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Fließende Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa? | Extremismus | bpb.de

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Fließende Grenzen zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus in Europa?

Karin Priester

/ 14 Minuten zu lesen

Der Unterschied zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus liegt vor allem auf ideologischem Gebiet. Aktuelle Tendenzen spiegeln die soziale Unterschichtung, Transnationalisierung und Vernetzung wider.

Einleitung

Der französische Populismus- und Rechtsextremismusforscher Pierre-André Taguieff hat in den 1980er Jahren für den bis dahin als rechtsextrem geltenden französischen Front National (FN) die Bezeichnung "nationalpopulistisch" eingeführt, ohne dass dieser einen substanziellen Richtungswechsel vorgenommen hatte. Der FN ergriff rasch dieses Unbedenklichkeitsattest, das seine Nähe zum Vichy-Regime und die Leugnung des Holocaust durch prominente Mitglieder ausblendete und bezeichnet sich seit den 1990er Jahren selbst als "populistisch und stolz darauf". Diese Kontaminierung von Rechtsextremismus (RE) und -populismus bedeutet einerseits eine Verharmlosung und Banalisierung des RE. Andererseits verweist sie auf einen Modernisierungsschub im RE seit den 1980er Jahren, bei dem der FN eine Vorreiterrolle vor allem für die British National Party (BNP) und den Vlaams Belang (VB) gespielt hat. Das neue Erfolgsrezept, mit dem man die Stigmatisierung als rechtsextreme Randpartei abzustreifen gedachte, beruhte auf ethno-nationalistischer Fremdenfeindlichkeit und der Vermischung von Anti-System- mit Anti-Establishment-Rhetorik. "Die extreme Rechte konnte auf diese Weise politischen Protest schüren und zugleich verhindern, als antidemokratisch stigmatisiert zu werden."

Auch die Einführung des Begriffs Ethnopluralismus wirkte modernisierend. Er zielt nicht mehr wie der Kolonialrassismus auf die Unterwerfung fremder Ethnien, sondern auf deren Ausschluss aus Europa. Der biologische Rassismus gilt als überholt und wird durch die These von der unhintergehbaren Differenz von Ethnien ersetzt, die in einer globalen Apartheid separiert bleiben sollen.

Zur Terminologie

Michael Kohlstruck unterscheidet zwischen Anti-System- und Anti-Establishment-Parteien. Rechtsextreme Parteien sind Anti-Systemparteien, populistische dagegen "nur" Anti-Establishment-Parteien, die sich als Gegenstimme zu einer als Oligarchie bezeichneten politischen Elite verstehen. "Gegenstimmen setzen keine eigenständige weltanschauliche Konzeption (...) voraus, sie kanalisieren lediglich ein verbreitetes Unbehagen." Dies ist allerdings nur eine analytische Trennung, da rechtsextreme Parteien sich auch einer Anti-Establishment-Rhetorik bedienen.

Der Unterschied zwischen RE und Rechtspopulismus liegt vor allem auf ideologischem Gebiet: RE vertritt eine holistische Ideologie, in deren Zentrum die ethnisch-kulturell homogene Volksgemeinschaft steht. Daraus folgt eine antipluralistische, antiliberale Staats- und Gesellschaftskonzeption, die unterhalb dieser Ebene Spielraum für verschiedene Richtungen lässt, für völkische nationalsozialistische Traditionalisten, Deutschnationale beziehungsweise die "klassische" Rechte in anderen Ländern und Nationalrevolutionäre. Diese sind zwar eine Minderheit im RE, aber europaweit unter verschiedenen Bezeichnungen (Strasserismus, Solidarismus, Dritte Position) vernetzt. RE hat ein janusköpfiges Verhältnis zu Gewalt und Legalität. Symptomatisch ist hier die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die sich mit ihrem Vier-Säulen-Modell als Partei und zugleich als Bewegung unter Einschluss gewaltbereiter Kameradschaften versteht. Wirtschaftspolitisch reicht das Spektrum von einer völkisch-sozialen, "raumorientierten" Marktwirtschaft (NPD) bis zu einer berufsständischen Ordnung in einem Lehensträgersystem. Der Staat als Lehnsherr ist Eigentümer des Produktivkapitals und vergibt es als Lehen an privatkapitalistisch agierende Besitzer. Diese Position wird in nationalrevolutionären Kreisen favorisiert und hat ihre Wurzeln im italienischen Korporativismus, im britischen Distributismus und im französisch-belgischen Solidarismus. Statt eines Überblicks über rechtsextreme Parteien und Bewegungen in Europa werde ich im Folgenden drei Schwerpunkte behandeln, die aktuelle Tendenzen des Rechtsextremismus in Europa widerspiegeln:

  • die soziale Unterschichtung des RE seit den 1990er Jahren,

  • die Transnationalisierungskonzepte der extremen Rechten,

  • ihre zunehmende Vernetzung auf Parteien- und Bewegungsebene.

Soziale Frage und "nationale Präferenz"

Seit den 1960er Jahren, mit Verspätung in Italien und Frankreich, profitiert der RE vom class dealignment, der Entkoppelung von sozialer Lage und Wählerverhalten, und dringt auch in ehemals linke Wählerschichten ein. Zu Beginn der 1990er Jahre gesellten sich im Zuge von Globalisierung, Deregulierung und Neoliberalismus zum "tüchtigen und fleißigen" Mittelstand als ursprünglicher Basis des RE die "kleinen Leute" und die "soziale Frage" wurde akut.

Deutschland:

Im NPD-Aktionsprogramm heißt es: "Globalisierung bedeutet Arbeitslosigkeit, Lohndumping, Sozialabbau, Naturzerstörung und Krankheit." Als Synthese von unternehmerischer Freiheit und sozialer Verpflichtung tritt die NPD für den Sozialstaat in der ethnisch homogenen Volksgemeinschaft ein. "Wer den Sozialstaat will, muss sich zur Volksgemeinschaft bekennen."

Frankreich:

Für den FN spricht die Wahlforscherin Nonna Mayer vom "Arbeiterklassenlepenismus" (ouvriéro-lepenisme), zeigt aber, dass die Präsidentschaftswahlen von 2002 dem FN zwar Stimmengewinne bei Arbeitern im privaten Sektor, zugleich aber auch bei mittelständischen Unternehmern, vor allem aber bei Bauern, hier um mehr als das Doppelte, gebracht haben. Als schicht- und klassenübergreifende Partei mobilisiert der FN sozial heterogene, aber unterdurchschnittlich gebildete Wähler mit dem Leitthema der Immigration. Nachdem der FN 1997 mit 14,95 Prozent zur drittstärksten Partei aufgestiegen war, erlitt er bei den Parlamentswahlen von 2007 einen Rückgang auf nur noch 4,5 Prozent und erodiert zunehmend durch Abspaltungen. Die strategische Ausrichtung auf eine reine Anti-Immigrations-Partei stößt an ihre Grenzen. Daher spricht Le Pen inzwischen auch Menschen mit Migrationshintergrund als potentielle FN-Wähler an: In einer Rede in Valmy am 20. September 2006 sprach er nicht mehr nur "autochthone" Franzosen (français de souche) an, sondern auch solche mit Migrationshintergrund. Im Politbüro und im Zentralkomitee des FN sind zwei schwarze Franzosen und ein arabischstämmiger vertreten.

Großbritannien:

Hier findet die BNP die meisten Anhänger in deindustrialisierten Industriegebieten und in "weißen", von multiethnischen Vierteln umgebenen Enklaven. Oft handelt es sich um enttäuschte ehemalige Labour-Wähler. Schlüsselthemen sind hier, wie auch in der FPÖ, die ebenfalls starken Zulauf aus der Unterschicht hat, Asyl und Immigration. Strategisch proklamieren Rechtspopulisten und Rechtsextreme daher gleichermaßen die "nationale Präferenz". Diese Ethnisierung der sozialen Frage zeigt sich in Slogans wie: "Eigen volk eerst" (VB), "Les Français d'abord!" (FN), "Sozial geht nur national" (NPD), "British workers first!" (BNP), "Willst du eine (Sozial-)Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen" (Freiheitliche Partei Österreichs, FPÖ).

In Italien

sind weniger rechtsextreme Kleinstparteien von Bedeutung als der Eintritt der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN) und der Lega Nord in das bürgerliche Lager. Silvio Berlusconis im Jahr 2008 gegründete Sammlungspartei Popolo della Libertà unter Einschluss der AN und der neofaschistischen Azione Sociale unter Führung der Duce-Enkelin Alessandra Mussolini bedeutet einen weiteren Rechtsruck. Vor allem die Lega Nord konnte nach einer Phase des elektoralen Niedergangs vom Unmut vieler norditalienischer Arbeiter profitieren. Enttäuscht von der seit 2007 bestehenden Mitte-Linkspartei Partito Democratico, wenden sie sich nicht rechtsextremen Parteien wie der Forza Nuova zu, sondern dem Rechtspopulismus als Anwalt des "kleinen Mannes". Gerade in dieser Gruppe ist aber auch eine hohe Wahlenthaltung festzustellen.

Ungarn:

In Ostmitteleuropa ist der ungarische RE am dynamischsten. Die 2002 gegründete rechtsextreme Partei Jobbik (Bewegung für ein besseres Ungarn) profitiert nicht nur von den durch Liberalisierung, Privatisierung und Sozialkürzungen ausgelösten sozialen Verwerfungen, sondern hält auch das Trauma der Gebietsverluste Ungarns nach dem Ersten Weltkrieg wach. Bei den Parlamentswahlen im April 2010 stieg sie mit 16,7 Prozent zur drittstärksten Partei auf. Sie rekrutiert ihre Anhänger unter Facharbeitern und Studenten sowie in ökonomisch benachteiligten Provinzen. Mit ihrem paramilitärischen Arm, der Neuen Ungarischen Garde, schürt sie virulenten Antisemitismus und Antiziganismus. Das Ziel der Wiederherstellung Großungarns in den Grenzen von 1915 teilt sie mit dem Sieger der Parlamentswahlen, dem nationalkonservativen Viktor Orbán, mit dessen Partei Fidesz sie bereits seit längerem auf kommunaler Ebene zusammenarbeitet.

Der ostmitteleuropäische RE unterscheidet sich vom westlichen in mehrfacher Hinsicht:

  • in dem vor allem von der ungarischen, rumänischen und polnischen extremen Rechten forcierten Irredentismus vor dem Hintergrund der späten Nationalstaatsbildung dieser Länder;

  • in der größeren Akzeptanz des RE in der Intelligenz, insbesondere bei Studenten;

  • in der fehlenden Abgrenzung der bürgerlichen Parteien von nationalistischen und minderheitsfeindlichen Tendenzen. Die extreme Rechte "orientiert sich in Mittel- und Osteuropa ideologisch mehr an der Vergangenheit als ihr westliches Gegenüber".

Transnationalisierungskonzepte der extremen Rechten

Auch ultranationalistische Parteien haben immer schon internationale Kooperation gesucht. Erinnert sei nur an den Antikominternpakt zwischen Berlin und Tokio, und später auch Rom, an die Versuche, den italienischen Faschismus als paneuropäisches Entwicklungsmodell zu universalisieren, an die international zusammengesetzte Waffen-SS als Vorkämpferin für ein vereintes Großeuropa, an den in den 1940er Jahren von dem britischen Faschistenführer Sir Oswald Mosley propagierten Eurofaschismus oder an das von der italienischen neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) initiierte, bereits 1951 in Schweden gegründete paneuropäische Netzwerk "Europäische Soziale Bewegung". Perspektivisch stehen sich im RE drei Richtungen gegenüber: die nationalstaatliche, die neoimperiale und die regionalistische.

Für ein "Europa der Nationen" tritt vor allem der FN ein. 2006 erklärte Le Pen: "Sarkozy ist der Lakai des Atlantismus und des Empire, während ich die kleinen, souveränen Nationen verteidige."

Dagegen tritt das neoimperiale "Nation Europa"-Konzept für einen europäischen Großraum mit der Achse Paris-Berlin-Moskau ein. Karl Richter, Leiter des parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen und seit 2009 stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, forderte 1992: "Die Zeit ist reif für eine grundlegende Umorientierung der europäischen Völker - weg vom raumfremden, überstaatlichen Weltpolizisten, hin zu einer neuen kontinentalen Großraumordnung, die europäischen Interessen endlich Vorrang einräumt und Europa wieder in den Rang einer souverän handelnden Größe erhebt." Neoimperiale Ziele verfolgt auch die russische Partei Evrazija unter Alexander Dugin, der den Eurasismus als Alternative zum Atlantismus proklamiert. Ebenso wie der rechtsextreme Wladimir Schirinowski von der "Liberal-Demokratischen Partei" verfügt Dugin über enge Kontakte zum politischen Establishment. Die Eurasien-Idee stößt auch im deutschen RE auf Interesse.

Ab 2000 rückte Jörg Haider mit dem dritten, dem regionalistischen Modell, in den Vordergrund, dessen FPÖ, wie auch die Lega Nord, für ein föderal strukturiertes Europa der Ethnoregionen plädiert. Dieses Konzept setzt auf die regionale, kulturelle und sprachliche Segmentierung nach Zugehörigkeit zu Volksgruppen oder Landsmannschaften, blieb aber in seiner Reichweite begrenzt. Haiders Nachfolger Heinz-Christian Strache vertritt wieder das Modell souveräner, gegen die EU gerichteter Nationen.

Seit dem Einzug rechtsextremer Abgeordneter in das europäische Parlament Mitte der 1980er Jahre gibt es auch hier Bestrebungen zu transnationaler Zusammenarbeit. Im Oktober 2005 trat die Euronat als Vereinigung nationalistischer Parteien die Nachfolge der kurzlebigen Fraktion "Identität, Tradition, Souveränität" an, an der auch die FPÖ beteiligt war. Sie war von dem als Holocaustleugner verurteilten Franzosen Bruno Gollnisch, dem Vizepräsidenten des FN, geleitet worden. Die jüngste Initiative wurde 2009 in Budapest mit der "Allianz der europäischen nationalen Bewegungen" gestartet, angeführt vom FN und der ungarischen Jobbik. Ihr Ziel ist die Anerkennung als Europartei.

Vernetzungen des Rechtsextremismus

Während der europäische RE auf Parteienebene gut untersucht ist, bestehen Forschungsdefizite hinsichtlich seiner Vernetzung außerhalb von Parteien. Der Belgier Robert Steuckers, Chefideologe und Kaderausbilder des VB und Schüler des ehemaligen SS-Mitglieds Jean Thiriart, eines Vorkämpfers für das "vierte Reich Europa", ist der geistige Kopf des paneuropäischen Netzwerks Synergies Européennes (Synergon) mit Sektionen in zahlreichen europäischen Ländern. Synergon ist nationalrevolutionär und bioregionalistisch ausgerichtet und organisiert europaweit Seminare, Tagungen und Kolloquien, bei denen auch der Chefideologe der Lega Nord, Gianfranco Miglio, auftrat. In Deutschland tagte Synergon im Collegium Humanum in Vlotho, das 2008 verboten wurde. Unter dem Deckmantel von Anthroposophie und Lebensschutz hatte es ein Schulungszentrum für Nazi-Skins und ein internationales Zentrum der Holocaust-Leugner mit Horst Mahler (NPD) als Referenten beherbergt. Als Neonazi-Forum, das selbst in der NPD auf Vorbehalte stößt, hat sich seit 2002 der Internet-Weblog Altermedia etabliert. Das Portal wird in den USA gehostet und hat in Europa nationale Sektionen. Es präsentiert sich als World Wide News for People of European Descent und huldigt der Suprematie der weißen Rasse.

Auf die rechtsextreme Bewegungsszene außerhalb der Parteien, die groupuscular right (Roger Griffin), kann hier nur kursorisch eingegangen werden. International vernetzt sind Gruppen wie Blood & Honour und ihr bewaffneter Arm Combat 18 sowie die Musikszene von Rechtsrock, National Socialist Black Metal (NSBM) bis Dark Wave. Für den rechtsextremen Nachwuchs sind freie, stark fluktuierende Zusammenschlüsse (Kameradschaften oder Autonome Nationalisten) häufig attraktiver als eine Parteimitgliedschaft. Auch hier hat ein strategisches Umdenken stattgefunden, weg von klaren Befehlshierarchien, hin zu einer nicht-hierarchischen, polyzentrischen leaderless resistance.

2005 formulierte der Neonazi-Aktivist Christian Worch in Anlehnung an die US-amerikanische Militärdoktrin: "Kommunikation und Vernetzung traten an die Stelle früherer organisatorischer Strukturen und erweisen sich sogar als funktionsfähiger. (...) Die Revolution findet von unten nach oben statt." Wer sich mental noch in Zeiten von Wehrsportgruppen befinde, gleiche einer Kavallerietruppe, die gegen Panzer antritt. Auch die NPD vertritt eine "völkische Graswurzelrevolution" (NPD-Theoretiker Jürgen Gansel) und bemüht sich um ihre alltagskulturelle Verankerung auf kommunaler Ebene.

Libertarier, Rechtspopulisten, Rechtsextreme: fließende Grenzen

RE spricht unterdurchschnittlich formal gebildete Schichten an, mit denen sich das Bürgertum nicht gemein macht. Anti-Establishment-Protest artikuliert sich hier als Kampf für einen staatsfreien Kapitalismus. In den USA formiert sich dieser minimalstaatliche Libertarismus in der Tea Party, die auch rechtsextreme Splittergruppen wie Milizen, Patriot-Gruppen oder weiße Suprematisten anzieht.

In Deutschland findet er ein Forum in der Zeitschrift "eigentümlich frei", die sich als "Marktplatz für Liberalismus, Anarchismus und Kapitalismus" versteht. Ihre ideologischen Leitfiguren sind Murray Rothbard und die Philosophin Ayn Rand, die Eigennutz und Egoismus moralphilosophisch als Tugenden legitimiert. Ziel ist die staatlich ungehinderte Nutzenmaximierung neuer "Leistungsträger" in Finanz-, Marketing-, Management- und Akademikerkreisen oder im PR- und IT-Bereich. Das Grundübel sehen sie im "Sozialdemokratismus", von dem auch die CDU unter dem Vorsitz von Angela Merkel befallen sei. Libertarier sind gegen die von den Grünen geschürte "öko-alarmistische Klimaangst", gegen Feminismus und "Genderterror", gegen die "gutmenschlich" auftretenden Kirchen, gegen die "Diktatur der political correctness", gegen den Sozialstaat und den "Gleichheitskult". Seit 2007 sucht der Herausgeber von "eigentümlich frei", André Lichtschlag, der ein Bündnis radikal libertärer und nationalkonservativer Kräfte anstrebt, auch die Nähe zum RE. Neben dem NPD-Vorsitzenden Udo Voigt und dem Nationalanarchisten Peter Töpfer kam Angelika Willig, bis 2009 Chefredakteurin von "Hier & Jetzt", der Theoriezeitschrift der sächsischen NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten und Vordenkerin eines grundsätzlichen Systemwechsels, zu Wort. Als ideologisches Bindeglied zwischen Libertarismus und RE fungiert der Sozialdarwinismus als Ideologie der naturgewollten Überlegenheit der Starken gegenüber den Schwachen, der Elite gegenüber der Masse.

Perspektiven des Rechtsextremismus

RE ist in Westeuropa auf Parteienebene marginalisiert. Ein Ausbruch aus dieser Lage kann derzeit nur über eine Annäherung an den Rechtspopulismus erfolgen. 2006 schrieb der Nationalrevolutionär Jürgen Schwab, bis 2004 NPD-Mitglied, auf Altermedia: "Seit geraumer Zeit ist in mir die Überzeugung gereift, dass ein Teil der Völkischen strukturell pro-westlich ist." Schwab berührte damit "einen der zentralen ideologischen Streitpunkte, an dem sich die Geister in der europäischen extremen Rechten entzweien". Die Freund-Feind-Debatte kreist um die sogenannte "Israel-Connection" eines Teils der europäischen Rechten. Bislang vertritt der RE einen gegen die USA, den "Hauptträger des weltweiten Imperialismus", gerichteten "Befreiungsnationalismus". Dies könnte sich, so Schwab, ändern, wenn der RE sich im Namen des "weißen Europa" als Vorhut der USA instrumentalisieren und für den Kampf gegen den neuen Feind, den Islamismus, einspannen lasse. Noch sind die USA und Israel der Erzfeind des RE. Aber, ausgehend von den weitaus erfolgreicheren Rechtspopulisten mit dem Niederländer Pim Fortuyn als Vorreiter, tritt zunehmend der Islamismus an dessen Stelle.

Der RE steht damit vor einem Dilemma. Schließt er sich diesem Feindbild an, um über die Islamophobie neue Protestwähler zu mobilisieren, gibt er seine Identität als antiwestliches Bollwerk des "nationalen Widerstands" auf und nähert sich dem prowestlichen Rechtspopulismus an. Eine Gefahr geht in Westeuropa nicht vom RE per se aus, sondern von seiner Ligatur mit dem Rechtspopulismus. Dabei zeigt sich, dass der liberale Impetus eines Pim Fortuyn (Abwehr der "Islamisierung" im Namen des aufgeklärten, toleranten Westens) bei der FPÖ einer christlichen "Abendlandrhetorik" gewichen ist, die eine Brücke zum Klerikalfaschismus schlagen könnte. Der "Kampf der Kulturen" wird unterschiedlich akzentuiert, und vieles ist noch im Fluss. Aber nach dem ethnopluralistischen Modernisierungsschub der 1980er Jahre versuchen Teile des RE, über die Umpolung des Feindbildes eine neue, diesmal antiislamistische "Modernisierungswelle" einzuleiten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Nonna Mayer, Votes populaires, votes populistes, in: Hermès, (2005) 42, S. 161.

  2. Matthew J. Goodwin, The Extreme Right in Britain: Still an "Ugly Duckling" but for How Long?, in: The Political Quarterly, 78 (2007) 2, S. 244.

  3. Michael Kohlstruck, Rechtspopulismus und Rechtsextremismus. Graduelle oder qualitative Unterschiede?, in: Richard Faber/Frank Unger (Hrsg.), Populismus in Geschichte und Gegenwart, Würzburg 2008, S. 224. In der angelsächsischen Literatur haben sich die Bezeichnungen Radical Right oder Populist Radical Right für den Rechtspopulismus unter Einschluss des FN durchgesetzt, was der in Deutschland üblichen Unterscheidung zwischen Rechtsradikalismus als (noch) verfassungskonform und Rechtsextremismus als verfassungswidrig entspricht. Vgl. Cas Mudde, Populist Radical Right Parties in Europe, Cambridge/UK 2007.

  4. Exemplarisch die Rede Jean-Marie Le Pens in Valmy 2006, online: www.frontnational.com/doc_interventions
    _detail.php?id_inter=43 (8.1.2010).

  5. Der nationalrevolutionäre Publizist Jürgen Schwab unterscheidet im deutschen RE neuerdings auch die Rechtspopulisten als "Realo"-Flügel. Vgl. Jürgen Schwab, Die Fraktionen im Nationalen Widerstand, Artikel vom 10.3.2010, online: www.freies-netz-sued.net/?p=2878 (11.7.2010)

  6. Die Strategie der NPD beruht seit 1995 auf vier Säulen: dem Kampf um die Köpfe, um die Parlamente, um die Straße. Mit der vierten Säule, dem Kampf um den organisierten politischen Willen, ist die Vereinheitlichung des rechtsextremen Lagers gemeint. Vgl. Bundesministerium des Innern (BMI) (Hrsg.), Verfassungsschutzbericht 2009. Vorabfassung, Berlin 2009, S. 76.

  7. Vgl. hierzu Carsten Hübner, Rechtsextreme Netzwerke und Parteien in Europa. Eine Bestandsaufnahme vor der Europawahl 2009, o.O. 2008, online: www.gabi-zimmer.de/uploads/media/Rechtsextreme
    _Netzwerke_und_Parteien_in_Europa_-_C._H%C3%BCbner_DEZ:_08_.pdf (13.6.2010).

  8. Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung (Hrsg.), Neue Entwicklungen des Rechtsextremismus. Internationalisierung und Entdeckung der sozialen Frage, Berlin 2006.

  9. NPD-Aktionsprogramm für ein besseres Deutschland, hrsg. vom NPD-Parteivorstand, Berlin o.J. (2008), S. 16.

  10. Ebd., S. 14.

  11. Vgl. Nigel Copsey, British Fascism. The British National Party in the Quest for Legitimacy, Houndsmills-New York 2004; Roger Eatwell/Matthew J. Goodwin (eds.), The New Extremism in 21st Century Britain, London 2010; Thomas Grumke/Andreas Klärner, Rechtsextremismus, die soziale Frage und Globalisierungskritik. Eine vergleichende Studie zu Deutschland und Großbritannien seit 1990, Berlin 2006.

  12. Vgl. Karin Priester, Rechts von Berlusconi. Italiens Faschisten, Hooligans und radikale Katholiken,in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (2008) 6, S. 91-102.

  13. Forza Nuova ist seit 2004, neben der NPD und weiteren rechtsextremen Kleinparteien, in der Europäischen Nationalen Front (ENF) zusammengeschlossen. Vgl. C. Hübner (Anm. 7), S. 37ff.

  14. Vgl. Rado Fonda, Analisi del voto dei lavoratori dipendenti, 2008, online: www.postpoll.it/bimestrale/scenari/analisi
    _del_voto_dei_lavoratori_dipendenti.html (15.6.2010).

  15. Vgl. András Bozoki, Consolidation or Second Revolution? The Politics of the New Right in Hungary, in: Slovak Foreign Policy Affairs, (2005) 1, S. 17-28; Melani Barlai/Florian Hartleb, Ungarischer Populismus und Rechtsextremismus. Ein Plädoyer für die Einzelfallforschung, in: Südosteuropa Mitteilungen, (2008) 4, S. 34-51.

  16. Michael Minkenberg, Rechtsradikalismus in Mittel- und Osteuropa nach 1989, in: Thomas Grumke/Bernd Wagner (Hrsg.), Handbuch Rechtsradikalismus, Opladen 2002, S. 72.

  17. Le Pen (Anm. 4).

  18. Zit. nach: Samuel Salzborn/Heribert Schiedel,"Nation Europa". Ethnoföderale Konzepte und kontinentale Vernetzung der extremen Rechten,in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (2003) 10, S. 1211.

  19. Vgl. Andreas Umland, Intellektueller Rechtsextremismus im postsowjetischen Russland, in: Berliner Debatte Initial, (2006) 17, S. 33-43.

  20. Vgl. den im rechtsextremen Regin-Verlag erschienenen Sammelband "Vision Eurasien. Jenseits von Nationalismus und Internationalismus", Reihe "Junges Forum", Nr. 8, o.J. (2007), in dem u.a. die Schaffung eines eurasischen Wirtschaftsraums thematisiert wird. Auch die belgische Euro-Rus tritt als international vernetzter geopolitischer Think Tank für ein Europa von Gibraltar bis Wladiwostok ein.

  21. Mitglieder sind der FN, die BNP, die MSI/FT (Italien), Nationaldemokraterna (Schweden) und Democracia Nacional (Spanien).

  22. Vgl. Jens Rydgren, The Sociology of the Radical Right, in: Annual Review of Sociology, (2007) 33, S. 257.

  23. Bei dem Treffen der internationalen Neonaziszene, dem "Fest der Völker" in Thüringen, traten 2005 auch zahlreiche Blood & Honour-Mitglieder auf. Dieses Rock-Festival ist mit der Europäischen Nationalen Front (ENF) vernetzt, die Redner aus zahlreichen europäischen Ländern beisteuerte.

  24. Christian Worch, Gedanken über freien und autonomen Nationalismus, Beitrag vom 26.1.2005, online: http://stoerti.atspace.com/260105.html (8.6.2008).

  25. Was der Weblog Altermedia für den RE ist, ist der Politically Incorrect-Blog (www.pi-news.net) für den Rechtspopulismus im Umfeld der PRO-Bewegungen. Mit rund 35000 Zugriffen täglich ist er einer der meist besuchten deutschsprachigen rechten Blogs. Hauptthemen sind das "Gutmenschentum" und die "Islamisierung" Europas.

  26. Jürgen Schwab, Das "weiße Europa" als Vorhut der USA, Beitrag vom 7.8.2006, online: http://de.altermedia.info/general/6565_6565.html (16.6.2010).

  27. Bernard Schmid, Für Israel, gegen Araber? Für Araber, gegen Juden?,2009, online: www.uni-kassel.de/fb5/frieden/regionen/Israel/rechte.html (19.2.2010).

  28. Vgl. Rigolf Hennig, Welchen Weg geht die NPD?, in: Volk in Bewegung, April 2009 oder die Debatte um die 2004 gegründete "Kontinent Europa Stiftung" des Schweden Patrik Brinkmann, dem die Völkischen Philosemitismus vorwerfen. Das DVU-Mitglied Brinkmann strebt eine Annäherung des RE an die PRO-Bewegungen an und versteht sich als proisraelisch.

  29. NPD-Hochschulbund, 14 Thesen zum Befreiungsnationalismus, o.J. online: http://logr.org/freiesnordhausen/2009/12/18/14-thesen-zum-befreiungsnationalismus/ (21.6.2010).

  30. Vgl. die FPÖ-Slogans "Abendland in Christenhand", "Daham statt Islam", "Pummerin (eine Glocke des Wiener Stephansdoms, K.P.) statt Muezzin" und die 2010 gegründete Christlich-Freiheitliche Plattform als Vorfeldorganisation der FPÖ.

  31. Das Sammelbecken der reaktionärsten, antimodernistischsten und antisemitischsten Kräfte im europäischen RE ist die ENF (Anm. 13), die sich auf den rumänischen Faschistenführer Cornelin Zelea Crodreanu und die spanische Falange beruft. Ihre ideologische Grundlage ist der katholische Integralismus. Mit Ausnahme der NPD kommen diese militanten, zu Esoterik neigenden "Taliban des RE" aus katholisch geprägten Ländern (Italien, Frankreich, Polen, Rumänien, Spanien).

Dr. phil., geb. 1941; Prof. em. für Soziologie an der Universität Münster, Institut für Soziologie, Scharnhorststraße 121, 48151 Münster. E-Mail Link: priestek@uni-muenster.de