Einleitung
Könnte man den Zustand politischer Beziehungen verlässlich anhand von Fotos beurteilen, welche die beteiligten Entscheidungsträger gemeinsam zeigen, man würde kaum auf den Gedanken kommen, die special relationship zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich in Frage zu stellen. Traute Eintracht scheinen die Bilder aus diesem Jahr zu demonstrieren, die den amerikanischen Präsidenten Barack Obama und den neu gewählten britischen Premierminister David Cameron beim Spaziergang durch den Garten des Weißen Hauses zeigen, die Sakkos jeweils lässig über die Schultern gehängt. Die persönliche und politische Nähe, die zwischen zahlreichen Präsidenten und Premierministern herrschte, nicht zuletzt zwischen Obamas Amtsvorgänger George W. Bush und Tony Blair, scheint ungebrochen. Doch die Suggestivkraft der Bilder vermag nicht zu überzeugen. Hinter den Kulissen brodelt es geradezu, und über die Zukunft der special relationship wird heftig spekuliert.
Beide Amtsinhaber stehen für eine pragmatische Sicht auf die bilateralen Beziehungen. Bereits Camerons Amtsvorgänger Gordon Brown hatte diesen neuen Umgang zu spüren bekommen; statt privilegiertem Zugang zum Weißen Haus hatte es nur zum viel zitierten "Küchengipfel" gereicht - ein Gespräch unter vier Augen beim Gang durch die Küche der Vereinten Nationen in New York. Jenseits der tagespolitischen Ereignisse, zu denen auch der Streit um die Verantwortung (und damit für die entstehenden Kosten) für die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko und die Entrüstung der USA im Hinblick auf die Freilassung des angeblich todkranken Lockerbie-Attentäters Abdel Basset Ali al-Megrahi gehören, sind es primär die sich abzeichnenden strukturellen Machtverschiebungen im internationalen System ebenso wie die langfristige Veränderung der demografischen Basis in den USA, welche die größten Herausforderungen für die bilateralen Beziehungen der beiden Staaten sind. Der "Aufstieg der Anderen"
Während auf außenpolitischer Ebene gegenwärtig unzweifelhaft eine Neuausrichtung der britischen Politik stattfindet, die auf genuin britischen Interessen und nicht mehr auf einer zwingend zu erhaltenden Nähe zu Washington aufbaut, spricht für den Bereich der Sicherheitspolitik bisher wenig dafür, dass man diesen Richtungswechsel umsetzen wird. Vielmehr ist zu erwarten, dass die unvermeidlichen Sparmaßnahmen primär jene Bereiche betreffen werden, welche für die Substanz der special relationship von nachrangiger Bedeutung sind.
Vergangenheit: Höhen und Tiefen
Als Winston Churchill im Jahr 1946 den Begriff der special relationship aus der Taufe hob - in derselben Rede, in der er das Bild vom Eisernen Vorhang prägte, der in Europa niedergegangen sei -, listete er eine Reihe von Faktoren auf, welche diese enge transatlantische Bindung hervorgebracht hatten: Neben Freundschaft und wechselseitigem Verständnis, die seiner Ansicht nach eine Art Brüderlichkeit zwischen den beiden Nationen begründeten, betonte der nur im zeitweiligen Ruhestand befindliche britische Premierminister darüber hinaus die Bedeutung der Kriegskoalition zwischen den USA und Großbritannien.
So hat bereits George Bernard Shaw betont, dass die beiden Völker durch die gemeinsame Sprache eher voneinander getrennt denn miteinander verbunden seien.
Unzweifelhaft wirkte die Kriegskoalition als Katalysator für eine Intensivierung der Beziehungen - und das nicht nur auf der Ebene der politischen und militärischen Entscheidungsträger. Vielmehr wurden, wie Eric Edelman hervorgehoben hat, durch die Stationierung riesiger amerikanischer Truppenkontingente auch das gegenseitige Verständnis verbessert und der interkulturelle Austausch auf breiter Ebene gefördert - nicht zuletzt durch die große Zahl britisch-amerikanischer Ehen, die aus dem Krieg hervorgingen.
Im Bereich der Nuklearrüstung wurde 1958 das US-UK Mutual Defence Agreement abgeschlossen, welches 2004 um zehn Jahre verlängert wurde. Nach der engen Kooperation bei der Entwicklung der Atombombe während der Kriegszeit verhängte der US-Kongress im so genannten McMahon-Act von 1946 zunächst ein Verbot der Proliferation nuklearer Technologie; die USA wollten das Monopol auf den Besitz der "absoluten Waffe"
Jenseits dieser eindrucksvollen und in ihrer Qualität tatsächlich besonderen Vereinbarungen hat es jedoch auch während des Kalten Krieges zahlreiche Dissonanzen und handfeste Konflikte zwischen beiden Staaten gegeben. So wurde der britischen Regierung in der Suezkrise nachdrücklich und schmerzhaft bewusst gemacht, dass die Zeiten britischer Weltmacht vorbei waren: Als Großbritannien zusammen mit Frankreich und in Abstimmung mit Israel versuchte, sich die Kontrolle über den Suezkanal, den der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser verstaatlichen wollte, durch eine militärische Intervention zu sichern, zwang amerikanischer Druck sie zu einem demütigenden Rückzug. In der Konfrontation der Supermächte war Eisenhower die Vermeidung einer sowjetischen Einmischung und damit der Eskalation des Konflikts wichtiger als die Unterstützung der als neoimperial betrachteten Ambitionen der alten Kolonialmächte. Eisenhower drohte der Regierung Eden mit massiven finanzpolitischen Konsequenzen, etwa der Veräußerung amerikanischer Pfundreserven, welche die britische Währung und damit die hoch verschuldete Wirtschaft in eine massive Krise getrieben hätten.
Gegenwart: Kontinuität und Wandel
Auf den ersten Blick erscheint es paradox, dass Großbritannien gegenwärtig selbst dazu beiträgt, die Distanz zu Washington zu vergrößern. Nicht nur Premierminister Cameron hat die vermeintliche britische Obsession in Bezug auf die special relationship kritisiert und für eine weniger emotionale Sichtweise plädiert.
Damit zeichnet sich eine konzeptionelle Neuausrichtung britischer Außenpolitik ab, die sich primär an genuin britischen (Sicherheits-)Interessen ausrichtet. Die USA bleiben in dieser Sichtweise zwar ein zentraler Verbündeter, allerdings ist die britische Regierung nicht länger bestrebt, durch eine Politik des prinzipiellen bandwagoning international Einfluss und Gestaltungsmacht auszuüben. Die mehr oder minder bedingungslose Gefolgschaft gegenüber den USA hat eher dazu geführt, dass Großbritannien das Image des amerikanischen "Pudels" angeheftet wurde, anstatt dass es London erlaubt werde "to punch above its weight". Stattdessen ist die neue Regierung bestrebt, eine Außenpolitik zu entwickeln, die den veränderten Bedingungen einer networked world Rechnung trägt und sich stärker als bisher darum bemüht, Beziehungen zu den emerging centres zu intensivieren.
Diese sich andeutende Neuorientierung fußt zum einen auf den Erfahrungen, welche die Briten mit der special relationship während der Regierungszeit von New Labour gemacht haben. Zum anderen spielen die gravierenden finanzpolitischen Zwänge eine entscheidende Rolle, denen sich die konservativ-liberaldemokratische Regierung in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise gegenüber sieht. Darüber hinaus hat das britische Engagement an der Seite der USA im Irak und in Afghanistan den Entscheidungsträgern in London klar vor Augen geführt, wie begrenzt die Rolle des Vereinigten Königreichs in der special relationship noch ist. So wird heute die Absicht Blairs als weitgehend gescheitert angesehen, durch das militärische Engagement in Afghanistan und im Irak Einfluss auf die Entscheidungen der US-Regierung zu nehmen. Zudem hat die Performance der britischen Truppen in beiden Konflikten verdeutlicht, dass deren Fähigkeiten schon allein aufgrund mangelnder Ressourcen kaum ausreichen, die USA mittelfristig wirklich zu entlasten: Wiesen britische Militärs und Kommentatoren 2003/04 noch auf die angebliche britische Überlegenheit gegenüber den Amerikanern bei der Befriedung ihres Sektors im Irak (Basra) hin, so führte die Intensivierung des Widerstands sowohl im Irak als auch in Afghanistan dazu, dass der britische Besatzungsbereich schrittweise verkleinert oder durch US-Truppen unterstützt werden musste. Die Truppenstärke der Briten war einfach zu gering, um trotz der vermeintlichen größeren Erfahrung mit "kleinen Kriegen" und der Terrorismusbekämpfung (Kolonien, Nordirland) die Kontrolle über die Gebiete aufrechtzuerhalten.
Tatsächlich wird sich die militärische Projektions- und Unterstützungsfähigkeit der britischen Streitkräfte in den nächsten Jahren aufgrund der Sparmaßnamen der Cameron-Regierung deutlich verringern. Die am 20. Oktober 2010 veröffentlichte Haushalts- und Streitkräfteplanung, niedergelegt in der Strategic Defence and Security Review (SDR)
Die nukleare Abschreckungskomponente wird ebenfalls reduziert. Zwar wird über die Beschaffung von drei oder vier neuen U-Booten mit modernisierten Trident-Raketen erst 2016 entschieden, und die Dienstzeiten für die bestehenden werden bis 2020 verlängert. Aber bereits jetzt plant die Regierung, die Zahl der Raketen und Sprengköpfe je U-Boot zu reduzieren. Insgesamt soll das britische Nuklearpotenzial von rund 160 auf maximal 120 einsatzfähige Sprengköpfe (maximal 180 insgesamt) reduziert werden. Zwar beabsichtigt die Regierung, weiterhin global einsetzbare und hoch mobile Streitkräfte zu unterhalten. So sollen sukzessive sieben bereits geplante, nuklear angetriebene Jagd-U-Boote vom Typ Astute beschafft werden. Die Armee soll mit modernem Gerät für überseeische Interventionseinsätze, etwa gepanzerten Fahrzeugen und leichter Raketenartillerie, ausgestattet werden; außerdem sollen die Spezialkräfte ausgebaut und bestehende Verbände schwerpunktmäßig in fünf multi-role-Brigaden sowie eine Luftlandebrigade umstrukturiert werden. Die Luftwaffe soll zukünftig auf Joint Strike Fighters und Eurofighter (Typhoon) zurückgreifen können, ebenso in steigendem Umfang auf Drohnen, Helikopter und Airbus-Transportflugzeuge. All dies soll aufgrund des Sparzwangs jedoch in geringerem Umfang erfolgen als geplant: So werden die Streitkräfte bis 2015 um 17.000 Mann auf insgesamt rund 158.000 Mann reduziert; die für überseeische Interventionen verfügbaren Truppen werden auf 30.000 verringert (gegenüber 45.000, die noch 2003 an der Irak-Invasion beteiligt waren). Ab 2020 plant das Verteidigungsministerium (MoD) mit einer Militärstärke von rund 155.000 Mann.
Dabei liegt diesen Kürzungen neben den finanzpolitischen Zwängen - 2009 verzeichnete der britische Staatshaushalt ein Defizit von elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP), für 2010 werden etwa zehn Prozent erwartet - auch eine Neubewertung der britischen Sicherheitslage zugrunde. Mit der einen Tag vor der SDR vorgelegten neuen National Security Strategy (NSS) unternimmt die Regierung zum ersten Mal seit 1998 den Versuch einer grundlegenden verteidigungspolitischen (Neu-)Orientierung.
Ausblick: Notwendiger Pragmatismus
Man muss der neuen britischen Regierung zu Gute halten, dass sie unter dem Druck budgetärer Restriktionen den Versuch unternimmt, die Sicherheitspolitik rationaler und realistischer auszurichten, als dies in der Vergangenheit vielfach der Fall war. Patrick Porter hat der britischen Sicherheitspolitik unlängst einen fundamentalen Mangel an strategischem Denken vorgeworfen: Es werde kaum systematisch versucht, britische Ziele und Interessen in Übereinstimmung mit bestimmten Fähigkeiten zu bringen, um die artikulierten Ziele auch tatsächlich erreichen zu können. Porter führt dies unter anderem auf das Fehlen eines eindeutigen Bedrohungs- oder Feindbildes, mangelnde Beschäftigung mit strategischem Denken an sich, Ignoranz gegenüber geopolitischen Grundbedingungen zugunsten groß angelegter globaler Konzepte sowie die faktische Übernahme strategischer Perspektiven der USA zurück.
Trotz aller Kritik, etwa an der hektisch anmutenden Erarbeitung von NSS und SDR, wird in beiden Dokumenten versucht, aus der finanzpolitischen Not heraus die sicherheitspolitische Situation Großbritanniens und die daraus resultierenden politischen und militärischen Konsequenzen methodisch und genuin strategisch zu erfassen und darauf aufbauend zu planen. Obwohl die special relationship auch in diesen Grundlagenpapieren der Cameron-Regierung noch immer prioritär genannt wird und in der NSS von einer "key alliance", in der SDR von einer "pre-eminent defence and security relationship" die Rede ist, werden auch andere internationale Akteure und Allianzen zunehmend gewürdigt. Dies gilt für die NATO als "bedrock of our defence" ebenso wie für eine "effective and reformed" UNO und eine "outward-facing European Union that promotes security and prosperity".
Besonders unterstrichen wird die Kooperation mit Frankreich als zentralem strategischen Partner, der sich in einer vergleichbaren Position im internationalen System befinde. So sollen mit Frankreich gemeinsame Rüstungsprogramme vorangetrieben, eine gemeinsame Militärdoktrin entwickelt und die Verteidigungsplanungen beider Staaten aufeinander abgestimmt werden. Als Hinweis auf die stärkere Hinwendung zu Frankreich kann auch die Absicht gewertet werden, den geplanten neuen Flugzeugträger nicht nur für amerikanische, sondern auch für französische Kampfflugzeuge operationsbereit zu machen. Führt man sich darüber hinaus vor Augen, dass Großbritannien und Frankreich die Initiatoren und treibenden Kräfte der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik waren und sind,
Das Erbe der Finanzkrise und die Erfahrungen mit der engen Anlehnung an die USA unter New Labour ermöglichen der britischen Regierung und Öffentlichkeit einen illusionslosen Blick auf die special relationship, die trotz der bleibenden Bedeutung des transatlantischen Verhältnisses ihre ideelle Überhöhung und Unantastbarkeit für die Außen- und Sicherheitspolitik längst verloren hat. Trotz des weiterbestehenden, grundsätzlich globalen Bedeutungsanspruchs befindet sich das Vereinte Königreich unter der Führung David Camerons und Nick Cleggs in seiner Selbstwahrnehmung und seinem Aktionsradius auf dem Weg der "Normalisierung" hin zu einer europäischen Mittelmacht.
Für Großbritannien deutet sich damit eine neue sicherheitspolitische Rolle an, die ironischerweise bereits Tony Blair angestrebt hatte,