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Armutsbekämpfung durch Stadtplanung?

Hartmut Häussermann

/ 15 Minuten zu lesen

Armut kann sich verfestigen, wenn es eine hohe Konzentration von Armen in einem Stadtviertel gibt. Es bedarf einer fachlich integrierten Stadtplanung, um diesem Problem zu begegnen.

Einleitung

Werden arme Menschen durch den Ort, an dem sie wohnen, ärmer? Das ist die Frage, die Stadtsoziologen, Armutsforscher und Stadtpolitiker sich angesichts der zunehmenden Konzentration von Armut in wenigen Teilen der großen Städte stellen müssen. Selbstverständlich werden Menschen nicht durch ihren Wohnort arm, aber Armut - so die zentrale Annahme - kann sich verfestigen, und sie kann vererbt werden, wenn es eine hohe Konzentration von Armen in einem Stadtviertel gibt. In der Stadtpolitik werden daher auch verschiedene Strategien diskutiert, wie mit diesem Problem umgegangen werden soll. In den USA hat die Regierung eine eindeutige Antwort: Dekonzentration, das heißt räumliche Umverteilung der Armenhaushalte, Abriss der schlimmsten Ghettos und Bau von neuen mixed-income-housing-Quartieren. Eine ähnliche Strategie verfolgt die französische Regierung, die in großem Stil Wohnblocks in der banlieue der großen Städte beseitigen und in möglichst vielen Städten neuen sozialen Wohnungsbau errichtet. Auch in Deutschland haben sich Bund, Länder und Gemeinden seit 1999 mit dem Programm "Soziale Stadt" diesem Problem zugewandt und sich die Verhinderung der Abkoppelung von Quartieren, in denen sich soziale Probleme verdichten, sowie die Verbesserung der Lebensperspektive ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zum Ziel gesetzt. Das Programm ist im Bereich der Städtebauförderung angesiedelt, steht also in direktem Zusammenhang mit der Stadtplanung.

Bevor man über Interventionen nachdenkt, muss allerdings geklärt werden, von welchen Zusammenhängen zwischen einem Wohnquartier und der Armut ihrer Bewohner ausgegangen wird. Solche bestehen auf zweierlei Weise: Zum einen geht es um Lage, Ausstattung und das Image eines Quartiers, die den Bewohnern den Zugang zu sozialen und kulturellen öffentlichen Diensten sowie zum Arbeitsmarkt erschweren können; zum anderen geht es um die "Kontexteffekte", die dann auftreten, wenn eine soziale Umgebung auf das Denken, Handeln und die normativen Orientierungen ihrer Bewohner einen ungünstigen Einfluss hat.

Herausbildung von Armenvierteln

Mit dem Ausbau des Sozialstaats verschwand die Armut in den Städten weitgehend, und so wurde in den deutschen Städten die Entwicklung von slums verhindert, die in den stark marktwirtschaftlich geprägten westlichen Ländern die Innenstädte zunehmend prägte. Die großen Städte in Deutschland erleben jedoch seit Mitte der 1970er Jahre einen sozio-ökonomischen Strukturwandel, der sowohl das Städtesystem als auch die innere Struktur der Städte verändert. Nun differenzieren sich die verschiedenen Sozialräume in den Städten wieder stärker aus, Quartiere entmischen sich stärker, und die Tendenz einer Polarisierung zwischen den wohlhabenden und ärmeren Stadtteilen ist unübersehbar. Aus den Orten, wo sich die Ausgegrenzten konzentrieren, drohen Orte der Ausgrenzung zu werden.

Die Gründe dafür liegen in einer wachsenden Heterogenität der städtischen Bewohnerschaft. Denn erstens haben die dramatischen Verluste von Arbeitsplätzen im Verarbeitenden Gewerbe in den großen Städten die Möglichkeiten, auch ohne hohe berufliche Qualifikation in der Industrie ein hinreichendes Einkommen zu erzielen, drastisch beschränkt. Betroffen davon sind ältere männliche Arbeiter und die "Gastarbeiter", die für genau solche Arbeitsplätze angeworben worden waren. Die Einkommensungleichheit nimmt zu. Zum zweiten bringen die wachsenden Anteile von Bevölkerung "mit Migrationshintergrund" eine stärkere kulturelle Diversität mit sich, und zum dritten differenzieren sich verschiedene Lebensstil-Milieus stärker aus. Wachsende soziale Distanzen werden in den Städten in räumliche Distanzen übersetzt, und so entstehen neue Segregationsmuster. Auch in den deutschen Städten ist zu beobachten, dass sich mit steigender Armut die davon betroffene Bevölkerung in wenigen Quartieren konzentriert. Das hat verschiedene Ursachen:

Fahrstuhleffekt.

Die Arbeiterquartiere aus dem 19. Jahrhundert, die es in allen Städten noch in mehr oder weniger großem Umfang gibt, waren auch im Laufe des 20. Jahrhunderts noch die Wohngebiete vor allem der Arbeiterschaft. Da seit den 1960er Jahren die einfachen Tätigkeiten in der Industrie vorwiegend von Zuwanderern aus dem Ausland ("Gastarbeiter") ausgeübt wurden, wohnen in solchen Quartieren auch zu großen Anteilen Migranten bzw. deren Nachkommen. Die städtische Arbeitsmarktkrise, die durch die Deindustrialisierung verursacht worden ist, hat in diesen Quartieren ihre stärksten Wirkungen. Aus Arbeitervierteln wurden gleichsam Arbeitslosenviertel, denn die Arbeitslosenquoten in diesen Quartieren kletterten in den 1980er und 1990er Jahren auf Werte zwischen 20 und 40 Prozent. Diese Quartiere rutschten gleichsam wie im Fahrstuhl ein Stockwerk tiefer, und viele ihrer Bewohner wurden dauerarbeitslos.

Selektive Mobilität.

Außerdem sorgen Prozesse selektiver Mobilität innerhalb der Stadt für eine soziale Entmischung in solchen Gebieten, die bisher nicht so stark segregiert waren. Das nimmt etwa folgenden Verlauf: Das wachsende Niveau sozialer Probleme macht sich in den Quartieren in einer zunehmenden Zahl alltäglicher Konflikte bemerkbar, beispielsweise dann, wenn die Zahl von Dauerarbeitslosen steigt, die am Tage im öffentlichen Raum demonstrativ dem Alkoholgenuss nachgehen und dabei das verträgliche Mit- und Nebeneinander im Viertel strapazieren. Nachlassende Kaufkraft der Wohnbevölkerung als Folge von Verarmung führt zum Wandel des privatwirtschaftlichen Infrastrukturangebots. Ein rascher Wechsel der Ladeninhaber mit der Tendenz zu billigeren Angeboten vermittelt den Eindruck des kollektiven sozialen Abstiegs. Begleitet vom Zuzug von Migranten entsteht bei vielen Herkunftsdeutschen, die sich selbst von wachsenden sozialen Problemen bedroht sehen, ein Gefühl des Kontrollverlustes, ein Unsicherheitsgefühl, das aus wachsender Fremdheit und zahlreichen, alltäglichen Konflikten innerhalb der Nachbarschaft resultiert. Dadurch entstehen "überforderte Nachbarschaften", das heißt, die Integrationskraft solcher Quartiere nimmt ab, weil die selbst von sozialem Abstieg bedrohten Bewohner die häufiger und heftiger werdenden Konflikte nicht mehr gleichsam natürlich absorbieren können.

Kontexteffekte

Die Prozesse der sozialen Entmischung und der Herausbildung von Quartieren mit überproportional hohen Anteilen von Familien mit multiplen Problemlagen führen zu Nachbarschaften, die selbst sozialstrukturierende Effekte haben: Sie generieren "Kontexteffekte", die insbesondere Kindern und Jugendlichen die Lebenschancen verbauen. Ein solcher sozialer Raum kann selber zu einer Dimension der Exklusion werden, wenn ein Quartier aus dem städtischen Funktionszusammenhang herausfällt und Wirkungen entfaltet, die zu weiterer sozialer Benachteiligung führen. Das kann auf folgende Weise geschehen:

  • durch die symbolische Ausgrenzung in Form von Stigmatisierung, die den Bewohnern solcher Quartiere den Status von Deklassierten anhaftet und sie persönlich herabwürdigen;

  • durch die Ausdünnung der Informationsnetze, denn bei hoher sozialer Homogenität der marginalisierten Bewohnerschaft sind keine Träger relevanter Informationen mehr vorhanden und damit die Zugänge zu Informationen aus den Kernbereichen der Gesellschaft, insbesondere des Arbeitsmarktes, schwieriger;

  • durch die soziale Entmischung gehen mit dem Wegzug integrierter Mittelschichten Ressourcen für Organisation und politische Repräsentation verloren, die in sozial und funktional heterogenen Quartieren vorhanden waren. Da die Wahlbeteiligung in den Armutsvierteln in der Regel sehr niedrig ist, wird deren Bevölkerung auch politisch marginalisiert;

  • das sich bildende Milieu in ausgegrenzten Quartieren bildet einen Erfahrungsraum für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen, in dem sie zwar Techniken des Überlebens unter schwierigen Lebensbedingungen lernen, aber nicht die Kulturtechniken, die für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt und eine "normale" Lebensführung notwendig sind.

Die Wirkungen von stark segregierten Quartieren sind allerdings ambivalent: Sie sind zwar, wie beschrieben, Orte der Ausgrenzung, aber zugleich auch Orte der Einbettung in verlässliche und nicht-diskriminierende soziale Bezüge. Sie stellen also ein soziales Kapital dar, das den Effekt der Einbindung im doppelten Wortsinne hat: unterstützende Einbindung in Kommunikations- und Unterstützungsnetzwerke, Einbindung aber auch in dem Sinne, dass die Zugehörigkeit zum deklassierten Milieu strukturell verfestigt wird. In jedem Quartier gibt es soziale und kulturelle Ressourcen, denen allerdings meistens die Wege zu ihrer Entfaltung verschlossen sind, weil Resignation, Ohnmachtsgefühle und Perspektivlosigkeit das Klima prägen.

Segregation in den und durch die Schulen

Eine treibende Kraft für die Entmischung von Quartieren ist die Situation in den Schulen. Die wachsenden Anteile von Migrantenkindern in den Grundschulen, von denen viele beim Schuleintritt nicht die deutsche Sprache beherrschen, werden von den Eltern einheimischer Kinder als Beeinträchtigung von Lern- und Erziehungsprozessen wahrgenommen und mit Wegzügen beantwortet. Für unfreiwillig Zurückbleibende verschärft sich dadurch die Situation. Der Prozess der Segregation aufgrund der Schulsituation stellt eine sehr ernste Gefährdung der kulturellen und sozialen Integration in den Städten dar, da hier Bildungsarmut systematisch erzeugt wird.

Da in der postindustriellen, wissensbasierten Ökonomie allgemeine und berufliche Bildung eine immer größere Rolle für die Lebenschancen von Menschen spielen, hat die Aufmerksamkeit für das, was in der Schule passiert, insbesondere bei den deutschen Mittelschichten in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Dem Leistungsniveau der Schulen wird ein gesteigertes öffentliches Interesse entgegengebracht. Dahinter steht die wachsende Besorgnis über die Ausstattung der Kinder mit Bildung und Ausbildung. "Schulsegregation" verändert die soziale Zusammensetzung von Quartieren nachhaltig. Solche Entmischungsprozesse können einerseits zu "Ghettoschulen" führen, andererseits wird in den Quartieren dadurch das "soziale Kapital" geschwächt, weil Heterogenität vermindert und soziale und kulturelle Kompetenzen abgezogen werden.

Wenn die Schulen eine wesentliche Quelle für soziale Entmischungsprozesse sind, dann könnten sie auch ein zentraler Ansatzpunkt für erfolgreiche Integrationspolitik sein - sowohl hinsichtlich der Migranten als auch der einheimischen Bevölkerung. Würden hervorragende Ganztagsschulen zu sozialen und kulturellen Zentren in den Quartieren ausgebaut und durch entsprechende Ausstattung und Qualifikation des Lehrpersonals in die Lage versetzt, einen produktiven interkulturellen Erziehungs- und Bildungsprozess zu organisieren, wäre den Desintegrationsprozessen, die sich in diesen Quartieren vollziehen, ein großer Teil ihrer Schubkraft genommen.

Die Bewahrung von ethnischer und sozialer Mischung gilt sowohl aus pädagogischer Sicht als auch aus dem Interesse an sozialer Stabilität der Quartiere allgemein als wünschenswert. Schulbedingte Entmischungsprozesse können also die gesellschaftliche Integration gefährden. Die Bestimmung von Schuleinzugsbereichen, die es in Deutschland seit den 1920er Jahren gibt, war einst vorgenommen worden, um die Integration von verschiedenen Schichten und Kulturen in der "Volksschule" zu gewährleisten. Da das "Volk" in den innerstädtischen Quartieren in wachsendem Umfang aus Familien mit einer nicht-deutschen Herkunftssprache besteht, suchen sich bildungsorientierte Eltern ein anderes "Volk" in einem anderen Stadtteil, der einen geringeren Anteil an ethnischen Minderheiten aufweist.

Wie wirken Kontexteffekte?

Von der Wohnumgebung gehen Wirkungen über zwei Wege auf die soziale Inklusion aus: zum einen, weil das Quartier eine infrastrukturelle Ressource insbesondere für Bildungsprozesse darstellt, zum anderen, weil das Quartier eine Instanz für kollektive Sozialisation ist, die vor allem über informelle Lernprozesse in Jugendgruppen und auf der Straße wirkt. Hinzu kommen die Zuschreibungen und Diskriminierungen, die von der Stigmatisierung von Quartieren in den Medien ausgehen, und die sich in den mental maps der Stadtbewohner festgesetzt haben. Die Wirkungen sind gegenüber der sozialen Herkunft und der Einbettung in die Familie zwar nachrangig, sie haben jedoch durchaus eine eigenständige Wirkung.

Nicht alle Bewohner sind jedoch gleichermaßen empfänglich für Kontexteffekte. Denn die sozialen Netzwerke und sozialen Beziehungen von Jugendlichen und Erwachsenen können weit über die lokale Umgebung hinausreichen und so deren Einfluss einschränken. Auch sind die Bewohner nicht einfach passive Resonanzböden für Einflüsse der lokalen Umwelt, denn sie reagieren auf diese Umwelt und können sich, wenn sie durch andere soziale Beziehungen gestützt werden, auch unabhängig von der lokalen Umgebung entwickeln.

Die Bedeutung der Wohnumgebung besteht also in der Infrastrukturausstattung und -qualität eines Quartiers. Beide haben Einfluss auf den Zugang zu Institutionen, die für die personale Entwicklung bedeutsam sind. Zu nennen sind hier das Gesundheitssystem, Einrichtungen des Bildungswesens, Sport-und Freizeiteinrichtungen sowie soziale Dienste. Physische Eigenschaften des Quartiers wie bauliche Anlagen, Verkehrsbeziehungen und Umweltbelastungen spielen außerdem eine Rolle. Ein zweiter Einfluss geht von sozialen Netzen aus, die Ressourcen in verschiedener Weise bereitstellen - oder eben nicht. Ihre Qualität hängt vom darin verfügbaren sozialen und kulturellen Kapital ab, das bei heterogenen Netzwerken als sehr viel höher eingeschätzt wird. Enge soziale Netze, die sich auf die Verwandtschaft oder auf Personen in ähnlicher sozialer Lage beschränken, gelten dagegen als wenig hilfreich ("Netzwerkarmut") und tragen zur Verfestigung von Armut bei.

Die Wohnumgebung vermittelt Normen, stellt Vorbilder bereit und übt soziale Kontrolle aus. Dadurch werden die Aspirationen und die Lernmotivation insbesondere von Jugendlichen beeinflusst. Sie ist als Sozialraum ein Ort für informelles Lernen und bildet ein Normensystem, dem sich der Einzelne nur dann entziehen kann, wenn er sich bewusst dem sozialen Druck widersetzt, der vor allem von Gleichaltrigen ausgeht. Das Freizeitverhalten wird vor allem bei engen und auf den Nachbarschaftsraum beschränkten Kontakten durch die soziale Umgebung geprägt; auch, welches gesundheitsrelevante Verhalten (Ernährung, Bewegung, Suchtmittelkonsum, Körperpflege, Sexualität) eingeübt wird, wird durch die wichtigsten Sozialkontakte vermittelt. Insbesondere bei Migranten ist relevant, welche Sprachfertigkeiten durch die soziale Umgebung unterstützt werden. Verschiedene Studien in den USA und in Deutschland haben solche Kontexteffekte nachgewiesen. Insbesondere die Studie von Andreas Farwick zeigte, dass der Verbleib in der Armut bei ansonsten gleichen Merkmalen der sozialen Lage bei Bewohnern von Armutsvierteln länger ist als bei solchen armen Familien, die nicht vorwiegend Arme als Nachbarn haben.

Politische Reaktionen

Wie eingangs bereits erwähnt, gibt es in verschiedenen Ländern verschiedene politische Strategien, wie die Effekte räumlich konzentrierter Armut bekämpft bzw. neutralisiert werden können. Wenn von der räumlichen Konzentration negative Effekte für die Bewohner ausgehen, wäre es eine logische Konsequenz, die räumliche Konzentration aufzulösen. Diesen Weg gehen die USA und Frankreich. Auch in den Niederlanden wird mit Zuzugssperren und Abrissen von großen Wohnblocks in Gebieten des sozialen Wohnungsbaus versucht, die starke Konzentration von Armenhaushalten abzubauen.

In den USA wurde zwischen 1995 und 2005 ein groß angelegtes soziales Experiment versucht ("Moving to Opportunity"), bei dem der Umzug von Armenhaushalten aus Quartieren, die eine Armutsquote von über 40 Prozent hatten, in solche Gebiete unterstützt wurde, die eine Armutsquote von weniger als zehn Prozent haben. Bei den Quartieren mit einer niedrigeren Quote wurden günstigere Voraussetzungen für die Arbeitsplatzsuche und für einen besseren Schulerfolg von Kindern und Jugendlichen vermutet. Im Ergebnis zeigte das Experiment, dass die meisten Haushalte nach dem ersten Jahr wieder in Gebiete mit einer höheren Armutsquote umgezogen sind, so dass der Erfolg hinsichtlich der erwarteten Verbesserungen bei der Arbeitsmarktsituation, beim Einkommen und beim Schulerfolg sehr bescheiden blieb. Die Gründe dafür liegen darin, dass die armen Haushalte auch mit einem zusätzlichen Wohngeld in der Regel die steigenden Mieten in den Quartieren mit einem höheren sozialen Prestige nicht bezahlen konnten und ihre Integration in die sozialen Netzwerke in den neuen Nachbarschaften nur selten gelang. Außerdem waren viele Haushalte bei der Organisation ihres Alltags auf die Unterstützung durch die Verwandtschaft angewiesen, die in den Ursprungsvierteln zurückgeblieben war. Insbesondere die männlichen Jugendlichen verblieben so in den Jugendgruppen, deren negativen Einflüssen sie durch den Umzug hätten entzogen werden sollen. Das Experiment hat gezeigt, dass eine schlichte geografische Umverteilung kein Mittel ist, um negative Kontexteffekte zu neutralisieren, denn ein Umzug in eine neue, sozial gemischtere Nachbarschaft bedeutet eben nicht, dass die kulturell oder rassistisch diskriminierten Angehörigen von Minderheiten auch in die sozialen Netze der Mittelschicht-Nachbarschaften aufgenommen werden.

Daraus ist zu schließen, dass eine stärkere soziale Mischung in städtischen Quartieren auf die Verfügbarkeit von bezahlbaren Wohnungen in allen Teilen der Stadt angewiesen ist und eine räumliche Mobilität nur dann auch zu sozialer Mobilität führt, wenn den Familien und ihren Kindern in einem umfassend angelegten Sozialmanagement Unterstützung auf dem Weg in eine andere soziale Umwelt gegeben wird. Wenn, wie es auch in den USA der Fall ist, die Zahl der Sozialwohnungen laufend abnimmt und sich die "soziale Wohnungspolitik" auf die Gewährung von Wohngeld beschränkt, verengen sich allerdings die Spielräume für eine nachhaltige Politik der sozialen Mischung in städtischen Quartieren.

In Deutschland gibt es seit 1999 das Bund-Länder-Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt", mit dem versucht wird, die Lebenssituation in den marginalisierten Stadtteilen zu verbessern und den Bewohnern bessere Lebenschancen zu eröffnen. Hier geht es also nicht um eine geografische Umverteilung, sondern um eine Aufwertung von Gebieten, die an den sozialen Rand der Städte gedrängt worden sind. Neben erweiterten Möglichkeiten der Partizipation und neuen Formen der Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren ist eines der zentralen Merkmale dieses Programms, Ansätze zu einer integrierten Politik zu entwickeln, also städtebauliche Maßnahmen mit Anstrengungen zu kombinieren, die Bewohnerschaft zur Eigenaktivität und zu aktivem Engagement für ihr Quartier zu animieren. Die Integration von Jugend-, Familien-, Sozial-, Kultur- und Bildungspolitik, verbunden mit der baulichen Erneuerung von öffentlichem Raum und Infrastruktur wird als ein Weg gesehen, die komplexen Probleme einer räumlichen Konzentration von Armut mit einer Perspektive anzugehen, die insbesondere den Kindern und Jugendlichen die Benachteiligung nimmt, die mit dem Aufwachsen in solchen Quartieren verbunden ist. Dies ist eine neue Form von "Stadtplanung", die sich nicht nur an den physischen Merkmalen eines Quartiers orientiert, sondern den Sozialraum in den Blick nimmt.

In den Quartieren, die in das Programm "Soziale Stadt" aufgenommen worden sind - inzwischen sind es in ganz Deutschland über fünfhundert -, haben sich nach einigen Jahren tatsächlich Anzeichen für eine Stabilisierung und eine stärkere Integration der Bewohner gezeigt. Die Probleme, welche die "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf" kennzeichnen, sind aber auf doppelte Weise mit einem weiteren Umfeld verflochten:

Einerseits zeigen sich in den Quartieren räumlich konzentriert Probleme, die nicht von diesen Quartieren ausgehen, sondern Resultate überlokaler Prozesse und Verteilungsmechanismen sind. Und das Instrumentarium der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik ist weitgehend durch die Bundesgesetzgebung bestimmt.

Andererseits wird die räumliche Konzentration durch Veränderungen beim Wohnungsangebot in anderen Teilen der Stadt verursacht, in denen der Zugang zu bezahlbaren Wohnungen verengt wird. Die besondere Problemkumulation an bestimmten Orten in der Stadt ist gesamtstädtischen Prozessen zu verdanken. Denn geringe Anteile von Armuts-Haushalten in dem einen Gebiet beruhen darauf, dass diese dort ausgeschlossen und in anderen Quartieren konzentriert werden. Weder ist die Stadt ohne diese Quartiere zu denken, noch entstehen diese Quartiere ohne den selektiven Bevölkerungsaustausch mit der Gesamtstadt. Man könnte auch sagen, die Existenz dieser Quartiere "löst" Probleme für andere Quartiere, weil sie sie stellvertretend aufnehmen. Gelöst sind diese Probleme aber dadurch nicht, denn die Quellen der Probleme - wie Arbeitslosigkeit oder Armut - können auf Nachbarschaftsebene nicht wirksam bekämpft werden. Bei einem "Tunnelblick", das heißt einer ausschließlichen Konzentration auf die Nachbarschaft, besteht die Gefahr, dass die Strukturen und Prozesse auf gesamtstädtischer Ebene nicht thematisiert und nicht bearbeitet werden und so das Problem, das an der einen Stelle bearbeitet wird, an anderer Stelle immer wieder neu entsteht.

Eine Politik für die "Soziale Stadt", die nur die problembeladenen Quartiere im Blick hat, betreibt eine end-of-the-pipe-Politik, wie sie für die Anfänge der Umweltpolitik ebenfalls typisch war, aber sie kann ihre Ursachen nicht vermindern oder gar beseitigen. Integrierte Quartierspolitik heißt, sich nicht auf einen oder wenige Aspekte der problematischen Situation zu beschränken, sondern - trotz aller strategischen Unhandlichkeit - die Komplexität der Probleme im Auge zu behalten, also Arbeitslosigkeit, die Schulsituation, Drogenprobleme, materielle Not, soziale Isolation, Bildungsarmut, baulichen Verfall, Konflikte im öffentlichen Raum, Bedrohung durch Gewalt und multikulturelle Koexistenz gleichzeitig zu thematisieren. Wenn die Programmatik auf eine "Sozialpolitik für die benachteiligten Quartiere" eingeengt wird, bleibt der Ansatz von Anfang an zu schmal und an Symptomen orientiert.

Obwohl das Programm sowohl in den Städten als auch in den meisten Bundesländern hoch geschätzt wird, haben sich die Bedingungen für eine Weiterentwicklung unter der konservativ-liberalen Bundesregierung seit 2009 stark verändert. Die Mittel sind im Rahmen der "Sparhaushalte" radikal gekürzt und vollständig auf die Förderung baulicher Investitionen gestutzt worden, womit der integrative Ansatz faktisch beseitigt wurde.

In den Quartieren, in denen die soziale Not am größten ist, haben sich inzwischen vielfältige Initiativen und Kooperationen entwickelt, die jedoch aufgrund mangelnder eigener Ressourcen weiterhin auf öffentliche Förderung angewiesen bleiben. Insbesondere im Bereich von schulischer und beruflicher Bildung hat das Programm einen hohen Stellenwert, weil das durchschnittliche Bildungs- und Qualifikationsniveau in den marginalisierten Quartieren besonders niedrig ist - und weil die enormen Probleme nur durch koordinierte und integrierte Bemühungen verschiedener Bereiche der Stadtpolitik als auch zivilgesellschaftlicher Akteure beseitigt werden können. Die sozialräumlich orientierte und fachlich integrierte Stadtplanung kann also sehr wohl etwas zur Beseitigung der Folgen von räumlich konzentrierter Armut beitragen. Zentral dabei ist die Bekämpfung von "Bildungsarmut", die langfristig nicht nur für die betroffenen Kinder und Jugendlichen, sondern auch für die ökonomische Prosperität der Städte ein sehr ernstes Problem darstellt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Hartmut Häussermann/Dieter Läpple/Walter Siebel, Stadtpolitik, Frankfurt/M. 2008.

  2. Vgl. Jan Goebel/Martin Gornig/Hartmut Häussermann, Polarisierung der Einkommen: Die Mittelschicht verliert, in: DIW-Wochenbericht, (2010) 24, S. 2-8.

  3. Vgl. Hartmut Häussermann, Armut in der Großstadt, in: Informationen zur Raumentwicklung, (2003) 3-4, S. 143-157.

  4. Vgl. Johannes Boettner, Vom tapferen Schneiderlein und anderen Helden, in: Uwe-Jens Walther (Hrsg.), Soziale Stadt - Zwischenbilanzen, Opladen 2002, S. 101-114; Rolf Keim/Rainer Neef, Ausgrenzung und Milieu: Über die Lebensbewältigung von Bewohnerinnen und Bewohnern städtischer Problemgebiete, in: Annette Hardt/Gitta Scheller/Wulf Tessin (Hrsg.), Stadt und soziale Ungleichheit, Opladen 2000, S. 248-273.

  5. Vgl. William Julius Wilson, The Truly Disadvantaged, Chicago 1987; Hartmut Häussermann/Martin Kronauer/Walter Siebel (Hrsg.), An den Rändern der Städte, Frankfurt/M. 2004.

  6. Vgl. Ulfert Herlyn/Ulrich Lakemann/Barbara Lettko, Armut und Milieu, Basel u.a. 1991; Jürgen Friedrichs/Jörg Blasius, Leben in benachteiligten Wohngebieten, Opladen 2000.

  7. Vgl. Andreas Farwick, Segregierte Armut in der Stadt, Opladen 2001.

  8. Vgl. Xavier Souza de Briggs/Susan J. Popkin/John M. Goering, Moving to Opportunity. The Story of an American Experiment to Fight Ghetto Poverty, New York 2010; kritisch dazu: Edward Glenn Goetz, Clearing the Way. Deconcentrating the Poor in Urban America, Washington, DC 2003.

  9. Vgl. Michael Krummacher et al., Soziale Stadt - Sozialraumentwicklung - Quartiersmanagement, Opladen 2003; Uwe-Jens Walther (Hrsg.), Armut und Ausgrenzung in der "Sozialen Stadt", Darmstadt 2004.

Dr. rer. pol., geb. 1943; Stadt- und Regionalsoziologe, Professor em. am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin; Res urbana GmbH, Kollwitzstraße 74, 10435 Berlin. E-Mail Link: hh@resurbana.de