Einleitung
Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks 1989 und der Deutschen Vereinigung 1990 haben die weltweiten Globalisierungstendenzen auch im nationalen Rahmen Spuren hinterlassen, am deutlichsten in Ostdeutschland. Unter anderem durch Deregulierungen und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist es zu einer allgemeinen Labilisierung von Erwerbsbiografien und Lebensläufen gekommen. Seit Mitte der 1990er Jahre ist auch ein Anstieg der Armut, vor allem der Kinderarmut, nicht zu übersehen. In den Sozialwissenschaften verbinden sich mit der Diskussion über diese Entwicklungen Begriffe wie Prekarität, Ausgrenzung, Exklusion oder sozialer Abstieg.
Der Begriff "Armut" ist eine gesellschaftliche Konstruktion; er ist mit Werte- und Normenvorstellungen verbunden und unterliegt im öffentlichen Diskurs einem Aushandlungsprozess, in dem unterschiedliche Gruppen und Interessen Bedeutung gewinnen. In hoch entwickelten Ländern wie Deutschland wird Armut entweder als relative Armut interpretiert - im Unterschied zu Ländern der "Dritten Welt", in denen es absolute, lebensbedrohliche Armut gibt - oder mit dem Bezug von sozialstaatlichen Grundsicherungsleistungen identifiziert. Freilich wird bei beiden Vorgehensweisen Armut auf einen Einkommensmangel der Familie sowie die damit verbundenen Konsequenzen beschränkt. Die Forschung zur Kinderarmut in Deutschland in den vergangenen zwei Jahrzehnten zeigte jedoch, dass Armut wesentlich mehr bedeutet, als wenig Geld zu haben und die damit verbundenen Einschränkungen in der Lebensführung hinnehmen zu müssen.
In erster Linie gilt inzwischen als erwiesen, dass Armut für Kinder andere Auswirkungen hat als für Erwachsene, und dass sie von Kindern auch anders erlebt wird. Mit diesen Erkenntnissen hat sich die Kinderarmutsforschung als eigenständiger Zweig etabliert, denn zuvor wurden Kinder lediglich als Angehöriger armer Haushalte betrachtet und nicht als eigene Gruppe. Zu diesem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel hat auch die soziologische Kindheitsforschung beigetragen, welche die Perspektive des becoming (das Kind als werdender und künftiger Erwachsener) zu Gunsten der Perspektive des being (das Kind im Hier und Jetzt seines Lebens) veränderte und damit den Blick auf das aktuelle Kinderleben, das Erleben und die Wahrnehmung durch die Kinder selbst lenkte.
Die Forschung der 1990er Jahre hat aufzeigen können, dass Kinder auf vielfältigen Ebenen Konsequenzen der familiären Armut zu gewärtigen haben. Nachgewiesen wurden erhebliche gesundheitliche Einschränkungen (häufigeres Vorkommen von chronischen Krankheiten, Übergewicht, psychosomatischen Symptomen), schlechtere Schulleistungen bzw. negative Schulkarrieren, geringere Integration in Gleichaltrigenbeziehungen (Freunde und Spielkameraden), geringeres Aktivitätsniveau (Mitgliedschaften in Vereinen), problematisches Selbstwertgefühl und geringere Selbstwirksamkeitsüberzeugungen.
Messung von Kinderarmut
Die einfach scheinende Frage, wie viele arme Kinder es in Deutschland gibt, wirft analytisch eine Reihe von Problemen auf. Zunächst können Kinder nur als Angehörige armer Haushalte erfasst werden, so dass implizit eine proportional gewichtete Verteilung des Haushaltseinkommens auf die Mitglieder vorausgesetzt wird (die empirische Forschung zeigt dagegen, dass die Eltern häufig bemüht sind, den Kindern größere Teile des Familieneinkommens zukommen zu lassen, und dafür eigene Bedürfnisse zurückstellen). Die Erfassung von Armut geschieht zudem als Querschnitt, das heißt, es wird die Situation am Stichtag, nicht in ihrem Verlauf und ihrer Dynamik gemessen. Allein schon diese beiden Einschränkungen deuten darauf hin, was alle empirischen Untersuchungen zur Kinderarmut ergeben haben, nämlich dass die konkrete Lebenslage und Lebenssituation der Kinder bei gleichem unzulänglichen Einkommen der Familie, in Geldgrößen gemessen, überaus unterschiedlich sein kann. Kinderarmut hat viele Gesichter.
Mit dem Konzept der relativen Armut wird Kinderarmut nach dem Standard der Europäischen Union (EU) als eine Form sozialer Ungleichheit definiert, die bei einer Unterschreitung von 60 Prozent des gesellschaftlichen Medianeinkommens vorliegt. Dazu wird das "äquivalenzgewichtete" Haushaltsnettoeinkommen gemessen, indem jedem Haushaltsmitglied ein bestimmtes Äquivalenzgewicht zugeordnet und das gesamte Haushaltseinkommen durch die Summe der Gewichte geteilt wird (wie erwähnt, wird hier implizit eine proportionale Verteilung der Einkommen unter den Haushaltsmitgliedern unterstellt). Der Gewichtung liegt die Annahme zu Grunde, dass bei Mehrpersonenhaushalten Ersparnisse entstehen, etwa weil die Mietkosten eines Vierpersonenhaushalts nicht das Vierfache eines Einpersonenhaushalts ausmachen; Gleiches gilt für die Ernährung und andere Bereiche der Lebensführung. Die Gewichtung geht zudem davon aus, dass Kinder einen geringeren Bedarf als Erwachsene haben. Bei der aktuellen Äquivalenzskala werden etwa Kinder bis 14 Jahre mit 0,3 (30 Prozent) gewichtet, Kinder über 14 Jahre mit 0,5.
In Deutschland ist es seit dem Jahr 2000 zu einer erheblichen Zunahme des Armutsrisikos gekommen ("Armutsrisiko" bezeichnet die rechnerische Unterschreitung des Medianeinkommens unter 60 Prozent). Insgesamt ist die Armutsquote von 11,8 Prozent der Bevölkerung im Jahr 2000 auf 18,3 Prozent im Jahr 2006 (14,9 Millionen Personen) angestiegen.
Als zeitlicher Trend zeigt sich seit den 1990er Jahren, dass Kinder und junge Erwachsene nicht nur deutlich stärker vom Armutsrisiko betroffen sind als die übrige Bevölkerung, sondern dass auch der Anstieg vor allem seit 1998 im Vergleich deutlich stärker ausgefallen ist. Diese Zahlen variieren je nach Datenbasis und lassen daher Spielraum für unterschiedliche politische Interpretationen.
Eine andere Methode der Armutsmessung bezieht sich auf den Hilfebezug. Waren schon in der bis Ende 2004 gültigen Sozialhilfe Kinder die am stärksten betroffene und zuletzt am stärksten anwachsende Gruppe, so hat sich diese Entwicklung in der neuen Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II ("Hartz IV" bzw. Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld für Kinder bis zum 15. Lebensjahr) fortgesetzt; hier stellen Kinder unter 15 Jahre mit einer Quote von 16,3 Prozent der gleichaltrigen Bevölkerung die am stärksten vertretene Altersgruppe dar (Juli 2008: 1,8 Millionen Kinder). Irene Becker geht in einer Dunkelzifferanalyse aufgrund verdeckter Armut im Sozialgeldbezug von einer Million Kindern aus, die zusätzlich anspruchsberechtigt wären.
Der Regelsatz ist mit 359 Euro (ab 2011: 364 Euro) monatlich leicht höher als die ehemalige Sozialhilfe, jedoch sind die einmaligen Leistungen (Kleidung und Schuhe, Schulausstattung, Haushaltsgeräte bzw. -ausstattung) weitgehend entfallen. Das Sozialgeld für Kinder bis zum 6. Geburtstag beträgt 215 Euro (60 Prozent vom Regelsatz), für ältere Kinder bis zum 14. Geburtstag 251 Euro (70 Prozent).
Gegenüber der alten Sozialhilfe hat sich die Ost-West-Differenz beim Sozialgeldbezug von Kindern deutlich vertieft (29,7 zu 13,8 Prozent im Juni 2008). Auch die Dauer der Armut von Kindern hat im vergangenen Jahrzehnt deutlich zugenommen.
Hinsichtlich der Haushaltsstruktur kommen alle Datenquellen zu dem Ergebnis, dass vor allem Einelternhaushalte, Arbeitslosenhaushalte und Haushalte von Menschen mit Migrationshintergrund besonders betroffen sind. Insgesamt fügen sich die steigenden Armutsquoten von Kindern und Jugendlichen in einen allgemeinen Trend der weiteren Zunahme der Polarisierung der Einkommensverteilung bei großen regionalen Unterschieden ein.
Regelsatz für Kinder
Die Regelsatzberechnung ist bereits in der alten Sozialhilfe von entscheidender Bedeutung gewesen für die Bestimmung des soziokulturellen Existenzminimums, die seinerzeit ein Leben in Würde gewährleisten sollte. Sie war seit den 1980er Jahren umstritten. Der Regelsatz wird anhand der Ergebnisse der EVS festgelegt. Die darin ermittelten Proportionen werden abgestuft in den Regelsatz weitergegeben. Die Verbrauchsgewohnheiten der untersten Einkommensschichten werden als Kriterium genommen, an dem sich der für die Armen bestimmte Regelsatz orientiert. Da angenommen werden muss, dass sich das Verbrauchsverhalten unterer Einkommensschichten schon an die Einkommenssituation angepasst hat, gehen die Auswirkungen eines unzulänglichen Einkommens auf die Struktur des konsumtiven Verbrauchs bereits in die Regelsatzberechnung ein und sind dort dupliziert. Das Verfahren wurde deshalb bereits in den 1980er Jahren als zirkulär kritisiert.
Wie oben erwähnt, wird Kindern in der Regelsatzberechnung des Sozialgelds ein abgestufter Prozentsatz der Leistungen für Erwachsene zugestanden. Kritiker bemängeln, dass diese Abstufung und die Einteilung der Kinder in Altersgruppen fachlich ungenügend begründet seien; zudem und vor allem greife diese Regelung den besonderen Bedarf von Kindern gar nicht auf. Berechnungen unabhängiger Fachleute gehen von realen "Kinderkosten" von etwa 500 Euro im Monat aus, wobei zunächst noch gar nicht altersspezifisch differenziert wird.
Auch über die Kosten für die Ernährung ist in den vergangenen Jahren heftig diskutiert worden: Der Eckregelsatz spricht Kindern unter 14 Jahren 2,54 Euro und älteren Kindern 3,42 Euro pro Tag zu. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung berechnet, dass eine gesunde und ausgewogene Ernährung für einen Jugendlichen 4,68 Euro kostet - freilich nur dann, wenn beim Discounter eingekauft wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2010 das Urteil des Bundessozialgerichts von 2009 bestätigt, dass die Hartz-IV-Regelsätze für Kinder unter 14 Jahren verfassungswidrig sind. Allerdings wurde hier nicht die Höhe der Leistungen kritisiert, sondern das Fehlen einer Begründung der Höhe und der Zusammensetzung durch den Gesetzgeber. In einer solch wichtigen Frage wie nach der Deckung des Existenzminimums dürfe der Bedarf von Kindern nicht einfach pauschal von der Leistungshöhe für einen Erwachsenen abgeleitet werden (Willkürverbot), sondern müsse eigenständig ermittelt werden. Ferner seien auch die Menschenwürde, das Elternrecht und das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes heranzuziehen. Auch wurde ein Gleichheitsverstoß der Kinder in Arbeitslosengeld-II-Haushalten im Vergleich zu Kindern in Sozialhilfefamilien festgestellt, da Kinder bei der Sozialhilfe Sonderbedarfe geltend machen können. Beanstandet wurde auch die mangelnde Altersdifferenzierung.
Nach dem Kabinettsbeschluss vom Oktober 2010 sollen die Regelsätze ab 2011 für Erwachsene um fünf Euro erhöht werden, wobei knapp 20 Euro für Alkohol und Tabak aus dem Grundbedarf gestrichen sind. Für Kinder steigen die Regelsätze nicht, es gibt aber ein Paket (Chipkarte oder anderes) für Bildungsleistungen, dessen Geldwert noch unklar ist. Der Bildungsbedarf der Kinder soll durch Zuschüsse für Schulbücher, Klassenfahrten, Nachhilfe, Mittagessen und Freizeitaktivitäten gedeckt werden (Fahrtkosten nicht). Offen ist noch die Höchstgrenze, die Gesamtkosten sind gedeckelt. Nachhilfe soll nur einbezogen werden, wenn sie angemessen und schulisch mit dem Lernziel der Versetzung verankert ist.
Wie die Neuberechnung eines eigenständigen Bedarfs für Kinder vorgenommen wurde, ist noch nicht veröffentlicht worden. Offenbar wurden aus der letzten EVS die Verbrauchsgewohnheiten der unteren 15 Prozent (statt der unteren 20 Prozent) als Grundlage genommen. Ob die jetzige Lösung insgesamt vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben kann, darf bezweifelt werden.
Armutsfolgen für Kinder
Im zurückliegenden Jahrzehnt ist unser Wissen über die Folgen von Familienarmut für Kinder vor allem durch einige qualitative Untersuchungen vertieft worden. Neben der Jenaer Studie
Angesichts der "Unterschichtdebatte", in der das Gegenteil behauptet wird,
Armut hat für Kinder andere Auswirkungen als für Erwachsene und wird von ihnen auch anders erlebt und erfahren. Schon im Bereich der Grundversorgung (Einkommen; Ernährung, Wohnung, Gesundheit) unterscheidet sich die Wahrnehmung der Kinder deutlich von jenen der Erwachsenen. Während etwa im Bereich der Bekleidung für die Erwachsenen die Nützlichkeit und die Funktionalität im Vordergrund stehen, sind für Kinder die kinderkulturelle Symbolik von Kleidung, Spielzeug oder Teilhabemöglichkeiten an bestimmten sozialen Aktivitäten, an denen sie Differenz- und Ausschlusserfahrungen machen können (etwa wenn Freunde nicht in die Wohnung oder zum Übernachten eingeladen werden können), viel entscheidender. Generell haben Kinder ein feines Gespür für ihre Benachteiligung und sind auch in anderen Lebenslagebereichen sensibel, etwa wenn eine Interessen- und Begabungsförderung aus finanziellen Gründen nicht erreichbar ist (Sportverein, Musikunterricht oder andere Aktivitäten). Dies gilt auch für die schulische Lebenswelt, die von fast allen armen Kindern als sehr ambivalent erfahren wird, weil sie sowohl leistungsmäßig wie sozial ihre Benachteiligung wahrnehmen.
Zu betonen ist, dass all diese Erfahrungen nicht nur persönliche, sondern immer zugleich soziale sind, in denen Kinder ihre relationale Benachteiligung deutlich wahrnehmen. Auch im Bereich der sozialen Kontakte sind für die Kinder vor allem die Zahl und die Qualität von wichtigen Beziehungen zu Erwachsenen, aber auch zu Gleichaltrigen wichtig, und sie leiden darunter, wenige oder keine Freunde zu haben, keine Spielkameraden zu finden oder Geburtstage nicht im großen Kreis feiern zu können.
Im Muße- und Regenerationsspielraum geht es für die mit Lernarbeit befassten Kinder um Entspannungs- und Rückzugsmöglichkeiten (Kinderzimmer, eigener Bereich), aber auch um die Stabilität der familiären Lebensbedingungen, um förderliche Eltern-Kind-Beziehungen und ein positives Familienklima, wobei die Kinder dies in der Regel sehr differenziert wahrnehmen. Sie brauchen eine strukturierte Alltagsbewältigung mit vielen kindgemäßen Ritualen. Elterliche Konflikte, Streit und Gewalt können die kindliche Erfahrung von Armut überlagern. Kinder nehmen die eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten und Optionen ihres Lebens sehr wohl wahr, sie leiden darunter, wenn sie ihre (meist recht bescheidenen) Bedürfnisse und Wünsche beschneiden müssen oder gar nicht umsetzen können. Hier spielt natürlich auch das Verhältnis zu den Eltern eine entscheidende Rolle. Die empirischen Befunde des DJI-Kinderpanels unterstreichen den Zusammenhang des kindlichen Wohlbefindens (definiert als Erleben der eigenen Bewältigungskompetenz) und des objektivierbaren Leistungsverhaltens in Schule und Lebenswelt.
Die Folgen familiärer Armut für Kinder sind heterogen und sehr differenziert zu betrachten; allgemein lässt sich aber sagen, dass die Besonderheiten kindlicher Armut vor allem in den Auswirkungen auf die Lebenschancen (Bildung), in der Persönlichkeitsentwicklung und im kindlichen Wohlbefinden (im Kinderleben) zu sehen sind. In aller Regel - wenn nicht Verwandte oder institutionelle Angebote der Jugendhilfe oder der Schule partiell ausgleichen - wirkt sich die materielle Armut der Familie in allen Lebenslagebereichen der Kinder negativ aus. Beeinträchtigt werden sowohl das aktuelle Kinderleben, wovon das kindliche Wohlbefinden ebenso betroffen ist, als auch seine Aneignungs- und Anerkennungsmöglichkeiten und damit zugleich auch die kindlichen Gestaltungsmöglichkeiten (Spielräume). Es zeigen sich in allen wichtigen Lebensbereichen spürbare Auswirkungen, sowohl in der Grundversorgung (Ernährung, Bekleidung, Wohnung, Kinderzimmer) als auch im Bereich der sozialen Kontakte und sozialen Integration, bei den Familien- und Geschwisterbeziehungen (Familienklima, Erziehungsverhalten, Konflikte), der individuellen Förderung und Anregungen zu kultureller Teilhabe (Begabungsförderung, Vereinsmitgliedschaft, Freizeitangebote) und im Bereich der Gesundheit.
Der derzeit am meisten beachtete Effekt ist der in Deutschland besonders stark ausgeprägte Zusammenhang zwischen der Lebenslage und dem Bildungsverlauf von Kindern, der durch die breite Diskussion der PISA-Studien viel Aufmerksamkeit erhielt. Schon Ende der 1990er Jahre wurde in quantitativen Studien darauf aufmerksam gemacht, dass im Vergleich armer mit nicht armen Kindern die Schulkarrieren deutlich negativer sind, was die zu erwartenden Schulabschlüsse, Versetzungen und die Schulnoten betrifft.
Insgesamt lässt sich sagen, dass sich Armut nicht nur in einem Mangel an finanziellen Ressourcen ausdrückt, sondern zu Einschränkungen in zentralen Lebenslagen der Kinder führt, was mit erheblichen Einschränkungen gesellschaftlicher Teilhabe, Bildungschancen, Lebenschancen und mit Prozessen sozialer Exklusion verbunden ist. Diese Armutsfolgen fallen umso einschneidender aus, je länger die Armutslage anhält.
Lässt sich Kinderarmut bekämpfen?
Hinsichtlich der strukturellen Ursachen von Kinderarmut ist vor allem auf das Zusammenwirken von Markt, Staat und vulnerablen (verwundbaren) Formen der Familie (Alleinerziehende, Familien mit vielen Kindern) aufmerksam gemacht worden. Die Veränderung des Arbeitsmarktes hinsichtlich einer Flexibilisierung und Prekarisierung, die Pluralisierung der Familienformen und die Ausgestaltung des Sozialstaats werden hier angeführt.
Im internationalen Ländervergleich macht eine 2008 von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlichte Studie deutlich, dass vor allem in den skandinavischen Ländern die Kinderarmutsraten mit drei bis fünf Prozent (nach den sozialstaatlichen Transfers) deutlich niedriger sind als in Deutschland und sogar auch niedriger als die allgemeine Armutsbetroffenheit in der Gesamtbevölkerung.
In der deutschen Politik spielt die Verbesserung der materiellen Lebenslage von Familien in Armut durch eine Ausweitung der Umverteilung keine wesentliche Rolle. Es wird auf das Kindergeld (2010 um 20 Euro erhöht) und bessere steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuung gesetzt - sowie im Jahr 2009 auf die Auszahlung eines einmaligen "Kinderbonus" von 100 Euro je Kind. Doch nur von letzterem profitierten auch Hartz-IV-Empfänger, da das erhöhte Kindergeld auf die Grundsicherung angerechnet wird. Die aktuelle Bundesregierung und ihre Vorgängerinnen setzten stattdessen vor allem darauf, durch Investitionen in das "Humankapital" der nachwachsenden Generation Kinderarmut zu bekämpfen. Das Potenzial dafür wird vor allem im Ausbau der Infrastruktur für frühkindliche Bildung und verstärkte Anstrengungen einer schulischen Förderung, etwa durch Ganztagsschulen, gesehen. "Die frühe Bildung und Betreuung von Kindern hat hier in zweifacher Hinsicht eine enorme Bedeutung: für die Eltern bei der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kindererziehung sowie für die Kinder selbst, insbesondere dann, wenn sie aus bildungsfernen und ressourcenarmen Familien kommen."
Mithin soll also durch die Erwerbstätigkeit auch der alleinerziehenden Mütter mit kleinen Kindern die Einkommenssituation von Familien mit Kindern verbessert werden, und daneben geht es darum, durch eine möglichst frühe Förderung von Kindern die Bedingungen für den Schulerfolg zu verbessern und somit - gemäß der Humankapitaltheorie - die Qualifikation des künftigen Arbeitskräftevermögens zu erhöhen. Dazu bedarf es einer koordinierten Ausrichtung auf die schulische und außerschulische Bildung im Kindheitsverlauf.
Über die Förderung in der Kindertagesbetreuung hinaus hat die soziale Arbeit im vergangenen Jahrzehnt eine Reihe von Konzepten entwickelt, um Kinderarmut zu lindern.
Im Konzept der Resilienzförderung sollen die strukturellen und individuellen Faktoren einer positiven Bewältigungskompetenz gestärkt werden, und entsprechend sind Ansätze zur Förderung auf der individuellen Ebene (Kompetenzstärkung des Kindes, Umgang mit Belastungen), auf der Beziehungsebene (Elternkompetenzen stärken, Erziehungsqualität steigern) sowie auf der Ebene der Förderung von Unterstützungsmaßnahmen für Kinder einschließlich der Stadtteilentwicklung und Lebensweltstärkung erforderlich.
Am prominentesten ist das Konzept der Ganztagsschule, das auf eine neue Kooperationsstruktur von Familie, Schule und Jugendhilfe im Sozialraum setzt und bis hin zu lokalen Bildungslandschaften reicht. Das Konzept der Ganztagsschule zielt darauf, durch eine neue wechselseitige Verschränkung schulischer, sozialpädagogischer, familiärer, informeller und nicht formeller Förderung Probleme in der Sozialisation von Kindern einerseits frühzeitig wahrnehmen und in einer vernetzten Kooperation im Sozialraum angehen zu können. Das ist eine präventive und sozialräumliche Ausrichtung.
Die Umsetzung der Konzepte der koordinierten Lebenslauf-begleitenden Hilfen ist beispielsweise in Monheim und anderen Städten in Nordrhein-Westfalen schon begonnen worden. Hier geht es um eine dichte Hilfe- und Präventionskette von der Geburt bis zur Berufsausbildung, die alle Ressourcen der örtlichen Jugendhilfe mobilisiert und darüber hinaus Tageseinrichtungen, Grundschulen, andere kommunale Ämter und freie Träger sozialer Dienste einbezieht. Es geht um eine intensivierte Angebotspalette sozialer Dienstleistungen für Kinder, Eltern sowie die Qualifizierung vor allem der pädagogisch arbeitenden Fachkräfte.
All diese Ansätze zielen darauf ab, Benachteiligungen der Familie in der öffentlich verantworteten Sozialisation auszugleichen. Ob das ausreicht, bzw. wie weit das reichen kann, ist empirisch ungeklärt. Beispiele aus anderen Ländern zeigen, dass eher auf die materielle Lebenslage von Kindern und benachteiligten Familien bezogene sozialpolitische Verbesserungen im Zusammenspiel mit der Intensivierung pädagogischer Förderung erfolgreich sein können.