Mindestens 20 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen, ihre Eltern oder Großeltern haben Migrationserfahrung. Welche politischen Konsequenzen diese gesellschaftliche Realität nach sich zieht, ist strittig. Es wird um die Definitionshoheit über Begriffe wie Integration, Gesellschaft und "Deutschsein" gerungen. Zeitweilig in rassistische Reflexe umschlagenden Ängsten vor "Überfremdung" und "fremden Kulturkreisen" stehen emotionale Verletztheit und Wut ob der Nichtanerkennung der eigenen Identität und Persönlichkeit gegenüber.
Was sind die Maßstäbe für eine erfolgreiche "Integration"? Ist es die Sprache? Wohl nur zum Teil, denn auch Menschen, die bestens Deutsch sprechen, gelten oft als nicht zugehörig. Ist es die Arbeit? Ebenfalls nur zum Teil, denn auch ein Arbeitsplatz ist keine Garantie gegen Diskriminierung. Sind es der Lebensstil und die Werteeinstellungen? Auch nur zum Teil, denn auch innerhalb der "alteingesessenen" Gesellschaft gibt es höchst unterschiedliche Lebensstile und Werteparadigmen. Deutlich wird, dass das Fehlen von Bezugsgrößen für die nationale Identität Raum für Imaginationen öffnet, oft mit der Folge, dass eine nicht näher definierte "Kultur" zum Referenzrahmen wird, der beliebig interpretierbar ist.
Zukunftsweisend ist nicht die Frage, wie homogen eine Gesellschaft sein muss, sondern, wie sich die gesellschaftliche Heterogenität in Institutionen und politischen Machtverhältnissen widerspiegeln kann. Das setzt neben der Bereitschaft, sich mit Deutschland zu identifizieren, auch die Aufnahmebereitschaft der Mehrheitsgesellschaft voraus. Es geht um eine "interkulturelle Öffnung der Gesellschaft" und einen "Umbau staatlicher Institutionen" (Mark Terkessidis), um die Anerkennung der Pluralität der Lebensstile und um die gleichberechtigte Teilhabe aller am Gemeinwesen. Es gilt, unsere Gesellschaft immer wieder neu zu denken.