Einleitung
Politisch motivierte Gewalt in Deutschland ist in den vergangenen 20 Jahren stark durch das Handeln rechter und linker militanter Szenen und deren Randbereiche geprägt.
So hört man etwa von denjenigen, die rechte Gewalt für ungleich bedrohlicher halten, dass es seit Beginn der 1990er Jahre im Gegensatz zu zahlreichen Todesopfern rechter Gewalt kein Todesopfer linker Gewalt mehr gegeben habe. Umgekehrt gab es im Zuge eines Anstiegs linker Gewaltdelikte 2009 mediale und politische Verlautbarungen, die nahelegen wollten, es stünde nun ein neuer Linksterrorismus bevor. Bei näherem Hinsehen mangelt es beiden Positionen an belastbaren Daten, denn systematische Langzeituntersuchungen politisch motivierter Gewalt nach Tötungsdelikten und lebensbedrohlichen Tatbegehungen liegen bislang nicht vor.
Kurzcharakterisierung der militanten Akteure
Zunächst gilt es, die Kernszenen, aus denen heraus Gewalttaten verübt werden, mit einigen Stichworten zu beschreiben. Im linken Feld spielt die aus dem Sponti-Milieu der 1970er Jahre hervorgegangene, seit Anfang der 1980er Jahre existierende politische Szene autonomer Gruppen eine Schlüsselrolle. Sie hat sich als äußerst heterogenes und fluktuierendes, aber gleichzeitig auch als regenerierungsfähiges Phänomen erwiesen. Zu ersten Ausbrüchen von Massenmilitanz kam es 1980/81, meist im Kontext von Hausbesetzungen. Ab Mitte der 1980er Jahre versuchten autonome Gruppen an die seinerzeit dominanten Themenfelder neuer sozialer Bewegungen wie die Anti-Atomkraft- oder Friedensbewegung anzuknüpfen. Regional ragten dann Ausschreitungen um die seit 1987 jährlich abgehaltenen "revolutionären 1. Mai-Demonstrationen" in Berlin und um die besetzten Häuser in der Hamburger Hafenstraße heraus. Anfang der 1990er Jahre gab es im Wechselspiel mit der fremdenfeindlichen Gewaltwelle neuen Schub im Aktionsfeld "Antifaschismus". Ab Mitte der 1990er Jahre griffen autonome Gruppen aus Anlass der Castor-Transporte mit einer Serie von Sabotageaktionen gegen bahntechnische Anlagen wieder das Reizthema Kernenergie auf. Ab dem Jahr 2000 bemühte sich dieses Spektrum, an Kampagnen gegen marktradikale Wirtschaftspolitik und deren globale Folgen ("Anti-Globalisierungsbewegung") anzudocken. Vorläufiger Höhepunkt war die militante Mobilisierung gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm Anfang Juni 2007. Danach rückten wieder alte Aktionsthemen in den Vordergrund, so etwa antimilitaristisch begründete Brandanschläge, auf den "Repressionsapparat" zielende Gewalttaten gegen Polizeikräfte und -einrichtungen sowie die medial und politisch stark beachtete Serie von Brandanschlägen gegen "Luxuslimousinen" im Begründungszusammenhang mit städtebaulicher Umstrukturierung (Gentrifizierung). Aktionskonjunkturen und Themenfelder wechseln also ständig. Konstant geblieben ist der Versuch der Radikalisierung nichtmilitanter Teilbereichsbewegungen.
Trotz eines bei öffentlichkeitswirksamen Anlässen wie Demonstrationen mehr oder weniger einheitlichen äußerlichen Erscheinungsbildes und Gebarens entziehen sich militante autonome Gruppen einer trennscharfen Abgrenzung: "Die Autonomen" im Sinne einer genau eingrenzbaren Gruppierung gibt es nicht. Das Verhaltensspektrum reicht von passagerem, eher erlebnisorientiertem Agieren - hierbei gibt es Berührungspunkte mit lebensstilistisch verwandten Szenen wie etwa Punks - bis zum auf längere Dauer gestelltem klandestinen Handeln. Gleiches gilt für die Denkstrukturen: Ein einheitliches "Weltbild" der Autonomen sucht man vergebens - am ehesten greift wohl die Selbstcharakterisierung als "Suchbewegung". Verbindendes Element ist allerdings der Konsens über Militanz als Mittel des politischen Konfliktaustrags. Das staatliche Gewaltmonopol wird grundsätzlich abgelehnt. Das Wann, Wie und Wogegen des Gewalteinsatzes ist Gegenstand ausgedehnter Militanzdebatten. Trotz Zersplitterung, Zerstrittenheit und erheblicher Orientierungsprobleme vermag sich offenbar das Personenpotenzial immer wieder zu regenerieren und hält sich den Schätzungen der Ämter für Verfassungsschutz zufolge - andere Daten gibt es nicht - seit den 1990er Jahren auf einem Niveau von etwa 5000 bis 6000 Anhängern, mit bisherigen Höhepunkten 2000/2001 (7000) und 2009 (6600). Der sozialwissenschaftliche und kriminologische Forschungsstand zu dem Phänomenfeld autonome Szene ist äußerst dünn. Täteranalysen, wie aus dem rechten Spektrum bekannt, liegen hier ebenso wenig vor wie soziodemografische Angaben zur Zusammensetzung des Milieus.
Nicht minder heterogen stellt sich der Phänomenbereich des gewaltbereiten Rechtsextremismus dar, dem verschiedene Teilspektren zuzurechnen sind: die im Wandel begriffene Szene der Neonationalsozialisten und die Rechtsrockszene sowie weltanschaulich und stilistisch verwandte Hooligan- und Rockermilieus. Die Ursprünge der NS-affinen Szene gehen auf die 1970er Jahre zurück. Eine der Schlüsselpersonen war Michael Kühnen, der die Gruppe Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten (ANS/NA) initiierte. In den Zeitraum von Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre fiel eine Sequenz rechtsterroristischer Aktivitäten, die Bezüge zum NS-affinen Spektrum aufwies. Die Konturen der sich ausdrücklich auf den historischen Nationalsozialismus beziehenden NS-affinen Szene haben sich nach der massiven fremdenfeindlichen Gewaltwelle zu Beginn der 1990er Jahre und dem danach erhöhten behördlichen und öffentlichen Druck nachhaltig verändert. Traditionelle Organisationen sind einem Geflecht "autonomer Kameradschaften" und lockeren Aktionsbündnissen "freier Nationalisten" gewichen. In den 1980er Jahren entstanden sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR erste Skinheadszenen, die dann in den 1990er Jahren vor allem in den ostdeutschen Bundesländern an Zulauf gewannen. Die subkulturelle Zugkraft lag vor allem in den Möglichkeiten, mit emotional stark besetzter Rockmusik und extremen Provokationstechniken rassistische, antisemitische, NS- und gewaltverherrlichende Inhalte zu transportieren. Ab Mitte der 1990er Jahre haben sowohl eine aktionistische Umorientierung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) als auch Wandlungsprozesse in der NS-affinen Szene das Verhältnis zur Skinheadszene verbessert und zu gegenseitigen Annäherungen geführt. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich dieser Prozess weiter ausdifferenziert. Zum einen vermischte sich streckenweise die Neo-NS-Szene mit der Rechtsrockszene, zum anderen adaptierten beide Akteure neue jugendkulturelle und stilistische Elemente. So ist ab 2003 die bislang bundesweit noch minoritäre, aber im Wachsen begriffene Strömung der "Autonomen Nationalisten" (AN) in Erscheinung getreten. Hooligans und Rocker spielen als Randszenen eine gewisse Rolle. Das von den Verfassungsschutzämtern geschätzte Personenpotenzial gewaltbereiter Rechtsextremer hat sich über die 1990er Jahre hinweg fast verdoppelt und ist seit 2000 auf dem Niveau von etwa 9000 Personen verblieben.
Besonderheiten des Gewalthandelns
Im Folgenden geht es um Aussagen zu Gewalttaten,
Rückblick
Bevor auf die aktuelle Entwicklung linker und rechter Gewalt eingegangen wird, erscheint ein kurzer Rückblick auf Verläufe und einige Charakteristika des Gewalthandelns der 1980er und 1990er Jahre angebracht. Zum Langzeitverlauf linker Gewalt lässt sich festhalten, dass das Ausmaß des Gewalthandelns militanter autonomer Gruppen in den 1990er Jahren im Vergleich zur vorangegangenen Dekade stark zurückgegangen ist und keine eruptiven Ausreißer mehr aufweist. Als wesentliche Muster des Gewalthandelns (links-)autonomer Gruppen haben sich schon in den 1980er Jahren Massenmilitanz und die sogenannte "klandestine Aktion" - von konspirativen Kleingruppen begangene Anschläge gegen Institutionen, Unternehmen und Infrastruktureinrichtungen - herausgebildet. Massen- oder Straßenmilitanz als gewaltsames Vorgehen größerer Gruppenkontingente bei Demonstrationen, behördlichen Maßnahmen oder ähnlichen Anlässen richtete sich personenbezogen vorwiegend gegen "Bullen" als Repräsentanten des Staates oder auch Rechtsextremisten und objektbezogen meistens gegen Gebäude oder andere Einrichtungen mit Symbolwert (wie Banken, Geschäfte, Behörden). An den verschiedenen Brennpunkten wurden mit teilweise beachtlichem taktischen Geschick gegenüber Polizeikräften alle Gewaltmittel unterhalb der Schwelle von Schusswaffen eingesetzt: Steine, Knüppel, Eisenstangen, Reizgas, Molotow-Cocktails oder von Dächern geworfene Backsteine. Ab und an wurden von anderen Kräften isolierte Polizeibeamte eingekreist, überwältigt und entwaffnet. Die Gefahr schwerer bis tödlicher Verletzungen wurde bei derartigen proaktiv gesuchten Konfrontationen nicht selten in Kauf genommen.
Allerdings gab es in den 1990er Jahren wieder Aktionsschübe im Kontext militanter Antifa-Aktivitäten,
Zum Langzeitverlauf rechter Gewalt lässt sich festhalten: In den 1960er bis zu den 1980er Jahren blieb - trotz einer Reihe gravierender rechtsterroristischer Aktionen Ende der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre - rechte Gewalt eher im Schatten links motivierter Gewaltphänomene (Rote Armee Fraktion, Revolutionäre Zelle, "Spontis", militante Autonome). Umso mehr ragt die in der Geschichte der Bundesrepublik bisher einzigartige, überwiegend fremdenfeindlich motivierte Gewalteruption von 1991 bis 1993 heraus, die sich vor dem Hintergrund gravierender Transformationsprobleme und unverarbeiteter Einwanderungsströme entwickelte. Nach deren Abflachen bewegte sich das Aufkommen in einem bedenklich hohen Korridor mit gelegentlichen kräftigen Anstiegen wie etwa im Jahr 2000. In den 1990er Jahren blieb Fremdenfeindlichkeit das dominante Themenfeld rechter Gewalt. Die gegen den politischen Gegner gerichtete Gewalt verblieb dagegen auf niedrigem Niveau.
Die rechte Gewalt der 1990er Jahre weist auch qualitative Besonderheiten auf. Zum einen war das Handeln eher durch Spontaneität und Expressivität gekennzeichnet. Zum anderen waren im Vergleich zum linken Phänomenbereich sehr viel höhere Anteile an Körperverletzungsdelikten und vor allem drastisch höhere Anteile an Tötungsdelikten zu finden. Ein beträchtlicher Teil der Gewaltwelle von 1991 bis 1993 waren Brandanschläge mit Personenbezug. Diese Mittelwahl hat eine eliminatorische Komponente und spielt zumindest unausgesprochen an Traditionen nationalsozialistischer Feindbekämpfung an, die immer auch die Möglichkeit der physischen Vernichtung einbezogen hat. Dazu kommt eine ganze Reihe von Exzesstaten, bei denen Opfer mehrere lebensbedrohliche Tateinwirkungen hintereinander, teilweise auch über längere Dauer erleiden mussten. Es wird zu zeigen sein, ob sich bei dieser Handlungsschiene Kontinuitäten feststellen lassen.
Gewalthandeln in den 2000er Jahren
Seit dem Beginn des neuen polizeilichen Erfassungssystems PMK lassen sich aufgrund einheitlicher Kriterien Langzeitbetrachtungen anstellen.
Als Indikator für die Zielrichtung des Gewalthandelns lassen sich die Themenfeldnennungen der PMK-Erfassung heranziehen. Durchgängig dominiert haben die unter den Oberbegriffen "Konfrontation/Politische Einstellung", "Innen- und Sicherheitspolitik" und "Hasskriminalität" subsumierten Zielrichtungen. Im linken Phänomenbereich lag 2001 bis 2008 die stark durch das Vorgehen gegen rechte und sonstige politische Gegner geprägte Konfrontationsgewalt an der Spitze und wurde 2009 zum ersten Mal durch das Themenfeld "Innen- und Sicherheitspolitik" abgelöst, wobei die Ausschreitungen um die beiden Hamburger Schanzenviertelfeste mitursächlich für den starken Anstieg waren. Im rechten Phänomenbereich stand bis 2004 der schon seit den 1990er Jahren herausragende Themenbereich der überwiegend fremdenfeindlich geprägten Hassgewalt oben. Zweitstärkstes Aufkommen war die Konfrontationsgewalt, die allerdings 2004 nachzog und dann ab 2005 an der Spitze stand. Festhalten lässt sich, dass die gegenseitig ausgeübte Konfrontationsgewalt in den vergangenen Jahren insofern an Bedeutung gewonnen hat, als sich beide Lager mit diesbezüglichen Handlungsschwerpunkten deutlich angenähert haben.
Eine erste Betrachtung nach Tatspezifik verweist bereits auf deutliche rechts/links-Unterschiede hinsichtlich personenbezogener Gewaltanwendung: Die Anteile von Körperverletzungsdelikten am Gesamtaufkommen der Gewaltdelikte liegen von 2001 bis 2009 rechts (immer über 80%) deutlich höher, nämlich etwa doppelt so hoch wie im linken Bereich (meistens über 40%).
Ebenso unterscheidet sich das Aufkommen an Tötungsdelikten: In absoluten Zahlen gab es seit 2001 links 17 Fälle - 16 versuchte und ein vollendetes Delikt, rechts dagegen 47 Fälle - 44 versuchte und drei vollendete Delikte. Der traditionell von rechten Tätern präferierte personenbezogene Einsatz von Brandmitteln hat auch im linken Lager wieder zugenommen. Die linken Tötungsdelikte wurden etwa jeweils zur Hälfte gegen die Polizei und rechte Gegner, einmal gegen sonstige Gegner und einmal gegen die Bundeswehr verübt. Die rechten Tötungsdelikte wurden zu über zwei Dritteln im Handlungsfeld der Hasskriminalität und dort mit mehrheitlich fremdenfeindlichem Hintergrund begangen. Das restliche Drittel waren Konfrontationsgewalttaten gegen links, sonstige Gegner und in einem Fall gegen die Polizei. Weitergehende Aussagen erschließen sich nur über vertiefende Aktenanalyse mit Einzelfallbetrachtungen.
Tatschwerebetrachtungen
Die Zahl der in der polizeilichen Ersterfassung enthaltenen Tötungsdelikte ist ebenso wie die niedrige Zahl schwerer Körperverletzungsdelikte aber nur ein kleiner Ausschnitt der Realität intensiven Gewalthandelns. Die bloße Rechtsnormzuordnung nach gefährlicher und einfacher Körperverletzung bietet keine weiteren Einblicke in Handlungsqualitäten. Insbesondere Zu- oder Abnahmen von Brutalitäten - ein wichtiger Hinweis für Radikalisierungs- und Deradikalisierungsprozesse - entziehen sich so der Darstellung. Daher wurden im Rahmen einer rechts/links-vergleichenden Tatanalyse der Länder Sachsen und Nordrhein-Westfalen Polizeidaten der Jahre von 2003 bis 2006 unter diesem Blickwinkel betrachtet.
Einwirkungen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit akut lebensbedrohlich sein oder bleibende Schäden hinterlassen können.
Einwirkungen, die seltener lebensbedrohlich oder dauerhaft schädigend sind, aber dennoch starke Schmerzen, stationäre Behandlungsbedürftigkeit oder längere Arbeitsunfähigkeit bedingen können, eventuell auch Funktionsausfälle wie nach Sehnendurchtrennungen.
Einwirkungen, die kaum lebensbedrohlich, aber dennoch schmerzhaft sein, aber ohne stationäre Krankenhausbehandlung therapiert werden können wie großflächige Blutergüsse, größere Schürfwunden oder nicht allzu stark blutende Wunden.
Bagatellverletzungen, die ambulant oder in Selbsthilfe behandelt werden können und keine Folgeschäden hinterlassen.
Um allseits bekannten situativen Unwägbarkeiten der Gewalthandlung Rechnung zu tragen, wurden noch Zwischenstufen eingeführt. So gilt beispielsweise für die häufig anzutreffende Vorgehensweise Stein-/Flaschenwurf zunächst grundsätzlich, dass der Werfer von Schottersteinen oder Flaschen das Risiko von Kopftreffern und damit lebensbedrohlicher Verletzungen in Kauf nimmt. Insofern ist die Einstufung in den Schweregrad 1 gerechtfertigt. Dennoch bestehen hinsichtlich Täterdisposition und Trefferwahrscheinlichkeit offensichtliche Unterschiede zu dem Angreifer, der im direkten Angesicht des Opfers auf den Kopf tritt oder mit Gegenstand schlägt. Dies soll durch die Einstufung 1-2 verdeutlicht werden.
Mit diesem Verfahren konnten einige rechts/links-Unterschiede herausgestellt werden: Die Anteile rechter Gewalttaten mit hochwahrscheinlich akut lebensbedrohlichen Einwirkungen (1) beliefen sich in Sachsen auf 21%, in NRW auf 11,2%. Mit gewisser Wahrscheinlichkeit lebensbedrohliche Einwirkungen (1-2) lagen in Sachsen bei 18,5% und in NRW bei 15,3%. Herausragend brutale Vorgehensweisen rechter Gewalttäter beider Länder waren Kopfschläge mit Gegenstand (1), Tritte auf am Boden liegende Person (1), Wurf mit Stein oder Flasche (1-2) und Kopftritte mit "normalen" Schuhen (1).
Die linke Gewalt hatte deutlich andere Schwerpunkte: In beiden Ländern lag die Stufe 1-2 an der Spitze - in Sachsen mit 43%, in NRW mit 24%. Der Anteil akut lebensbedrohlicher Einwirkungen (1) machte in Sachsen etwas über 2%, in NRW etwas über 6% aus. Die bevorzugte Handlungsweise war der Stein-/Flaschenwurf (1-2) aus der Distanz. Diese Präferenz spiegelt typische Ambivalenzen linksmilitanten Gebarens wider: Einerseits gilt die Prämisse der Legitimität von Gewalt, andererseits gibt es Tendenzen zur Gewaltdosierung.
Diese Ergebnisse können nun mit einer bundesweiten Stichprobe aus den Jahren von 2006 bis 2009 verglichen werden. Aus dem Gesamtaufkommen rechter und linker Gewalt wurden alle schweren und gefährlichen Körperverletzungsdelikte herausgezogen - in der Erwartung, dass diese Auswahl hinsichtlich der Auswertung von Gewaltintensitäten ertragreicher als der Bereich einfacher Körperverletzungen sein würde. Dies ergab rechts 1975 und links 1253 Fälle. Da diese Fallzahl (n) mit dem zur Verfügung stehenden Zeitfenster und Kräfteansatz nicht zu bearbeiten war, wurde mit einfacher Zufallsstichprobe ein Drittel der Fälle gezogen. Damit lag die Fallzahl rechts bei n=658 und links bei n=417.
Betrachtet man die Gewalttaten nach der Präferenz bestimmter Handlungsweisen, so zeigt das rechte Aufkommen wie auch schon bei den Erhebungen in Sachsen und NRW ein deutliches Übergewicht des direkten Angriffs auf die Person aus nächster Nähe. Dabei liegt die akut lebensbedrohliche Tatvariante Kopfschlag mit Gegenstand (1) an erster Stelle, gefolgt von Faustschlag auf Kopf ohne weitere Angabe (2-3), Tritten auf am Boden Liegende (1-2) und Stein- und Flaschenwürfen (1-2). Bei den akut lebensbedrohlichen Tatbegehungen (1, n=111) lag das Themenfeld Fremdenfeindlichkeit knapp vor der Konfrontation gegen links und sonstige politische Gegner, bei den bedingt lebensbedrohlichen Varianten (1-2, n=111) verhielt es sich umgekehrt.
Der rechts/links-Vergleich zeigt ähnliche Konturen wie die vorangegangene Untersuchung: Der sich hauptsächlich aus Stein-/Flaschenwürfen speisende Schweregrad 1-2 steht mit 33,6% an erster Stelle, akut lebensbedrohliche Handlungsweisen (1) stehen an vierter Stelle. Allerdings liegt dieser Anteil mit knapp 10% deutlich höher als die zuvor ermittelten niedrigen Werte für Sachsen (2%) und NRW (6%). Die Differenz dürfte sich dadurch erklären, dass bei der bundesweiten Auswertung Zentren der Linksmilitanz - vor allem Berlin und Hamburg - eingeflossen sind.
Der rechts/links-Vergleich präferierter Handlungsweisen zeigt die bereits bekannten Unterschiede: Beim linken Gewalthandeln steht zunächst der Stein-/Flaschenwurf im Vordergrund. Das für den rechten Phänomenbereich typische face to face-Gewalthandeln ist zwar auch anzutreffen, prägt aber nicht das Bild. Die Mehrheit der mit akut lebensbedrohlichen Einwirkungen (1, n=41) vorgetragenen Gewalttaten fand sich im Feld der Konfrontation gegen rechts, wobei in fünf Fällen Polizeibeamte betroffen waren. Die bedingt lebensbedrohlichen Akte (1-2, n=140) fanden mehrheitlich im Themenfeld der Konfrontation gegen rechts statt, der zweitgrößte Anteil lag in der Thematik Sicherheitsbehörden. In 74 Fällen war die Polizei Angriffsziel. Ein weiterer Unterschied findet sich bei der Häufigkeit von Mehrfachbegehungen, womit gemeint sein soll, dass zwei oder mehrere schwere Tateinwirkungen hintereinander erfolgen. Ein klassisches Beispiel hierfür: Das Opfer wird mit Kopfschlägen zu Boden gebracht und dann am Boden liegend weiter getreten. Der Anteil solcher Taten lag rechts bei 13%, links bei knapp 5%.
Fazit
Die Betrachtungen verweisen zuvorderst auf einen bedenklich hohen Anteil lebensbedrohlicher rechtsextremer Gewalt, bei der es oft lediglich situativen Zufälligkeiten überlassen bleibt, ob das Opfer zu Tode kommt oder nicht. Diese Charakteristik hat sich seit den 1990er Jahren offenbar nicht verändert. Seit 2001 verteilen sich diese schweren Gewaltdelikte etwa zu gleichen Teilen auf die gegen Migranten und Randgruppen gerichtete Hassgewalt und die Konfrontation gegen linke und sonstige Gegner. Bei der linken Gewalt ist die akute Dimension der Lebensbedrohlichkeit zwar geringer ausgeprägt, sie ist aber anzutreffen. Auch im linken Phänomenbereich scheint es Kontinuitäten von Tötungsbereitschaften zu geben: kaum überraschend am häufigsten im eskalationsträchtigen Feld der Konfrontation gegen rechts. Darüber hinaus ist die Polizei am zweithäufigsten betroffen, dies insbesondere wieder in jüngerer Zeit. Auch die Tatsache, dass das Jahr 2009 die seit der PMK-Erfassung höchste Zahl linker versuchter Tötungsdelikte aufweist - sechs von sieben gegen die Polizei gerichtet - lässt aufhorchen. Zwei der Sachverhalte betrafen die unter Linksmilitanten bevorzugte Handlungsweise des Stein-/Flaschenwurfs - ein Hinweis darauf, dass sich mancherorts gepflegte Bagatellisierungen dieses Verhaltens verbieten sollten.
Insbesondere wenn politisch motivierte Gewalt mit Leib und Leben bedrohender Intensität vorgetragen wird, besteht Grund zu öffentlicher Besorgnis. Daher wäre ein auf Dauer gestelltes solides Monitoring von Tötungsdelikten und lebensbedrohlichen Handlungsweisen äußerst wünschenswert. Die Erkenntnisse könnten dann mit Verlaufsanalysen - Gibt es Veränderungen der Brutalitäten? - und Betrachtungen von herausragenden Handlungsmustern und Gewaltsequenzen - Wo dominieren Initial-, wo Reaktionstaten? Wo bilden sich besonders gewaltträchtige Konstellationen heran? - vertieft werden.