Einleitung
Schon 1950 stellte der französische Finanzminister Jacques Rueff fest: "L'Europe se fera par la monnaie ou ne se fera pas." ("Europa entsteht durch das Geld oder gar nicht.")
In den neuen Mitgliedstaaten aus Mittelosteuropa
Obgleich die neuen EU-Staaten also formalrechtlich auf einer Ebene stehen, haben sich in den Jahren seit dem Beitritt (2004/2007) in Mittelosteuropa unterschiedliche Profile der Währungsintegration herausgebildet. Sie sind auf verschiedene Ursachenbündel zurückzuführen, die im Folgenden betrachtet werden. Zum einen erlaubt die jeweilige realwirtschaftliche Entwicklung den Transformationsstaaten eine unterschiedlich starke oder schwache Annäherung an den Euro. Zum anderen sind ihre Regierungen unterschiedlich in der Lage, die staatlichen Finanzen in Ordnung zu halten. Beide Aspekte hängen mit den Konvergenzkriterien zusammen, die Beitrittskandidaten zur EWWU gemäß den Regelungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu erfüllen haben. Neben ökonomischen und wirtschaftspolitischen Kennzahlen sind weiterhin Haltungen und Einstellungen der Eliten und der Bevölkerung relevant, wenn es um eine zügige oder abgebremste Übernahme der europäischen Währung geht. Diese sollen daher ebenfalls diskutiert werden.
Konvergenzkriterien und Transformationskontext
Kein Staat der beiden Beitrittswellen von 2004 und 2007 trat zugleich der EU und der EWWU bei. Laut Text des Beitrittsvertrags gingen die neuen Mitgliedstaaten die Verpflichtung ein, die in den Verträgen niedergelegten Ziele zu "verwirklichen" und "fortzuführen".
Diese Regeln sind in der heute gültigen Fassung der Europäischen Verträge in der Präambel und in Artikel 3 des Maastrichter EU-Vertrages (EUV) sowie in den Artikeln 119 bis 144 AEUV niedergelegt. Dementsprechend gehört die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion, die eine "einheitliche, stabile Währung einschließt" und durch ein "ausgewogenes Wirtschaftswachstum" gekennzeichnet ist, zu den wichtigsten Zielen der EU. Besonders zur Gewährleistung der Währungsstabilität war im Vertrag von Maastricht ein Katalog von Kriterien eingeführt worden, die von den Mitgliedstaaten vor dem Beitritt zur EWWU erfüllt werden müssen. In der Lissaboner Fassung der Verträge
Preisniveaustabilität.
Die durchschnittliche Inflationsrate eines EWWU-Kandidatenstaates darf um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über dem Niveau der drei EWWU-Mitgliedstaaten mit den niedrigsten Inflationsraten liegen. Mit diesem Kriterium soll verhindert werden, dass sich die Europäische Zentralbank (EZB) nach dem Beitritt eines Landes mit zu stark abweichenden Inflationsraten konfrontiert sieht, was für eine effektive - auf bestimmte Basiszinssätze zielende - Geldpolitik ein großes Hindernis darstellen würde. Der Referenzwert knüpft mithin nicht an einen absoluten Wert an, sondern ist variabel gestaltet. Er variierte in der Zeit von 1997 bis 2010 zwischen 0,6 und 4,2 Prozent.
Langfristiges nominales Zinsniveau.
Der Zinssatz des Antrag stellenden Landes darf die Zinssätze der drei Mitgliedstaaten mit den niedrigsten Inflationsraten um nicht mehr als zwei Prozentpunkte überschreiten. Der Grund für dieses Kriterium liegt ebenfalls in der Tatsache begründet, dass eine rationale und einheitliche Geldpolitik nur bei ähnlichen Inflationsraten gewährleistet ist.
Wechselkursstabilität.
Die Kurse der nationalen Währungen müssen sich zwei Jahre lang in der Bandbreite des Europäischen Wechselkursmechanismus II (WKM II)
Staatsverschuldung.
Das letzte Kriterium umfasst zwei Indikatoren, weswegen mitunter auch von insgesamt fünf Konvergenzkriterien gesprochen wird.
In ihrer Gesamtheit sollen die genannten Kriterien gewährleisten, dass der Euro-Raum durch die - allein zuständige und unabhängige - EZB geldpolitisch steuerbar bleibt. Hierzu sollten wenigstens annäherungsweise Eigenschaften eines "Optimalen Währungsraumes"
Jenseits dieser grundsätzlichen Aspekte wurde diskutiert, ob die Konvergenzkriterien für Transformationsökonomien überhaupt adäquat seien. Durch den Aufholeffekt gegenüber Westeuropa steigen die Produktivität im Sektor der handelbaren Güter, die Preise im Bereich der nicht-handelbaren Güter (z.B. Dienstleistungen) und die Löhne in beiden Sektoren. Dadurch sind in den Transformationsstaaten tendenziell höhere Inflationsraten zu erwarten (Balassa-Samuelson-Effekt).
Konvergenzkriterien in Mittelosteuropa
Inwiefern werden nun die neuen Mitgliedstaaten den Konvergenzkriterien gerecht? Mit Slowenien (seit 2007) und der Slowakei (seit 2009) sind zwei der zehn neuen Mitgliedstaaten der EWWU bereits beigetreten; Estland wird den Euro am 1. Januar 2011 einführen.
Tabelle 1 (siehe Tabelle 1 der PDF-Version) zeigt den Stand der Erfüllung von Konvergenzkriterien durch die mittelosteuropäischen EWWU-Beitrittskandidaten laut den Konvergenzberichten der EZB aus den Jahren 2008 und 2010. Im Jahr 2008 lässt sich ein für (erfolgreiche) Transformationsstaaten im Grunde erwartbares Profil erkennen. Die Wirtschaft wächst vergleichsweise schnell, sodass Löhne und sonstige Preise in der Tendenz steigen können. Ein Gegensteuern durch Regierungen und Zentralbanken wäre zwar möglich, würde aber dringend benötigte Investitionen erschweren. Erhöhte Inflationsraten sind daher im Transformationskontext als sekundäre Begleiterscheinungen der wirtschaftlichen Entwicklung anzusehen. Daher war bis zum Beginn der weltweiten Wirtschaftskrise im Herbst 2008 folgendes Bild charakteristisch: Hohe Inflationsraten kontrastieren mit einer vergleichsweise soliden Haushaltspolitik, die durch die auf den EU-Beitritt ausgerichtete Wirtschaftspolitik eingeleitet worden war. Lediglich Ungarn, das seit Jahren mit übergroßen Defiziten zu kämpfen hat, fällt mit der Nichterfüllung fast aller Konvergenzkriterien aus dieser Reihe.
Die Daten des Jahres 2010 zeigen dagegen im Wesentlichen die Reaktion der östlichen EU auf die ab 2008 einsetzende Wirtschaftskrise. So konnte auch der starke Aufschwung der Vorjahre nicht verhindern, dass die Zinssätze sowie die Budgetdefizite in die Höhe gingen. Zwar senkte der ausbleibende Preisdruck die Inflationsraten, beim Kriterium der langfristigen Zinsen bewirkte jedoch ein genereller Vertrauensverlust der internationalen Märkte sowie die expansive geldpolitische Strategie vieler Zentralbanken einen starken Anstieg, was sich auch als Indikator für das schwache Vertrauen in die Stabilität der jeweiligen Währungen lesen lässt.
Auch beim Doppelkriterium der öffentlichen Finanzen zeigt sich deutlich die Krisenanfälligkeit der Transformationsstaaten. Langjährige Statistiken zeigen, dass die öffentlichen Defizite in den meisten mittelosteuropäischen Staaten vergleichsweise gering gewesen sind, jedenfalls wenn die westeuropäischen EU-Staaten als Vergleichsmaßstab herangezogen werden.
Im Zuge der globalen Wirtschaftskrise konnte dann jedoch mit der Ausnahme Bulgariens kein einziges Land in der Region eine stabilitätsorientierte Haushaltspolitik durchhalten. Dadurch ist in den meisten Ländern auch der Schuldenstand rapide gestiegen, wenngleich derzeit lediglich in Ungarn der Referenzwert von 60 Prozent des BIP überschritten wird. Insgesamt muss bei diesen eher bedenklichen Entwicklungen hinsichtlich des Schuldenstandes allerdings beachtet werden, dass fast alle EU-Mitgliedstaaten vor kriseninduzierten Problemen stehen. Im Jahr 2010 wird lediglich in drei Mitgliedstaaten - Bulgarien, Estland und Schweden - das Defizitkriterium eingehalten werden.
Allerdings lässt sich auch feststellen, dass die Reaktionen der einzelnen EU-Neumitglieder auf die globale Krise in durchaus unterschiedliche Stabilitätskurse gemündet haben. Lediglich Bulgarien und Ungarn haben bereits für das Jahr 2010 eine deutliche Ausgabenbegrenzung realisieren können - ein Trend, der sich in den Prognosen für 2011 verfestigt.
Einstellungen gegenüber dem Euro
Wie stehen die Bevölkerungen der mittelosteuropäischen Länder zur Einführung des Euro? Sind sie über die wichtigsten Eigenschaften des Euro informiert, und wie schätzen sie zu erwartende Vor- und Nachteile ein? Diesen Fragen soll nun nachgegangen werden.
Dabei fällt zunächst auf, dass das Wissen über die Umstände der Euro-Einführung recht gering ist - angesichts der Relevanz des Themas ein erstaunlicher Befund. Im Mai 2010 konnten nur 28 Prozent der Bürgerinnen und Bürger der neuen EU-Mitgliedstaaten korrekt angeben, dass die Einführung des Euro eine Verpflichtung darstellt.
Referenden, bei denen die Regierung eines Mitgliedstaates das Risiko eines integrationsskeptischen Signals eingehen würde, haben wohl wenig Aussicht auf Verwirklichung. Andererseits hat sich jedoch auch der "alte" Mitgliedstaat Schweden entschieden, mittels eines technischen Tricks - dem Nichtbeitritt zum WKM II - den EWWU-Beitritt hinauszuzögern. Daher ist schwer zu entscheiden, was für die Bürger der mittelosteuropäischen Staaten Vorrang haben soll: die zweifellos gegebene vertragliche Verpflichtung zur Übernahme des Euro oder die Entscheidungsfreiheit der gewählten Regierung.
Stärker von Belang sind daher möglicherweise andere Einstellungen der Bevölkerungen. So waren ebenfalls im Mai 2010 immerhin 30 Prozent der Befragten in den neuen Mitgliedstaaten der Meinung, die Übernahme des Euro werde zu einem Verlust der Kontrolle über die Wirtschaftspolitik führen. 33 Prozent äußerten in derselben Umfrage, der Euro werde dem jeweiligen Land einen "großen Teil seiner Identität" nehmen. Vor allem in Lettland (55 und 61 Prozent) und Tschechien (50 und 57 Prozent) wurden diese Gefahren gesehen. In Ungarn (19 und 17 Prozent) und Rumänien (18 und 19 Prozent) überwogen dagegen Äußerungen, die im Euro keine unmittelbare Bedrohung sahen.
Eine gespaltene Einstellungshaltung findet sich auch, wenn nach erwarteten Preissteigerungen durch die Euro-Einführung gefragt wird. In Polen, Estland, Tschechien, Litauen und Bulgarien erwarten mehr als zwei Drittel der Bevölkerungen eine solche Entwicklung, wobei solche Befürchtungen in Polen und Estland (jeweils 77 Prozent) am stärksten sind. Die Bevölkerung Rumäniens hingegen hat mit einem Wert von 47 Prozent diesbezüglich die geringsten Ängste.
Angesichts der verbreiteten Euro-Skepsis in Mittelosteuropa, die sich - wie nun klar geworden ist - in einigen Ländern in durchaus mehrheitsfähigen Dimensionen bewegt, ist ein entsprechendes Verhalten der politischen Eliten wenig überraschend. So hat Václav Klaus, der erklärt EU-skeptische Präsident der Tschechischen Republik, die Währungsunion als "ein Teilprojekt des Europäismus, und kein erfolgreiches" und den Euro als "wirkliche Ursache der griechischen Krise" bezeichnet.
Die Einstellungen gegenüber der Euro-Einführung sind generell als geteilt anzusehen. Im Verlauf der vergangenen Jahre hat es, wenn die gesamte Region betrachtet wird, kein einziges Mal eine mehrheitliche Zufriedenheit mit dem Beitritt zur EWWU gegeben, wobei in den ersten Jahren nach den EU-Beitritten die Zustimmung zunächst anstieg (von unter 40 Prozent 2005 auf 49 Prozent 2007) und seitdem stagniert. Es lassen sich unter den Beitrittsstaaten daher drei unterschiedliche Profile ausmachen:
Überwiegende EWWU-Skepsis.
Zustimmungsraten von um die 40 Prozent (und in manchen Jahren deutlich niedriger) finden sich in Lettland, Tschechien und Estland.
Unentschiedenheit.
In Bulgarien, Litauen, und Polen finden sich Einstellungen, die dem Durchschnitt der neuen Mitgliedstaaten entsprechen, das heißt in aller Regel unter der kritischen Schwelle von 50 Prozent Zustimmung bleiben.
Euro-Aufgeschlossenheit.
In Slowenien und der Slowakei - sowohl vor als auch nach dem jeweiligen Beitritt - sowie in Rumänien und in den vergangenen Jahren in Ungarn gibt es eine mehrheitliche Zustimmung zur Euro-Mitgliedschaft.
Ausblick
Während der Beitritt der neuen Mitgliedstaaten zum Euro-Raum formalrechtlich als Automatismus betrachtet werden kann, ergibt sich auf der realpolitischen Ebene eine Reihe von Hindernissen für den raschen EWWU-Beitritt aller mittelosteuropäischen Staaten. In einigen Ländern steht die Mehrheit der Bevölkerung dem Euro kritisch gegenüber. Das Beispiel Estland (wo sich der Euro-Optimismus vor dem Beitrittsbeschluss ebenfalls in Grenzen hielt) zeigt, dass dies der Euro-Übernahme nicht prinzipiell schaden muss. Wenn jedoch maßgebliche Politiker der Mehrheitsmeinung eine Stimme verleihen, scheint ein problemloser Übergang zum Euro durchaus gefährdet; Lettland, Tschechien und möglicherweise Polen wären wohl die ersten Kandidaten für ein solches Hinhalteszenario.
Hinzu kommt, dass die weltweite Wirtschaftskrise auch in Mittelosteuropa Spuren hinterlassen hat. Selbst wenn der Beitritt zum Euro als vertragliche Gegebenheit anerkannt sein sollte, haben sich die Regierungen der betreffenden Länder nirgendwo verpflichtet, gegen den Willen von Bevölkerungen und Wählern harte Sparpakete durchzusetzen, um Konvergenzkriterien zu erfüllen. Denn es liegt nicht in ihrem Interesse, mit kontraktiven Ausgaben- und/oder Geldpolitiken den fragilen Aufschwung am Ende der Krise zu gefährden. Mithin scheint es nicht besonders gewagt, für die nächsten drei bis vier Jahre keine neuen Beitritte zum Euro-Raum zu prognostizieren.