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Drohnenkrieg: Die konsequente Fortsetzung der westlichen Revolution in Military Affairs | Sicherheitspolitik | bpb.de

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Drohnenkrieg: Die konsequente Fortsetzung der westlichen Revolution in Military Affairs

Harald Müller Niklas Schörnig Niklas Schörnig Harald Müller /

/ 16 Minuten zu lesen

Westliche Staaten rüsten ihre Armeen immer häufiger mit modernsten Hightech-Waffensystemen aus. Dabei steht der Wunsch, eigene Verluste zu vermeiden, im Vordergrund. Der Ansatz birgt auch Gefahren, die oft heruntergespielt werden.

Einleitung

Spätestens mit dem Rücktritt von Donald Rumsfeld als Verteidigungsminister der USA im Dezember 2006 schien die vor allem von den USA vorangetriebene Revolution in Military Affairs (RMA), also das Streben nach Hightech-Waffensystemen und die umfassende Vernetzung dieser Waffen mit modernster Informationstechnologie, ihr Ende gefunden zu haben. So sehr sich amerikanische Hochtechnologie in den zwischenstaatlichen Kriegen gegen den Irak, Serbien und Afghanistan aus militärischer Sicht bewährt hatte, so wenig schienen die neuartigen Waffensysteme für asymmetrische Guerilla-Kriege geeignet. Boots on the ground, also Bodentruppen schienen die Lösung zu sein, mit der westliche Staaten die Situation im Irak und in Afghanistan wieder unter Kontrolle bekommen wollten, das Streben nach umfassenden Hightech-Armeen schien für die neuen asymmetrischen Szenarien der vermeintlichen Nachkriegszeit nicht geeignet. Allerdings zeigt sich aktuell, dass sich zentrale Elemente der RMA und der Gedanke einer über Informationstechniken (IT) vernetzten Kriegsführung inzwischen vom zwischenstaatlichen Szenario emanzipiert haben. Sie werden auch für die Aufstandsbekämpfung (counter insurgency) oder die Terroristenjagd als zentrale Erfolgsrezepte angesehen. Mit dem rasant ansteigenden Einsatz zunehmend auch bewaffneter Drohnen (unmanned combat aerial vehicles, UCAV) auf den Schlachtfeldern des Irak, Afghanistans und zunehmend auch Pakistans kommen nämlich Systeme zum Einsatz, welche die Grundgedanken der Revolution in Military Affairs in ganz besonderer Weise in sich vereinen und als idealtypische Waffen des militärischen Transformationsgedankens zählen können. RMA und die Transformation westlicher Streitkräfte hin zu Hightech-Armeen sind in den Köpfen militärischer Planer also mitnichten überholt. Entsprechend kommen beim Streben nach und dem Einsatz von U(C)AVs zumindest in westlichen Staaten die gleichen Motive zum Ausdruck, die auch als wichtige Antriebskräfte hinter der RMA standen: das politisch motivierte Streben, Militäreinsätze durchzuführen, bei denen die eigenen Truppen einer so geringen Gefahr wie möglich ausgesetzt werden.


Damit ist die RMA im gesamten Spektrum militärischer Aufgaben im 21. Jahrhundert angekommen und das westliche Streben nach militärischer technologischer Überlegenheit wird fortgesetzt. Im Windschatten dieser Entwicklung müssen aber in verschärftem Maße Risiken und Gefahren thematisiert werden, die schon mit der RMA assoziiert wurden und sich durch die jüngsten Entwicklungen nochmals verschärfen.

Revolution in Military Affairs der westlichen Hightech-Krieger

Seit dem Ende des Kalten Krieges, spätestens aber seit den militärischen Erfolgen der technologisch hochgerüsteten US-Streitkräfte während des Golfkrieges 1991, war das Schlagwort der "militärischen Transformation" beziehungsweise der Revolution in Military Affairs in aller Munde. Während in Deutschland unter dem Begriff Transformation oft der immer noch andauernde Umbau der Bundeswehr zu einer "Armee im Einsatz" verstanden wird, bedeutet er für die meisten anderen Staaten die Ausrichtung ihrer Streitkräfte am amerikanischen Vorbild einer vernetzten Hightech-Armee. Die Veränderungen, die sich durch neue Technologien, daran angepasste Strategien, entsprechende Organisation und Training der Streitkräfte ergaben, wurden schnell mit dem Begriff der "Revolution" belegt.

Die Ursprünge der aktuellen RMA gehen noch auf die Zeit des Kalten Krieges zurück, als der Westen versuchte, den quantitativ überlegenen Truppen des Warschauer Paktes mit qualitativ überlegener Technologie entgegenzutreten. Allerdings hat die RMA seitdem eine eigene Dynamik entwickelt. Legt man den Fokus auf die technologischen Entwicklungen innerhalb der RMA, so treten vier Elemente hervor:

  • Der Schutz eigener Einheiten vor feindlicher Entdeckung. Bekannt sind hier vor allem "Tarnkappenbomber" mit der "Unsichtbarkeit" für Radar (stealth), wobei zunehmend ein multispektraler Schutz gegen jedwede Ortung (optisch, Wärme) erzielt werden soll.



  • Die optimierte Aufklärung. Mittels Satelliten, unbemannten Aufklärungsdrohnen und immer leistungsfähigeren Sensoren ist es möglich, hochwertige Ziele präzise aufzuklären und ein immer genaueres und zeitnäheres Lagebild zu erhalten.



  • Präzision. Seit den 1970er Jahren geht die Entwicklung hin zu immer genaueren Sprengkörpern und Raketen. Besondere Fortschritte in der Zielgenauigkeit wurden mit der Einführung von Laser- und GPS-geleiteten Präzisionsbomben erzielt.



  • Die Vernetzung dieser Elemente in einem "System der Systeme", innerhalb dessen der kontinuierliche Datenaustausch zwischen allen Einheiten ein zeitnahes und vor allem einheitliches Lagebild ermöglicht. Dies ist das zentrale Element der RMA. Die umfangreichen Fortschritte im Bereich der Kommunikations- und Informationselektronik der letzten Jahre ermöglichen wesentlich schnellere Aktions- und Reaktionszeiten und ein bislang unbekanntes Maß an Koordination im militärischen Vorgehen. So erzeugt die RMA - zumindest in der Theorie - eine Multiplikation der Wirkung weit über die Summe der Fähigkeiten der einzelnen Elemente hinaus. Das wohl bedeutendste Beispiel ist, dass sich die Zeitspanne zwischen Aufklärung eines Ziels und seiner Bekämpfung - die so genannte sensor-to-shooter gap - von Tagen und Stunden inzwischen auf wenige Minuten reduziert hat.

In amerikanischen Strategiepapieren werden als primäres Ziel der RMA immer wieder fast and decisive victories genannt. Der Golfkrieg 1991, der Kosovo-Krieg 1999, der Afghanistankrieg 2001 und der Irakkrieg 2003 haben bewiesen, dass westliche Armeen, mit den USA an der Spitze, den Anspruch schneller und entscheidender Siege im klassischen zwischenstaatlichen Krieg zumindest gegenüber Staaten erzielen können, die nicht über ähnlich fortschrittliche Technologie verfügen.

Was aus heutiger Sicht ganz natürlich erscheint, nämlich die besondere technologische Überlegenheit des Westens gegenüber fast allen nichtwestlichen Staaten, ist aber keine Selbstverständlichkeit. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hätte angesichts der deutlich gesunkenen Bedrohung die Chance bestanden, die Forschung und Entwicklung neuer Waffensysteme drastisch zu reduzieren und stattdessen eine umfangreiche Friedensdividende zu realisieren. Gerade in den USA entschied man sich aber dafür, zwar nicht die Beschaffung, doch zumindest die Forschung und Entwicklung auf konstant hohem Niveau zu halten und den technologischen Vorsprung nicht nur ins neue Jahrtausend mitzunehmen, sondern sogar noch auszubauen. Hierbei spielten neue militärische Einsatzszenarien und deren Rückhalt in der Bevölkerung eine wichtige Rolle.

Kriege der Wahl und der "neue westliche Weg der Kriegsführung"

Bis zum Fall der Mauer galt für die NATO ein aufgezwungener, mit der Erwartung extrem vieler militärischer und ziviler Opfer verbundener Verteidigungskrieg gegen den Warschauer Pakt als wahrscheinlichstes militärisches Einsatzszenario. Nach 1990 wandelten sich die Militäreinsätze des Westens weitgehend zu "Kriegen der Wahl". Solche wars of choice sind beispielsweise die Verteidigung des Völkerrechts (Golfkrieg 1991), humanitäre Interventionen (Somalia 1993, Kosovo 1999) oder auch gewaltsame Demokratisierung (Irak 2003).

Im Gegensatz zum Verteidigungskrieg sind diese Kriege innergesellschaftlich wesentlich stärker umstritten, die möglichen politischen Kosten einer Beteiligung sind hoch. Denn die Forschung hat gezeigt, dass die Bevölkerungen westlicher Staaten (speziell der USA) deutlich sensibler auf eigene Verluste reagieren, wenn es sich weder um Verteidigungskriege handelt noch ein klarer Bezug zum nationalen Interesse gegeben ist und ferner eigenen Verlusten dann eine besonders große Bedeutung zukommt, wenn das ursprünglich verkündete Missionsziel nicht im angekündigten Zeitraum erfüllt wird. Westliche Öffentlichkeiten schauen also immer kritischer darauf, wofür die eigenen Soldaten ihr Leben riskieren.

In Weltordnungskriegen und humanitären Interventionen ist die Bereitschaft, eigene Opfer hinzunehmen, entsprechend gering. Für die politischen Entscheidungsträger bedeuten eigene Verluste deshalb immer die Gefahr, dass die öffentliche Meinung bezüglich einer militärischen Mission kippt und die Regierung so unter politischen Druck gerät. Hinzu kommt, dass angesichts weltweit agierender Massenmedien gerade der Westen bei der Kriegsführung militärischen Erfordernissen nicht einfach nachgeben kann, da er den eigenen moralischen Ansprüchen gerecht werden muss. Dies drückt sich in einer ansteigenden öffentlichen Sorge um zivile Opfer - oftmals verharmlosend als "Kollateralschäden" bezeichnet - aus. Allerdings deuten aktuelle Studien darauf hin, dass für die Befürworter von Militäreinsätzen immer noch eine deutliche Normenhierarchie besteht, die den Schutz der eigenen Soldaten über den von Zivilisten stellt. Amerikanische Militärs sprechen inzwischen sogar davon, dass der Schutz der eigenen Soldaten ein eigenständiges und dem eigentlichen Missionsziel gleichgestelltes Ziel darstelle. Überspitzt formuliert: Nur wenn der Schutz der eigenen Truppen gewährleistet werden kann, können andere Ziele wie beispielsweise die Verhinderung eines Genozids in Angriff genommen werden.

Allerdings zeigt sich, dass die Vernachlässigung ziviler Opfer zugunsten der eigenen Soldaten nicht nur moralisch problematisch ist, sondern auch zu einer verstärkten Mobilisierung für die Aufständischen führt. Es sei hier an den 2009 unter US-General Stanley Allen McChrystal durchgeführten Kurswechsel in Afghanistan erinnert, der aus diesen Gründen erstmals seit 2002 mehr Wert auf den Schutz von Zivilisten unter Inkaufnahme eigenen Risikos legte - und von vielen Alliierten bestenfalls verhalten begrüßt wurde.

Die Zielsetzung und Umsetzung militärischer Missionen haben sich nach dem Ende des Kalten Krieges also stark verändert. Entsprechend argumentiert der britische Politologe Martin Shaw, der liberale Westen sei seit dem Ende des Kalten Krieges gezwungen, einen "neuen westlichen Weg der Kriegsführung", den eines "Risikotransferkrieges", einzuschlagen, in dem möglichst viele Risiken abgewälzt oder vermieden würden. So ist es denkbar, gefährliche Kampfhandlungen von einer dritten Partei durchführen zu lassen und sich selbst auf Unterstützungsleistungen zu beschränken. Diese dritte Partei können lokale Gruppen (wie die Nordallianz in Afghanistan) oder private Sicherheitsanbieter (PSAs) sein, also private Firmen, die regulären Armeen Personal mit militärischem Hintergrund als "Leiharbeiter" zur Verfügung stellen. Die vom Westen bevorzugte Alternative bringt aber die RMA ins Spiel und setzt dabei auf Technologien, um die eigenen Kämpfer vom Schlachtfeld zu distanzieren, deren Sichtbarkeit (und damit Verwundbarkeit) zu minimieren oder sie gar ganz durch Technologie zu ersetzen. Spielt eine RMA-Armee ihre technologische Überlegenheit konsequent aus, können selbst relativ stark eingeschätzte, aber nicht über die letzte Generation von Waffen verfügende Gegner wie der Irak die eigenen Armeen praktisch nicht mehr gefährden. Hatten 1991 noch 148 amerikanische Soldaten ihr Leben im überwiegend aus der Luft geführten Golfkrieg verloren, so waren es 2003 bis zur Einnahme von Bagdad nur 138, obwohl der Kriegsverlauf durch umfangreiche Bodenoperationen grundsätzlich erheblich gefährlicher geworden war. Entsprechend verspricht eine RMA-Armee einen "Krieg ohne Blutvergießen" - zumindest für die eigenen Soldaten.

Allerdings zeigte die Zeit nach der Besetzung des Irak und der Eroberung Afghanistans, dass zwar der eigentliche, klassische Krieg vom Westen inzwischen mit sehr wenigen eigenen Opfern geführt werden kann, moderne Kampfflugzeuge und GPS-gestützte Präzisionsbomben aber nur bedingt für die Zeit nach einem Krieg geeignet sind, wenn sich die Gegenseite auf Guerilla-Kriegsführung und Terror verlegt. Die größte Bedrohung alliierter Truppen in Afghanistan und im Irak sind inzwischen improvisierte Bomben am Straßenrand (so genannte IEDs oder improvised explosive devices), die gegen vorbeifahrende Konvois oder Patrouillen eingesetzt werden. Inzwischen haben über 6800 westliche Soldatinnen und Soldaten in beiden Ländern ihr Leben gelassen, davon 4700 im Irak - über die Zahl der getöteten Zivilisten liegen bestenfalls Schätzungen vor, die der getöteten Aufständischen ist unbekannt. Rückblickend wirkt es geradezu erschreckend naiv, dass Präsident George W. Bush am 1. Mai 2003 an Bord des Flugzeugträgers Abraham Lincoln vor dem Schriftzug mission accomplished das Ende der Kampfhandlungen im Irak verkündete. Aus dieser Sicht scheint die Hightech-Transformation nach dem Ost-West-Konflikt an den aktuellen Ansprüchen vorbeizugehen und eine Abkehr von technologischer Überlegenheit hin zu klassischen boots on the ground notwendig. Die militärischen Trends sehen aber anders aus.

Der neue Drohnenkrieg

1998 kam der britische Militärexperte Lawrence Freedman zu dem Schluss, cruise missiles seien die paradigmatischen Waffen der Revolution in Military Affairs, da sie von einer Vielzahl an Plattformen mit hoher Präzision abgeschossen werden könnten und so nur geringe Kollateralschäden verursachen würden. Aus heutiger Sicht scheint ein anderes Waffensystem in noch viel besserer Weise geeignet, diesen Platz einzunehmen: bewaffnete Drohnen. Auch bei diesen Systemen führt der Westen die technologische Entwicklung mit Abstand an. Unter den inzwischen mehr als 40 Staaten weltweit, die militärische Drohnen besitzen, befinden sich nur wenige Nicht-OECD-Staaten. Die Entwicklung wird von den USA und Israel angeführt.

Ursprünglich wurden unbemannte Drohnen im Rahmen der RMA primär zur Aufklärung eingesetzt, wobei die Daten immer häufiger per Funk oder Satellitenverbindung in Echtzeit an den relevanten Kommandostand weitergeleitet werden. Sie verhelfen befreundeten Einheiten zu einem umfassenden und aktuellen Lagebild und tragen schon so zum Schutz eigener Einheiten bei. Dabei werden die Drohnen entweder durch einen "Piloten" (der dank Satellitenverbindung mehrere tausend Kilometer vom Einsatzort entfernt sein kann) ferngesteuert oder sie folgen semiautonom einer vorprogrammierten Route. Modernste Systeme können sogar komplizierte Flugmanöver wie Start und Landung ohne menschliche Eingriffe bewerkstelligen.

Schon kurz nach der Einführung größerer unbemannter Aufklärungsdrohnen wie beispielsweise der amerikanischen Predator Mitte der 1990er Jahre wurden Anstrengungen unternommen, die Drohnen zu bewaffnen. Man spricht dann von UCAVs. Im Jahr 2002 griffen mit Hellfire-Raketen bewaffnete Predator erstmals bewegliche Ziele - vermutete Al-Qaida-Mitglieder - in Afghanistan und dem Jemen an. Da die Drohnen nun selbst als Waffenplattform eingesetzt werden und nicht mehr mit anderen Plattformen wie Kampfflugzeugen interagieren müssen, konnte die sensor-to-shooter gap praktisch vollständig geschlossen werden.

Zumindest im unumkämpften Luftraum bieten Drohnen gegenüber bemannten Flugzeugen aus militärischer Sicht aber noch mehr Vorteile: Bewaffnete Drohnen können deutlich länger in der Luft beziehungsweise über dem Einsatzgebiet bleiben (zum Teil bis zu 20 Stunden). Mit ihren hochauflösenden Sensoren sind sie in der Lage, mehrere potenzielle Ziele gleichzeitig zu überwachen. Sie können auf der Lauer "liegend" den optimalen Zeitpunkt für einen Angriff abpassen oder Bodentruppen mit dauerhaftem Schutz unterstützen. Moderne Kampfdrohnen wie die amerikanische Reaper können aufgrund ihrer hohen Zuladung mit verschiedenen Raketen oder Bomben ausgestattet werden - die Reaper kann 14 Luft-Boden-Raketen oder mehrere 500 Pfund Präzisionsbomben tragen.

Aufgrund ihrer Vielseitigkeit und der Fähigkeit unmittelbare hochauflösende Aufklärung und Präzisionsbekämpfung zu vereinen, werden UCAVs vom amerikanischen Militär, der CIA und der Regierung laut "New York Times" als "weapons of choice" gegen Al-Qaida und Aufständische angesehen. Während die Aufklärungselektronik helfen kann, Feindbewegung, Hinterhalte oder gar IEDs aus der Luft aufzuklären, bietet die Bewaffnung die Möglichkeit, erkannte Aufständische ohne Zeitverzögerung zu bekämpfen und Bodentruppen so erheblich zu entlasten.

Gerade vor dem Hintergrund kontinuierlich steigender alliierter Verluste in Afghanistan und dem Irak scheint der Rückgriff auf UCAVs deshalb einen Ausweg aus der politischen Zwickmühle zwischen eigenen und fremden Opfern zu bieten. Erstens werden die eigenen Verluste durch den Einsatz bewaffneter unbemannter Systeme deutlich reduziert und zweitens gestehen selbst Menschenrechtsorganisationen ein, dass der Einsatz von UCAVs zu relativ geringen Opfern unter der Zivilbevölkerung führt - zumindest wenn Sprengkörper mit geringer Sprengwirkung genutzt werden und festgelegte Routinen zur Minimierung von zivilen Opfern während des Einsatzes eingehalten werden.

Vor diesem Hintergrund muss es nicht verwundern, dass es in den vergangenen drei Jahren zu einem wahren UCAV-Boom gekommen ist. Die USA setzen bewaffnete Drohnen nicht mehr nur in Afghanistan ein, sondern greifen zunehmend auch (vermeintliche) Taliban im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet mit an - vermutlich mit der stillen Zustimmung der pakistanischen Regierung. Gab es in den Jahren 2004 bis 2007 insgesamt neun Drohneneinsätze in Pakistan, so stieg die Anzahl 2008 auf 36 und 2009 auf 53. Bis Ende September 2010 fanden bereits 76 Angriffe statt.

Bislang wurden bewaffnete Drohnen nur dann eingesetzt, wenn keine ernsthafte Luftabwehr zu erwarten war. Ingenieure arbeiten allerdings daran, zukünftige UCAVs auch in die Lage zu versetzen, in umkämpftem Luftraum zu bestehen. Dazu gehört, dass die nächste Generation wie die britische Taranis-Drohne über stealth-Eigenschaften verfügt. Auch werden zukünftige Modelle über die Fähigkeit zum Luftkampf verfügen. Da sie nicht auf menschliche Piloten Rücksicht nehmen müssen, können deutlich schwierigere Manöver geflogen werden. In den USA rechnet der Kongress sogar damit, dass der vor der Auslieferung stehende F-35 Joint Strike Fighter voraussichtlich das letzte bemannte Flugzeug der USA sein könnte.

Damit vereinen Drohnen nicht nur alle zentralen Elemente der RMA in sich, sondern decken praktisch das gesamte Spektrum aktueller militärischer Einsatzszenarien ab. Eine Entwicklung, die sich selbst Apologeten der RMA in den 1990er Jahren sicher kaum hätten träumen lassen.

Kehrseite der Drohnenkriege

Vor dem Hintergrund der "Risikotransferkriege" stellen bewaffnete Drohnen und Roboter gerade für westliche Staaten eine besonders vorteilhafte Entwicklung dar, da sie erheblich dazu beitragen können, die politischen Kosten militärischer Einsätze kontrollierbar zu halten. Der Schutz eigener Soldaten wird durch die Distanzierung der Kämpfer vom Schlachtfeld beziehungsweise ihre Substitution maximiert. Gleichzeitig verspricht die Technologie eine bislang nicht erreichte Reduzierung ziviler Opfer.

Vertreter einer konsequenzialistisch-universalistischen Logik argumentieren deshalb, mittels des Rückgriffs auf Roboterkrieger seien zukünftig "gerechte Kriege" wie humanitäre Interventionen denkbar, die westliche Regierungen aus Furcht vor eigenen Verlusten und einem damit verbundenen Schwenk der öffentlichen Meinung bislang unterlassen haben. Selbst wenn man der konsequenzialistischen Logik keine kategorischen Einwände gegenüberstellen würde, so bleibt die Frage, ob den kurzfristigen Vorteilen nicht doch mittel- und langfristige Nachteile gegenüberstehen, welche die konsequente Verfolgung des eingeschlagenen RMA-Pfades hin zu bewaffneten robotischen Systemen grundsätzlich infrage stellen.

Schon im Zusammenhang mit der Revolution in Military Affairs wurde diskutiert, dass die Möglichkeit, Kriege ohne eigene Kosten und Risiko durchzuführen, die Hemmschwelle für militärische Lösungen deutlich senkt, noch ehe alle zivilen Lösungen ausgelotet wurden. Diese Gefahr wird durch die Möglichkeit, gezielte Angriffe aus der sicheren Distanz durch ferngelenkte Drohnen durchzuführen, drastisch erhöht. Der Ruf nach humanitären Interventionen mit bewaffneten Drohnen ist hier möglicherweise nur die Spitze des Eisbergs.

Auf der internationalen Ebene betrachten China und auch Russland die Hochtechnisierung konventioneller westlicher Armeen zunehmend mit Sorge. Noch sind es einzelne Experten, die in diesen Ländern die Möglichkeit eines konventionellen Entwaffnungsschlags gegen ihre strategischen Nuklearstreitkräfte als mögliches Szenario diskutieren. Doch scheint zumindest das intensivierte chinesische Streben nach seegestützten Nuklearwaffen von dieser Furcht angetrieben zu werden. Gleichzeitig versuchen China und Russland ihre eigenen Armeen nach dem Vorbild der USA umzubilden und mit eigenen Hightech-Produkten auszustatten. Schließlich setzt die westliche technologische Überlegenheit nichtwestliche Staaten, die nicht in der Lage sind, diesen technologischen Vorsprung auch nur zu verkürzen, unter Druck, die konventionelle Asymmetrie durch das Streben nach Massenvernichtungswaffen auszugleichen.

Schließlich ist festzustellen, dass neben counter insurgency-Experten selbst der ehemalige CIA-Chef Michael Hayden Drohnenangriffe gegen Aufständische als das falsche Mittel ansieht. Gerade der hochtechnisierte Charakter der Drohnenangriffe führe in besonderem Maße zu einer Mobilisierung und stärkerem Widerstand der Aufständischen. Die Hoffnung einiger UCAV-Befürworter, die westliche technologische Überlegenheit, konkret: der Rückgriff auf unbemannte Drohnen, führe bei den Aufständischen im Irak und in Afghanistan zu einem Gefühl der absoluten Hilflosigkeit und schließlich zur Aufgabe, hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Die Anzahl der Angriffe mit Sprengfallen und Selbstmordattentaten hat sich im Kriegsverlauf kontinuierlich erhöht. Der Versuch, nun die Soldaten abzuziehen und stattdessen auf einen kontinuierlichen, robotisierten Krieg unterhalb der Fühlbarkeitsschwelle westlicher Öffentlichkeiten zu setzen, wird zwar nicht länger eigenen Soldaten das Leben kosten, aber auch keine Stabilität und Zukunftsaussichten bringen. Wahrscheinlicher ist es aber, dass die Distanzierung westlicher Soldaten vom Schlachtfeld und ihr Ersatz durch bewaffnete Roboter zukünftig dazu führen wird, dass Aufständische den Krieg dorthin tragen werden, wo diejenigen sitzen, welche die bewaffneten Roboter in den Kampf steuern: in die Heimatländer der westlichen Truppen.

Die fortdauernde Illusion des führbaren Krieges

Die RMA und die Wette auf die Kampfdrohne als Schlüsselinstrument der Kriegführung schreiben das neueste Kapitel in einer unendlichen Geschichte der Menschheitsentwicklung: die Verwirklichung des Traumes vom unblutigen Krieg mit garantiertem Sieg. Die Armbrust und der Langbogen, die Schusswaffe, die Chemiewaffe, das Kampfflugzeug, die "reinrassige" Panzerdivision, um nur einige Etappen dieser Geschichte zu benennen, erzeugten und bedienten zuerst hochfliegende Erwartungen und endeten in der bitteren Enttäuschung, dass der Krieg eben doch blutig blieb und gelegentlich in der Niederlage endete.

In unseren heutigen Demokratien verbinden sich technologische Fähigkeiten mit der Sehnsucht nach dem unblutigen Sieg und der Hoffnung, der Menschheit Gutes zu tun: das Recht durchzusetzen, die Tyrannen zu besiegen, bedrängte Menschen zu schützen, staatliche und gesellschaftliche Ordnung ins Chaos zu bringen. Die Kombination beider Elemente, der guten Zwecke und der schonenden Mittel, ist ein besonders gefährlicher Illusionsproduzent. Denn der Krieg bleibt, was er ist: das gewaltsame Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher politischer Willen, die sich nicht nachgeben wollen.

Der Gegner ist kein passives Objekt, sondern erfindungsreich, listig, reaktiv und aktiv zugleich. Deshalb geschieht im Krieg stets das Überraschende und Unerwünschte. Das macht es unendlich schwer, selbst mit modernsten militärischen Mitteln Ordnung zu stiften, wie die Erfahrungen im Irak und Afghanistan beweisen. Die Chaosstifter haben es da leichter. Ordnung wird immer nach dem risikoreichen Einsatz in der Fläche verlangen, mit der Konsequenz hoher Risiken für die eigenen Soldaten und die zu schützende Bevölkerung. Gegen den entschlossenen Gegner hilft technische Überlegenheit nur begrenzt. Und mit zeitlicher Verzögerung nimmt der Gegner eben auch am militärtechnischen Fortschritt teil, wie beispielsweise Israel bei verschiedenen Drohnenangriffen der Hamas schmerzlich erfahren musste.

Westliche Gesellschaften und ihre politischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger tun daher gut daran, das Motto von der militärischen Gewalt als ultima ratio bitter ernst zu nehmen und den Verlockungen der als unblutig angepriesenen neuen Waffensystemen zu widerstehen. Der leichte Anfangssieg bedeutet eben nicht mission accomplished - das dicke Ende kommt nach, mit oder ohne Kampfdrohnen. Und darauf sollte sich nur einlassen, wer wirklich muss und nicht anders kann.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Jan Helmig/Niklas Schörnig, Die Transformation der Streitkräfte im 21. Jahrhundert - Eine kritische Bestandsaufnahme, in: dies. (Hrsg.), Die Transformation der Streitkräfte im 21. Jahrhundert, Frankfurt/M. 2008, S. 11-32.

  2. Vgl. Götz Neuneck/Christian Alwardt, The Revolution in Military Affairs, its Driving Forces, Elements and Complexity, IFSH Working Paper, Nr. 13, Hamburg 2008, S. 4f.

  3. Vgl. David A. Koplow, Death by Moderation. The U.S. Military's Quest for Useable Weapons, Cambridge 2010, S. 79-103.

  4. Vgl. Niklas Schörnig, Theoretisch gut gerüstet?, Baden-Baden 2007, S. 159.

  5. Von allen westlichen Kriegen nach 1990 kann der Krieg gegen die Taliban in Afghanistan 2001 noch am ehesten als Verteidigungskrieg interpretiert werden.

  6. Vgl. Eric V. Larson, Casualties and Consensus. The Historical Role of Casualties in Domestic Support for U.S. Military Operations, Santa Monica 1996; Christopher F. Gelpi/Peter D. Feaver/Jason Reifler, Success Matters. Casualty Sensitivity and the War in Iraq, in: International Security, 30 (2006) 3, S. 7-46.

  7. Vgl. Anna Geis/Harald Müller/Niklas Schörnig, Liberale Demokratien und Krieg, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, 17 (2010) 2, S. 171-202.

  8. Vgl. Luke N. Condra et al., The Effect of Civilian Casualties in Afghanistan and Iraq, National Bureau of Economic Research Working Paper, Nr. 16152, Cambridge 2010.

  9. Vgl. Peter W. Singer, Outsourcing War, Ithaca 2003. Studien haben zum Beispiel für die USA ergeben, dass die Öffentlichkeit Opfer privater Sicherheitsunternehmen kaum zur Kenntnis nimmt. Vgl. Stephen L. Schooner, Why Contractor Fatalities Matter, in: Parameters, 38 (2008) 3, S. 78-91.

  10. Vgl. Robert Mandel, Security, Strategy, and the Quest for Bloodless War, Boulder 2004.

  11. Vgl. Iraq Coalition Casualty Count, online: http://icasualties.org (28.9.2010).

  12. Vgl. Lawrence Freedman, The Revolution in Strategic Affairs, Adelphi Paper, Nr. 318, London 1998.

  13. Obwohl viele der genannten Argumente auch auf unbemannte Land- oder Marinesysteme übertragen werden können, konzentriert sich dieser Artikel aufgrund der aktuell deutlich größeren Verbreitung auf unbemannte Luftsysteme. Für eine breitere Analyse vgl. Niklas Schörnig, Die Automatisierung des Krieges, HSFK Standpunkt Nr. 5/2010, Frankfurt/M. 2010.

  14. Vgl. New York Times vom 16.3.2009, online: www.nytimes.com/2009/03/17/
    business/17uav.html (1.10.2010).

  15. Vgl. Human Rights Watch, "Troops in Contact". Airstrikes and Civilian Death in Afghanistan, 2008, S. 2.

  16. Vgl. http://counterterrorism.newamerica.
    net/drones (29.9.2010). Auf die diffizile völkerrechtliche Problematik amerikanischer Drohnenangriffe in Pakistan kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden.

  17. Persönliches Gespräch eines Autors mit einem Vertreter der US Air Force im Jahr 2010. Vgl. auch die Aussagen des Völkerrechtlers Claus Kreß zit. nach: John A. Kantara, Maschinen mit Marschbefehl, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 18.7.2010.

  18. Vgl. Andrew Butfoy, The Rise and Fall of Missile Diplomacy? President Clinton and the 'Revolution in Military Affairs' in Retrospect, in: Australian Journal of International Affairs, 52 (2006) 1, S. 98-114.

  19. Vgl. Noah Shachtman, CIA Chief Warned Obama in '09: Drone Strikes Won't Win War, September 2010, online: www.wired.com/dangerroom/2010/09/cia-chief-warned-obama-in-09-drone-strikes-wont-win-war (10.10.2010).

  20. Vgl. Spencer Ackerman, New Poll: Pakistanis Hate the Drones, Back Suicide Attacks on U.S. Troops, September 2010, online: www.wired.com/dangerroom/2010/09/new-poll-pakistanis-hate-the-drones-back-suicide-attacks-on-u-s-troops/ (10.10.2010).

Dr. phil., geb. 1949; Professor für internationale Beziehungen an der Universität Frankfurt/M., geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Baseler Straße 27-31, 60329 Frankfurt/M. E-Mail Link: mueller@hsfk.de

Dr. phil., geb. 1972; Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), Lehrbeauftragter an der Universität Frankfurt/M. (s.o.). E-Mail Link: schoernig@hsfk.de