Einleitung
Gesundheit ist ein wichtiges menschliches Gut. Für viele ist es wichtiger als wirtschaftlicher Wohlstand oder Erfolg. Die eigene Gesundheit bzw. die Gesundheit der Familie sind die wichtigsten Faktoren persönlichen Glücks.
Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist die Organisation der Gesundheitssysteme infolge der industriellen Revolution zunehmend in den Bereich des Staates übergegangen. Das erste Modell einer staatlichen Sozialversicherung wurde 1883 in Deutschland geschaffen, als Reichskanzler Otto von Bismarck neben einer Unfallversicherung eine Alters- und Invalidenversicherung einführte und die Krankenversicherung vereinheitlichte. Die Popularität der Sozialversicherung in der Arbeiterklasse führte zur Einrichtung ähnlicher sozialer Sicherungssysteme über Deutschland hinaus. So führten bald auch Belgien, Norwegen, Großbritannien und Russland eine Krankenversicherung ein. Weitere Staaten folgten dem deutschen Vorbild nach dem Ersten Weltkrieg.
Heute existieren verschiedene Modelle staatlich organisierter Gesundheitssysteme, die alle einer immensen Steigerung ihrer Ausgaben und einer verminderten Einnahmebasis gegenüberstehen. Als Gründe hierfür werden vor allem der demografische Wandel, Arbeitslosigkeit, der medizinisch-technologische Fortschritt, die Nachfragesteigerung nach Gesundheitsleistungen sowie fehlende Kostentransparenz und die mangelnde Eigenverantwortung der Versicherten genannt.
Im Folgenden wird dargestellt, welche Maßnahmen ausgewählte Staaten ergriffen haben, um diesen Problemen zu begegnen. Um eine Vergleichbarkeit mit dem Gesundheitssystem in Deutschland zu ermöglichen, wird dabei auf Reformbeispiele in Industriestaaten zurückgegriffen, und zwar auf die Reformen in der Schweiz, in den Niederlanden und in den USA. Anhand einer Bilanz dieser Reformen kann abschließend untersucht werden, inwieweit die dortige Neugestaltung der Gesundheitssysteme beispielhaft für das deutsche Gesundheitssystem sein kann.
Ausgaben und Einnahmen
Die Ausgaben im Gesundheitswesen sind in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2007 wurden in den OECD-Ländern durchschnittlich 8,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für Gesundheitsausgaben verwendet.
Einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Ausgabensteigerungen hat der demografische Wandel, genauer: die zunehmende Alterung der Bevölkerung. Die Krankheitskosten erhöhen sich mit zunehmendem Lebensalter und mit zunehmendem Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung. In Deutschland entfielen 2002 rund 43 Prozent der Ausgaben auf die über 65-Jährigen.
Auch der medizinisch-technologische Fortschritt hat zu Ausgabensteigerungen im Gesundheitswesen geführt. Neue Medikamente, Transplantationen, minimalinvasive Chirurgie, künstliche Organe oder Kernspintomographen sind hoch entwickelte Innovationen. Die neuen Diagnose- und Behandlungsmethoden werden in der Regel ergänzend zu vorhandenen Verfahren eingesetzt oder angewandt (add-on-Technologien). Dies lässt sich darstellen an der Anzahl der Geräte, die im stationären und ambulanten Bereich vorhanden sind: Von 2003 bis 2006 nahm in Deutschland die Anzahl der Großgeräte um 15,6 Prozent zu.
Eine Wechselbeziehung schließlich lässt sich zwischen der Alterung der Gesellschaft und dem medizinisch-technologischen Fortschritt erkennen. So können Krankheiten früher diagnostiziert und erfolgreicher therapiert werden. Dies wiederum bringt eine längere Lebenserwartung mit sich. Der demografische Wandel und der medizinisch-technologische Fortschritt sind demnach zwei Seiten derselben Medaille, des Ausgabenwachstums im Gesundheitswesen.
Die Zunahme bei den Ausgaben erfordert parallel eine Steigerung der Einnahmen, die jedoch nur schwer umsetzbar ist. Auch für die fehlenden Einnahmen sind mehrere Gründe zu nennen: der demografische Wandel, hohe Lohnnebenkosten und vor allem die fehlende Kostentransparenz und mangelnde Eigenverantwortung der Versicherten. Infolge des demografischen Wandels sinkt der Anteil der Berufstätigen an der Bevölkerung. Gleichzeitig steigt der Anteil der Rentner, während aufgrund der niedrigen Geburtenrate weniger Menschen in den Arbeitsmarkt nachrücken. Aufgrund der Abhängigkeit der Finanzierung der Beiträge der Gesetzlichen Krankenversicherung von den Arbeitseinkommen fehlen damit notwendige Einnahmen. Es kommt zu einer Situation, in der immer weniger Beitragszahlern immer mehr Versicherte gegenüberstehen.
In jüngster Vergangenheit haben einige Staaten ihre Gesundheitssysteme teilweise grundlegend reformiert. Sie alle haben damit auf die Probleme reagiert, die durch Ausgabensteigerungen und Einnahmeverluste für das jeweilige Gesundheitswesen entstanden sind.
Das Schweizer Modell
Das Krankenversicherungsgesetz in der Schweiz trat am 1. Januar 1996 in Kraft. Es enthält eine landesweite Versicherungspflicht. Die ausschließlich privaten Krankenkassen unterliegen einem Kontrahierungszwang, das heißt, sie sind gesetzlich verpflichtet, jeden in die Grundversicherung aufzunehmen. Die Schweiz hat als erstes Land weltweit das Modell einer sogenannten "Kopfpauschale" implementiert. Dies bedeutet, dass jeder Versicherte die Prämie für die Krankenkasse selbst bezahlt. Versicherungspflichtig sind alle Schweizer, auch nicht berufstätige Ehepartner und Kinder. Die Prämienhöhe ist unabhängig von Einkommen und Vermögen. Der Abschluss einer Grundversicherung ist für alle Einwohner obligatorisch, und es besteht freie Kassenwahl. Die Prämie für die Grundversicherung variiert nach den Regionen und unterliegt der Genehmigung durch das Bundesamt für Gesundheit. Untere Einkommensschichten und kinderreiche Familien erhalten Prämienverbilligungen, die aus Steuermitteln finanziert werden.
Im Grundtarif sind alle Leistungen nach einem gesetzlich vorgegebenen Leistungskatalog enthalten. Diese Leistungen umfassen alle notwendigen ambulanten, stationären und teilstationären Leistungen sowie ausgewählte präventive Leistungen. Ausgenommen vom Leistungskatalog sind Zahnbehandlungen und auch das Krankengeld. Ergänzend zur obligatorischen Grundsicherung kann jeder Versicherte freiwillig Zusatzversicherungen abschließen. Für die Zusatzversicherungen berechnen die Krankenversicherungen Prämien, die sich nach dem individuellen Risiko bemessen. Allerdings können für die Zusatzversicherungen auch Interessenten abgewiesen werden.
Um eine Prämienverbilligung - auch für den Grundtarif - zu erreichen, können verschiedene Formen von Kostenbeteiligungen gewählt werden. So kann die Eigenbeteiligung über den obligatorischen Selbstbehalt von 300 Franken (sogenannte Franchise) hinaus erhöht werden, die Wahlfreiheit kann reduziert werden, oder es können Leistungsfreiheitsrabatttarife gewählt werden. Darüber hinaus kann die im Grundtarif enthaltene Unfallversicherung ausgeschlossen werden. Zwischen den Krankenkassen existiert ein Risikoausgleich, um Unterschiede in der Struktur der Versicherten auszugleichen. Seit Beginn des Jahres 2010 berücksichtigt dieser das Alter, das Geschlecht und das Krankheitsrisiko der Versicherten. Darüber hinaus erfolgt innerhalb einer Krankenkasse eine Umverteilung zwischen Altersgruppen und Geschlechtern.
Das Gesundheitssystem der Schweiz ist stark marktwirtschaftlich organisiert. Die Versicherten haben die Möglichkeit, auf dem Markt der Versicherungsanbieter eine Krankenversicherung abzuschließen, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Allerdings muss das Funktionieren dieses Marktes stets vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Gesellschaftssystems betrachtet werden: Die Schweizerinnen und Schweizer sind traditionell einen hohen Grad von Eigenverantwortung und Mitbestimmung gewohnt, und sie sind weit mehr als die Bürger anderer Länder bereit, finanzielle Lasten selbst zu tragen. Dies zeigt sich insbesondere an der Wahl der Tarife. So waren im Jahr 2008 nur 41,4 Prozent der Versicherten im sogenannten Grundtarif versichert; fast 60 Prozent wählten demnach einen Tarif, der höhere Selbstbehalte umfasst.
Umfragen belegen ein grundsätzliches Einverständnis mit dem marktwirtschaftlichen System der Krankenversicherung.
Parallel zu den Kostensteigerungen stieg auch die Höhe der Prämien. Während ein Erwachsener in der Schweiz Ende der 1990er Jahre noch durchschnittlich 203,90 Schweizer Franken für den Grundtarif zahlte, beläuft sich die Prämie jetzt auf 351,10 Schweizer Franken.
Reform in den Niederlanden
Anfang 2006 erfolgte mit der Gesundheitsreform in den Niederlanden ein Übergang zu einem neuen Versicherungssystem. Zentraler Bestandteil war die Abschaffung des Dualismus von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen hin zu einem privat organisierten Versicherungsmarkt unter staatlicher Aufsicht. Für alle Bürger ab 18 Jahren besteht eine Pflicht zum Abschluss einer gesetzlich festgelegten Mindestversicherung, parallel dazu dürfen die Versicherer Interessenten für die Mindestversicherung nicht ablehnen.
Die Beiträge setzen sich zusammen aus einem Pauschalbeitrag und einem einkommensabhängigen Anteil, der vom Arbeitgeber getragen wird. Der Pauschalbeitrag wird von den Versicherten direkt an die Versicherung gezahlt. Die Höhe ist nicht einheitlich, sondern wird von der jeweiligen Versicherung bestimmt. Innerhalb einer Versicherung muss die Basisversicherung zum gleichen Tarif angeboten werden, unabhängig vom Alter, Geschlecht oder Risiko der Versicherten. Die Prämien werden jährlich neu kalkuliert. Darüber hinaus sind die Versicherten verpflichtet, einen prozentualen Beitrag ihres Einkommens zu zahlen - im Jahr 2009 waren das 6,9 Prozent. Dieser Beitrag wird bis zu einer Beitragsbemessungsgrenze erhoben, die zuletzt bei 32369 Euro lag. Die Arbeitgeber müssen ihren Arbeitnehmern diesen Beitrag erstatten, er wird allerdings vom Arbeitnehmer versteuert. Die Erträge fließen in einen Krankenversicherungsfonds. Der Beitragssatz wird jährlich durch das Gesundheitsministerium festgelegt. Auch Leistungen für Arbeitslose, Sozialhilfe, Renten und Selbständige unterliegen der Beitragspflicht.
Eine staatliche Unterstützung für einkommensschwache Bürger erfolgt über das Steuersystem. Der sogenannte Gesundheitszuschuss ist abhängig vom Haushaltseinkommen und ist beim Finanzamt zu beantragen, das den Gesundheitszuschuss auszahlt. Allerdings ist der Zuschuss gedeckelt: Für Einzelhaushalte betrug der maximale Transferanspruch im Jahr 2009 57,66 Euro monatlich, für Mehrpersonenhaushalte maximal 121,75 Euro monatlich. Rund zwei Drittel der Haushalte in den Niederlanden haben den sozialen Ausgleich im Jahr 2008 in Anspruch genommen, dies entsprach einem steuerlichen Ausgleich in Höhe von insgesamt 3,6 Milliarden Euro.
Der Leistungskatalog der Basisversicherung ist gesetzlich geregelt. Er umfasst alle notwendigen stationären und ambulanten Leistungen der Akutversorgung, ist jedoch nur ein Mindestschutz. Ein Großteil der zahnärztlichen und kieferorthopädischen Versorgung ist aus dem Mindestschutz ebenso herausgenommen wie das Krankengeld.
Eine verpflichtende Selbstbeteiligung in Höhe von 150 Euro jährlich gilt für alle Versicherten ab 18 Jahren. Zudem können die Versicherten höhere Selbstbehalte wählen, deren Stufen allerdings gesetzlich vorgegeben sind und zwischen 100 und 500 Euro liegen. Eine Beitragsrückerstattung ist nicht möglich. Alternativ zu einer individuellen Versicherung ist der Krankenversicherungsschutz über eine Gruppenversicherung möglich. Bei dieser Gruppenversicherung können Arbeitgeber oder andere Interessengruppen (Gewerkschaften, Sportvereine, Patientenvereinigungen) mit einer Krankenversicherung einen Gruppenvertrag abschließen, der einen speziellen Leistungskatalog sowie in der Regel eine Prämienvergünstigung umfasst.
Die einkommensabhängigen Beiträge sowie die aus Steuergeldern finanzierten Beiträge für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren fließen in einen Fonds. Die Krankenkassen erhalten aus dem Fonds Risikoausgleichszahlungen, welche das Alter, das Geschlecht und morbiditätsrelevante Faktoren berücksichtigen. Auf diese Weise erfolgt eine Kompensation der unterschiedlichen finanziellen Belastung der einzelnen Versicherungen.
Ziel der Reform des Gesundheitssystems in den Niederlanden war eine Vereinheitlichung des bis dahin sehr unübersichtlichen Systems. Neben der gesetzlichen Krankenversicherung waren bis zur Reform Teile der Bevölkerung privat versichert, andere - z.B. Beamte - unterlagen besonderen Regelungen in der Krankenversicherung. Mit dem Übergang zu einem privaten Versicherungssystem mit einem obligatorischen Mindestschutz wurde dieses Ziel erreicht. Zudem sollten zumindest Teile der Finanzierung von der Beschäftigungssituation abgekoppelt werden. Auch dies ist mit Einführung der Pauschalbeiträge gelungen. Darüber hinaus hat die Reform zu verstärktem Wettbewerb im Gesundheitssystem geführt.
Die Bereitschaft, höhere Selbstbehalte in Kauf zu nehmen, findet sich jedoch nur bei einem vergleichsweise geringen Bevölkerungsanteil. So hatten 2008 nur 5,2 Prozent der Versicherten einen Tarif mit höheren Selbstbehalten gewählt. Allerdings hatten die Krankenkassen schon vor der Reform eine Reihe von einkommensunabhängigen Zusatzprämien von ihren Versicherten verlangt, die zum Teil bis zu 15 Prozent der Beiträge ausmachten und für die es keinen sozialen Ausgleich gab. Mit der Einführung des Sozialausgleichs konnten übermäßige Belastungen für die Versicherten vermieden werden, so dass die Reform in der Bevölkerung grundsätzlich akzeptiert wird. Für die meisten Haushalte führte die Reform eher zu einer Entlastung als zu einer weiteren Belastung.
Die Kosten für das Gesundheitssystem in den Niederlanden sind im internationalen Vergleich geringer als in den USA oder in Deutschland. Ein Grund hierfür liegt auch in den Besonderheiten der Versorgung. So gilt in den Niederlanden ein striktes "Primärarztprinzip". Danach muss jeder Patient - außer in Notfällen - zunächst einen Hausarzt aufsuchen. Allein der Hausarzt entscheidet über eine Überweisung zu einem Spezialisten oder über eine stationäre Behandlung. Auf diese Weise werden die meisten medizinischen Probleme in den Hausarztpraxen geklärt und kostenintensive Besuche bei Spezialisten zunächst vermieden. Auch werden deutlich weniger Arzneimittel verschrieben, so dass die Ausgaben für Arzneimittel deutlich geringer sind.
Die Entwicklung der Prämienhöhen zeigt, dass der Wettbewerb in den meisten Fällen zu einer niedrigeren Prämie geführt hat. Die Bedeutung der Prämienhöhe zeigt sich auch an der Wechselquote, also am Anteil der Versicherten, welche die Versicherung wechselten. Gleich nach Inkrafttreten der Reform wechselten im Jahr 2006 18 Prozent der Versicherten, um günstigere Tarife zu erhalten. Dieser Wert ist jedoch in den Folgejahren gesunken. Ende des Jahres 2009 entschieden sich nur noch vier Prozent für einen Versicherungswechsel. Viele Versicherte wechseln aber auch innerhalb der Versicherung hin zu einer günstigeren Prämie oder zu einem Gruppenvertrag. Die weitere Entwicklung wird zeigen, inwieweit der Wettbewerb zu einem marktorientierten Verhalten der Versicherten weiter beitragen wird.
USA: Gesundheitsreform als Meilenstein
Die Einführung einer für alle Amerikaner bezahlbaren Krankenversicherung war ein zentrales Wahlkampfthema von Barack Obama. Ein Großteil der amerikanischen Bevölkerung hat keine oder keine ausreichende Krankenversicherung. Viele Menschen können sich die notwendige medizinische Versorgung nicht leisten, da Versicherungen sehr teuer sind und teure Behandlungen nicht übernehmen. Bis zur Reform wurde der Krankenversicherungsschutz der Amerikaner als private Angelegenheit betrachtet, eine allgemeine Pflicht zur Versicherung gab es nicht. Zwar gibt es mehrere Säulen staatlicher Gesundheitsfürsorge, doch können rund 15 Prozent der Einwohner diese Hilfe nicht beanspruchen. Ihnen ist bislang nur in Notfällen medizinische Hilfe sicher. Im Jahr 2008 waren 15,4 Prozent aller Amerikaner nicht krankenversichert, darunter fast 10 Prozent aller Kinder.
Es gibt in den USA zwei Arten staatlicher Krankenversicherung: Medicare bietet Amerikanern ab 65 Jahren und Behinderten Versicherungsschutz und wird von rund 40 Millionen Amerikanern in Anspruch genommen. Medicaid ist eine Krankenversicherung für Menschen mit geringem Einkommen. Hier sind ebenfalls etwa 40 Millionen Menschen versichert. Allerdings werden die Voraussetzungen für die Berechtigung für Medicaid von den Bundesstaaten festgelegt. Dies führt zu sehr unterschiedlichen Regelungen. In Notfällen wird seit der Verabschiedung des Emergency Medical Treatment and Active Labor Act (EMTALA) im Jahr 1986 jeder Amerikaner in einem Krankenhaus behandelt, auch jene, die über keinen Versicherungsschutz verfügen. Die Behandlung in den Krankenhäusern wird nicht staatlich finanziert, die Krankenhäuser können die Kosten aber als Spenden von der Steuer absetzen.
Der hohe Anteil Nichtversicherter lässt sich folgendermaßen begründen: Zum einen können sich viele Menschen keine private Krankenversicherung leisten, sind aber dennoch nicht berechtigt, die Leistungen von Medicaid in Anspruch zu nehmen. Mit einem Anteil von 56 Prozent ist dies bei weitem die größte Gruppe unter den Nichtversicherten. Darüber hinaus können Versicherungen Anträge auf Krankenversicherung ablehnen, wenn Menschen Vorerkrankungen hatten. Schließlich verzichten viele Amerikaner auch auf den kostspieligen Versicherungsschutz beziehungsweise begnügen sich mit der Notversorgung im Rahmen von EMTALA.
Präsident Obama brachte zügig einen Reformvorschlag in den Gesetzgebungsprozess ein, der kontrovers diskutiert wurde. Im März 2010 wurde der Patient Protection and Affordable Care Act verabschiedet. Parallel dazu wurde der Health Care and Education Affordability Reconciliation Act of 2010 beschlossen, der im Wesentlichen die Änderungswünsche der Demokraten enthält. Insbesondere für die Krankenversicherungen sehen die Gesetze eine Reihe von Änderungen vor. So dürfen sie Antragsteller nun nicht mehr wegen Vorerkrankungen ablehnen, die Prämien dürfen für ältere Versicherte nicht mehr unverhältnismäßig höher sein als zum Beispiel für jüngere Versicherte, und auch für Menschen mit Vorerkrankungen dürfen keine erhöhten Versicherungsbeiträge mehr verlangt werden. Die Einkommensgrenzen für Medicaid wurden deutlich erhöht - nunmehr sind Einwohner mit einem Einkommen von bis zu 133 Prozent gemessen an der Armutsgrenze anspruchsberechtigt. Für Einwohner mit einem Einkommen bis zu 400 Prozent gemessen an der Armutsgrenze wird die Krankenversicherung staatlich bezuschusst. Darüber hinaus wird erstmals eine Versicherungspflicht eingeführt. Schließt ein Amerikaner keine Krankenversicherung ab, muss er Strafzahlungen leisten. Auch die Arbeitgeber werden stärker als bisher verpflichtet, ihren Mitarbeitern eine Krankenversicherung anzubieten. Tun sie dies nicht, müssen auch sie eine Strafe zahlen. Ausgenommen davon sind Kleinunternehmen. Bieten diese ihren Mitarbeitern dennoch Krankenversicherungsschutz an und übernehmen sie mindestens die Hälfte der Prämienkosten, können sie einen Großteil davon (ab 2010 sogar bis zu 50 Prozent) von der Steuerschuld abziehen. Schließlich werden in den Bundesstaaten "Gesundheitsversorgungsbörsen" sowie "Börsen für Programme mit Versicherungsoptionen für Kleinunternehmer" eingerichtet, an denen Einzelne oder Kleinunternehmen Versicherungen kaufen können, die eine Basisversicherung anbieten. Der Leistungsumfang dieser Basisversicherung wird staatlich festgelegt, er soll einen Großteil der Kosten für medizinische Leistungen abdecken und die Zuzahlungen begrenzen. Auch für diese Versicherungen gibt es Kredite und staatliche Zuschüsse für Geringverdiener.
Ziel der Reform ist es, mehr Amerikanern Versicherungsschutz zu bieten, und zwar entweder durch den besseren Zugang zu einem der staatlichen Programme (Ausweitung von Medicaid) oder durch die Möglichkeit, eine bezahlbare private Versicherung abschließen zu können. Die Kosten der Reform werden auf 940 Milliarden US-Dollar für die nächsten zehn Jahre geschätzt und sollen durch Steuererhöhungen sowie durch Effizienzsteigerungen bei den Krankenversicherungen gegenfinanziert werden.
Ähnliche Probleme, verschiedene Lösungen
Ein wesentlicher Anlass für die Reformen war der enorme Anstieg der Kosten für das Gesundheitssystem - das gemeinsame Ziel war (und ist) es, eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens zu erreichen. Anhand der Beispiele wird deutlich, dass dies nur zum Teil gelungen ist. So wurde die Finanzierung der Systeme zwar grundlegend verändert - von weniger staatlicher Finanzierung in den Niederlanden bis hin zu mehr staatlicher Finanzierung in den USA. Die Ausgabenentwicklung konnte aber durch diese Maßnahmen nicht grundlegend verändert werden. Angesichts einer mit der Reduktion der Ausgaben notwendig einhergehenden Leistungskürzung stellt sich jedoch die Frage, ob dieses Ziel überhaupt vorrangig sein kann. Vielmehr scheint eine Entwicklung zu einem immer größeren und umfassenderen Konsum des immer dichteren Leistungsangebotes in der Gesundheitsversorgung feststellbar. Eine Reduktion der Kosten scheint daher nur über Wettbewerbseffekte und Effizienzsteigerungen möglich. Der Ansatz, zunächst die Einnahmeseite zu reformieren, ist daher sinnvoll und nachvollziehbar.
Dieser Weg scheint in der Schweiz sehr gut gelungen zu sein, ist aber nur vor dem Hintergrund der Besonderheiten in der Akzeptanz von Eigenverantwortung und eigener Vorsorge der Bevölkerung zu verstehen. Ein ähnlich drastisches Modell der Finanzierung wäre in den Niederlanden kaum vorstellbar, spielt doch dort die soziale Vorsorge von Seiten des Staates traditionell eine wesentlich größere Rolle. In den USA spiegelt sich die soziale Schichtung der Bevölkerung in der Reaktion auf die Gesundheitsreform wider: Während einem Teil der Bevölkerung, die traditionell an Eigenverantwortung gewöhnt ist, die Reform viel zu weit geht, ist sie für einen anderen Teil ein erheblicher Fortschritt in der sozialen Sicherung. Da die Reform noch sehr jung ist und die Umsetzung der Entscheidungen kaum abgeschlossen ist, bleibt abzuwarten, welche Auswirkungen sie haben wird und ob sie schließlich positiv zu bilanzieren ist.
Auch wenn vor dem Hintergrund nationaler Besonderheiten Vergleiche eher schwierig erscheinen, können gleichwohl einzelne Elemente der jeweiligen Reformen durchaus auch für die Reform des Gesundheitssystems in Deutschland von Bedeutung sein. So stärken Wettbewerbselemente die Eigenverantwortung und können dazu beitragen, dem Problem des sogenannten moral hazard zu begegnen. Kostentransparenz und Selbstbehalte sind wichtige Bausteine dieser Elemente. Um die Beiträge möglichst gering zu halten, werden die Versicherten Angebote und Preise vergleichen, sich gleichzeitig aber auch gesundheitsbewusster verhalten. Denn da die Höhe der Prämien wesentlich vom Risiko einer Erkrankung abhängt, sind sie daran interessiert, ihr individuelles Risiko möglichst zu minimieren. Ein wenig gesundheitsbewusstes Verhalten hätte unmittelbare Konsequenzen für die Höhe der Prämie und damit für die Leistung der Versicherten. Dieses scheinbar egoistische Interesse wiederum führt langfristig zu einem Wettbewerb, der für alle Versicherten die Prämie reduzieren kann.