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Der Euro als Vorteil und Nachteil für Deutschland

Andreas Busch

/ 15 Minuten zu lesen

In den ersten Jahren nach seiner Einführung hat sich der Euro für Deutschland wirtschaftlich eher nachteilig ausgewirkt. Danach hat die Bundesrepublik klar von der gemeinsamen Währung profitiert.

Einleitung

Etwas mehr als zehn Jahre nach der Einführung der gemeinsamen europäischen Währung erscheint die Zeit reif für eine Bewertung dieses ambitionierten Projekts supranationaler wirtschaftspolitischer Kooperation. Zum einen liegen nun genügend Erfahrungen mit dem Euro vor, zum anderen haben die krisenhaften Entwicklungen im Frühjahr und Sommer 2010 um die Stützung des Währungspartners Griechenland bei vielen Zweifel daran geweckt, ob die Einführung der gemeinsamen Währung richtig war und ob diese überlebensfähig ist.

In der neueren wissenschaftlichen Literatur findet sich eine Vielzahl von Versuchen, eine Bewertung der Erfahrungen mit dem Euro vorzunehmen und diese insbesondere mit den vor der Einführung der Gemeinschaftswährung geäußerten Befürchtungen und Hoffnungen zu vergleichen. Es zeigt sich beispielsweise, dass das Ausmaß von - nach makroökonomischen Kennzahlen gemessener - Konvergenz zwischen den Volkswirtschaften der Euro-Zone geringer ausfällt als erwartet bzw. dass sich neben Angleichungsprozessen auch solche wachsender Unterschiedlichkeit finden lassen. Die Zusammenhänge zwischen der Entwicklung politischer und ökonomischer Variablen werden von einigen Autoren als deutlich, von anderen als nur schwach ausgeprägt analysiert. Klar scheint jedenfalls, dass die Einführung des Euro allgemein zu einer erhöhten subjektiven Wahrnehmung von Inflation geführt hat, der jedoch die tatsächlich sehr hohe Preisstabilität in der Euro-Zone entgegensteht. Zudem wird darauf verwiesen, dass durch die Europäische Währungsunion (EWU) weniger Probleme verursacht worden seien, als viele Beobachter erwartet hätten, und dass letztlich der zukünftige Erfolg der gemeinsamen Währung von der Entwicklung politischer Faktoren abhänge.

In diesem Artikel versuche ich keine solche Gesamtbewertung des EWU-Projekts, sondern beschränke mich vielmehr auf die Frage, ob diese aus der Perspektive der Bundesrepublik Deutschland gesehen eher als Erfolg oder als Fehlschlag zu betrachten ist - ob also die Einführung des Euro für Deutschland eher Vorteile oder eher Nachteile gebracht hat. Dabei lautet die Hauptthese, dass eine solche Bewertung über das vergangene Jahrzehnt differenzieren muss, da der Euro für die Volkswirtschaft der Bundesrepublik ungefähr in der ersten Hälfte des betrachteten Zeitraums eher Nachteile, in den darauf folgenden Jahren jedoch eher Vorteile erbracht hat.

Der Fokus der Analyse liegt vor allem auf den indirekten Auswirkungen der neuen Währung, welche die Handlungsbedingungen für die deutsche Volkswirtschaft verändert haben, in der öffentlichen Debatte aber kaum Berücksichtigung finden. Bevor im Hauptteil des Artikels die Argumentation genauer entfaltet wird, soll im nächsten Abschnitt kurz über die Beweggründe der Währungsunion in Europa reflektiert werden. Am Ende stehen der Versuch, Vor- und Nachteile abzuwägen, sowie einige Bemerkungen über die außenpolitischen Herausforderungen, die der Euro in der Zukunft für Deutschland bringen wird.

Warum eine Währungsunion in Europa?

Die Frage, warum und wie es in Europa zu einer Währungsunion gekommen ist, wird im vorliegenden Heft an anderer Stelle ausführlicher behandelt. Hier soll dennoch kurz darauf eingegangen werden, um die Motive für das Projekt zu vergegenwärtigen, dessen Wurzeln zumindest bis in die frühen 1970er Jahre zurückreichen. Bereits 1970 hatte der sogenannte Werner-Bericht die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung empfohlen und einen Zeitplan dafür aufgestellt. Doch der Zusammenbruch des Systems fester Wechselkurse (System von Bretton Woods) im Jahr 1973 verhinderte zunächst die Umsetzung der Pläne.

Der damals folgende Übergang von festen zu flexiblen Wechselkursen und die starken Schwankungen, die zwischen den nationalen Währungen in der Folgezeit auftraten, verstärkten allerdings in Europa eher den Wunsch nach währungspolitischer Stabilität, als dass sie ihn verringert hätten. Dafür gibt es vor allem einen Grund: die enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen den Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU - damals noch Europäische Gemeinschaft, EG). Diese sind nämlich dadurch gekennzeichnet, dass sie als Ganzes (also als EU) eine wirtschaftliche Offenheit gegenüber dem Rest der Welt haben, die in etwa derjenigen der Vereinigten Staaten oder Japans entspricht; untereinander jedoch (also als einzelne Staaten) weisen sie eine wesentlich höhere wirtschaftliche Offenheit auf. Diese Offenheit ist das Resultat einer engen Handelsverflechtung zwischen diesen Ländern, die ja ein Hauptziel der europäischen Wirtschaftsintegration war. Starke Schwankungen in den Wechselkursen der nationalen Währungen stören diese Handelsbeziehungen jedoch und haben deshalb negative wirtschaftliche Auswirkungen. Im Fall der europäischen Integration wurde dies noch weiter verstärkt durch die gemeinsame Agrarpolitik mit ihren grenzüberschreitenden Ausgleichszahlungen.

Nachdem gegen Ende der 1970er Jahre das Europäische Währungssystem (EWS) erfolgreich eingeführt worden war und eine Angleichung der makroökonomischen Strategien in vielen EG-Ländern stattgefunden hatte, begann man, Pläne für die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung erneut zu diskutieren. Diese Überlegungen mündeten schließlich in die Einberufung mehrerer Regierungskonferenzen auf europäischer Ebene, aus denen die Konzeption für die gemeinsame europäische Währung hervorging. Angesichts unterschiedlicher Präferenzen sowohl der teilnehmenden Nationalstaaten als auch innerhalb der einzelnen Staaten waren diese Verhandlungen hoch komplex und langwierig.

Die Bundesrepublik Deutschland spielte in diesen Verhandlungen eine besonders wichtige Rolle. Die D-Mark hatte sich in den Jahren seit 1973 als die faktische Ankerwährung in Europa etabliert, was vor allem auf die Geldpolitik der Bundesbank zurückzuführen ist, die primär auf das Ziel der Preisstabilität ausgerichtet war. Die bundesdeutsche Inflationsrate war beständig eine der niedrigsten in Europa gewesen, und die D-Mark galt auf den internationalen Märkten als ein Hort der Stabilität. Um die Bundesrepublik zur Aufgabe ihrer Währung und zur Zustimmung zu einer gemeinsamen europäischen Währung zu bewegen, war eine Reihe von Zugeständnissen von Seiten der europäischen Partner notwendig. Dazu gehörte, Preisstabilität als Hauptziel in der Geldpolitik zu akzeptieren, ebenso wie eine weitgehende Übernahme der Verfassung der Bundesbank für die neue Europäische Zentralbank (EZB), um ihre Unabhängigkeit zu sichern. Auf deutscher Seite half es, dass die Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl nach der deutschen Vereinigung ein deutliches Zeichen für das auch in Zukunft geltende Bekenntnis des Landes zur europäischen Integration setzen wollte und deshalb die Währungsunion befürwortete.

Mit der Aufgabe der eigenen nationalen Währungen und der Delegation der Geldpolitik an eine supranationale, von politischem Einfluss unabhängige Institution unternahmen die zunächst elf Mitgliedstaaten der Euro-Zone einen großen und irreversiblen Schritt zu weiterer politischer und ökonomischer Integration. Es waren damit in zweierlei Hinsicht positive Erwartungen verbunden: zum einen in Bezug auf eine wachsende Identifikation der europäischen Bürger mit der EU; zum anderen hinsichtlich der positiven wirtschaftlichen Effekte, die durch eine gesteigerte Effizienz und gesunkene Transaktionskosten einen positiven Beitrag zum Wirtschaftswachstum in allen Mitgliedsländern der Euro-Zone leisten sollten.

Mehr als zehn Jahre nach Einführung der gemeinsamen Währung (und insbesondere nach den mit dem Euro verbundenen Krisenerscheinungen des Jahres 2010) ist mittlerweile deutlich geworden, dass dieser Schritt zwar vielfältige Konsequenzen für die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten gehabt hat, diese jedoch stark nach Ländern und betrachtetem Zeitraum variieren. Verallgemeinerte Aussagen über die Auswirkungen der Währungsintegration sind also kaum möglich. Was die Auswirkungen auf Deutschland angeht, zeigt die genauere Betrachtung eine Mischung aus Vor- und Nachteilen.

Der Euro als Nachteil

Obwohl sich die politischen Entscheidungsträger in der Bundesrepublik einmütig für die Einführung des Euro eingesetzt hatten, ließen die erhofften positiven Wirkungen der Währungsunion zunächst auf sich warten. Die ersten Jahre der Gemeinschaftswährung (ab 1999 eingeführt als Buchgeld, ab 2002 dann auch als Bargeld) waren gekennzeichnet durch anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und ein niedriges Wirtschaftswachstum, das beständig unter dem der anderen Euro-Länder lag (siehe Tabelle 1 der PDF-Version).

Die schlechte Wachstumsentwicklung zu Beginn des Jahrzehnts kann auch darauf zurückgeführt werden, dass für Deutschland damals die ökonomischen Nachteile aus der Einführung der Gemeinschaftswährung überwogen. Dabei waren diese Nachteile eher indirekter Natur und wirkten großenteils auf dem Umweg über die Effekte, welche die neue Währung in den anderen Mitgliedstaaten hatte. Vor allem zwei Wirkungskanäle waren dabei relevant: der Verlust relativer Vorteile beim Zinsniveau sowie der Nachteil durch den Realzins-Effekt im einheitlichen Währungsraum.

Lang laufende Staatsschuldtitel bilden in einem Land üblicherweise den "Boden" für das Zinsniveau, zu dem Unternehmen auf den Finanzmärkten Geld aufnehmen können. Das ist darin begründet, dass dem Staat als Schuldner die beste Bonität zugeschrieben wird, da bei ihm das Risiko eines Konkurses am geringsten ist. Unternehmen haben auf diesen Zinssatz einen Aufschlag zu bezahlen, der sich danach bemisst, wie groß auf dem Markt das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des jeweiligen Unternehmens eingeschätzt wird. Der Aufschlag bildet den Anreiz für Kapitalgeber, ihr Geld nicht in risikolosen Staatspapieren, sondern in riskanteren, dafür aber höher rentierlichen Schuldtiteln von Unternehmen anzulegen. Die Höhe des vom Staat verlangten Zinssatzes bemisst sich dabei hauptsächlich nach den Erwartungen über die zukünftige Entwicklung der Inflationsrate sowie (für ausländische Anleger) des Wechselkurses.

Die Bundesrepublik hatte als das Land in Europa mit der niedrigsten Inflationsrate und dem stabilsten Wechselkurs stets ein - verglichen mit den anderen europäischen Staaten - besonders niedriges Zinsniveau genossen. Dies war ein Vorteil gegenüber den anderen Ländern gewesen, weil deutsche Unternehmen so billiger an Geld kommen konnten. Er begann jedoch in den 1990er Jahren in dem Maß zu schwinden, wie die Einführung der gemeinsamen Währung sicherer erschien. Denn durch den (zunächst absehbaren, dann tatsächlichen) Beitritt zur Währungsunion und die auf Stabilität ausgerichtete Konstruktion der EZB importierten die anderen Staaten gewissermaßen die geldpolitische Glaubwürdigkeit hinsichtlich niedriger zukünftiger Inflation, die bislang alleine die Bundesrepublik Deutschland besessen hatte. Die Folge war, dass sich die Zinssätze für lang laufende Staatsanleihen in den am Euro teilnehmenden Staaten denjenigen bundesdeutscher Staatsanleihen anzunähern begannen und die Zinsdifferenz zum deutschen Kapitalmarkt verschwand (siehe Grafik 1 der PDF-Version).

In den anderen Staaten wirkte dieser Zinsrückgang wie ein Konjunkturprogramm und umso stärker, je größer der ursprüngliche Abstand zum deutschen Zinsniveau gewesen war. Nur in der Bundesrepublik gab es einen solchen Schub nicht, was im Vergleich negative Auswirkungen auf das deutsche Wirtschaftswachstum haben musste - seine Wachstumsraten blieben hinter denen der meisten anderen europäischen Länder zurück.

Ein weiterer, in eine ähnliche Richtung wirkender Effekt ergab sich seit Beginn der Währungsunion daraus, dass die Geldpolitik im einheitlichen Währungsraum nur einen Zins setzen kann, die Inflationsraten zwischen den Mitgliedstaaten des Euro aber (trotz aller Bemühungen um Konvergenz) zum Teil erheblich variierten. Dieses Problem wird in der Wirtschaftswissenschaft im Zusammenhang mit dem Stichwort "optimale Währungsräume" diskutiert. Idealerweise soll eine Währung in einem Gebiet gelten, das ökonomisch möglichst homogen ist und in dem die Mobilität der Wirtschaftsfaktoren hinreichend groß ist, um asymmetrische Schocks ausgleichen und auf eine ähnliche Wirtschaftsentwicklung hinwirken zu können.

Auch in anderen großen Währungsräumen wie etwa den USA gibt es regionale Unterschiede in der wirtschaftlichen Struktur und Entwicklung; doch zumindest sind dort die institutionellen Gegebenheiten konstant. In der Euro-Zone gibt es hingegen erhebliche institutionelle Unterschiede zwischen den Ländern, die von den Mechanismen der Fiskalpolitik bis zu denen der Lohnaushandlung reichen und die (neben der Geldpolitik) einen Einfluss auf die Inflationsrate haben. Die nationalen Inflationsraten variieren deshalb zwischen den Staaten, die den Euro als gemeinsame Währung haben. Die EZB kann aber nicht auf nationale Gegebenheiten Rücksicht nehmen, sondern sie muss versuchen, die beste Geldpolitik für die Euro-Zone als Ganze zu betreiben. Je stärker sich die Inflationsraten unterscheiden, desto wahrscheinlicher ist es, dass die EZB-Politik für einige Länder unpassend ist, da sie für ihre spezifische Situation entweder zu expansiv oder zu restriktiv ist. Denn die Zentralbank kann ja nur den nominalen Zinssatz setzen; der reale Zinssatz hängt hingegen von den jeweiligen Inflationsraten ab.

Vor allem zu Beginn der Währungsunion variierten die Inflationsraten in der Euro-Zone erheblich, was zu deutlich unterschiedlichen Realzinsen führte. In den ohnehin bereits relativ stark wachsenden Ländern herrschte eine höhere Inflationsrate als in der von einer ausgeprägten Stabilitätskultur gekennzeichneten Bundesrepublik. Die Folge war, dass der Realzins in den Ländern niedriger war, die eine eher restriktive Geldpolitik benötigten (also einen höheren Leitzins), er aber relativ höher war in den preisstabilen Ländern, die eher eine expansive Geldpolitik (also einen niedrigeren Leitzins) zur Anregung ihres schwachen Wirtschaftswachstums benötigten - wie Deutschland. Tabelle 2 (siehe Tabelle 2 der PDF-Version) illustriert diesen Effekt am Beispiel des Jahres 2000 für ausgewählte Länder: Während damals die wachstumsschwache Bundesrepublik die höchsten Realzinsrate hatte, ergaben sich in Irland und Spanien durch hohe Inflationsraten sogar negative Realzinsen.

Der Euro als Vorteil

Das anhaltend niedrige Wirtschaftswachstum sowie die beständig steigende Arbeitslosenquote führten in den ersten Jahren des vergangenen Jahrzehnts in Deutschland zu langen Debatten über die mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowie über mögliche Auswege aus der Misere. Dabei trug eine Flut von rasch publizierten, den "Abstieg" beschwörenden Diagnosen ebenso zu einem Gefühl der Ausweglosigkeit bei wie scheinbar immergleiche Talkshow-Runden, in denen "Reformstau", ein zu hohes Lohnniveau und der unabwendbare Niedergang Deutschlands angesichts der ausländischen Konkurrenz beklagt wurden.

Obwohl diese bisweilen an eine kollektive Depression erinnernde Stimmung kaum motivierend gewirkt haben kann, wurden nach der so knapp wie unerwartet von der SPD gewonnenen Bundestagswahl 2002 dann von der rot-grünen Regierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder substantielle politische Reformen in den Bereichen Arbeitsmarktpolitik und soziale Sicherung vorgenommen ("Agenda 2010"). Sie stellten das Eingeständnis dar, dass die zuvor verfolgte Strategie des "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" - das heißt einer Kooperation von Regierung, Gewerkschaften und Arbeitnehmerverbänden - gescheitert war und nun eine andere Strategie eingeschlagen werden musste, die auf eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte zielte.

Gemeinsam mit der traditionellen, durch die Institutionen der Lohnaushandlung beförderten Tendenz zur Preisstabilität und Lohnzurückhaltung trugen die Reformen dazu bei, dass sich nach einer längeren Phase schwachen Wirtschaftswachstums ab etwa 2005 die Effekte der gemeinsamen Währung für Deutschland zu verändern und zum Vorteil zu verschieben begannen. Es war Deutschland nämlich gelungen, die Lohnstückkosten weitgehend stabil zu halten, während sich in den rascher wachsenden Euro-Ländern starke Lohnsteigerungen in deutlich steigenden Lohnstückkosten (siehe Grafik 2 der PDF-Version) niedergeschlagen hatten.

Die deutsche Wirtschaft begann nun von den Folgen ihrer sich verbessernden Wettbewerbsfähigkeit zu profitieren. Dies schlug sich zunächst in steigenden Exporten nieder, ab Mitte des Jahrzehnts jedoch auch in deutlich steigenden Wachstumsraten des Sozialprodukts.

Die gemeinsame Währung, die noch in den Jahren zuvor eher negative Wirkungen für Deutschland gezeitigt hatte, begann nun deutliche Vorteile zu erbringen. Dies geschah vor allem auf zweierlei Weise: Zum einen machte es die gemeinsame Währung den anderen Ländern in der Euro-Zone unmöglich, die gesunkene internationale Wettbewerbsfähigkeit durch eine Abwertung (die den Preis der eigenen Exportgüter im Ausland senkt) wiederherzustellen - wie dies vielfach in der Vergangenheit geschehen war. Eine Korrektur war nun nur noch durch Anpassungen der Lohnhöhe nach unten oder deutliche Steigerungen der Produktivität zu erzielen. Die komparativen Vorteile der Bundesrepublik bei der Stabilität der Lohnstückkosten konnten jedenfalls nicht mehr durch eine einseitige Entscheidung zur Abwertung kompensiert werden.

Und noch auf einem anderen Wege hat sich die gemeinsame Währung in den vergangenen Jahren als deutlicher Vorteil für die Bundesrepublik erwiesen und damit eine Verbesserung gegenüber der D-Mark-Ära gebracht. Die Existenz des Euro bedeutete nämlich, dass die durch die im Sommer 2007 beginnende Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise steigende ökonomische Unsicherheit nicht zu einer Flucht in die als am stabilsten angesehene nationale europäische Währung führen konnte und es nicht zu einer Aufwertung (und damit Verteuerung der deutschen Exportgüter) gegenüber den europäischen Handelspartnern kam.

In der Vergangenheit hatte die D-Mark (mit ihrer vergleichsweise hohen Stabilität) in Krisen oft als "sicherer Hafen" dienen müssen, in den Anleger ihr Kapital verbrachten, um dessen Wert zu bewahren. Dieser Kapitalzufluss und der dadurch steigende Wechselkurs der D-Mark hatten dann in der Folge deutsche Güter im Ausland teurer gemacht, damit deren Absatz erschwert und Wachstums- und Arbeitsplatzverluste mit sich gebracht. In der EWS-Krise zu Beginn der 1990er Jahre hatte dies beispielsweise die Arbeitslosigkeit deutlich erhöht. Die Existenz des Euro hat einen solchen Effekt in der Krise seit 2007 unmöglich gemacht - wodurch die Arbeitslosenquote geringer ausfiel, als dies ohne die gemeinsame Währung der Fall gewesen wäre.

Bewertung und Ausblick

Die vorgebrachten Überlegungen zeigen, dass die Einführung der europäischen Gemeinschaftswährung der deutschen Volkswirtschaft eine komplexe Mischung von Vor- und Nachteilen gebracht hat, bei der ein Gesamturteil nicht leicht fällt. Einer Verringerung von Transaktionskosten beim internationalen Handel, der Preissicherheit im Hauptexportgebiet Europa sowie dem Zugang zu einem größeren Kapitalmarkt stehen die Aufgabe der Möglichkeit gegenüber, Geldpolitik für national spezifische Bedürfnisse betreiben zu können sowie eine Einschränkung der fiskalpolitischen Handlungsfreiheit durch den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Neben diesen direkten Effekten, so wurde oben deutlich, gab es aber auch schwer vorhersagbare indirekte Effekte, die in ihrer Balance in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts für Deutschland eher belastend, in der zweiten Hälfte eher beflügelnd wirkten.

Aus der wirtschaftspolitischen Perspektive des Jahres 2010 gesehen ist der Euro für die Bundesrepublik Deutschland eindeutig ein Vorteil. Aus einer allgemeinen politischen Perspektive betrachtet hat die Einführung der gemeinsamen Währung zu einer deutlichen Vertiefung der europäischen Integration geführt. Doch diese Vertiefung hat auch Probleme mit sich gebracht, wie gerade die Krise des Jahres 2010 um die Frage der Zahlungsfähigkeit einiger Euro-Mitgliedstaaten gezeigt hat. Auch dies erschwert ein abschließendes Urteil, da sich manche daraus folgende Vor- und Nachteile erst in der Zukunft zeigen werden.

Für die Bundesrepublik Deutschland ist es zweifellos positiv, dass sie heute in einer vollkommen anderen wirtschaftspolitischen Lage ist, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Damals war die allgemeine Erwartung die eines fortschreitenden Niedergangs wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit. Gegenwärtig hat Deutschland eher das Problem, für seine EU-Partner wirtschaftlich zu stark statt zu schwach zu sein.

Wirtschaftlich und politisch ist die Bundesrepublik so stark in Europa eingebunden, dass sie die wirtschaftlichen Probleme anderer Mitgliedstaaten schon aus eigenem Interesse heraus nicht ignorieren kann. Sie muss deshalb ein vitales Interesse an der Erhaltung und Stabilität des Euro haben. Ein Gedankenexperiment kann illustrieren, warum das so ist. Angenommen, die Währungsunion würde auseinanderbrechen und nationale Währungen würden wieder eingeführt: Das hätte für Deutschland sehr negative Folgen - eine unausweichliche deutliche Aufwertung der neuen deutschen gegenüber den anderen europäischen Währungen würde wohl erhebliche Verluste von Arbeitsplätzen vor allem in der verarbeitenden Industrie nach sich ziehen und die deutsche Wirtschaft in eine tiefe Krise stürzen.

Den gegenwärtig weitgehend unsichtbaren (und in der politischen Öffentlichkeit auch kaum diskutierten) Vorteilen der gemeinsamen Währung entspricht also eine ebenso wenig sichtbare potenzielle zukünftige Krise. Sie zu vermeiden, muss vordringliche Aufgabe der deutschen Politik sein, auch wenn man dazu eventuell neue Wege beschreiten muss, nicht zuletzt bei der (auch finanziellen) Stützung von in Schwierigkeiten geratenen Partnerländern in der Währungsunion.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. David H. Bearce, EMU: the last stand for the policy convergence hypothesis?, in: Journal of European Public Policy, 16 (2009) 4, S. 582-600; Jürgen Matthes, Ten years EMU - reality test for the OCA endogeneity hypothesis, economic divergences and future challenges, in: Intereconomics, 44 (2009) 2, S. 114-128.

  2. Vgl. Marcel Fratzscher/Livio Stracca, The political economy under monetary union. Has the Euro made a difference?, in: Economic Policy, 58 (2009) 4, S. 309-348.

  3. Vgl. Dermot Hodson, EMU and political union. What, if anything have we learned from the Euro's first decade, in: Journal of European Public Policy, 16 (2009) 4, S. 508-526.

  4. Vgl. Paul De Grauwe, The Euro at ten, in: Empirica, 36 (2009) 1, S. 5-20.

  5. Vgl. Amy Verdun, Ten years EMU: an assessment of ten critical claims, in: International Journal of Economics and Business Research, 2 (2010) 1-2, S. 144-163.

  6. Vgl. P. De Grauwe (Anm. 4). Siehe dazu auch schon Michael D. Bordo/Lars Jonung, The future of EMU: What does the history of monetary unions tell us? (NBER Working paper 7365), Cambridge, MA 1999.

  7. Die wirtschaftliche Offenheit wird gemessen am Anteil der Importe und Exporte am Sozialprodukt.

  8. Vgl. die Daten in Silke Gehle-Dechant/Joseph Steinfelder/Manual Wirsing, Export, Import, Globalisierung - Deutscher Außenhandel und Welthandel: 1990 bis 2008, Wiesbaden 2010, S. 34; Andreas Busch, The Crisis in the EMS, in: Government & Opposition, 29 (1994) 1, S. 82.

  9. Siehe hierzu die ausführliche Studie von Kenneth Dyson/Kevin Featherstone, The road to Maastricht. Negotiating economic and monetary union, Oxford 1999.

  10. Vgl. Andreas Busch, Preisstabilitätspolitik. Politik und Inflationsraten im internationalen Vergleich (Gesellschaftspolitik und Staatstätigkeit, Bd. 8), Opladen 1995.

  11. Vgl. Michael Emerson/Daniel Gros/Alexander Italianer et al., One market, one money. An evaluation of the potential benefits and costs of forming an economic and monetary union, Oxford 1992.

  12. Obwohl in beiden Fällen von Zinssätzen die Rede ist, ist es wichtig zu unterscheiden, dass es sich im ersten Fall um einen am Markt gebildeten Zinssatz handelt, im letzten Fall aber um den von der Zentralbank gesetzten Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken bei der EZB refinanzieren können.

  13. Vgl. A. Busch (Anm. 10), S. 135-150.

  14. Beispiele für diese Literaturgattung sind etwa Arnulf Baring, Scheitert Deutschland? Abschied von unseren Wunschwelten, Stuttgart 1997; Hans-Werner Sinn, Ist Deutschland noch zu retten?, München 2003 oder Gabor Steingart, Deutschland: der Abstieg eines Superstars, München 2004.

  15. Zum Hintergrund und zu Details dieses Prozesses siehe etwa Andreas Busch, Schröders Agenda 2010. From "Plan B" to Lasting Legacy?, in: Alister Miskimmon/William E. Paterson/James Sloam (eds.), Germany's gathering crisis. The 2005 federal election and the Grand Coalition, Basingstoke 2009, S. 64-79.

  16. Siehe dazu auch Hagen Lesch, Lohnpolitik 2000 bis 2009 - Ein informelles Bündnis für Arbeit, in: IW-Trends, 37 (2010), 1, S. 77-90.

  17. Lohnstückkosten steigen, wenn die Lohnerhöhungen die Summe aus Preissteigerung und Produktivitätsfortschritt übersteigen. Wenn dies der Fall ist, ist ein Sinken der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Volkswirtschaft die Folge.

  18. Siehe dazu die Analysen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage, insbesondere die Jahresgutachten 1993/94: S. 138-140 (Deutscher Bundestag, Drucksache 12/6170) und 1995/96: S. 23, 30-31 (Deutscher Bundestag, Drucksache 13/3016).

Dr. phil., geb. 1962; Professor für Vergleichende Politikwissenschaft und Politische Ökonomie an der Universität Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 3, 37073 Göttingen. E-Mail Link: andreas.busch@sowi.uni-goettingen.de