitik. Im Mittelpunkt sah er dabei Europa, Lateinamerika, den Mittelmeerraum sowie die Beziehungen zu den USA. Die Stärkung multilateraler Strukturen nannte er den "Fußabdruck" Zapateros. Die beiden regionalen Schwerpunkte Mittelmeer und Lateinamerika fanden durch den EU-Lateinamerika/Karibik-Gipfel sowie den geplanten und dann vertagten Mittelmeer-Gipfel ihren Platz auf der Agenda des spanischen EU-Vorsitzes.

Brücke zu Lateinamerika

Begründet durch seine historischen Erfahrungen und seine Expertise sieht Spanien sich selbst als natürliche Brücke zu Lateinamerika. Den seit Jahren stagnierenden Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika beabsichtigte Spanien im Rahmen seines EU-Vorsitzes einen neuen Anstoß zu geben. Da der Madrider Gipfel im Mai 2010 allerdings zeitlich mit der Forderung der EU-Partner nach einem Sparprogramm, den durch die spanische Regierung angekündigten Sparmaßnahmen und der dadurch ausgelösten innenpolitischen Krise zusammenfiel, war es für Ministerpräsident Zapatero schwierig, Führung zu zeigen. Ein Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den zentralamerikanischen Staaten, Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien bzw. Peru sowie die Ankündigung der Wiederaufnahme der seit 2004 stockenden Verhandlungen für ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur können zu den konkretesten Ergebnissen der spanischen Ratspräsidentschaft gezählt werden. Ferner einigten sich die Partner auf die Gründung einer EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung, die Strategien für eine verstärkte bilaterale Partnerschaft entwickeln soll.

Obwohl die spanische Regierung den Madrider Gipfel - besonders vor dem Hintergrund der fehlenden Ergebnisse im vergangenen Jahrzehnt - als Erfolg interpretierte, wurde der Gipfel nicht zu dem großen politischen Coup, den die spanische Regierung sich erhofft hatte. Schon im Vorfeld war Spanien mit einem diplomatischen Problem konfrontiert, da eine Diskussion um die Teilnahme des Präsidenten von Honduras, Porfirio Lobo, entbrannte. Brasilien und andere Staaten hatten angedroht, nicht an dem Gipfel teilzunehmen, da sie die Legitimität der nach einem Militärputsch gewählten Regierung Lobo nicht anerkennen. Obwohl Ministerpräsident Zapatero Lobo vom Haupttreffen auslud, um den Gipfel nicht scheitern zu lassen, blieben einige lateinamerikanische Staatschefs fern.

Mittelmeerdimension

Neben dem EU-Lateinamerika/Karibik-Gipfel sollte der Mittelmeer-Gipfel im Juni 2010 in Barcelona ein weiterer Höhepunkt des spanischen Vorsitzes werden. Die Vertagung des Gipfels aufgrund der Konflikte in der Region und insbesondere der Diskussion um die angedrohte Absage Ägyptens und Syriens im Falle der Anwesenheit des israelischen Außenministers Avigdor Lieberman war ein herber Rückschlag für die spanische Regierung. Der Gipfel soll nun im November 2010 nachgeholt werden.

Es lag nicht in der Hand Spaniens, während seines sechsmonatigen EU-Vorsitzes die komplexen Probleme in diesem konfliktbeladenen regionalen Kontext zu beseitigen. Das vorläufige Scheitern des Gipfels ist daher weniger auf Spanien zurückzuführen, als vielmehr auf die fehlende Flexibilität der Partner, um konstruktive Auswege aus den Konflikten zu suchen. Zwar konnte Spanien durch den Aufbau des Sekretariats in Barcelona, durch die Unterstützung der Euromediterranen Regionalen und Lokalen Versammlung (ARLEM) sowie verschiedener zivilgesellschaftlicher Foren Fortschritte machen. Das Ziel, der UfM während der spanischen Ratspräsidentschaft einen wichtigen politischen Impuls zu geben, konnte jedoch nicht erreicht werden. Auch die zahlreichen Reisen des Außenministers Moratinos in den Nahen Osten während der Präsidentschaft haben das Interesse der spanischen Diplomatie am Friedensprozess unterstrichen. Allerdings hat sich dieser Aktivismus nicht in einem stärkeren Engagement der EU für eine Entspannung der Konflikte niedergeschlagen.

Stärkung der Rechte der EU-Bürger

Ein weiterer Schwerpunkt des spanischen Vorsitzes lag auf der Stärkung der Rechte der europäischen Bürgerinnen und Bürger. Dies beinhaltete die direkte politische Partizipation, die soziale Agenda und Themen im Bereich Justiz und Inneres. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die Europäische Bürgerinitiative geschaffen, durch die EU-Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit gegeben wird, sich direkt an der Politikgestaltung zu beteiligen. Der Erfolg der spanischen Präsidentschaft lag darin, Druck auf die Kommission ausgeübt zu haben, damit diese einen Vorschlag für die Verordnung zur Bürgerinitiative einreicht, den sie Ende März 2010 vorstellte.

Seit seinem Amtsantritt hat es sich Ministerpräsident Zapatero zudem zur Aufgabe gemacht, häusliche Gewalt zu bekämpfen. Spanien machte dieses Thema zu einem europäischen, indem es die Einrichtung einer europäischen Beobachtungsstelle gegen häusliche Gewalt zum Ziel seines EU-Vorsitzes erklärte. Die europäische Beobachtungsstelle sowie eine europaweit einheitliche Telefon-Hotline für Opfer häuslicher Gewalt wurden vorangebracht, allerdings erregte keine der beiden Maßnahmen großes öffentliches Aufsehen.

Beitrag für die Zukunft der EU

Die spanische Regierung begann ihren Vorsitz mit ambitionierten Zielen. Allerdings wurde im Laufe der sechs Monate klar, dass sich die rotierenden EU-Vorsitze zu etwas ganz neuem entwickeln würden, insbesondere was groß angelegte Initiativen im Bereich der Außenpolitik angeht. Spanien hatte sich Großes vorgenommen, musste sich letztendlich aber mit der administrativen Vorbereitung im Hintergrund zufrieden geben. Die wichtigsten Gipfel wurden entweder abgesagt (EU-USA), verschoben (UfM) oder wären fast gescheitert (EU-Lateinamerika/Karibik). Die erfolgreicheren Treffen und Gipfel waren entweder in der Hand des ständigen Ratspräsidenten oder der Hohen Vertreterin, oder aber sie fanden keine große Wirksamkeit in der Öffentlichkeit. Die gescheiterten und vertagten Gipfel wurden zu einer großen Enttäuschung für die spanische Regierung, zeigten aber gleichzeitig, dass die Gründe für den Erfolg oder Misserfolg von EU-Gipfeln mit anderen Regionen nicht in der Kontrolle der Ratspräsidentschaft liegen, sondern durch Umstände der globalen Politik bestimmt werden. Ironischerweise haben die gescheiterten Gipfel auch einen wichtigen Beitrag für die Zukunft der EU geleistet. Sie haben verdeutlicht, dass die rotierenden EU-Vorsitze im Bereich der EU-Außenpolitik definitiv eine zweitrangige Rolle spielen werden.

Während seiner Ratspräsidentschaft kam Spanien eine Schlüsselrolle bei der Festlegung des Verhältnisses der verschiedenen EU-Institutionen untereinander nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags zu. Die spanische Regierung hatte sich die Umsetzung des neuen Vertrags und die Unterstützung Herman van Rompuys und Catherine Ashtons in der Etablierung ihrer neuen Ämter zu einem der Hauptziele gemacht. Politisch gesehen war dies eine große Herausforderung. Für keines der EU-Länder wäre die Anerkennung der verlorenen Sichtbarkeit bei gleichzeitiger Wahrung des richtigen Maßes an Aktivismus ein einfacher Schritt gewesen. Positiv zu bewerten ist, dass es keine großen Kompetenzstreitigkeiten zwischen Ministerpräsident Zapatero und den neuen ständigen EU-Posten gegeben hat. Somit kann Spanien zugute gehalten werden, einen sanften Übergang in das neue Vertragssystem eingeleitet zu haben. Insofern war es ein glücklicher Zufall, dass Spanien zu Beginn des neuen Vertragswerks den rotierenden Vorsitz einnahm. Es ist anzunehmen, dass Mitgliedstaaten wie Frankreich oder Deutschland auf mehr Gestaltungsraum bestanden hätten. Die spanische Regierung ist dem Ziel, den permanenten EU-Posten die Führungsrolle zu überlassen, weitgehend gerecht geworden.

Das Feld der rotierenden Ratspräsidentschaften: EU-Innenpolitik

Die EU-Außenpolitik wird künftig nicht mehr auf der Basis der sechsmonatigen Ratspräsidentschaften formuliert werden. Hatten die EU-Vorsitze noch vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Möglichkeit, Initiative im Bereich der Außenpolitik zu zeigen, so wird diese Aufgabe nun durch den ständigen Präsidenten und die Hohe Vertreterin wahrgenommen. Im Gegensatz zu früheren Vorsitzen hatte Spanien aufgrund dieser neuen Rollenverteilung wenige Gestaltungsmöglichkeiten. Europa als globalen Akteur zu stärken hatte Spanien zwar zu einem wichtigen Ziel erklärt, aber die institutionellen Neuerungen haben Spanien in eine zweitrangige Rolle auf diesem Gebiet gedrängt.

Der Vertrag von Lissabon beinhaltet, dass eine Neuausrichtung der Rolle der rotierenden Präsidentschaften gefordert ist. So wird es zukünftig vor allem Aufgabe der sechsmonatigen Vorsitze sein, sich auf die interne Dimension der EU zu konzentrieren. Die Minister der Regierung des präsidierenden Mitgliedstaates werden weiterhin den Vorsitz der Ministerräte führen (den Außenministerrat ausgenommen). Ferner wird das jeweilige Staatsoberhaupt vor dem Europäischen Parlament am Anfang und am Ende jeder Präsidentschaft einen Bericht abgeben. Diesen Auftritt im EP sollte jedes Land als Gelegenheit wahrnehmen, um Führungsstärke im europäischen Integrationsprozess zu zeigen.

Die zukünftige Rolle der rotierenden Vorsitze sollte dennoch nicht unterschätzt werden. Für ein gutes Funktionieren der EU ist eine gute Koordinierung der Fachministerräte unabdingbar und verdient Sichtbarkeit im europäischen Institutionengefüge. Diese Binnenwirkung der nationalen Präsidentschaften sollte deswegen aktiv unterstützt werden. Die Tatsache, dass sich die rotierenden Vorsitze künftig stärker auf die Entwicklung der EU im Innern konzentrieren werden müssen, könnte ein Anstoß für sie sein, sich neben der Organisation der Fachministerräte stärker als bisher auf die Kommunikation mit der eigenen, nationalen und der europäischen Öffentlichkeit zu konzentrieren.

Die spanische Regierung setzte auf einen Ratsvorsitz mit globaler Ausrichtung, jedoch konnten wichtige Erwartungen nicht erfüllt werden. In einigen Fällen tendierte Spanien dazu, im Namen der gesamten EU zu sprechen, wie zu Vor-Lissabon-Zeiten. Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die Lissabonner EU noch in ihren Anfängen steckt und die EU sich oftmals schwer tut, ihre Rolle in einem sich wandelnden internationalen System zu definieren. Wenn man sich also die Frage stellt, ob Spanien seine Ziele als EU-Ratsvorsitz nun erreicht hat, so muss man feststellen, dass die Schwerpunkte im Bereich der Außenpolitik nicht mehr im Kompetenzbereich Spaniens lagen und demnach von vornherein verfehlt waren. Sie wurden den neuen Gegebenheiten nicht gerecht, weil die außenpolitische Agenda der EU nicht mehr von den Mitgliedstaaten aus bestimmt werden soll, die temporär die technische Koordinierung der "europäischen Maschinerie" übernehmen, sondern von ständigen Funktionsträgern.

Fest steht, dass die rotierenden Ratspräsidentschaften nicht mehr nach herkömmlichen Kriterien bewertet werden können. Die Anforderungen an zukünftige EU-Vorsitze müssen die Frage nach Fortschritten bei der Umsetzung der langfristigen europäischen Politikagenda zum Kriterium machen. Die Herausforderung für rotierende Ratspräsidentschaften wird darin liegen, nationale Interessen mit den generellen Herausforderungen der EU im Zusammenhang zu sehen. Um weiterhin Einfluss auf die außenpolitische Strategie der EU ausüben zu können, werden Mitgliedstaaten nicht mehr auf ihren turnusgemäßen Vorsitz warten, sondern auf die langfristige Zusammenarbeit mit der Kommission, dem Parlament, dem ständigen Präsidenten, der Hohen Vertreterin sowie auf Allianzen mit anderen Mitgliedstaaten setzen müssen.

Spanien wollte Impuls- und Ideengeber sein, konnte jedoch keine führende Rolle in aktuellen Debatten einnehmen, in erster Linie in jenen über die Wirtschaftskrise. Die Stimme von Ministerpräsident Zapatero wurde während des spanischen Vorsitzes auf der internationalen Bühne kaum gehört. Nichtsdestotrotz hat Spanien einen wichtigen Beitrag zur europäischen Integration geleistet, indem es den Übergang in ein neues institutionelles System unterstützt hat. In dieser Hinsicht blieb Spanien dem Geist des neuen Vertrags treu, was kein geringer Beitrag für eine besser funktionierende EU ist.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Daniela Kietz/Nicolai von Ondarza, Willkommen in der Lissabonner Wirklichkeit, SWP-Aktuell, März 2010, S. 2.

  2. Vgl. Luis R. Aizpeolea, La Europa a tres arranca a la defensiva, in: El País vom 9.1.2010, S. 10.

  3. Vgl. Andreu Missé, Los retos de la presidencia española de la UE. Zapatero preside la UE con la salida de la crisis como objetivo, in: El País vom 2.1.2010, S. 10.

  4. Vgl. Programme for the Spanish Presidency of the Council of the EU, online: www.eu2010.es/export/sites/
    presidencia/comun/descargas/
    programa_EN.pdf (24.7.2010).

  5. Vgl. José I. Torreblanca, Una España confusa en una europa desorientada, 19.1.2010, online: www.presidenciaenlasombra.es (27.7.2010); ders., El futuro de Europa. Aburrámonos todos, in: El País vom 11.1.2010, S. 2; A stumbling Spain must guide Europe, in: Financial Times vom 5.1.2010.

  6. Vgl. Spanische EU-Präsidentschaft "wird Präzedenzfälle schaffen", 9.12.2009, online: www.euractiv.com/de/prioritaten/spanische-eu-prsidentschaft-przedenzflle-schaffen/article-188135 (27.7.2010).

  7. Vgl. Armando García Schmidt, Spain and the end of European illusions, Bertelsmann Stiftung Spotlight Europe, Juni 2010.

  8. Vgl. Javier Cáceres, Zapateros Dilemma, in: Süddeutsche Zeitung vom 17.5.2010, S. 19; Zapatero's cuts. Spain's prime minister reluctantly embraces fiscal austerity, in: The Economist vom 20.5.2010.

  9. Vgl. Katalanen retten Zapatero, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28.5.2010.

  10. Vgl. José María de Areilza/José Ignacio Torreblanca, Diagnostico diferencial, in: Foreign Policy Ed. española, 33 (2009) Junio/Julio, S. 28-36; Charles Grant, ¿Por qué pesa poco España?, in: ABC vom 8.5.2009.

  11. Vgl. Miguel Ángel Moratinos, Diagnosis y política exterior, in: Política Exterior, 131 (2009) Sept./Oct., S. 83-96.

  12. Vgl. Spanish Foreign Minister, Miguel Ángel Moratinos, sets out priorities of Spanish Presidency of EU before EP, 4.2.2010, online: www.eu2010.es/en/
    documentosynoticias/noticias/
    FebO4_moratinos.html (24.7.2010).

  13. Mercosur steht kurz für Mercado Común del Sur (Gemeinsamer Markt des Südens), dem als Vollmitglieder Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay angehören.

  14. Vgl. Soledad Gallego-Díaz, América Latina amenaza con boicotear la cumbre con Europa en Madrid, in: El País vom 6.5.2010, S. 6; Rafael Minder, Spain's luster dims at EU-Latin American talks, in: International Herald Tribune vom 19.5.2010.

  15. Vgl. Luis Izquierdo, Diego Lopez Garrido: "El eje mediterráneo es prioridad absoluta", in: La Vanguardia vom 19.10.2009.

  16. Vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Bürgerinitiative, SEK(2010) 370, Brüssel, 31.3.2010, 2010/0074 (COD), online: http://ec.europa.eu/dgs/secretariat_
    general/citizens_initiative/
    docs/com_2010_119_de.pdf; Ignacio Molina, 25 años después del Tratado de Adhesion: España ya no es un problema pero Europa sí sigue siendo la solucion, Real Instituto Elcano, ARI 95/2010, 11.6.2010.

  17. Vgl. Cornelia Derichsweiler, Spanische Offensive gegen häusliche Gewalt, in: Neue Zürcher Zeitung vom 1.2.2010.

  18. Vgl. Carme Colomina/Deniz Devrim/Laia Mestres/Eduard Soler i Lecha, Una presidencia rotatoria menguante: El difícil papel de España, Nota Internacional CIDOB, Juli 2010.

M.A., geb. 1980; wissenschaftliche Mitarbeiterin am Barcelona Centre for International Affairs, Elisabets 12, 08001 Barcelona/Spanien. E-Mail Link: ddevrim-associate@cidob.org