Einleitung
Deutschland hat seine Friedens- und Sicherheitsstrategie in den letzten Jahrzehnten grundlegend verändert. In dem Maße, wie Deutschland zum internationalen Akteur wurde, ist das Bild vom Bürger in Uniform auch in der öffentlichen Präsentation dem des Kämpfers gewichen, ergänzt durch den Cyberkrieger, wie die aktuelle Kriegsführung der USA mit Drohnen zeigt. Zwar beteuern führende PolitikerInnen weiterhin das Primat ziviler Konfliktlösungen und Krisenprävention. Doch faktisch wurden diese Konzepte in den Hintergrund gedrängt. Die Außen- und Sicherheitspolitik ist militarisiert worden. Begründet wird diese Entwicklung mit veränderten Bedrohungen in der globalisierten Welt wie internationaler Terrorismus und die mögliche Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Auch knapper werdende Ressourcen, regionale Konflikte, instabile Staaten, Armut und Klimawandel gelten als globale Sicherheitsgefährdungen. Weitgehend ausgeblendet werden in politischen und wissenschaftlichen Fachkreisen dagegen zwei weitere Faktoren, die für eine nachhaltige Sicherheits- und Friedenspolitik unverzichtbar sind: die Bedeutung von Frauen für Friedenslösungen und der Stellenwert der Geschlechterverhältnisse in Gesellschaften für die Dynamiken von Krisen und bewaffneten Konflikten.
Das Engagement von Frauen gegen Krieg, gegen Frauen- und andere Menschenrechtsverletzungen und für die Aussöhnung der jeweiligen Konfliktparteien trägt wesentlich zu Krisenprävention und Konfliktlösung, zur Konsolidierung zerstörter Gesellschaften und zur Entwicklung demokratischer Verhältnisse bei. Jedoch werden sie im Mainstream von Politik und Wissenschaft kaum anerkannt. Zwar entscheiden in Parlamenten und Regierungen inzwischen auch Frauen über Sicherheitsstrategien und Militärinterventionen mit. Doch trotz allen Proklamationen der Gleichberechtigung der Geschlechter werden die Institutionen der Konfliktaustragung von Männern dominiert. Fast überall sitzen sie in den Schlüsselpositionen und geben die Strukturen, den Orientierungsrahmen und die Bewertungsmaßstäbe vor.
Das gilt für die Vereinten Nationen (VN), den VN-Sicherheitsrat, die VN-Missionen und für Friedens- und Nachkriegsverhandlungen, aber erst recht für die klassischen Institutionen der Konfliktaustragung wie Streitkräfte, (para-)militärische Verbände oder Milizen. Dort werde laut dem Soziologen Rolf Pohl noch heute eine Männlichkeit sozialisiert, zu der Gewalt, Unterordnung und die Preisgabe selbstverantwortlichen Handelns gehörten: "Pflicht, Treue, Tapferkeit, Kameradschaft, eine aggressive Kampfbereitschaft, Härte und Opferbereitschaft gehören zu den klassischen Merkmalen einer soldatischen, kriegerischen Männlichkeit und müssen in der militärischen Sozialisation gleichsam in den Körper und die Seele des Soldaten eingeschrieben werden."
Nach einer Studie des United Nations Development Fund for Women (UNIFEM) aus dem Jahr 2009 waren beispielsweise in 22 Friedensprozessen seit 1992 nur 7,5 Prozent der VerhandlerInnen, 2 Prozent der VermittlerInnen und nicht einmal 3 Prozent der Unterzeichnenden Frauen.
Entscheidungen mit dramatischen Auswirkungen
Politische Entscheidungsträger, aber auch Friedens- und Konfliktforscher schieben oft fehlende Qualifikation oder Verfügbarkeit von Frauen als Erklärung für deren Ausschluss vor. Dies ist irrational, zumal seit Jahrzehnten viele Frauen qualifiziert in dem Themenfeld arbeiten. Dabei haben Entscheidungen vor diesem Hintergrund dramatische Auswirkungen, wie das Beispiel Kosovo zeigt. Bei den Verhandlungen und dem Abkommen zum Status des Kosovo (1999 und 2007) versuchte das Kosova Women's Network vergeblich, seine ethnienübergreifenden Ansätze der Konfliktbeilegung einzubringen. Auch die im Jahr 2000 auf Betreiben des VN-Sondergesandten Bernhard Kouchner gebildete Übergangsregierung blieb trotz Bemühungen von Hilfsorganisationen vor Ort eine reine "Männertruppe", bis sich eine OSZE-Mitarbeiterin an den damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan wandte. Daraufhin wurde zwar eine Frau in den Übergangsregierungsrat aufgenommen - doch die OSZE-Mitarbeiterin wurde entlassen. Ihr Einsatz für Frauenrechte erschien wohl zu übereifrig.
Ein weiteres Beispiel sind die Camp David Verhandlungen im Jahr 2000 zur Regelung des Nahost-Konflikts, wo israelische und palästinensische Friedensaktivistinnen wie die Coalition of Women for Peace, die bereits lange vor offiziellen Verhandlungsinitiativen miteinander Bedingungen zur Aussöhnung entwickelt hatten, trotz aller Bemühungen und internationaler Unterstützung außen vor blieben. "Wenn wir Frauen auf Camp David gehabt hätten, hätten wir ein Abkommen erreicht", kommentierte der damalige US-Präsident Bill Clinton das Scheitern der Verhandlungen - eine zu späte Einsicht, mit weitreichenden Auswirkungen, wie die Eskalation der Gewalt zwischen beiden Konfliktparteien zeigt.
Geschlechterstereotype
"Frauen kommt eine wichtige Rolle (...) bei der Verhütung und Beilegung von Konflikten und bei der Friedenskonsolidierung zu", ist eine zentrale Aussage der UNIFEM-Studie von 2002.
Umgekehrt hat der systematische Ausschluss von Frauen aus offiziellen Friedensprozessen schädliche Effekte auf die Nachhaltigkeit von Friedensabkommen, da ein "dauerhafter Frieden vielfach wesentlich von einer Einbeziehung und aktiven Beteiligung der Bevölkerung vor Ort am Friedensprozess abhängt", so in einer Entschließung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2000.
Sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel
In bewaffneten Konflikten, aber auch in der Phase des Wiederaufbaus von Nachkriegsgesellschaften sind Frauen und Mädchen durch sexualisierte Gewalt besonders bedroht. Es hat lange gebraucht, bis diese geschlechterbasierte Form der Gewalt als Teil von Kriegsführung öffentlich und politisch anerkannt wurde. Massenvergewaltigungen, gewaltsame Verschleppungen und Versklavung der "Kriegsbeute" sollen die Feinde demütigen und demoralisieren, und die Gewaltbereitschaft der eigenen Kämpfer steigern. Somit ist geschlechtsbezogene Gewalt integraler Bestandteil kriegerischer Auseinandersetzungen mit hohem symbolischen Gehalt. Beispielsweise wurden während des Bürgerkriegs im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er Jahren etwa 20.000 bis 50.000 Frauen vergewaltigt. In den letzten Jahren wurden "epidemische Ausmaße" brutalster sexueller Gewaltverbrechen an Frauen im Kongo öffentlich. Doch die Täter werden nur selten strafrechtlich verfolgt und verurteilt.
Nach neueren Erkenntnissen von KonfliktforscherInnen werden auch Jungen und Männer Opfer dieser massenhaften sexualisierten Gewalt. Sie ist ein besonders tabuisiertes Thema, da sie traditionelle Männlichkeitsbilder unterläuft. Durch Männer als Opfer (nicht nur) sexualisierter Gewalt wird der Mythos von der männlichen Wehrhaftigkeit und Unverletzlichkeit zerstört, umso mehr, wenn diese Gewalt auch wie zum Beispiel in Abu Ghraib durch Frauen ausgeübt wird. Das "Tabu im Tabu" nennt die Sozialwissenschaftlerin Dubravka Zarkov die Vergewaltigungen von Männern, die dazu die Balkankriege erforscht hat. Die Auswirkungen sind besonders verheerend, da sie die Gewaltspirale weiter antreiben. GewaltforscherInnen gehen davon aus, dass männliche Opfer sexualisierter Gewalt besonders anfällig sind, wieder zu Tätern zu werden. Dem zugrunde liegt ein hegemoniales Männlichkeitskonzept, das der "militarisierten Männlichkeit": Demnach gehen Männer, deren traditionelle Identitäten zu zerbrechen drohen, mit Waffengewalt gegen "Feinde" vor, um zu demonstrieren, dass sie "richtige" Männer sind. Doch die Gewalt kann sich auch gegen die eigenen Frauen richten. Oft erleben Frauen nach bewaffneten Konflikten, in der Phase des (Wieder-)Aufbaus demokratischer Strukturen in potenziertem Maße häusliche Gewalt und Vergewaltigung durch die eigenen, zurückgekehrten Männer.
Offensichtlich wird hier die enge Verknüpfung zwischen häuslicher und militärischer Gewalt, aber auch das Versagen einer geschlechterblinden Friedens- und Sicherheitspolitik. Um diesen Gewaltkreislauf zu brechen, sind genderbasierte Strategien der Konfliktbe- und -verarbeitung unerlässlich. Doch sie müssen schon bei der Analyse der Entstehung von Krisen und kriegerischen Konflikten ansetzen. Hier spielen neben anerkannten Faktoren wie Ethnie, Kultur, Religion und Interessenskonflikten die Beziehungen und Dynamiken zwischen den Geschlechtern in einer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Denn die Verschiebung von Geschlechterbeziehungen in einer Gesellschaft und die Gefährdung traditioneller (männlicher) Geschlechteridentitäten kann im Zusammenspiel mit anderen Faktoren das Risiko für bewaffnete Konflikte steigern. Diese Erkenntnisse sind für die Ursachenanalyse, aber auch für die Bearbeitung von Konflikten wichtig. Welche Auswirkungen hat es zum Beispiel, wenn ehemalige Kombattanten etwa in Afghanistan, zu deren Männlichkeitsbild traditionell Waffenbesitz gehört, genötigt werden, ihre Waffen abzugeben, noch dazu unter Aufsicht ausländischer, selbst Waffen tragender Militärs? Oder wenn durch Niederlagen verunsicherte Männer erleben, wie ihre Frauen durch Programme zur Stärkung ihrer Position und Ermächtigung (Empowerment) in ihrer Selbstständigkeit gefördert und selbstbewusster werden? Zu solchen Fragen brauchen wir differenzierte Forschung und politische Handlungskonzepte. Offensichtlich ist: Bisherige Waffenstillstandsabkommen und zivile Konfliktlösungsprogramme greifen zu kurz, wenn sie die möglichen Dynamiken der Geschlechterbeziehungen außer Acht lassen. Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit bleiben auf der Strecke.
Ausschluss von Frauen unter völkerrechtlichen Aspekten
Die Ausgrenzung der Geschlechterdimension ebenso wie der Ausschluss von Frauen ist nicht nur politisch kurzsichtig und ein Verstoß gegen demokratische Prinzipien. Er verstößt auch gegen geltendes Völkerrecht, namentlich gegen die VN-Resolution 1325, die am 31. Oktober 2000 vom VN-Sicherheitsrat verabschiedet wurde. Ihre zentralen Inhalte lassen sich unter den drei "Ps" zusammenfassen: Prävention von bewaffneten Konflikten durch Einbeziehung geschlechterpolitischer Maßnahmen, Partizipation von Frauen in der Friedens- und Sicherheitspolitik, Protektion vor sexualisierter Gewalt in Kriegskontexten. Erstmals erkennt der VN-Sicherheitsrat hier offiziell auch den Stellenwert zivilgesellschaftlicher Frauengruppen für Friedensprozesse an. Inzwischen kam Prosekution hinzu, das heißt die strafrechtliche Verfolgung von TäterInnen von geschlechterbasierten Gewalttaten in Kriegen und bewaffneten Konflikten. Dieses Prinzip in VN-Resolution 1820, die 2008 verabschiedet wurde, richtet sich ausdrücklich gegen sexualisierte Gewalt: "Vergewaltigung und andere Formen sexueller Gewalt [können] ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder eine die Tatbestandsmerkmale des Völkermords erfüllende Handlung darstellen."
Viel Papier und wenige Ergebnisse
Die Umsetzungsbilanzen, die anlässlich des 10. Jahrestages der Verabschiedung der Resolution 1325 Ende Oktober 2010 gezogen wurden, sind außerordentlich dürftig. Viel Papier und wenige Ergebnisse, so könnten sie pauschal zusammen gefasst werden. Selbst Deutschland, ein zunehmend bedeutsamerer Akteur in der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik, verweigert die 2005 vom damaligen VN-Generalsekretär Kofi Annan geforderten Nationalen Aktionspläne zur Umsetzung der Resolution. Er sei überflüssig, da Gender-Mainstreaming, zwei vorliegende Aktionspläne zur zivilen Krisenprävention und zur Gewalt gegen Frauen sowie regelmäßige Umsetzungsberichte zur Resolution ausreichten.